Vom Schnee ins Rila-Kloster - Weit im Süden liegen die Berge des Pirin-Nationalparks, die wir in den kommenden Tagen besuchen werden: Sie leuchten vielversprechend in der Sonne. Ganz unten im Wald, weit weg vom höchsten Punkt hier, liegt das berühmte Rilakloster...
...Die rassige Rinne und unten die weiten Hänge mit dem lichten Kieferbestand versprechen endloses Kurven und Gleiten im Firnschnee und Sulz. Also nichts wie hinein ins „Promised Land“ bevor die Sonne unsere Pläne durchkreuzt. Wir bereuen nichts, die Entscheidung war richtig und inmitten einer nordisch wirkenden Landschaft, cruisen wir nach Süden zum Suhoto Ezero dem „Trockenen See“ schon unterhalb der 2000-Meter-Grenze. Vorbei an einem eingestürzten Wasserfall, hinein in den steilen Kiefernwald, der schon frühlingswarm duftet und harzigen Geruch verströmt. Am Wanderweg zum Kloster ist dann Schluss, wir schultern die Skiern, trekken hinaus bis zum kühlen Brunnen im Rilatal. Kommentar von Ivo „...es gibt immer einen Weg...“
Strengkühle Atmosphäre und andächtige Stille
empfangen uns, als wir noch verschwitzt in den Innenhof der Klosteranlage treten. Die Mönche, großgewachsen wie NBA Basketballprofis tragen schwarze Daunenwesten und dunkle Rauschebärte. Bunt bemalt sind die Fassaden des heiligen Ortes. Mittelalterliche Fantasiewesen mit Zangen und Folterwerkzeugen im stetigen Kampf mit den himmlischen Heerscharen schmücken in bunten Farben die Außenfassaden. Erhabene Ikonen mit vergoldeten Holzschnitzerein im Innern der Kirche, begleitet vom murmelnden Gebet der Gläubigen. Diese achteckigen Mauern mit den Schneegipfeln im Hintergrund sind die Abschiedskulisse für unsere Skiabenteuer im Rilagebirge. Später, auf dem Dorfplatz der Ortschaft Rila, vor einem kleinen Café, genießen wir die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Ein paar Roma-Jugendliche leisten uns beim Feierabendbier Gesellschaft und freuen sich über die Skitouristen im exotischen Gewand. Unser Roadtrip geht weiter - vorbei an Blagoevgrad und Razlog steuern wir den Skiort Bansko an.
Bansko – Goldgräberstadt der Skiszene
In einem Talkessel, am nördlichen Rand des Piringebirges auf 900 m gelegen, eignet sich Bansko als Ausgangspunkt für unsere geplante Durchquerung vorzüglich. Einen Sessellift haben sowjetische Soldaten 1984 hinterlassen, 2002 finanzierte die First Investment Bank den Aufbau des Skigebietes, das in kürzester Zeit aus dem Boden gestampft wurde. Kraut mit Reis und deftigen Würsten, den unvermeidlichen Rhakia und bulgarische Volksmusik genießen wir am ersten Abend im Folklorerestaurant. Der Kontrast könnte nicht größer sein, als wir Maya und Andy in der loungigen Szenekneipe B4 treffen und uns über die Freeride-Möglichkeiten am Todorka austauschen.
Freeridemekka Bansko
Maya und Andy leiten die Ski- und Snowboardschule Oxo, was auf bulgarisch „Kerl“ bedeutet. Die zierliche, hübsche Maya hat in den Alpen an Freeride Events teilgenommen, beide kennen die Rinnen am Todorka seit Jahren als sie noch jedes Wochenende von Sofia hierher gefahren sind. Die Westflanke des Todorka ist durchzogen von acht großen und einigen kleineren 40 Grad steilen Rinnen zwischen 600 und 900 Höhenmetern. Die beiden sind im Winter zum Unterrichten und Freeriden in Bansko und leiten im Sommer Windsurfkurse an der Schwarzmeerküste. Schon 1998 gründeten sie die Bulgarian Extreme and Freeskiing Association (BEFSA). Spät am Abend vereinbaren wir, dass Maya uns am letzten Tag auf den Kutelo begleiten soll.
