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Abenteuer & Reisen

Nachwuchs Frauenpower auf dem Eis

Mit Steigeisen, Messinstrumente und Zeichenblock am Gletscher

von Marie Kaucher 15.09.2024
Eine Gruppe junger Frauen steht auf dem Gletscher. Eine der Frauen wird vorsichtig in eine Gletscherspalte abgelassen. Sie übt mit ihrer Seilschaft die Spaltenbergung und klettert dabei mit Eispickeln und Steigeisen aus der Spalte. Danach wird der Gletscher mit wissenschaftlichen Geräten vermessen, bevor es zurück ins Expeditionscamp geht. So viele Frauen auf einem Gletscher? Auch in Zeiten der rechtlichen Gleichstellung ist das ein eher seltenes Bild. Sich davon jedoch nicht einschüchtern zu lassen, sondern gerade deswegen auf eine rein weibliche Expedition zu gehen, ist die Idee von Girls* on Ice Austria (GOI).

GOI was ist das?

Girls* on Ice Austria (GOI) ist ein einzigartiges Projekt, das jungen Frauen die Chance bietet, Naturerlebnisse, Wissenschaft und Abenteuer in einer außergewöhnlichen Umgebung zu verbinden. Jedes Jahr organisiert der Verein eine spezielle Expedition, die darauf ausgelegt ist, Mädchen und junge Frauen für Wissenschaft und die Bergwelt zu begeistern. Ziel ist es, ihnen in einer sonst oft männerdominierten Disziplin einen sicheren und inspirierenden Raum zu bieten.

Die diesjährige Expedition führte die Gruppe in die atemberaubenden Ötztaler Alpen. Zehn Tage lang hatten die Teilnehmerinnen die Möglichkeit, abseits von Zivilisation, ohne Handy, soziale Medien oder Internet, ganz in die Natur einzutauchen. Statt der üblichen Hektik des Alltags erwartete sie ein aufregender Campalltag, viele neue Freundschaften und eine eindrucksvolle Berglandschaft.

Was diese Expedition besonders macht, ist die Tatsache, dass sie ausschließlich von Frauen für Frauen organisiert und durchgeführt wird. Ein vielfältiges Team aus Naturwissenschaftlerinnen, Künstlerinnen und Bergführerinnen begleitet die Teilnehmerinnen und teilt nicht nur ihre fachliche Expertise, sondern auch ihre Leidenschaft für die Berge und das Forschen.

Eine Girls* Expedition – Wieso das?

Ein zentrales Anliegen der Expedition ist es, die Neugierde der jungen Frauen für Wissenschaft und Natur zu wecken. Durch die enge Zusammenarbeit mit den Naturwissenschaftlerinnen lernen die Teilnehmerinnen auf praktische Weise die Geologie und Ökologie der Alpenregion kennen. Dabei werden nicht nur wissenschaftliche Inhalte vermittelt, sondern auch eine tiefe Wertschätzung für die Natur und ihre Zusammenhänge gefördert.
Gleichzeitig sollen die Teilnehmerinnen fürs Bergsteigen begeistert werden – eine Sportart, die physische Ausdauer, mentale Stärke und Teamarbeit erfordert. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Expedition ist die gezielte Förderung von Menschen mit marginalisierten Geschlechtern in Bereichen wie Wissenschaft, Kunst und Outdoor-Aktivitäten.. In einem unterstützenden und ermutigenden Umfeld wird das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten gefördert, während die Teilnehmerinnen lernen, Herausforderungen zu überwinden und gleichzeitig persönliche und gemeinschaftliche Erfolge zu feiern. So werden sie darin bestärkt, in bisher männlich dominierten Bereichen ihren Platz einzunehmen und ihre Potenziale voll auszuschöpfen.

