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Interviews

PowderPeople | Stephan Harvey

Lawinenexperte Stephan Harvey über Neuerungen bei White Risk

von Jenny Staiger 04.01.2019
Stephan Harvey, Naturwissenschaftler und Bergführer, arbeitet seit über 20 Jahren beim Institut für Schnee und Lawinenforschung, SLF, in Davos. Neben der Veröffentlichung einiger Literatur zum Thema Lawinenkunde ist er der Kopf hinter der bekannten Plattform zur Lawinenprävention, White Risk. Über Neuerungen bei White Risk hat uns der Lawinenexperte im Interview berichtet.

PG: Stephan, seit über 20 Jahren bist du nun beim SLF. Verrate uns, was verbindet dich mit Davos?

S: Vor allem der Job (lacht). Davos ist für mich ein Paradegelände für Lawinen. Da passt alles zusammen: das Gelände und das Klima sind ideal dafür. Auch für meine Arbeit als Bergführer eignet sich die Umgebung gut.

PG: Wie bist du zum SLF gekommen und aus was besteht deine Arbeit?

S: Angefangen habe ich beim Lawinenwarndienst mit dem Schreiben von Lawinenbulletins. Gleichzeitig war die Prävention immer ein Thema, so wie das Bearbeiten von Lawinenunfällen, Unfallberichte schreiben und Auswerten. Je mehr ich mich mit Lawinen beschäftigte, desto mehr wollte ich verstehen, wie diese funktionieren. Heute engagiere ich mich vor allem an Umsetzungsprojekten und für Produkte. Nebenbei habe ich die Bergführerausbildung gemacht und gebe bis heute Ausbildungs- und Fortbildungskurse mehrheitlich im Bereich Skitouren. Ferner bin ich für den Nachwuchs bei Jugend und Sport, J&S, so wie in der Wanderleiterausbildung tätig.

PG: Und heute- nach all den Jahren Erfahrung im Schnee- kannst du erklären wie sie funktionieren?

S: Der Schnee bleibt eine sehr komplexe Materie. Heute habe ich das Glück, dass ich an der Schnittstelle „Praxis-Forschung“ sitze. Hier habe ich die Möglichkeit ,Erkenntnisse aus der Forschung direkt in die Praxis umzusetzen, zum grossen Teil auch mit eigenen Projekten für die Anwender. Einige Beispiele, die bei den Anwendern derzeit grossen Gebrauch finden, ist das Portal „White Risk“, oder das Buch „Lawinenkunde“, wie auch das Merkblatt „Achtung Lawine“. Aber es ist auch wichtig, Feedback und Fragen aus der Praxis zu erhalten, so können wir Umsetzungsprojekte anwenderorientiert angehen. Wichtig ist auch die Vernetzung mit diversen Verbänden innerhalb und ausserhalb der Schweiz.

PG: Die Plattform White Risk ist bekanntlich viel mehr als nur eine App- was genau ist es denn?

S: Begonnen hat White Risk im Jahre 2005 mit einer CD-ROM, mittlerweile hat sich White Risk in ein digitales Portal zur Lawinenprävention weiter entwickelt. Es besteht aus der Webseite www.whiterisk.ch mit den vier Modulen EXPLORE, LEARN, TOUR und PRO, sowie der der mobilen App White Risk.

PG: Kannst du uns diese Module näher erklären?

S: Sicher ja, ich versuche es kurz zu fassen. Im Wissensteil EXPLORE kann man viel über Lawinen lernen. Animierte Darstellungen und interaktive Tools erklären wichtiges Lawinenwissen für Einsteiger bis zum Experten. Dieses Modul ist ein digitales Lawinenbuch und zugleich ein ideales Nachschlagewerk rundum Lawinenprävention.

Im LEARN Modul lernt man anhand von aufeinander aufbauenden Lektionen schrittweise mehr über Lawinenkunde. Jede Lektion hat ein Lernziel. Spielerische Übungen laden ein, den Lerninhalt zu üben und zu festigen. Am Ende jeder Lektion kann das Wissen mit einem Test überprüft werden.

Auf der TOUR Seite können beliebige Touren vollständig geplant und eine eigene Tourenbibliothek aufgebaut werden. Es gibt verschiedene Kartenlayers, die zum Beispiel Hangneigung farblich kennzeichnen oder die aktuellen Wildschutz-Ruhezonen aufzeigen. Zur Zeit sind Topokarten mit diversen Layers für die Schweiz, Österreich und Frankreich verfügbar. Geplante Touren werden im Modul TOUR in der App White Risk synchronisiert und sind dort verfügbar. Die Karten können in der App heruntergeladen und anschliessend offline benutzt werden. Selbst im Flugmodus wird mein Standort ermittelt.

Das PRO Modul bietet den Zugang zu Medien für Präsentationen von Experten. Grafiken, Fotos, Animationen und Videos sowie eine eigene Applikation stehen in dieser Kategorie u.a. für Vorträge zur Verfügung.

PG: Was sind die wichtigsten Upgrades von diesem Jahr?

S: In der App wurde das Modul TOUR komplett erneuert. Touren können nun auch mit der App auf dem Smartphone oder Tablet geplant oder angepasst werden, dies auch offline. Mit einer Standard-Lizenz können die Topokarten unbegrenzt mit allen Layern für einen beliebigen Ausschnitt zur Offline-Nutzung heruntergeladen werden, unabhängig von den geplanten Touren. Die geplanten Touren können direkt mit Freunden geteilt und im Vollbildmodus genutzt werden. Ferner wurde das gesamte Modul PRO auf der Webseite komplett überarbeitet. Nun gibt es eine Medienbibliothek mit Suchfunktion zum Download von Bildern, Grafiken und Filmen für Präsentationen, so wie ein Desktop-Präsentationsprogramm für die Präsentation von interaktiven Medien.

