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Abenteuer & Reisen

Anno dazumal Teil 2 | Zehn Winter mit Skiern in den Bergen

1879 - 1900 der Beginn im Schwarzwald

von Bettina Larl 23.12.2016
Auch der zweite Artikel aus der Reihe Anno dazumal stammt von Henry Hoek. Im ersten Teil von Zehn Winter mit Skiern in den Bergen aus dem Jahr 1910 erzählt Hoek mehr über seine ersten Versuche „mit den schmalen Brettern, die uns so viel gesundes Glücksgefühl bedeuten" im Schwarzwald und wieso diese „alles andere als ermutigend und erfreulich" waren.

Zehn Winter mit Schiern in den Bergen

von Henry Hoek

Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage, Und manche liebe Schatten steigen auf.
Goethe

Schilauf und Alpinismus hat man als säuberlich getrennte Begriffe einander gegenübergestellt, wie ja der Mensch überhaupt eine Vorliebe hat für das Machtgefühl des Einteilens. Sobald man aber über den Schilauf „an sich", über den Schilauf losgelöst von aller Relation, schreiben will, so stößt man auf eine eigenartige Schwierigkeit: diese Ablösung ist fast unmöglich. Und am allerschwersten lösbar erweist sich alsbald das Verhältnis zwischen Alpinismus und Schilauf, zwischen dem Schi und den Bergen. Die Frucht dieses Verhältnisses ist der Gegenstand des folgenden Aufsatzes, der vom Schilauf in den Bergen handelt. Es ist also wohl natürlich, daß zur Einleitung von diesen Beziehungen selbst kurz die Rede sei, das so verschiedene Beurteilung erfahren hat, je nach dem Standpunkt des Beobachters. Der Leser kann verlangen, über des Autors Standpunkt aufgeklärt zu werden.

Nicht als ob es derartiger Erörterungen nicht schon viele gäbe! Schon oft wurde z. B. die Klage laut: Der Schilauf hat der Ausführung wirklich guter winterlicher Hochtouren Abbruch getan. Und er hat nicht die Hoffnung erfüllt, daß dieser Abbruch an Güte wettgemacht würde durch eine starke Zunahme weniger schwieriger Hochtouren. Diese Klagen sind zum Teil unberechtigt, zum Teil beruhen sie auf einer mangelnden Kenntnis des Schilaufens und des winterlichen Hochgebirges. Die erwartete starke Zunahme großer Hochtouren wird und muß stets ausbleiben; Sommerzahlen werden hier nie erreicht werden, auch nicht annähernd. Ursache davon ist mitnichten, wie man oft zu hören bekommt, der „rein sportgemäße" Betrieb des Schilaufens, das, was man mit Worten „Rennen, Springen und Schwingen" meint. Daß dies nicht so ist, daß sich die große Mehrzahl der Läufer aus diesem Betriebe und Getriebe wenig macht, das beweist schon allein die riesige Zunahme subalpiner Fahrten. Es liegt die Sache eben so, daß sehr viele Bergsteiger, die den Schilauf aufnahmen, auf diesen subalpinen Türen reichlich das an körperlicher Anstrengung, an Gefahr, an geistiger Inanspruchnahme und an sportlicher Betätigung finden, was sie auf sommerlichen Hochturen mittlerer „Güte" zu leisten gewohnt sind; wirkliche Schihochtouren können nur von einer kleinen Minderheit mit Genuß gemacht werden — und auch das nur an einer kleinen Auswahl von Tagen.

Und ob nun die Qualität der winterlichen Hochtouren wirklich nachgelassen hat, wäre zuerst auch noch zu untersuchen. Sicher ist jedenfalls, daß, um einmal von den Westalpen zu reden, z. B. Finsteraarhorn, Jungfrau, Monte Rosa, Strahlhorn, Montblanc u. a. m., nie so oft im Winter bestiegen wurden, als seit dazu der Schi zu Hilfe genommen wurde, vor allem aber nie von so kleinen, oft führerlosen Partien. Das sind gewiß ganz ansehnliche Hochtouren, denen zuliebe man verschmerzen kann, daß einige wirkliche Klettereien nicht ausgeführt wurden. Aber die schmollend abseits stehenden Vertreter des reinen Alpinismus hätten auch sonst noch Grund, nicht gar zu böse zu sein, daß so mancher aus ihren Reihen den langen Hölzern verfiel.
Ich sehe davon ab, daß doch tatsächlich der Schi technisches Hilfsmittel geworden ist, ähnlich den Steigeisen und Kletterschuhen. Etwas anderes soll hier dargetan werden. Mit ziemlichem Recht kann man sagen: Schiläufen ist seinem innersten Wesen nach Bergsteigen, ist Bergsteigen, sobald man sich vom Massenübungsplatz trennt, ist Bergsteigen insofern, als ständig Probleme gestellt werden, die gelöst, ständig Fragen aufgeworfen werden, die beantwortet werden müssen. Es kommt natürlich sehr darauf an, was man unter „Bergsteigen" versteht. Zählt man aber die Erkletterung der Sandsteintürme der Sächsischen Schweiz dazu, so ist nicht einzusehen, weshalb eine im Schneesturm erzwungene Wanderung über den Riesengebirgskamm nicht dazu gehören, weshalb man die Abfahrt über einen schweren, gefährlichen, zerrissenen Schwarzwaldhang nicht dazu rechnen sollte.
 

