Zum Inhalt springen

Cookies 🍪

Diese Website verwendet Cookies, die Ihre Zustimmung brauchen.

Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung

This page is also available in English.

Zur Powderguide-Startseite Zur Powderguide-Startseite
Abenteuer & Reisen

Anno dazumal Teil 1 | Skifahrt auf das Blindenhorn

Historischer Trip Report präsentiert von "Alpenwort"

von Bettina Larl 12.12.2016
Ein Trip Report aus dem Jahr 1904 macht den Anfang einer neuen Reihe auf PowderGuide: Der Österreichische Alpenverein und das Projekt "Alpenwort" der Uni Innsbruck stellen in dieser Saison einige ausgewählte historische Texte für die Leserinnen und Leser von PowderGuide zur Verfügung. Die "Skifahrt auf das Blindenhorn" von Henry Hoek stammt aus dem Alpenvereinsjahrbuch von 1904. Henry Hoek gilt als Skipionier und gehört zu den einflussreichsten Alpinschriftstellern seiner Zeit. Zudem veröffentlichte er 1908 den ersten Skiführer der Welt: Skifahrten im Südlichen Schwarzwald.

Skifahrt auf das Blindenhorn.

von Henry Hoek

Das Leben ist die Fülle, nicht die Zeit.« Schnitzler.

In traulichen Stunden sanften Abenddämmerscheines schleicht gerne auf sammetnen Sohlen Erinnerung ins Zimmer. Sie erzählt flüsternd von mancher schönen Winterfahrt, von mancher frohen Skitour in Hochgebirgsherrlichkeit. Dann kommt manche Beobachtung, jede Erfahrung erst zur richtigen Geltung; des Augenblicks Begeisterungsrausch verflog und kühler kritisieren kann die Vernunft.
Auf eine ganze Reihe alpiner Skifahrten darf ich zurückblicken. Es waren gewiß die Touren, die ich zu meinen eindrucksreichsten und genußvollsten zähle. Betrachte ich sie aber vom sportlichen Standpunkte aus — ich muß gestehen, wer den Sport des Skilaufs sucht, der findet mehr Genuß im Mittelgebirge und in den Voralpen. Im Hochgebirge, da war mir der Ski fast immer nur Mittel zum Zweck. Und er wird auch wohl beinahe ausnahmslos nur ein Hilfsmittel des Hochtouristen bleiben, ihm der Berge Winterschönheit zu erschließen — als Sportgerät kann er kaum jemals im Mittelpunkte des Interesses stehen.
So war es bei allen alpinen Skifahrten, so vieler ich gedenken mag. So war es bei der Tour zu den eisumflossenen Klippen der Grands Mulets, einem Gelände, wie es für Schneeschuhe kaum ungeeigneter gedacht werden kann, so war's bei der Durchquerung des Berner Oberlandes, der gepriesenen und gelobten »Hohen Straße.

Nur eine Ausnahme blieb mir in angenehmer Erinnerung als idealste Verbindung einer prächtigen Hochgebirgswanderung, verbunden mit dem ungetrübten Genüsse sportlich schönen Skilaufs in einer wie für Schneeschuhe eigens geschaffenen Gegend. Das war unsere Fahrt von Airolo auf das Blindenhorn in den ersten Tagen des April 1903. Von der will ich hier erzählen, was mir an Erlebtem und Empfundenem einfällt. »An Erlebtem und Empfundenem? Ressentiments? Wir danken.« Oh ja, ich weiß! Es ist viel gespottet, viel gehöhnt worden über die Gefühle und Empfindungen, die am Schreibtisch »konstruiert seien«. Zum Teil mit Recht, zum Teil mit Unrecht, dünkt mir. Man darf nicht alles in einen Topf tun. Wohl: Auch ich kenne leider genug Tourenberichte voll unmöglicher, weil unwahrer Gefühlsergüsse. Fort damit!
Doch ist deswegen alles verwerflich, was das Gebiet des später — des Nachempfundenen berührt? Gewiß — was da in schönen Worten gekleidet, den Gang in die Welt hinaus antritt, das kam momentan nicht so zum Bewußtsein, konnte inmitten körperlicher Anstrengung, inmitten sich drängender Eindrücke, anstürmender Bilder nicht bewußt werden, wird es nie werden können.
Ist es aber wirklich so unstatthaft, das Bild des Genossenen später in stiller Nacht am Schreibtische zu beschwören, zu betrachten und sein Empfinden daran zu beleben und dann zu analysieren — ist das wirklich ein ästhetisches Verbrechen, dann ist alles unerlaubt und verwerflich, was über Xenophontis trockenen Chronistenstil hinausgeht; dann aber ist auch dein Wandern, dein Schreiben umsonst, ist toter Buchstabe, günstigsten Falls Wust zum Nachschlagen.