PG: Und für wen eignet sich die Plattform im Allgemeinen?

S: Das Lawinenpräventionsportal wurde so konzipiert, dass es vom Einsteiger über den Fortgeschrittenen, bis hin zum Experten zu gebrauchen ist. Selbst Schulklassen können sich in den Modulen Explore- und Learn Wissen aneignen und einzelne Sequenzen davon im Unterricht verwenden. White Risk zählt heute rund 25'000 Accounts und rund 5'000 aktive Lizenzen.

PG: Was kostet der Gebrauch der Plattform?

S: Für den Amateur/Freizeitsportler empfehlen wir die Standardlizenz für 29chf im Jahr. Damit hat er vollen Zugriff auf die drei Module EXPLORE, LEARN und TOUR, die ihm beim Planen einer Tour, wie auch beim Informationen sammeln und Lernen unterstützen. Die Webseite whitrisk.ch und die App White Risk können aber auch ohne Account kostenlos genutzt werden, um das tägliche Lawinenbulletin, wie auch die aktuellen Schneeverhältnisse, Wetter und Wind zu checken. Zudem kann der Nutzer auf der Webseite einige Inhalte von EXPLORE und LEARN gratis nutzen.

PG: Wie finanziert sich das Portal?

S: Die SUVA und das SLF sind die Herausgeber und das Schweizerische Rote Kreuz ist Partner. Mit den Lizenzeinnahmen werden Gebühren für die Topo-Karten bezahlt sowie ein Teil des Unterhalts und Neuentwicklungen.

PG: Es scheint, als beinhalte White Risk alles was wir über Schnee und Lawinen wissen sollten. Wie sieht es mit den gewöhnlichen Papierkarten und dem GPS aus. Brauche ich das überhaupt noch?

S: Doch unbedingt! Wenn wir auf Tour gehen, sollte auf jeden Fall ein Backup in Form einer Karte oder GPS Gerät vorhanden sein. Ich selbst habe immer eine Papierkarte im Rucksack dabei. Besonders bei Kälte und Schlechtwetter haben elektronische Geräte ihre Tücken.

PG: Thema Zukunft - die Digitalisierung eröffnet uns viele Möglichkeiten, schnell an Wissen zu kommen. Wo siehst du allfällige Risiken oder auch Chancen?

S: Meiner Meinung nach ist die Hälfte der Lawinenkunde das eigentliche Karten Lesen. Bei der Vorbereitung, wie auch im Gelände. Ich denke, dass viele Berggänger immer weniger diese Fähigkeit besitzen, da uns die Geräte alles elektronisch anzeigen, inklusice Features wie Hangneigungen. Ich denke allerdings, dass die Digitalisierung uns auch bald bei der Entscheidungsfindung unterstützen könnte. Oft werden wir mit Informationen überhäuft und haben unsere Schwierigkeiten, diese zu filtern, respektive die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das „System“ Lawine ist komplex und muss fortlaufend mit aktuellen Daten und Annahmen gefüttert werden. Hier könnte uns die Digitalisierung unterstützen, die wesentliche Information zu filtern.

PG: Noch einen Schritt weiter in die Zukunft: Laufen wir bald mit einer Virtual Reality Brille herum, die uns die Schneedeckenstabilität von unserer gewählten Tour berechnet?

S: Hmm, da laufen wir eher langsam in einen Klinsch hinein. Technisch wäre es möglich irgendwelche Information mit einer Brille ins Gelände zu projizieren. Bei der Schneedecke ist dies jedoch schwierig, da wir alle wissen, dass diese sehr komplex ist. Eigentlich haben wir bis heute keine Ahnung, was sich darin genau abspielt. Unsere Aufgabe ist es, mit den heutigen technischen Möglichkeiten das Optimum heraus zu holen. Und doch bleibt da der Spannungsbogen zwischen Wissen und Darstellung.

PG: Dein Fazit?

S: Wichtig für den User ist, dass er mit der Webseite whiterisk.ch, sowie mit der App White Risk eine umfassende Plattform im Bereich Lawinenprävention hat, die er nutzen kann, wie es für ihn passt. Wenn jemand lieber analog ein Lawinenbuch kauft, anstelle der digitalen Version, dann ist das völlig legitim und sicher nicht schlechter. Wir bieten nur Möglichkeiten und versuchen, die Vorteile der digitalen Welt zu nutzen.

PG: Und losgelöst von all deinem Fachwissen. Was bedeuten Schnee und Berge für dich privat?

S: Seit meiner Jugend bin ich jedes Wochenende zu Berg, viel klettern gegangen und habe das Ganze dann mit Expeditionen im Ausland erweitert. Mittlerweile haben die Aktivitäten im Gebirge abgenommen, um so mehr geniesse ich jede Tour auf ihre Art. Die Faszination der Berge hat sich auf jeden Fall in meine Gene eingebrannt.

PG: Konntest du diese eingebrannten „Berggene“ schon an deine Kinder weitergeben?

S: Sie sollen das machen, woran sie Spass haben. Aber ja, wir verbringen die Ferien meist zusammen in der Natur, sei es mit Wandern, Klettern, oder auf dem Velo und haben grossen Spass dabei.

PG: Besten Dank für das informative Gespräch, Stephan. Wir wünschen dir alles Gute.

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