"Kommste Ende Februar mit Fahren?" "Nee, da bin ich in den Pyrenäen" – Mein Gesprächspartner sieht mich prüfend an, bevor er sich lustig macht: "Ooooh! Der extravagante Herr! Ab in die Pyrenäen, ja?" Ich vermute er hat genauso wenig Ahnung von dieser Gebirgskette wie ich noch vor Kurzem, schließlich liest man ja so gut wie nie davon. Magazine füllen ihre Seiten mit Stories über die üblichen Verdächtigen, aber diese Region blieb immer der Underdog in Europa. Das rothaarige Stiefkind der Alpen.Dass die Pyrenäen diese Saison einen Rekordwinter mit Schneehöhen von bis zu 10 m hatten, wissen daher nur Wenige. Grund genug für uns, das mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Philipp sitzt neben mir am Frühstückstisch und singt "Sweet Child of Mine" während er ab und zu an seinem Kaffee nippt. Ohrwürmer züchten ist eine seiner Special Abilities und meine Abwehr ist schwach. Um mich abzulenken spiele ich auf etwas an, das er uns vor ein paar Tagen erzählt hatte und halte mich dabei für ziemlich schlau: "Sach ma: Wieso heißt der Film 'Hangover' bei den Franzosen eigentlich 'Very Bad Trip'? Die könnten doch einfach nen französischen Titel nehmen wenn sie den Namen schon ändern müssen, oder?" "Ja, aber das klingt nicht international genug." meint Philipp, der durch sein Französisch-Studium das Wesen des Franzosen an sich besser versteht als jeder andere Mensch, den ich kenne (das ist eine weitere seiner Special Ablilities). "Der Titel soll ja schon cool klingen. Aber 'Hangover' verstehen sie nicht, da denken sie dann 'Überhängend? Hä?' und dann gehen sie nicht rein. Aber 'Very Bad Trip' ist auch für jemanden der eigentlich kein Englisch spricht, relativ leicht zu verstehen. Deshalb die Namensänderung". Ich tue so, als ob ich keinen Guns 'n' Roses-Ohrwurm hätte und beobachte Gabriel dabei, wie er bereits seine zweite Schüssel Kaba austrinkt. Krass. Hab ich mit 18 auch so viel Schokomilch in mich reingeschüttet? Ich kann mich nicht erinnern. Deutlich zu lange her. Dafür ist die Erkältung, die mich die letzten Tage so hart ausgebremst hat, endlich am Abklingen und das Fieber geht zurück. Die Rippen schmerzen zwar nach wie vor bei jedem Husten und Niesen, aber die Sonne scheint und wir haben nur noch zwei Tage, bevor es zurück nach Deutschland geht. Das Wetter und der Zeitdruck machen Laune, und zum ersten Mal seit Tagen bin ich wieder richtig motiviert Ski zu fahren.
Tagesziel heute: Der Pic de l'homme Mort hinter dem Skigebiet von Formiguères, danach Abfahrt durch das Vallée de la Galbe und anschließender Aufstieg zurück zum Parkplatz. Philipp und Gabriel hatten die gleiche Route schon einige Tage vorher, bei bestem Powder und Sonenschein, zusammen mit einem Local hinter sich gebracht, während ich krank im Bett lag. Die Fotos die sie mitgebracht haben sahen großartig aus, ein lohnendes Ziel. Aber was ist bisher eigentlich passiert?
27.02.13
Keine Ahnung wie ihr das seht, aber so ein 2,10m langer Skisarg hat in meinen Augen ja ganz klare Vor- und Nachteile. Man bekommt zwar problemlos ziemlich alles was man mitnehmen will rein, aber der Transport von diesem Schiff... Unglaublich! Glücklicherweise lässt sich die Kiste (wenn man die Ski dann raus hat) falten, sodass dann auch der Miet-Polo, den sie uns am Flughafen in Barcelona überreichen, genug Platz für 3 Leute inklusive. Gepäck hat. In Les Angles angekommen, darf ich dann erkältet und mit dickem Schädel Philipp dabei beobachten, wie er beschließt das Rauchen aufzugeben. Er dreht sich eine letzte Zigarette, und verbrennt dann alles was noch übrig ist im Kamin. Die Woche beginnt wirklich vielsversprechend.
