Wintersport ist in Japan keine besonders exotische Angelegenheit, sondern Volkssport. Die Voraussetzungen die das Land dafür bietet sind optimal. Das Land ist von Gebirgen durchzogen und so hügelig und bergig, dass nur knapp 30% der Fläche flach genug ist, um sinnvoll bebaut werden zu können. Hierauf konzentrieren sich die Städte, in denen die Menschen dicht gedrängt leben.
Von Zao aus bringt uns der Shinkansen, Japans Hochgeschwindigkeits-Schnellzug, innerhalb kurzer Zeit an die Nordküste der Hauptinsel Honshu, genauer gesagt nach Hachinoe, von wo aus wir am nächsten Morgen mit der Fähre nach Hokkaido übersetzen wollen. Unser japanischer Freund Yasu, der leider nicht mitkommen konnte, weil er "too busy" ist, wie das bei den meisten Japaner der Fall ist, warnt uns vor einem ankommenden Sturmtief und meint, wenn die Fähre überhaupt fährt, dann würde der Seegang unerträglich werden. Aber das Wetter ist ruhig und die Fähre transportiert uns entspannt und planmäßig nach Tomakomai und wir nutzen die Fahrt zu einem ausgiebigen Bad im bordeigenen Onsen. Tatsächlich, sogar auf der Fähre gibt es einen - leider nicht mit frischem Schwefelwasser, aber dennoch 43 Grad warm. Als die Fähre anlegt, geht ein heftiger Schneesturm los und als wir unseren Mietwagen übernehmen, ist dieser schon komplett zugeschneit. Zum Glück haben wir uns für ein Modell mit Allradantrieb entschieden. Noch wissen wir nicht, was uns in dieser Nacht erwartet?
Der Schneesturm entwickelt sich rasch zum stärksten Unwetter dieses Winters und die Straßen sind in kürzester Zeit tief verschneit. Im Schritttempo kämpfen wir uns Meter für Meter in Richtung Kiroro, einer Fahrt von normalerweise etwa zwei Stunden. Die Fahrt wird zum Kampf mit dem Schnee, der Straße und den Staus, die sich schnell gebildet haben. Für die ersten vier Kilometer benötigen wir drei Stunden und kommen auch danach nicht wirklich vorwärts. Der Pass nach Kiroro ist so verschneit dass nur noch eine schmale Spurrine in der Mitte der Straße durch den tiefen, frischen Schnee führt. Dazu muss man sagen, dass schon die Straße selbst knapp vier Meter tief in die Schneelandschaft gefräst wurde und an manchen Stellen durch Wechten komplett blockiert wird. Immer wieder stecken Fahrzeuge in den Schneewechten fest und gemeinsam mit den Stecken-Gebliebenen schieben und schaufeln wir die Fahrzeuge wieder frei. Nur mit viel Glück gelingt es uns, nach knapp neun Stunden Fahrzeit, morgens um drei bei Satoshi, unserem Freund und Guide in Kiroro anzukommen. Wir sehen das Schild der Ratapu-Lodge am Straßenrand, aber die Einfahrt ist vollständig vom Schnee zugeweht. Ich rufe Satoshi an und er antwortet verschlafen, wir sollen einfach den Weg entlang die letzten zweihundert Meter zur Lodge nach hinten fahren - schließlich habe er extra für uns vor vier Stunden alles frei geräumt. Ich erkläre ihm dass es mittlerweile keine Einfahrt mehr gibt. Schlaftrunken kommt er schließlich, begleitet vom lauten Gebrüll der Schneefräse, aus dem Dunklen und fräst eine kleine Lücke in die Schneewand, so dass wir unser Auto wenigstens parken können. Dass wir wirklich Glück hatten, überhaupt angekommen zu sein, sehen wir am nächsten morgen in den Nachrichten. Viele Straßen sind so vom Schnee blockiert, dass die Rettungskräfte erst am Morgen die Autos, samt Insassen aus dem Schnee befreien konnten. Auch alle Flüge von und nach Hokkaido fallen aus und unsere japanischen Freunde Mabo und Gori, die wir heute eigentlich treffen wollten, können nicht kommen. Auch für den nächsten Tag schaut der Wetterbericht nicht besser aus und wir sind erst mal alleine unterwegs.
Aber dieser Schneesturm ist unser großes Glück, denn schließlich wir sind wegen dem berühmten Pulverschnee nach Japan gekommen. Und der ist mittlerweile so tief, dass wir bis über die Hüfte versunken im tiefen Schnee durch den Birkenwald powdern. Die Berge in Japan sind meist vollständig von Birken bewachsen und das Besondere ist, dass man hier abseits der Pisten durch die relativ weitläufigen Wälder im Tiefschnee fährt. Es schneit weiter und weiter und bis zum nächsten Tag kommen nochmals 60 cm Schnee dazu. Zu viel Schnee kann es zum Tiefschneefahren eigentlich gar nicht geben, aber stellenweiße sinken wir bis zum Hals ein und ein Durchkommen ist kaum noch möglich. Wir ertrinken fast im Schnee.
So haben wir uns das vorgestellt! Und dass sich die Sonne nur ab und zu blicken lässt, wahrscheinlich nur um für neue Schneewolken frische, feuchte Luft zu ziehen um wieder gestärkt den Schnee vom Himmel werfen, stört uns nicht im Geringsten. Der Powder ist so frisch und kalt dass wir uns Gesichtsmasken kaufen. Nicht nur wegen der Kälte sondern auch weil der feine Schneestaub das Atmen schwer macht?
Eine weitere Besonderheit in Japan ist das Flutlichtskifahren. Dabei ist aber nicht nur der untere flache Lift mit ein paar Lampen bestück, wie wir das von zu Hause kennen sondern oft ist das halbe Skigebiet ausgeleuchtet und die Lifte haben bis abends um neun geöffnet. Bei Tagen mit sehr starkem Schneefall geht der Spaß hier abends erst richtig los. Tagsüber ist die Sicht durch den Schneesturm oft eingeschränkt und erst im Dunkeln mit Beleuchtung werden die Kontraste des Geländes sichtbar, so dass man richtig fahren kann. Das Flutlicht streut dabei weit über die offiziellen Pisten hinaus, so dass man auch "Offpiste" noch richtig gut sieht. Und Powdern im Birkenwald im gelblichen Licht der Scheinwerfer stellt ein ganz neues, bisher nicht gekanntes Erlebnis dar. Kalt, hungrig und durchgefroren geht es von der Piste dann direkt in einen Onsen. Hier in Hokkaido, wo es überall das heiße Vulkanwasser gibt, sind die Naturbecken meist draußen und man sitzt eingerahmt von Schneewänden im über 40 Grad heißen Schwefelwasser, träumt noch von den butterweichen Schwüngen im bodenlosen Pulverschnee und freut sich schon auf das gute Essen, das schon wartet. Nach den anstrengenden Pulverschneeabfahrten gönnen wir uns meist leckere "Ramen" zur Stärkung. "Ramen" sind japanische Nudelsuppen mit Huhn oder Meeresfrüchten und Gemüse, die in speziellen Ramen-Restaurants frisch zubereitet und in großen Steingutschalen gereicht werden.