Gibt die geschaute Welt keine poetische, keine philosophische Bereicherung des Empfindens, dann war das Mühen umsonst. Und was ich heimgetragen — draußen beim Empfang wurde es mir nimmer bewußt. Das kommt erst daheim in stillster Stunde — nach Jahren oft.
Ein Vergleich ist verlockend — mit der photographischen Platte. Draußen, da wurde das Bild empfangen, der Platte eingeprägt, unter der Schwelle des Sichtbaren schläft es latent — und doch in aller Pracht. Es bedarf mancher verschwiegenen Arbeit von kundiger Hand, ehe es sichtbar entsteht, ein Bild ist. Doch nennst du nun es unwahr, weil nachträglich erst sichtbar gemacht? Ist es unwahr, weil eine feinfühlige Hand hier und da mit weichem Stifte nachhalf, einen zarten Strich Retouche aufsetzte?

Also — von unserer Fahrt aufs Blindenhorn will ich erzählen. Es leuchtete mir zunächst kein guter Stern über diesem Berge. Schon im April 1902 wollten Dr. O. Schuster und ich ihm einen Besuch bringen. Aber nach langem Herumlaufen in trübselig grauem Nebel gaben wir schließlich auf dem Passo Valdaesch die Sache als zu wenig genußreich auf. Vierzehn Tage später waren wir wieder in Airolo. Es war Hundewetter— und wir wandten uns lieber den Luganer Bergen zu.

Diesmal waren meine Begleiter Dr. F. Reichert und Dr. W. Schiller. Reichert war schon drei Monate vorher an diesem Berge umgekehrt — vorgerückte Tageszeit zwang am kurzen Dezembertage zum Rückzug. Er bestieg in den nächsten Tagen wenigstens den Piz Basodino. In Airolo sollten Schiller und ich mit unserem dritten Manne Zusammentreffen. Wir waren nicht in high spirits. Denn noch in Göschenen schneite es nach Noten. Südlich des Gotthards sah es aber etwas besser aus. Bei wechselndem Wetter, bald im Schnee, bald im Sonnenschein, verließen wir Airolo mittags gegen 3 Uhr und wanderten das Bedrettotal aufwärts. Schon nach einer Stunde mäßigen Steigens konnten wir hinter Fontana die Skier anschnallen und kamen nun recht rasch voran. Ungemein auffallend war der Gegensatz zwischen dem Norden und den dem Süden exponierten Hängen. Auf unserer rechten Seite überall grün und grau bis hoch hinauf an den Gotthardbergen, wir selbst schleiften auf der rechten Talseite in ganz leidlichem und reichlichem, zusammenhängendem Schnee bedächtig bergan. In unangenehmer Erinnerung war mir vom letztenmal die häufige Kletterei geblieben, über die vielen Lawinenkegel, die damals am Fuße fast jeder Rinne lagen. Heuer sahen wir auch nicht einen Überrest einer Lawine in diesem klassischen Tale des Lawinengangs. Villa, Bedretto und Ronco ließen wir rechts liegen. Nur der Anblick Villas fesselte uns kurze Zeit. Einem kühnen Raubneste gleich liegt es auf steilgerandeter Talterrasse, stimmungsvoll umrahmt von der wilden Silhouette des Rotondogrates. Hinter Ronco gingen wir auf die (orographisch) linke Talseite und folgten den Spuren des jungen Forni, der, von Reichert rechtzeitig benachrichtigt, von Villa aus hinaufgepilgert war, uns in seinem gepachteten Hospiz die Schlafstätte zu bereiten. Leider hatte er gemeint, wir würden Proviant mitbringen. Wir hatten das von ihm gehofft. Die logische Folge waren wenig schlaue Gesichter und Schmalhans als Küchenmeister.