Darüber hinaus zielt GOI darauf ab, eine starke und aktive Gemeinschaft von Naturwissenschaftlerinnen und Klimaschützerinnen zu schaffen. Die Teilnehmerinnen haben die Möglichkeit, wertvolle Kontakte zu knüpfen, die sie auf ihrem weiteren Ausbildungs- und Berufsweg begleiten und unterstützen können. Dieses Netzwerk soll nicht nur während der Expedition, sondern auch danach bestehen bleiben und die Teilnehmerinnen auf ihrem Weg zu neuen beruflichen Möglichkeiten inspirieren und fördern.
Insgesamt ist Girls* on Ice Austria mehr als nur eine Expedition – es ist eine Plattform, um jungen Frauen Türen zu neuen Wegen in Wissenschaft, Kunst und Outdoor-Sport zu öffnen, ihre Potenziale zu entdecken und sich gegenseitig auf ihrem Weg zu unterstützen.

Das Expeditionsteam 2024

Dieses Jahr unterwegs waren neun Teilnehmerinnen, welche größtenteils aus Österreich, teils aber auch aus Deutschland und den Niederlanden anreisten. Alle waren zwischen 15 und 18 Jahren alt.
Begleitet wurden die jungen Frauen von einem erfahrenen Team, das sowohl aus Expertinnen in den Bereichen Wissenschaft als auch Kunst und Bergsport bestand: Unter ihnen war Jessie Pitt, Künstlerin und auch Ski-Guide, die die Teilnehmerinnen in den künstlerischen Projekten unterstützte. Außerdem drei Wissenschaftlerinnen: Giulia Bertolotti, eine Geologin und Glaziologin von der österreichischen Akademie der Wissenschaften; Lindsey Nicholson, Assistenzprofessorin an der Universität Innsbruck und selbst Künstlerin sowie Anna Baldo (Master of atmospheric and cryospheric science). Für alpine Sicherheit und das bergsteigerische Know-How war zudem Barbara Fink, eine staatlich geprüfte Berg- und Skiführerin, mit unterwegs. Zusätzlich dokumentierte Rebekah Parsons-King die Expedition fotografisch und Künstlerin Charlotte Ostrisch von openspace.innsbruck sammelte bei der Expedition für das Projekt „Ain´t no MOUNTAIN high enough“ Inspirationen. Diese Projekt wird Anfang Oktober in hybrider Form präsentiert.

Eine Expedition – wie läuft das ab?

Nach einem ersten Ankommen im Ötztal, begannen die Vorbereitungen für die zehntägige Expedition von Girls* on Ice Austria. Für die Teilnehmerinnen stand zunächst das Kennenlernen im Vordergrund. Außerdem musste das umfangreiche Material für die bevorstehenden Tage gesichtet werden und die Ausrüstung der Teilnehmerinnen mit Leihausrüstung ergänzt werden. Nachdem alle Rucksäcke gepackt waren, wurde der Abend entspannt im Tal ausklingen lassen.

Am nächsten Morgen folgte trotz stürmischen Wetters der Aufstieg zum Basislager, das in unmittelbarer Nähe eines Gletschers errichtet wurde. Schon auf dem Weg gab es für die Teilnehmerinnen einiges zu entdecken und zu lernen. Unterstützt wurde die Gruppe von den sogenannten „Gear Fairies“, einer ehrenamtlichen Gruppe, die half, das schwere Equipment zu transportieren und das Camp in der alpinen Landschaft aufzubauen. Dementsprechend konnte der erste Abend im Camp nach dem Aufstieg direkt mit Kochen auf dem Gaskocher begonnen werden.

Ab hier war ein täglicher Anruf über das Satellitentelefon für eine aktuelle Wetterprognose der einzige Kontakt zur Außenwelt. Doch auf Expedition und rund ums Camp gab es sowieso genug zu entdecken.

