Dieser Beitrag ist ursprünglich auf Englisch bei Crowfoot Media erschienen. Wir haben den Text in Absprache mit Kevin Hjertaas und Meghan Ward übersetzt und leicht angepasst. Kevin war 2020 in einen Lawinenunfall verwickelt, bei dem eine Person umkam, und auf den er hier Bezug nimmt. Gemeinsam mit Autorin Meghan erzählt er in diesem Text vom Leben danach und bezieht Ratschläge einer Traumapsychologin in seine persönliche Geschichte mit ein. Content Warnung: In diesem Artikel geht es unter anderem um traumatische Lawinenunfälle und Suizidgedanken.
Lawinen Sprengen ist ein toller Job, den ich einige Jahre mit einer super Crew ausüben durfte. Die Arbeit war hart, aber meistens haben wir sie gern gemacht, obwohl uns die Gefahr bewusst war. Wenn wir in der Nähe der Liftanlagen sprengen mussten, scherzte ein Kollege oft, dass er zum Parkplatz abfahren, in sein Auto springen und nach Mexiko abhauen würde, “falls mal alles so richtig schief geht”. Es war als Witz gedacht, um der stressigen Situation ein bisschen Anspannung zu nehmen. Ein richtiger Plan war es, glaube ich, nie.
Trotzdem tauchte Mexiko für mich immer wieder im Hinterkopf auf, als für mich alles schief ging. Ich war mit einem Freund und seiner Partnerin auf Skitour unterwegs. Wir lösten eine Lawine aus. Unsere Freundin wurde tief verschüttet. Über eine Stunde versuchten wir, sie zu retten. Die antrainierten Automatismen funktionierten - LVS Suche, Sondieren, Schaufeln, Notruf. Wir funktionierten. Jahrelanges Training macht effizient. Wir waren äußerlich fokussiert und schnell, innerlich verzweifelt.
Im Notfall richtig zu reagieren kann man üben. Mit genug Training klappt es dann auch in extremen Stresssituationen. Das Leben unserer Freundin konnten wir nicht retten, aber wir waren näher dran als wir es ohne den vielfach eingeübten Notfallplan gewesen wären.
Die Mexiko Idee dagegen schien völlig nutzlos. Warum geisterte sie mir im Kopf herum?
Wenn ich nun, Monate später, daran zurück denke, habe ich den Eindruck, dass mein Unterbewusstsein noch im Chaos des Moments zum nächsten Problem weiter gesprungen ist. Es ging die Liste abgespeicherter Notfallpläne durch und wusste bereits, dass ich im Tal einen neuen Plan brauchen würde. Der alte Witz über die Flucht nach Mexiko war das einzige, das unter “falls mal alles so richtig schief geht” zu finden war.
Ein Plan für das Danach
Als Bergsportler liest man viele Nachrufe und Artikel über das Leben und den Tod jener, die in den Bergen sterben. Bei Bergunfällen werden Menschen von einem Moment auf den nächsten von uns gerissen. Es bleibt keine Zeit, sich vorzubereiten oder sich zu verabschieden. Unsere Freunde gehen morgens los und kommen nicht mehr heim. Wenn man diese Art von Leben wählt, wird man wahrscheinlich irgendwann mit Tragödien konfrontiert. Vielleicht bleibt der Verlust auf Armeslänge, vielleicht trifft es eines Tages mitten ins Herz. Wir bereiten uns zwar auf den Worst Case vor, aber wir denken kaum darüber nach, was nach dem Worst Case kommt.
Janet McLeod arbeitet als Psychologin in Canmore, Kanada, und ist spezialisiert auf Traumabewältigung für Menschen, die beruflich mit Tragödien am Berg zu tun haben. McLeod empfiehlt, sich nach einem traumatischen Vorfall möglichst schnell professionelle Hilfe zu suchen, sonst nistet sich das Trauma ein und man wird es unter Umständen kaum mehr los. Kurz nach einem Unfall haben viele nicht das Gefühl, dass sie Hilfe brauchen. Es ist sinnvoll, sich vorher ein Versprechen zu geben, dass man Hilfe in Anspruch nehmen wird, so McLeod. Sie schlägt vor, therapeutische Unterstützung als weitere Checkbox in den persönlichen Notfallplan aufzunehmen, als einen Punkt, der abgehakt wird. “Diese Taktik kann radikal wirken, weil es in unserer Kultur einen hohen Stellenwert hat, dass wir selbst mit allem fertig werden”, so McLeod.
Wenn ein Vorfall unser Leben verändert, treiben uns Panik und Angstgefühle dazu, aktiv zu werden - der Aktionismus ist manchmal dramatisch. McLeod warnt: “Macht langsam! Wir sollten nicht versuchen, zu schnell weiter zu machen. Schnell alles reparieren zu wollen, ist ein Überlebensreflex, aber solche Probleme lassen sich nicht auf die Schnelle lösen.” Eine Zeit lang kommen wir nach einem Unfall mit dem Adrenalin über die Runden, aber irgendwann geht das nicht mehr. Und dann kommt der Crash.
McLeod hat diese Mechanismen schon am eigenen Leib erlebt. 2002 geriet sie in eine Massenkarambolage. Autos flogen durch die Gegend, Glas splitterte um sie herum. Es gab mehrere Tote. Aber direkt nach dem Unfall war sie so glücklich, am Leben zu sein, so aufgedreht durch die massive Adrenalindosis, dass ihr nichts weh tat und sie ihren Kollegen ankündigte, dass sie natürlich nach dem Wochenende in der Arbeit erscheinen würde. Am Montag hatte sie dann starke Schmerzen und Suizidgedanken.