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Das Wesentliche, das Wesen ausmachende, ist in beiden Fällen das Erfordernis eines bestimmten erlernten technischen Könnens, verbunden mit einer gewissen Gefahr; es muß aber ein Können sein, das bei der Ausführung von Hochtouren mit Nutzen anwendbar, wenn nicht gar erforderlich ist. Nehmen wir also einstweilen ruhig den Satz an: „Schilaufen ist Bergsteigen".

Es ist auch schon deshalb wahr, weil alles sportliche Schilaufen sich stets in den Bergen abspielen wird. Der Schi führt seinen Besitzer, der ihn nicht zu Berufszwecken benutzt, unabweislich in die Berge, wenn auch zunächst nur in das Wald-, in das Mittelgebirge. Er führt in ein winterliches Gebirge, das oft ein alpines Gewand angezogen hat, und das — beklagenswerte Unfälle führen den Beweis — oft auch alpine Schwierigkeit und Gefahr bietet. So ist der Schilauf für manche tatsächlich eine Schule des Alpinismus, eine Schule, die keine vollständige Ausbildung gibt, die aber viele Eignungen lehren kann, die wünschenswert sind: Ausdauer, Geistesgegenwart, Genügsamkeit, Verantwortungsgefühl und Naturbeobachtung.

Es ist ja auch umgekehrt kein Zufall, daß aus den Reihen der Bergsteiger so mancher in der Schar der Schiläufer zu finden ist. Es zeigt, daß beide Sportarten nahe verwandt sind, gleiche geistige, körperliche und seelische Eigenschaften erfordern und etwas sehr Ähnliches an Freude und Gefahr, an Anstrengung und Sportreiz bieten.

Durch das Schilaufen in den Alpen ist schließlich nur wieder einmal nachdrücklich betont worden, daß Fels- und Eisarbeit allein nicht den Begriff des Bergsteigens ausfüllen; zum anderen sind — wenigstens für einige Zeit — neue, einfache, selbstverständlichere und, wenn man so will, auch einwandfreiere Ziele gegeben worden; es sind endlich auch weniger beachtete und weniger bekannte Schönheiten der Gebirge einem großen Kreise erschlossen worden.

Es ist nun einmal unmöglich, die Taten unserer alpinen Pioniere ungeschehen oder vergessen zu machen, so unmöglich, wie die Seile und Nägelspuren am Matterhom verschwinden zu lassen. Die Alpen haben ganz sicher an Reiz etwas eingebüßt, sind streckenweise sogar in der betrübendsten Weise vulgarisiert worden. Auch die tollkühnsten Anstiege von den allerunrichtigsten Seiten vermögen ihnen diesen Reiz nicht zurückzugewinnen; der Schi hat es in gewissem Sinne vermocht. Der Schilauf hat wirklich ungelöste Aufgaben gezeigt, hat grundsätzlich neue Möglichkeiten geschaffen und hat uns in ein Bergland geführt, von einer im Sommer längst verlorenen, längst schon nicht mehr gekannten Stille und Unberührtheit, Einsamkeit und Größe.