Von Ronco wandert man noch drei Viertelstunden nach All' Acqua, wohl den schönsten Teil des Weges. Durch lichten Lärchenwald im tiefeingeschnittenen Tale hinansteigend, gibt ,es alle Augenblicke überraschende Ausblicke. In beginnender Dämmerung, als eben der Abendstern in dem Himmelsausschnitt über dem Passo Valdaesch zu leuchten begann, erreichten wir die weiße Kapelle und die zwei Wirtschaftsgebäude des Hospizes (1605 m). Das Wetter wurde immer besser. Die Wolken schwanden gemach, der Wind schlief ein wie ein müdgespieltes Kind, fühlbar beinah legten sich Stille und Nacht auf unser Tal. Stern um Stern zog stumm empor. Leise flimmerten sie am Horizont, als ängstige sie der Erde Nähe.

Am nächsten Morgen war das Wetter gut. Nur ein Sausen über uns kündete den Sturm in höheren Regionen. Im Osten war alles leicht wolkenverhüllt. Es fror mäßig (4° ). Schnell legten wir um 5 Uhr die Skier an und zogen talaufwärts. Kein glänzender Sonnenaufgang leuchtete unserem Weg. Glanzlos, unscheinbar stieg der junge Tag.empor. Doch freuten wir uns seines Kommens. In welcher Gestalt immer — das Licht ist Leben. Nie bin ich freudiger bereit zur Lebensbejahüng als in früher Morgenstunde, wenn ich dem ragenden Gipfel entgegenziehe in der Hoffnung auf den vollen Trank des Genusses, der uns abends, zur Neige gekostet, so gerne in jene schwermütig sentimentale Stimmung bringt, die oft dem Empfinden des Tages parallel läuft. Nach einer Stunde erreichten wir die Hütten »Gruina« und es beginnt der steilere Aufstieg zum Passo Valdaesch, zwischen Nufenenstock und Grieshorn. Nicht sonderlich interessant sind die nächsten zwei Stunden — und auch der Blick auf die Gotthardberge hat nichts besonders Anziehendes. Die Schneeverhältnisse waren vorzüglich, was wir um so lieber feststellten, als unter Umständen dieser Weg wohl lawinengefährlich werden könnte. Bis auf den Passo Valdaesch waren Schuster und ich ein Jahr früher auch gekommen. Damals war es anders. Nebel um uns, Nebel über uns, alles, was das Auge sah, gelbweiß. Eine geradezu infame Beleuchtung ! Schwer vorstellbar ist es, wie sie wirkt. Man denke sich eine Winternacht, mondlos, der Himmel wolkenbedeckt, so daß man keine Hand vor den Augen sieht. Genau so ist es bei dickem Nebel auf kontinuierlicher Schneefläche. Nur daß dich statt der schwarzen eine weißgelbe, blendende, das Auge schmerzende Finsternis umgibt. Dasselbe prüfende Tasten der Füße, dasselbe ratlos ungewisse Gefühl. In der Abfahrt merkst du nur am Luftzug die Geschwindigkeit deiner Fahrt.

Um 8 Uhr 20 Min. erreichten wir die flache Paßhöhe (ca. 2520 m) und sahen nun unseren ganzen, endlosen Weg über den Griesgletscher vor uns liegen, bis zu der fernen schneeigen Doppelspitze des Blindenhorns. Einige Minuten sausender, schöner Abfahrt brachten uns gegen 200 m tiefer zum Ende des Griesgletschers. Die erste Welle des Gletschers erstiegen wir noch, dann wurde Frühstücksrast gemacht unter prachtvoller Aussicht auf das unheimlich klotzige Schreckhorn (9 Uhr).

