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Jump-and-Run: Lawinen sind kein Videospiel

Ăśber den wichtigen Unterschied zwischen Lawinenrisikomanagement und dem Management eines Lawinenabgangs

von Patrick Wehowsky • 04.04.2018
PowderGuide ist aus dem Bestreben heraus entstanden, den Spaß am Abseitsfahren mit einem informierten und professionellen Risikomanagement zu verbinden, um so idealerweise ein ganzes Leben "abseits der Piste" unterwegs sein zu können. Jeremy Jones hat dieses Prinzip vor einigen Jahren in die einleuchtenden Worte “live to ride another day“ gepackt.

Kern dieses Gedankens und das Bestreben aller relevanten Ausbildungen zum Thema Risikomanagement im winterlichen Gelände ist die Tatsache, dass Lawinen eine verdammt gefährliche Angelegenheit sind und man sein ganzes Handeln darauf ausrichten sollte, sie zu vermeiden.

Nur zur Erinnerung: Das Risiko bei einem Lawinenabgang zu sterben, das sogenannte Mortalitätsrisiko beträgt ohne Lawinenairbag ungefähr 1:5, mit Airbag 1:10. Ein Drittel aller Lawinentoten sind nach dem Stillstand der Lawine schon durch mechanische Umstände ums Leben gekommen.

Leider wird dieses didaktische Bestreben immer wieder durch die visuelle Verharmlosung von Lawinen in Videos der großen Skiproduktionen vernachlässigt. Die professionellen Athleten schaffen es scheinbar immer wieder, dem Schneebrett zu entkommen. Man sollte sich bewusst sein, dass dieses Szenario die Ausnahme und nicht die Regel darstellt.

Aktueller Anlass für diese Wiederholung des Altbekannten – stating the obvious – ist eine Folge einer Webvideoserie mit Xavier de le Rue in der Hauptrolle. In seiner Reihe, die unter den Namen „Shred Hacks“ (für Red Bull) bzw. „How to XV“ (für Deeluxe) vermarktet wird, gibt de le Rue in mehreren Videos seine Erfahrungen und Kenntnisse im Bereich Berge und Splitboarden weiter. Dabei werden Thematiken wie „how to ride with ice axes“, „how to splitboard “ oder „how to choose your line“ behandelt.

In seinem Video, welches bei Red Bull unter dem misslichen Titel “How to avoid avalanche danger“ firmiert, zeigt Xavier de le Rue, wie er mit der Lawinengefahr in seinen Lines umgeht. Nachfolgender Untertitel ist „How to manage avalanche risks“. Es geht also, könnte man meinen, um klassisches Risikomanagement, wie es seit 20 Jahren Standard ist.

Von der richtigen Aussage, dass es keine null Prozent Risiko (also 100 Prozent Sicherheit) gibt, führt ein Schnitt direkt zur Empfehlung, immer so zu fahren, als ob eine potentielle Lawine abgehen würde. Die Intention, sich Safespots in einer Abfahrt zu suchen, ist durchaus sinnvoll. Im Prinzip greift das die Standardmaßnahmen von gängigen Strategien wie beispielsweise „Stop or Go“ auf.

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Allerdings geht es bei „Stop or Go“ dabei darum, dass im Falle einer Lawinenauslösung nur eine Person (zumeist jene, die die Lawine ausgelöst hat) betroffen ist und die anderen Personen an einem sicheren Platz sind. In de le Rues Video dagegen verschiebt sich der Fokus von der der Vermeidung des Worst-Case Szenarios einer Mehrfachverschüttung hin zum standardmäßigen Einkalkulieren eines Lawinenabgangs. Das Video suggeriert: Ein Lawine kann schon mal vorkommen, aber man kann das ganz gut managen, wenn man weiß wie.

Diese thematische Verschiebung des Fokus und die dargestellte Relativierung von Schneebrettlawinen - man muss nur auf der Hut sein, dann passt es schon - ist höchst problematisch.

Ein weiterer Tipp von de le Rue aus dem Video: „carry speed going through below pockets that are loaded!“ Quert man unter eingeblasenen Bereichen, sollte man schnell fahren.