Für manche Leser dieses Buches, namentlich soweit sie am Rande der Alpen oder in manchen Städten des Südens wohnen, ist alles, was in diesen Zeilen steht, etwas beinahe schon Selbstverständliches. Sie sehen es täglich mit Augen, daß der Schi ein Gerät des Alpinisten ist. Aber für viele andere, vielleicht sogar für die Mehrzahl, ist es auch heute noch am Platze, das Verhältnis zwischen Alpinismus und Schilauf einmal ausführlich klarzulegen. Abgesehen davon, zu zeigen, was mit Schiern in den Alpen geleistet werden kann, handelt es sich auch darum, klarzumachen, daß der Schiläufer vielerorts noch stets die erste aufklärende Arbeit leistet, daß winterliche Hochtouren mit ganz anderem Maße zu messen sind als Sommerfahrten, die oft bis weit über die Hälfte des Anstiegs auf gebahnten Wegen sich abspielen. Und es handelt sich darum, begreiflich zu machen, daß der Wintertourist mehr als irgend sonst jemand abhängig ist von der Unterkunft, den Hütten, daß er in hervorragendem Maße das Entgegenkommen der Hüttenbesitzer verdient, daß diese ihm ihre Hütten offen lassen sollten, selbst auf die Gefahr hin, daß sie einmal ausgeplündert werden.

Von dem, was ich in zehn Wintern in den Bergen erlebt habe, soll in folgendem die Rede sein. Manches hat sich in diesen zwei Lustren geändert. Man könnte sie als die Jünglingszeit des Schilaufs in Mitteleuropa bezeichnen. Die eigentlichen Kinderjahre waren vorbei in der Zeit, da diese Erzählung anhebt, aber seither hat sich doch noch vieles geändert, Ausrüstung sowohl wie Technik des Fahrens, und vieles hat sich überraschend in die Breite entwickelt. Gerade davon wird am meisten zwischen den Zeilen zu lesen sein. Von mancher geglückten und von mancher mißglückten Expedition werde ich berichten; „wie man es nicht machen sollte", wird manchmal in diesen Blättern zu finden sein. Doch auch diese Fahrten bereue ich nicht; köstlich ist jeder Tag in den Bergen in der Erinnerung, und wenn unsere Dummheiten die anderer verhindern, haben sie doch ihr Gutes gehabt. Um des Lesers Nachsicht muß ich bitten für die ungleiche Art der Darstellung. Sie ist die Folge davon, daß manche dieser Türen schon veröffentlicht wurden und ich deshalb hier nur das Fazit aus ihren Lehren ziehe. Und schließlich noch einige Worte über die Inkonsequenz, des Winters erhabene Stille in den Bergen zu loben und durch dieses Preisen andere, die den Zauber brechen, hineinzulocken. Vielfältig sind die Wurzeln dieser verbreiteten Erscheinung ; doch dreierlei ist stets dabei: das soziale Pflichtgefühl des ethischen Menschen, der auch andere will teilhaftig werden lassen, der Instinkt des Sportsmenschen, der ein Publikum schaffen will für seine Taten, und das oft unbewußte, aber richtige Empfinden des philosophierenden Menschen, daß er sich durch Mitteilung über die Sache stellt.

SCHWARZWALD 1897—1900

Meine ersten Versuche mit den schmalen Brettern, die uns so viel gesundes Glücksgefühl bedeuten, waren alles andere als ermutigend und erfreulich. Mitte der neunziger Jahre bekam einer meiner Freunde ein Paar Schneeschuhe zu Weihnachten, plumpe Hölzer, nur mit einfachem Weidenbügel als Bindung versehen. An einem hellen Januarnachmittag nahmen wir sie hinaus auf eine stille Wiese vor der guten Stadt Freiburg. Wir trugen sie bergan, stellten uns darauf und fuhren zehn oder gar zwanzig Meter weit bergab, bis wir fielen, und trugen sie wieder hinauf. Einmal aber glückte eine längere Fahrt; bei dem bald folgenden Sturze lösten sich die Schier von den Füßen, sie schossen bergab, rannten gegen eine Mauer und beide Spitzen brachen. Da gaben wir das Spiel als unerfreulich und kostspielig auf.

Den nächsten Versuch unternahm ich im Weihnachtsurlaub mit entlehnten Schiern auf dem Feldberg (Abb. 1, S. 65). Er endete schon in der ersten halben Stunde mit einem Beinbruch. Diesmal war die Sache noch unerfreulicher und entschieden auch noch kostspieliger.

Doch kaum hatte der Frühwinter 1898 seine weiße Decke über die Schwarzwaldberge gebreitet, so war ich zu neuen Taten bereit. Diesmal wollte ich's ernstlich packen und hatte mir eine feine Ausrüstung zusammengekauft. Und da Übung bekanntlich den Meister macht, so hatte ich mir gleich einen tüchtigen Weg ausersehen und verließ morgens in aller Frühe den Bahnhof Posthalde, um dem Feldberghof zuzustreben.

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Wer heute dort mit meiner damaligen Ausrüstung anrücken wollte, würde von recht belustigten Gesichtern empfangen werden. Die einzelnen Teile kann man zwar auch jetzt noch gelegentlich sehen, ihre Häufung auf eine Person leider nicht mehr.