Bald zogen wir weiter. Linker Hand haben wir stets die schönen Gestalten des Siedelrothorns und Bettelmatthorns vor oder neben uns. Welle um Welle des Gletschers erklimmen wir. Bald sehen wir unser Ziel — bald entschwindet es unserem Blick. Langsam nur nähern wir uns dem Gipfel. Der Grat linker Hand schützt vor dem kühlen Westwind. Die Sonne brennt. Der Schnee beginnt zu kleben. Schwerer kommen wir voran und wenig nützt des Vordermannes Spur. Immer mechanischer wird der Schritt. Weit weg spinnen die Gedanken. Ein wenig Schneestaub weht hinter dem Ski weg. Mit leiser, elfenfeiner Stimme singt das ein Märchenlied. Die Gedanken wandern weit in fernem Lande der Phantasie. Flüchtig nur streift eine Erinnerung das Leben, das dich noch gestern umspielt, das dich morgen wieder tragen wird. Gestern ? — Unmöglich. Das liegt so weit. Aus müder Ferne, von sehnsuchtsblauer Küste, die du vor Wochen verlassen, vor Jahren, klingt klanglos fast deines Lebens Lied in abgerissenen Tönen an dein Ohr. Eine steilere Welle des Gletschers. Ein Rückgleiten des Skis — fast wärst du gefallen. Doch es weckt aus Träumen. Einige Spalten werden auf unserem Wege sichtbar, sehr harmlos sehen sie aus. Ob wir das Seil anlegen? Richtiger wär's wohl. Doch die Bequemlichkeit siegt — es war auch so wohl zu verantworten. Endlich erreichen wir die Höhe zwischen Siedelrothorn und Blindenhorn. Der Blick nach Süden tut sich auf. Hohsandgipfel und Ofenhorn erscheinen, darüber die Ostwand des Monte Rosa, en profil geschaut.
Der Schnee wird härter, ohne aber die unbeliebten Windlöcher zu zeigen. Das wird eine Abfahrt!

Harmlos sieht der Gipfel des Blindenhorns von Südosten aus. Fünf Minuten unterhalb des Gipfels, an den aperen Steinblöcken des Südwestgrates lassen wir die Schneeschuhe und bauen den Kochapparat voller Schnee auf. Wenig später sind wir oben. (3384 m, 2 Uhr). Eine überwältigende Aussicht. Doch auf dem Gipfel darf man heute nicht mehr in Ekstase geraten. Das sind »Gipfelgefühle« und darüber spottet man. Und trotz alledem haben sie vielleicht etwas Berechtigung. Stunde um Stunde strebtest du empor, rastlos, vorwärts dich sehnend. Hinauf, excelsior! Und endlich bist du oben, höher kannst du einstweilen nicht. Dein Drängen fand Ruhe, nun kommt dein besseres Empfinden zum Recht — und du zum ästhetischen Genuß. Ist's ein Wunder, daß die beschreibende Erinnerung am stärksten da einsetzt, wo die Quelle deiner Freude am lautersten sprudelte?

Doch ich verzichte auf den Versuch, zu beschreiben. Spräche ein Dichter — einer von den Großen — es könnte sein, im ruhigen Strom seiner Worte, der majestätisch und lieblich zugleich dahinfließt, da spiegelte sich in zarter Klarheit die Schöne ringsum, würde vielleicht gehoben. Doch nur ein Zerrbild entsteht, unternimmt ein nicht Berufener den Versuch und läßt den wilden Bach entzückenstammelnder Worte fließen. Wohl konnte man noch Details erkennen im unruhig zitternden Bild, wohl kann ich euch Namen nennen, aber der Duft, die Weihe der Ruhe, die Größe ist dahin. Auf das Charakteristische des Panoramas aber darf ich hinweisen. Und das ist der Anblick des Berner Oberlandes. Alles andere ist konventionell, auch der Anblick der Walliser Gipfel. Sie sind zu fern, um zu imponieren, auch wenn man mit einer Art sehnsuchtsvollen Schauderns die Ostwand des Monte Rosa deutlich erkennt. Aber die Schlachtreihe der Berner Berge, die ist einzig und übermächtig großartig.
Gegen 3 Uhr waren wir bereit zur Abfahrt. Schon hatte der Frost uns wieder des Schnees Oberfläche geglättet. Aber noch brachen die Skier etwas ein und wir hatten tadellose Führung. In 20 Minuten legten wir die Stunden des Gletscheranstiegs zurück und 3 Uhr 20 Min. standen wir wieder am Fuße des Griesgletschers.

Es war eine ruhige, ungestörte Fahrt gewesen, zeitweise von gewaltiger Schnelle. Keine skitechnische Schwierigkeit, kein einziger Bogen, kein Telemarkschwung, nichts Störendes. Ein rasches, andauerndes Gleiten. Und doch liegt darin ein Reiz, ein ganz eigentümlicher Genuß. Die Freude allein an der Schnelligkeit, an Bewegung, diese rein animalische Freude, die ich z. B. gemindert, aber ganz ähnlich auf dem Rade auf geneigter Straße empfinde, sie überwiegt für mich bei weitem jene andere, jene Freude am Überwinden der Schwierigkeit, wie sie oft bei Abfahrten auf coupiertem Terrain, bei vereistem Schnee, oder steilen Hängen uns ergreift.