Gottloser Berg – vom Bezbog zum Polejan (2851 m)
Von Dobrinishte dem verschlafenen Nachbardörfchen von Bansko, wollen wir jetzt erstmal eine richtige Skitour unter die Felle nehmen. Der sehr gemütliche Uraltsessellift bringt uns zur Gipfelstation am Bezbog („der Gottlose“) und wir hoffen, dass uns dennoch das himmlische Wetter in den nächsten Tagen noch nicht verlässt. Im Süden sehen wir tiefverschneite Gipfelziele für noch mehr Skitouren: Der Demirchal (2673 m) oder die bekanntere Kamenitsa (2822 m) oberhalb des „Priestersees“ Richtung Pirinhütte, die von hier aus an einem halben Tag zu erreichen wäre? Zwischen dem Gipfel des Bezbog und des Polejan könnten wir jetzt auch gleich steil hinuntercarven nach Bansko? Wir bleiben beim ursprünglichen Plan und steigen gemütlich auf das Haupt des Polejan (2851 m), wo uns urschwäbische Kraftausdrücke ins Gehör dringen.
Ein Dialekt der unverkennbar ist,
auch wenn wir uns auf Englisch begrüßen – auf dem Polejangipfel (2851 m) treffen wir vier behelmte Sportsfreunde aus dem Schwabenländle. Eigentlich wollten die Jungs diese Woche nur im Powder abtauchen, aber das gute Wetter motiviert selbst Helifans zum Tourengehen. Zumal am Todorka die Rinnen im Moment sehr eisig und unangenehm hart verblasen sind. Ivo kennt Alternativen - so rattern wir in langen Schwüngen über Plattenpulver zu einem Couloir, gefüllt mit unversehrtem Powder. Diese ersten 500 Höhenmeter waren zum Auftakt schon mal nicht schlecht, deshalb steigen wir gleich wieder hinauf zu den Straijte Felsen (auf Deutsch den „Wächtern“) aus bestem Urgestein zwischen denen breite Rinnen gleichmäßig steiles Cruisen in der Nachmittagssonne versprechen. Das ganze Team ist von dem Abstecher begeistert und in großen Radien gleiten wir im Firn Richtung Wald in die schattigen Mulden oberhalb der Gazeiski-Seen, wo der letzte knietiefe Powder uns zur Ausgelassenheit treibt.
Im Hexenhäuschen - Demianica-Hütte
Ausgelassen sind wir auch dann noch, als bei der Abfahrt zur Demianica-Hütte aus dem lockeren weißen Traum im Hochwald knietiefer Sulz wird. Alle hängen dann mindestens einmal kopfüber in dem kleinen Bächlein mit dem kristallklaren Wasser, müssen aufpassen dabei nicht von den Kollegen überfahren oder ertränkt zu werden. Die Dusche schon gespart, erreichen wir voller Übermut die urige Demianica Hütte. Das Hexenhäuschen mit Hänsel und Gretel könnte ein Grimmsches Märchen nicht besser erfinden als diese Hütte in den Bulgarischen Bergen am Ufer des Demyanishka Baches. Der Ofen bollert warm und Kerzenlicht bringt Romantik. Sogar der Schlafraum mit den Stockbetten ist beheizt. Hüttenwirt Milosch zaubert für uns und die zwei Französischen Gäste ein Mehrgang-Menü und stellt einen fruchtigen Roten aus Melnik auf den Tisch.
Kleiner Todorka und Ribno See
Kräftiger Südwestwind rüttelt an den Skiern, als wir die letzten Meter auf dem Grat zum Kleinen Todorka (2712 m) hinüber stapfen. Im Osten sehen wir die Felsen und Rinnen der Strajite Gruppe (den Wächtern) vom Vortag. Traumhaft auch die Aussicht auf die einladenden Abfahrten der nächsten Skiziele – den Vihren (2914 m) und den Kutelo (2908 m) die an den rassigen Gipfelflanken schon aus der Ferne zu erkennen sind und uns den Mund auf steiles Gleiten im Firn wässrig machen. Der Südwind hat - wie fast überall diesen Februar in Europa - den Pulver schön zu Windgangeln und Platterpulver gepresst. Im Föhnwind brettern wir schnell zum Ribno See (Fisch See) ins Banderitsatal hinaus. Wieder ein Szenenwechsel, wieder ein großartiges Tal mit noch unzähligen Tourenzielen für Winter und Sommer.