Im Laufe der Expedition standen tägliche Touren auf/an dem Gletscher auf dem Programm, begleitet von spannenden wissenschaftlichen und künstlerischen Aktivitäten. Die Teilnehmerinnen hatten die einmalige Gelegenheit, die beeindruckende alpine Landschaft nicht nur zu erforschen, sondern auch künstlerisch festzuhalten. Zeichnungen und Aquarellmalereien der Gletscherlandschaft, des Gletscherbachs, der umliegenden Pflanzen und des Camps entstanden im Verlauf der Tage. Diese kreative Auseinandersetzung mit der Natur half beim Verständnis der Landschaft und schafften einzigartige Erinnerungsstücke an die gemeinsame Zeit.

Trotz der Herausforderungen, die das Wetter in der ersten Hälfte der Woche mit sich brachte – darunter starker Regen und Gewitter – war das Programm vielseitig. Einheiten zur Knotenkunde und Spaltenrettung, der sichere Umgang mit Steigeisen und Pickeln sowie grundlegende Bergsteigertechniken waren wichtige Bestandteile der praktischen Ausbildung. Diese Fähigkeiten waren nicht nur für die bevorstehenden Gletschertouren entscheidend, sondern stärkten auch das Selbstvertrauen und die Teamarbeit der Teilnehmerinnen.

Neben den körperlichen Herausforderungen stand die wissenschaftliche Arbeit im Mittelpunkt.  An den ersten Tagen wurde begleitet durch die Instruktorinnen so einiges rund um den Gletscher entdeckt.

An Tag sechs führten die Teilnehmerinnen dann eigene kleine Forschungsprojekte durch: Teilnehmerin Isabella berichtete begeistert von einem ihrer Experimente: „Wir haben zum Beispiel den Wasserpegel am Gletschersee gemessen. Und dann haben wir gemerkt, dass über den Tag immer mehr Wasser im See ist.“
Eine andere Gruppe tätigte Messungen der Lufttemperatur, des Albedos – also der Reflexivität des Eises, Schnees und der Steine – sowie die Luftfeuchtigkeit.
Wieder eine andere Gruppe untersuchte die Ausbreitung der Vegetation in Gebieten, aus denen der Gletscher bereits vor einiger Zeit verschwunden war. Auf diese Weise erkundeten die Teilnehmerinnen die komplexen Zusammenhänge von Klima und Landschaft selbst.

Eine der besonders erinnerungswürdigen Aktivitäten war für viele das Schwimmen im eiskalten Gletschersee. Obwohl die Temperaturen alles andere als einladend waren, wagten sich alle Teilnehmerinnen ins Wasser. „Was mir am allerbesten gefallen hat, war, als wir im See schwimmen waren, obwohl es extrem kalt war“, schwärmte die 16-jährige Paula. „Irgendwie haben wir uns alle gegenseitig motiviert, dass wir dann im Endeffekt doch alle drinnen waren, schnell einen Schwimmzug gemacht haben und wieder raus sind.“
Diese Erfahrung verdeutlichte, wie wichtig die gegenseitige Unterstützung innerhalb der Gruppe war und wie die Expedition nicht nur wissenschaftlich, sondern auch emotional eine prägende Erfahrung für die jungen Frauen wurde.

Am neunten Tag hieß es schließlich Abschied nehmen vom Gletscher und dem Camp. Nun ging es zurück ins Tal und die Zivilisation. Doch die Expedition war damit noch nicht ganz zu Ende: Zwei weitere Tage verbrachten die Teilnehmerinnen in Innsbruck, wo sie die Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Experimente zusammenfassten, und die künstlerischen Werke finalisierten. Diese Abschlussphase bot eine wertvolle Gelegenheit, die gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen zu reflektieren und sich auf die bevorstehende Ausstellung vorzubereiten.