Gemächlich stiegen wir wieder zum Passo Valdaesch empor, oft unsere Abfahrtspur kreuzend. Schön war der Abschiedsblick auf den erstiegenen Gipfel. Die Sonne stand schon ziemlich tief, gerade über dem Berge. Die steilen Hänge links und rechts von uns hatte der Frost mit glasiger Kruste überzogen, sie spiegelten blendend. In wohltuenden Schatten getaucht, zeigte sich zum letztenmal das Blindenhorn. Dann tauchten auch wir in den Schatten unter. In mannigfachen Windungen erreichten wir in zehn Minuten die Hütten der Gruina, zweier Stunden des Aufstiegs angenehm gedenkend.
Ein eisig kalter Trunk, eine kurze Erzählung Freund Reicherts von seinem Winterbiwak in diesem Loche, dann ging's weiter. Die Kruste auf dem Schnee ward dicker. Die Schneeschuhe brachen nicht 'mehr durch. So hatten wir dann auf dem letzten, flacheren Stück unseres Weges flotte Fahrt.
Gegen Abend erreichten wir das Hospiz. Zu essen hatten wir nichts, denn Forni war noch nicht zurückgekehrt. Im Keller fanden wir aber die Ecke, wo der Asti stand. Nie schmeckte mir der perlende Muskateller besser. Lange saßen wir abends bei der Flamme des Herdes und sahen die letzten Fünklein verglühen. Ruhig ging die Rede über Erlebtes und über zukünftige Hoffnung.
Stets aber lauschten wir zwei mit erneutem Vergnügen Reicherts belebter Schilderung seines letzten Winteraufenthaltes in diesen gastlichen Mauern.

Mit einem Freund und dessen Schwester hatte er vergebens das Blindenhorn versucht. Die Nacht und der vereiste Schnee zwangen zum Biwak in der Guinahütte. Am nächsten Tag erreichten die beiden Herren über den Giacomopaß den Gipfel des Piz Basodino, ihre Begleiterin mußten sie auf dem Gipfelgrat angeseilt zurücklassen. Und abermals überraschte sie die Nacht, ein zweites Dezemberfreilager blühte den Nimmermüden. Als sie endlich zum Hospiz kamen, da begegnete ihnen eine halbe Stunde vor dem Hause der größte Teil der männlichen Einwohnerschaft des Dorfes Ronco, die mit Schaufeln und Schnapsflaschen die »Verunglückten« suchen wollte. Ein frohes, zwei Tage währendes Weihnachtsgelage verband Retter und Gerettete zu inniger Freundschaft. Gemütlich bummelten wir am nächsten Morgen talauswärts. Manchen Bekannten konnte Reichert grüßen, und als wir in Villa beim alten Forni noch einige Liter Asti genehmigten, fand sich bald ein Teilnehmer nach dem andern der denkwürdigen Rettungsexpedition ein.
Im Regen erreichten wir Airolo, wo uns die alte Freundin Gotthardbahn in ihre weichen Armsessel mütterlich aufnahm. Von Göschenen an starrten wir hinaus in trübselig grauen Nebel.
Wieder liegen herrliche Tage voll Winterschönheit hinter mir. Vorbei — verglüht — Erinnerung. Abermals eine kurze Weile, dann verglimmt auch dein Lebensfunken, stirbt auch die Erinnerung.
Verstehst du des Menschen trotziges Wollen einer Unsterblichkeit? Und wer zehnmal nicht daran glaubt, zugeben muß er doch: es liegt eine feierliche Vornehmheit in dem theosophischen Gedanken, unsere Wiederkehr sei um so glänzender, je reicher an Herz und Hirn wir hinübergegangen. Solange Menschen empfinden, tobt darum der Kampf zwischen Erkenntnis und Gefühl in jeder Brust. Doch genug! Was nutzt ein fruchtlos Zerren an der Zukunft Schleiern?

Nur ein Vergleich zum Schluß. Auf einsamem Schiff, auf stürmender See, unter Flammenzungen inmitten reichster Beute, erinnerungswerter Andenken harter Kämpfe, hohen Genusses — so gingen die Wikingerfürsten flammend unter. So wollen auch wir — wir Menschen des Geistes kämpfen und leben und Erinnerungen sammeln und dereinst unseren bleichen Tod empfangen, umgeben von glanzvollen Bildern starker Freude, hohen, edlen Genusses.

Ähnliche Artikel

Kommentare