Ein breitkrempiger, mit breitem Bande unter dem Kinn festgebundener Hut beschattete die Augen, eine dicke Wollhaube darunter bedeckte Gesicht, Ohren und Hals, soweit das nicht der wollene Schwitzer tat. Ein rauher Lodenanzug mit langen Haaren, mit riesigem Kragen und ungezählten zuknöpfbaren Taschen war gewiß sehr malerisch, aber wenig praktisch, da er alsbald voller Eiszotteln hing. An den Füßen hatte ich etwas ganz Wunderbares, sogenannte Injektionsschuhe, das waren Schuhe mit Pelz innen und außen; in den Raum zwischen den beiden Pelzwänden wurde Öl eingespritzt. Diese Schuhe sahen ungeheuer arktisch aus und waren sehr teuer. Die Beine steckten in langen, dicken, weißen Überziehgamaschen, die hoch oben am Schenkel durch Knöpfe festgehalten wurden. Da die Pumphose sie am Knie sehr auftrieb, so behinderten sie die Bewegungsfähigkeit nicht wenig und rieben mich auch abscheulich wund. Auch einen schönen Stock besaß ich. Er hatte unten eine schwere Holzscheibe, über deren Zweck ich mir lange im unklaren war, und eine gefährliche Spitze, war etwa zwei und einhalb Meter lang und so dick, daß man einen Bären damit hätte erschlagen können. Die Schier waren bestes Fabrikat von unangenehm gelber Farbe, mit einer Spitze, daran man sich spießen konnte, und aufgebogen wie ein halber Reif. Der Rucksack, mit dickstem Leder besetzt, enthielt weiß Gott was alles, wog fast zwanzig Pfund, und daran baumelten zwei riesig große, blankbeschlagene Überziehsandalen, in denen ein kleiner Mann eine Kahnfahrt hätte riskieren können.

Damals war es noch ein Glücksfall, wenn man auf dem Wege von Posthalde zum Feldberge Spuren fand. Mir blühte diese Blume nicht. Nach einer Stunde Steigens wurde des Schnees so viel, daß ich die Schier anzog. Die nächsten Stunden standen dann unter dem Zeichen des Versuches, ob es besser mit oder ohne Schier voranginge. Schließlich entschied ich mich für mit. Leider begann es zu schneien, und da Schiwachs mir unbekannt war und ich keine Ahnung hatte von einer Art des Laufens, die Stollenansatz vermeidet oder verringert, so wurde das Ganze eine Schinderei. Ziemlich erschöpft, bis auf die Haut durchnäßt und unter Verlust fast meines ganzen Tascheninventars, des Hutes und des Riesenprügels, der bei der letzten Abfahrt in den Schnee schoß und verschwand, erreichte ich abends spät den Feldberger Hof.

Der nächste Tag brachte guten Schnee und eine strahlende Sonne und damit eine Ahnung der schi-sportlichen Wonnen. Im Verlaufe dieses Winters und der folgenden erklomm ich fast alle die damals für den Schilauf entdeckten Gipfel: Feldberg, 1497 m (Abb. 1, S. 65), Herzogenhorn, 1417 m, Spießhorn, 1350 m, Belchen, 1415 m, Stübenwasen, 1388 m, und Schauinsland, 1286 m. Es waren köstliche, fast stets einsame Fahrten über einen selten von Spuren gestörten Schnee. Schon hauste eine ziemlich zahlreiche Schigemeinde auf dem Feldberg, aber abgesehen von sehr wenigen Ausnahmen kamen ihre Mitglieder kaum über das eigentliche Feldberggebiet hinaus. Und auch diese wenigen hatten nur ein kleines Repertoir weiterer Fahrten. Über die „Technik", die damals geübt wurde, kann ich mich sehr kurz fassen: Es gab einfach keine. Da der Einfluß einiger anerkannten Größen eifersüchtig darüber wachte, daß keine Spur der Lilienfelder Lauftechnik eindränge in den Kreis der Reinen, so blieb das Schiläufen ein mutiges und wildes Drauflosfahren unter Vermeidung wirklich schwierigen Geländes; es blieb ein genügsames Warten, bis uns das Heil aus dem Norden in Gestalt persönlich fahrender Beispiele kam; denn mit der Anleitung, die Nansen in seinem Grönlandbuche gab, konnten wir wenig anfangen, und auch ihre Verarbeitung durch deutsche Autoren machte sie nicht brauchbarer.

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