Am letzten Tag der Expedition fand eine kleine Ausstellung in der Geologischen Sammlung der Universität Innsbruck statt. Hier präsentierten die Teilnehmerinnen ihre Werke und wissenschaftlichen Ergebnisse stolz ihren Familien, Freunden und anderen Interessierten. Zu sehen gab es nicht nur Bergsteigerknoten und Ausrüstung, sondern auch beeindruckende Zeichnungen und Aquarelle sowie die Resultate der durchgeführten Experimente. Die Ausstellung war der krönende Abschluss einer Expedition, die in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich war und den jungen Frauen Türen zu neuen Interessen und Fähigkeiten geöffnet hatte.

Einerseits war die Wiedersehensfreude mit Familie und Freunden groß, andererseits heiß Abschiednehmen.  Die Zeit auf Expedition war sowohl für die Teilnehmerinnen als auch die Leiterinnen sehr intensiv und hat eine Verbindung geschafft, die bestimmt anhalten wird.

Die Expedition zu Ende und jetzt?

Die Expedititon 2024 ist erfolgreich zu Ende gegangen und nun geht es schon wieder an die Planung für nächstes Jahr. Girls* on Ice Austria ist ein komplett ehrenamtlicher Verein. Eine für die Teilnehmerinnen kostenlose Expedition wie dieses Jahr ist nur durch Materialunterstützungen, Spenden und Förderungen möglich. Dieses Jahr waren unter anderem die Universität Innsbruck und die European Space Agency Geldgeber.
Die Teilnehmenden zahlen außer der Anreise nichts für die Expedition und bekommen nicht vorhandene Ausrüstung durch den Verein geliehen. Somit ist für die Volunteers von GOI nach der Expedition, vor der nächsten Expedition.

Ab auf den Gletscher - ich will auch

Auch im nächsten Jahr sollen wieder jungen Frauen* zwischen 15 und 17 Jahren eintauchen in alpine Landschaften. Wenn die Finanzierung steht, startet die Bewerbungsphase im Dezember. Willkommen, sind alle FLINTA*. Der Begriff steht für Frauen, Lesben, inter-, nicht binäre, trans- und agender Personen.
Die Teilnehmenden brauchen keine Vorkenntnisse, außer ein bisschen Grundkondition für die Touren. Ziel ist es besonders Menschen, die sonst wenig Möglichkeiten zu solchen Touren hätten, diese besondere Chance zu bieten. Die Bewerbungsphase ist vermutlich wieder zwischen November und Februar.

Expeditionen weltweit - GOI Backgrounds

Girls* on Ice Austria ist zudem Teil eines weltweiten Netzwerks von Expeditionen, das junge Frauen dazu ermutigt, Wissenschaft und Bergsport zu entdecken. Der Ursprung dieses Projekts liegt in den USA: Im Jahr 1999 initiierte Dr. Erin Pettit die erste Expedition im North Cascades National Park: Während ihrer Doktorarbeit stellte Pettit fest, wie wenige Frauen in der wissenschaftlichen Forschung präsent waren. Um dies zu ändern und jungen Frauen eine Plattform zu bieten, die Naturwissenschaften und Outdoor-Abenteuer miteinander verbindet, rief sie Girls* on Ice ins Leben.

Mit Ausnahme der Covid Jahren, wo es außer dem Schweizer Ersatzprogramm Expeditions@Home wenige Expeditionen gab, ist das Netzwerk Inspiring Girls Expedition stark gewachsen.
Mittlerweile gibt es Expeditionen in Kanada, Alaska, Colorado, Oregon, Neuseeland, der Schweiz und, seit 2020, auch in Österreich. Die Präsidentin des Vereins in Österreich, Dr. Lindsey Nicholson, ist Glaziologin und Klimaforscherin an der Universität Innsbruck und eine Expertin für Wissenschaftskommunikation. Ihr Engagement ist es, das Projekt in Österreich weiterzuentwickeln und jungen Frauen die Chance zu geben, nicht nur wissenschaftliche Methoden und Naturphänomene kennenzulernen, sondern auch ihr Selbstvertrauen und ihre Teamfähigkeit durch herausfordernde Erlebnisse in der Natur zu stärken.

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