Damit vermittelt er den Eindruck, genau abschätzen zu können, welche Zonen möglicherweise abgehen und welche nicht. Manchmal sind Tiebschneepakte zwar gut zu sehen, aber das ist weder verlässlich immer der Fall, noch sind Triebschneepakete die einzig mögliche Art von Lawinenproblem.

De le Rues Herangehensweise wirkt wie ein „Jump and Run“ Videospiel. Einfach immer von einer „island of safety“ zur nächsten hüpfen, dann schafft man das Level. Tatsächlich ist das ein halbwegs adäquater Vergleich: Wer es nicht schafft, der stirbt. Nur, dass es im echten Leben keine unzähligen Versuche gibt, das Level zu schaffen.

Diese Darstellung von Risikomanagement ist äußerst unangemessen angesichts der Bekanntheit von de le Rue und dem Red-Bull Zielpublikum, welches zu großen Teilen eher aus allgemein Actionsport Interessierten besteht und nicht aus Personen, die viel Erfahrung mit Lawinenrisikomanagement haben und sich routiniert in exponiertem Gelände bewegen.

Zudem werden einige Dinge behauptet, die in der im Video formulierten Pauschalität nicht der Realität entsprechen. De le Rue demonstriert seine Best-Practice Vorgehensweise an einer Couloir-Befahrung. Zu Beginn seines Runs versucht er, mittels eines ski/slope cuts einen Lawinenabgang zu provozieren. Das ist im ausgesetzten Gelände eines Couloir-Systems eher ungünstig. Couloirs sind aufgrund der vielen möglichen Felskontakte bei einem Lawinenabgang als Gelände mit hohen Konsequenzen einzuschätzen, weshalb man hier noch einmal höhere Vorsicht walten lassen sollte. Die Darstellung, eine gewisse Form von slope cut oder ski cut am Anfang eines „high-consequence“ Geländes zu machen, um Lawinen abzutreten ist das Gegenteil dessen, wofür die so oder so eher umstritteten slope cuts vorgesehen sind.

Auf Avalanche.org findet sich folgende Definition und Anwendungshinweise zu slope cuts:

"A stability test where a skier or rider rapidly crosses an avalanche starting zoe to see if an avalanche initiates. Slope cuts can be dangerous and should only be performed by experienced people on small avalanche paths or test slopes with relatively shallow and soft slabs. Do not use slope cus on big slopes, slopes with serious consequences, deep slabs, or hard slabs.“

Also: Ski-cuts können interessante Hinweise liefern, allerdings sollte man sie nicht in exponiertem Gelände ausführen, sondern am besten nur als „Böschungstest“ an genügend harmlosen Geländeformationen. Zudem ist diese Testmethode bei einer heimtückischen Altschneesituation und harten Schneebrettern nicht zu gebrauchen, da harte Schneebretter nicht beim Skifahrer brechen, sondern eher oberhalb, was die Chancen erfolgreich herauszufahren erheblich mindert.

Wenn ein nachweislich sehr erfahrener Profi wie de le Rue sich bei einer anspruchsvollen Befahrung dafür entscheidet, eine Art slope cut durchzuführen, ist das sein gutes Recht. Man sollte dieses Vorgehen aber nicht als Standardmaßnahme für jedermann darstellen.

Die Rückblende im Video – ein Schneebrett wurde von ihm abgetreten und de le Rue ist durch seine Safe Spot Technik davongekommen – verzerrt zum wiederholten Mal die Gefährlichkeit von Schneebrettlawinen und stabilisiert den in meinen Augen falschen Fokus eines Videos, dessen Publikum vermutlich großteils in keinster Weise einschätzen kann, was ihm hier präsentiert wird, wie auch in den Youtube Kommentare deutlich wird.

Auch das abschließende Resümee, seine vorgeschlagene Technik (safe spots) zu ritualisieren, um es unbewusst immer anzuwenden, erscheint mir zu einseitig. Ich verstehe den positiven Gedanken dahinter, allerdings sollte bei einem Video, welches sich zuminest laut Titel um die Vermeidung von Lawinengefahr dreht, in erster Linie das richtige Verhalten zur Vermeidung von Lawinen habitualisiert werden und nicht ein Verhalten, welches das Auslösen von Lawinen schon einpreist. Dafür ist der Preis eines Lawinenunglücks definitiv zu hoch.

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