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Schneegestöber

SchneeGestöber 14 2016/17 | Die Unbewusste Inkompetenz in der Schnee- & Lawinenkunde

Psychologie in Powderhausen

von Lukas Ruetz • 02.02.2017
Wir versinken zur Abwechslung in theoretischen Gedankengängen bezüglich Mensch, Psyche und Schnee. Eine grundlegende Annahme: Die Abgrenzung von Erfahrung und Wissen.

Das Kompetenzstufenmodell

… ist ein Modell aus der Entwicklungspsychologie und wie alle Modelle oder Konstrukte der Wirklichkeit eigentlich falsch. Dazu betrachten wir kurz die Basics zur Modellbildung: Ein Modell im wissenschaftlichen Sinn ist ein Abbild der Wirklichkeit. Immer unvollständig, meist stark vereinfacht bzw. verzerrt um sich auf wesentliche Aspekte konzentrieren zu können. Es geht bei der Modellbildung in erster Linie um Abstraktion, weil die Realität zu komplex ist um sie vollständig abzubilden.

Bezüglich Schnee- und Lawinenkunde und der menschlichen Grundlagen, die in das Metier hineinspielen, helfen Modelle ungemein, um schwierige und hochkomplexe Sachverhalte einfach darzustellen um Sachlagen zu begreifen, bzw. die Vorstellung auf das nächste Niveau zu heben. Meist sind die Modelle an sich aber falsch und müssen im Nachhinein wieder „gelöscht“ werden, sobald sie ihren Zweck erfüllt haben, um weitere Entwicklungsschritte zuerst zu ermöglichen - aber in Zukunft weitere nicht zu behindern. Ein Beispiel sei hier die verbreitete Vorstellung des „Kugellagers“ im Zusammenhang mit Schwachschichten in der Schneedecke: Keine Schwachschicht fungiert wie ein Kugellager, weil es beim Abgang von Schneebrettlawinen um Brüche geht, nicht um Schneeschichten die komplett bindungslos sind - wie das eben bei einem Kugellager der Fall wäre. Schwachschichten sind „bindungsschwach“, nicht „bindungslos“, und brechen einfach leichter auseinander – sie rollen nicht durch die Gegend. Trotzdem war das Kugellager ein gutes, einfaches „Modell“ um einem kompletten Neuling in der Thematik etwas für ihn fassbares in die Hand zu geben und seiner Vorstellungskraft zu helfen.

Die folgenden Einteilungen im Kompetenzstufenmodell greifen in der Praxis völlig nahtlos ineinander bzw. verfließen in sich – dennoch helfen sie zur Vorstellung.

Die Unbewusste Inkompetenz

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Das Kompetenzstufenmodell beschreibt tausendfach vereinfacht, dass sich der Mensch in vielen Hinsichten von der Unbewussten Inkompetenz über die Bewusste Inkompetenz und die Bewusste Kompetenz zur Unbewussten Kompetenz entwickeln kann. Bezüglich Schnee heißt das: Zuerst ist man sich nicht bewusst, dass man keine Ahnung hat von der angewandten Schnee- & Lawinenkunde. Man besitzt weder Erfahrung, noch Wissen. Entscheidungen, die vollständig auf eigener Basis beruhen, sind häufig intuitiv falsch – eine Analyse aufgrund von Erfahrung oder Wissen ist noch nicht möglich, es gibt lediglich die Intuition.

Der springende Punkt in dieser Phase: Man glaubt, man könnte gut mit der Situation umgehen bzw. nach Erfahrung des Schneestöberers glauben in dieser Phase auch einige, sie hätten’s voll drauf und könnten’s super einschätzen – einfach & überspitzt formuliert. Das Kontrollgefühl ist relativ hoch. Man ist einfach unbewusst inkompetent.

Die Bewusste Inkompetenz

Mit steigender Erfahrung wird man sich immer mehr bewusst, dass man doch einiges nicht richtig einschätzen kann oder konnte (und dabei hoffentlich überlebt hat). Man erreicht die Bewusste Inkompetenz – man weiß also schön langsam, dass man eigentlich nichts weiß bzw. dass man viel, viel, viel mehr wissen könnte. Das Kontrollgefühl bezüglich richtigem Einschätzen der Situation sinkt dabei. Eine fachlich basierte Analyse ist noch kaum möglich, da man noch zu wenig weiß – die Einschätzungsmöglichkeiten der Intuition werden allerdings besser.

Die Bewusste Kompetenz

Bleibt man nur beim angewandten Wintersport und verschmäht weiterhin die Kulturtechnik des Lesens, überspringt man in weiten Teilen die Stufe der Bewussten Kompetenz: Man hat sich zwar keine theoretischen Grundlagen angeeignet und versteht nicht so ganz, was im Schnee vor sich geht, aber aufgrund von steigender Erfahrung wird die Entscheidungsqualität trotzdem besser und man erreicht so etwas wie eine unbewusste Kompetenz. Vereinfacht: Man kann eigentlich nicht auf einer fundierten Analyse mittels Daten oder dem Lagebericht entscheiden, aber das aus der Erfahrung entstandenen Bauchgefühl ist nicht mehr so schlecht und man kann relativ gute Entscheidungen treffen. Nicht wirklich gute, aber relativ gute. Außer beim Altschneeproblem, zumindest dort bleibt man fast gleich schlecht.

Die Unbewusste Kompetenz

Bleibt man praktisch wie theoretisch am Ball, geht man langsam von der Bewussten Kompetenz auf die umfassende Unbewusste Kompetenz über: Man besitzt einen reichen Fundus an Erfahrungen und Hintergrundwissen, ist vielleicht sogar am aktuellen Forschungsstand und kann damit arbeiten, richtige Intuition in Kombination mit fundierter Analyse. Diesen Status erreichen vermutlich nur sehr, sehr wenige – vielleicht auch nur jene, die die Möglichkeit haben, sich damit beruflich zu beschäftigen.

Conclusio

Das Kontrollgefühl in Bezug auf Einschätzung von Lawinen sinkt mit steigender Erfahrung und mehr Wissen zuerst immer etwas ab. Angebracht ist defensives Verhalten, wenn man sich nicht sicher ist. Mit Wissen kann die „Phase der Angst“ etwas gelindert werden. Ein vollständiges Kontrollgefühl kann man mit heutigen Mitteln nie erreichen – außer Chuck Norris. Warum? Wir arbeiten immer noch mit Wahrscheinlichkeiten in Bezug auf Lawinen, eine definitive Vorhersage ist (noch) nicht möglich. In Lawinen sterben kann demnach jedermann, egal wieviel er weiß oder kann. Die Wahrscheinlichkeit darin zu sterben schwankt allerdings stark.

Merke: Aus Sicht der Zukunft sind wir alle Unbewusst Inkompetent. Aus dem heutigen Kenntnisstand sind leider auch viel zu viele Unbewusst Inkompetent. Es liegt in der Hand jedes Einzelnen, sich zumindest auf die Stufe der Bewussten Inkompetenz zu heben.

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