Was sollte man wissen, wenn man das erste Mal nach Norwegen zum Skitourengehen kommt?
Die Leute, die bei uns über die Lawinensituation berichten, müssen riesige Gebiete abdecken. Von daher sind die Lawinenlageberichte in Norwegen gröber und weniger präzise als in den Alpen. Eher so wie in Kanada. Ich ziehe natürlich trotzdem oder gerade auch deswegen meinen Hut vor unseren Lawinenbulletins. Als ich aufgewachsen bin, hatten wir noch nicht diese Qualität. In den letzten vier oder fünf Jahren haben ein paar wirklich gute Leute die Lawinenprognose für die Berge Norwegens nochmal besser gemacht.
Gibt es weitere Besonderheiten?
Man sollte wissen, dass die Beobachter unseres Lawinenwarndiensts oft nicht sehr hoch gehen. In den Lyngen-Alpen zum Beispiel im Allgemeinen nicht über tausend Meter – was vom Meer aus natürlich immer noch sehr hoch ist. Man hat manchmal also wenig Ahnung, wie die Verhältnisse oberhalb von tausend Metern aussehen. Es sei denn, man findet es selbst heraus.
In der Saison 21/22 gab es in Norwegen sehr viele Lawinenunfälle.
Wir hatten über lange Zeit ein Problem mit Schwachschichten, besonders in Lyngen. Es gab leider ziemlich viele und leider auch tödliche Lawinenunfälle. Dabei gab es die Schwachschichten eigentlich nur unterhalb von tausend Metern Höhe. Darüber war es viel besser. Das weiß man natürlich erst, wenn man dort war und es überprüft hat. Man musste auch einen sicheren Weg nach oben finden, was an manchen Orten ziemlich knifflig und technisch sein kann. Umso wichtiger ist es, dass jeder meldet, was er beobachtet hat. So bündeln wir unser Wissen. Und jeder hat auf diese Weise mehr Informationen für eine bessere Tourenplanung.
Hast du eine Art fixes Protokoll oder einen Prozess für dein Risikomanagement und die Bewertung der Lawinenlage, wenn du auf Tour gehst?
Zuallererst versuche ich gute und möglichst sichere Schneeverhältnisse zu finden. Ich studiere den Lawinenlagebericht und kombiniere das mit meinen eigenen, im Gelände gewonnenen Einschätzungen. Im Gelände selbst checke ich das ständig gegen – mit Schneeprofilen, mit der Beobachtung des Wetters und seinen Auswirkungen auf die Schneedecke. Ich versuche eine Art Systemdenken zu entwickeln. Ich entwickle Annahmen über die Schneedecke und wie sich zum Beispiel der Wind auf sie auswirkt. Wo gibt es Schwachschichten? Wie wirkt sich die Sonne auf den Schnee aus? Gleichzeitig versuche ich, das Gelände so zu wählen, dass das schlimmstmögliche Ergebnis nicht unbedingt tödlich verläuft. Ich versuche, ein Gelände mit sauberen Ausläufen zu wählen, vielleicht ohne große Felsabbrüche, über die ich stürzen könnte, ohne Geländefallen und so weiter. Außerdem versuche ich, die Zeit, die ich in gefährlich exponiertem Gelände verbringe, zu minimieren. Wenn ich also eine Steilwand fahre, versuche ich, meinen Weg in diese Steilwand so sicher wie möglich zu wählen.
Du nutzt ziemlich oft FATMAP, einen Kartendienst, der Gelände und Steilheit farbig und in 3D abbildet.
Es sollten noch viel mehr Leute solche Kartendienste nutzen! (Siehe z.B. Nikolai's Video dazu: How I Use FATMAP - YouTube) Besonders die, die sich relativ neu im Backcountry bewegen. Wenn man nicht steiler als 30 Grad unterwegs ist, ist man nämlich an sehr vielen Tagen sehr sicher unterwegs. Kompliziert wird es erst, wenn man steileres Gelände befahren will. Dann muss man wie ich sehr wählerisch sein, was die Tage angeht. Dann muss man abwarten können. Für Eulogy Of A Steep Skier haben wir einen Monat gewartet, bis die Bedingungen und das Wetter gepasst haben.
Vor dem Dreh deines ersten Sofia-Films gab es zwei Monate lang ein hartnäckiges Schwachschichtproblem in der Schneedecke. Du bist also zwei Monate lang nichts Steileres als 30 Grad gefahren?
So war es. Und wir hatten Spaß dabei! Und haben sogar ein Video gemacht.
Es wird in der Alpin-Szene viel über Fehlerkultur diskutiert. Und dass man mehr über Fehler reden sollte. Andererseits bricht über Menschen, die gerettet wurden oder Fehler am Berg eingestehen, oft ein Shitstorm herein. Was ist deine Meinung dazu?
Natürlich ist es unangenehm, wenn man von anderen als Idiot bezeichnet wird. Aber vermutlich muss man das einfach in Kauf nehmen. Ich will mich auch nicht als jemand darstellen, der nie Fehler macht. Ich mache ständig Fehler. Ich versuche das zu vermeiden, aber ich mache Fehler. Jeder macht Fehler. Die besten Bergsteiger Norwegens waren schon mal knapp oder tatsächlich in einer Lawine, genauso die besten Bergführer. Es ist einfach unmöglich, die ganze Zeit alles zu 100 Prozent richtig zu machen. Umso wichtiger ist es, dass wir gemeinsam aus unseren Fehlern lernen. Nur so bauen wir Wissen auf und kommen voran. Der Hass oder das sich Lustig-Machen über Menschen, die falsche Entscheidungen getroffen haben, ist kontraproduktiv. Das führt nur dazu, dass sich die Leute nicht mehr trauen über ihre Fehler zu sprechen. Und niemand daraus lernen kann.
Manchmal arbeitest du bei deinen Filmprojekten mit Bergführern, manchmal nicht. Wovon hängt das ab?
Von meinem Arbeitspensum. Wenn ich Ski fahre, Regie führe und den Film auch noch produziere, bin ich manchmal froh, wenn ich mir nicht auch noch ständig Gedanken über die Schneedecke und die Lawinengefahr machen muss. Aber das ist die Ausnahme. Für mich gehört zum Freeriden und Tourengehen, dass man in seinen Entscheidungen unabhängig ist und seine eigenen Entscheidungen trifft. Die meiste Zeit möchte ich es sein, der für mich die Entscheidungen im Gelände trifft.