Sölden. Ein Ortsname der bei Skifahrern und Snowboardern ähnliche Bekanntheit genießt wie Paris bei Städtereisenden. In Fachkreisen wird gefachsimpelt, ob denn nun Sölden oder Ischgl das Apres-Mekka Nummer eins sei. Wir versuchen hinter die Kulisse der Partymetropole zu blicken. Bietet Sölden vielleicht mehr, als massenweise betrunkene Skifahrern überfüllte Pisten und mit Schlagermusik beschallte Berge? Eine mögliche positive Antwort könnte sich bei einem Blick auf eine topografische Karte ergeben. Wir haben diesen Blick gewagt und statteten der Apres-Ski-Hochburg im Ötztal einen Besuch ab.
Tirol erlebt den schneereichsten Winter seit vielen Jahren. Gerade in unteren und mittleren Lagen liegt endlich mal wieder so viel Schnee, dass man selbst einige Wochen durchgehend bis in das tiefe und niederschlagsarme Inntal abfahren konnte. Unerschrocken erreichen wir die Höhle des Apres-Ski Löwen. In unseren Köpfen schwirren Bilder umher von torkelnden Trunkenbolden auf der Hauptstrasse am frühen Morgen, Skiclubs mit neongelben Warnwesten, die dem nächstbestem Frauenhintern hinterhersabbern.
Doch unsere Befürchtungen erfüllen sich nicht. Die Klientel scheint sich, trotz Karnevalsferien, leicht gewandelt zu haben. Die Trunkenbolde sind einer eher gediegeneren Gesellschaft gewichen. Zwar hört man weiterhin Schlagerhits und die sportlichsten Tätigkeiten vollziehen sich zumeist auf den zahlreichen Berghütten, aber die wirklichen Exzesse der Extremtouristen bleiben aus.
Weshalb wir allerdings den Weg nach Sölden gesucht haben, ist nicht die neuesten Entwicklungen beim Apres-Ski, sondern bezieht sich auf die Topographie des Skigebiets. Die Gondelbahn auf den Gaislachkogel erschließt nicht nur eine Höhe von knapp über 3000 Meter und eine tolle Aussicht auf die Berge des Ötztals, sondern auch tolles Freeridegelände. Außer zwei kleineren Pisten, ist der Berg relativ kegelförmig und bietet in fast jede Exposition interessantes Freeridegelände.
Vor Ort am Gaislachkogel
Wir sind diesmal zu viert hier in Sölden. Mit Marc, Morten und Max begutachten wir zunächst die Schneelage (aktueller ConditionsReport). Die Schneelage ist hier im sonst eher schneearmeen Ötztal ausreichend für Freeriden bis in den Talboden auf rund 1300 Meter. Allerdings hat in den hochalpinen Bereichen der Wind den Schnee stark verfrachtet und Rücken und Grate sind oft schneefrei. Wirklich berauschenden Pulverschnee können wir leider auch nicht mehr finden. Das ist der einzige Negativpunkt, den wir in unseren Freeride-Tagen hier ausmachen können.
Zunächst schauen wir uns eine Variante Richtung Süden von der Bergstation am Gaislachkogel an. Freerider sind in Sölden noch ein eher seltener Anblick und so wird unsere Besprechung der Abfahrt und die Abfahrt selbst in eine der steilen Rinnen (Gaislacher Kar bis 45°) von zahlreichen Pistenfahrern begutachtet. Einige „Oh’s“ und „Ah’s“ konnten wir beim Abfahren noch hören, ehe wir die weiten Genusshänge Richtung Gaislacher Alm und Sonnecklift hinuntersegeln.
Eine weitere Runde auf den Gaislachkogel steht an. Diesmal betrachten wir die große Bowl direkt unter der Gondel genauer. Das Wasserkar bietet direkt von Piste zu Piste tolles Freeridegelände. Im oberen Bereich eine angenehme Steilheit, die im unteren Teil einen genussreichen Ausklang findet. Ohne einen Schritt bergauf gemacht zu haben, oder auch nur einen Schlittschuhschritt oder Stockschub stehen wir nach wenigen Minuten und satten 900 Höhenmetern direkt wieder an der Gaislachkogelbahn.
Big 3 - Aller guten Dinge sind drei
Angetan von den Werbeaktivitäten gehen wir auf die "Big 3" zu. Doch statt Gipfel zählen wir die dritte Freerideabfahrt. Also, auf geht’s zu Runde Nummer drei. Wir haben uns bereits von Schwarzkogel die nördliche Seite des Gaislachkogel-Gebiets angeschaut und hier ist und eine schön geschwungene Rinne aufgefallen. Wieder biegen wir lediglich von der Skipiste ab und sind direkt am Einstieg der Abfahrt der ca. 600 Höhenmeter langen Rinne. Leider war hier die letzten Tage sehr viel Wind, sodass wir nurmehr gepressten Schnee vorfinden. Wir packen unsere beste Pistentechnik aus und wedeln mit ratternden Ski direkt zur Passstrasse, die zum Rettenbach- und Tiefenbachferner Teilskigebiet führt. Hier bringt uns eine Piste wieder direkt zurück zu einer der zahlreichen Hütten. Eines oder mehrere Bier haben wir uns nach diesen drei Abfahrten doch verdient.
Ein kleines Schmankerl mit weichem Schnee müssen wir uns vor unserer Abreise allerdings noch gönnen. Wieder starten wir am Gaislachkogel und fahren das südseitige Gaislacher Kar hinab. Diesmal allerdings setzen wir im Talboden zu einem kurzen Gegenanstieg an. Ein kleiner Kamm zwischen Gaislachkogel und Gletscherskigebiet bietet auf seiner Nordseite herausforderndes Gelände auf wenigen Höhenmetern. Perfekt für ein kurzes hochalpines Zwischenspiel mit gesetztem Pulverschnee und einigen Cliffs. Leider trifft uns nach dieser Abfahrt die frühlingshafte Erwärmung. Die Straße von Sölden nach Vent ist bereits seit dem Morgen gesperrt und ständig donnern Nassschneelawinen hinunter. Zeit für uns, die Freeride-segel zu streichen und uns auf den aufgefirnten Skipisten zu vergnügen.
Fazit
Sölden bietet erstaunlich abwechslungsreiches und spannendes Gelände für Freerider: Hochalpine Couloirs, weite Genusshänge und lichten Wald für Schlechtwettertage. Und wer mag, der kann auch als Freerider ganz ordentlich einen gelungenen Tag in einer der zahlreichen Bars ausklingen lassen. Doch auch hier geht es nicht ohne Risiko-Management. Denn eine durchzechte Nacht wird man gerade als Freerider am Morgen beim Blick aus der Gaislachkogel-Gondelbahn eventuell doch bereuen.