28.02.13 – krank…
Philipp und Gabriel kaufen sich nen Tagespass für das Gebiet von Les Angles während ich bei schönstem Wetter krank zu hause bleibe: Tee trinken und Zeug aushusten. Abends darf ich mir dann anhören, dass der Tag großartig gewesen wäre und Philipp erzählt mehrfach, wie gerne er jetzt rauchen würde. Außerdem hat er sich beim Streit mit einem Baum den Fuß verstaucht. Ich bin nur ein bisschen neidisch.
01.03.13 – Neuschnee…
Es schneit. Die Nacht hat uns 20 cm Neuschnee beschert und wir beschließen nach Formiguères zu fahren. Keine 200 m von der Haustüre baue ich dann den ersten Winterunfall meines Lebens, als ich in einer 180° Kurve dem entgegenkommenden Franzosen im Schrittempo auf die Front rutsche. Und jetzt kommt der große Unterschied zwischen Franzosen und Deutschen zum Ausdruck: Der Fahrer bleibt gelassen, schaut sich seine Front an und fragt wie es bei uns aussähe. "C'est bon" sagen wir nach eingehender Prüfung, woraufhin die Sache für ihn einfach erledigt ist. Er wünscht uns noch nen schönen Tag und weg ist er. Unglaublich. Dann mal schnell die Schneeketten aufgezogen und so getan, als ob nie was passiert wäre. Glück muss man haben...
In Formiguères abgekommen, bestehen die Lifttickets aus Aufklebern und Metallbügeln und ich bin völlig ratlos wie ich die Dinger an meiner Jacke befestigen soll. Glücklicherweise hat Gabriel den totalen Plan und klebt mir das Teil fachmännisch an den Rucksack. Wäre ja ne Zumutung, wenn ich als Fotograf auch noch selbstständig denken müsste. Das Skigebiet liegt beinahe komplett unterhalb der Baumgrenze: Tannen und Pinien wechseln sich mit Lorbeersträuchern ab, und man fühlt sich eigentlich fast wie an der Küste Südfrankreichs. Ohne Meer halt, dafür mit Bergen und Schnee – Ist ja klar. Wir feuen uns, dass es trotz der französischen Winterferien nicht zu voll ist, und haben nen riesen Spaß durch den Wald zu heizen, bis zu dem Moment, als es den Typen vor mir aus dem Tellerlift haut. Eine Verkettung unglücklichster Umstände (mit denen ich wirklich nichts zu tun hatte. Ich schwör's!) führt zu einem äußerst schmerzhaften Crash, der mir brutal auf die linken Rippen geht. Ich hoffe inständig auf Prellung.
02.03.13 – Tour zum Puigmal d'Err
Blick aus dem Fenster: Bluebird. Ich fühle mich eher mittel. Die Erkältung in Kombination mit den (hoffentlich) geprellten Rippen spielt mich hart aus. Jedes Husten tut höllisch weh, und husten kann ich zur Zeit ja richtig gut. Heute steht das Gebiet um den Puigmal d'Err an, der mit 2913 m einer der höchsten Gipfel der Pyrenäen ist. Als wir um Acht Uhr, nach einer Stunde Fahrt am Parkplatz stehen, können wir kaum glauben, dass es gestern noch so viel geschneit hat. Hier, an der spanischen Grenze, bläst ein kräftiger Wind, der die Schneewolken für gewöhnlich genauso schnell wieder verscheucht wie sie kommen.
Wir nehmen zwei Lifte die uns auf 2600 m bringen und fellen noch 100 Höhenmeter bis zum Ende des letzten Lifts auf, der heute geschlossen hat. Ab hier hat es keinen Sinn mehr die Ski anzulassen: Alle Gipfel sind abgeblasen, auf den Graten liegt kaum noch Schnee. Wir schnallen die Latten an die Rucksäcke und machen uns auf den Weg. Freiliegendes Schiefergeröll und stürmischer Südwind zwingen uns zum vorsichtigen Gehen und senken das Tempo – Was mir eigentlich ganz recht ist, denn die paar hundert Höhenmeter die wir bis zum Puigmal d'Err zurücklegen müssen, kosten mich all meine Kräfte. Ich schiebe natürlich alles auf die Erkältung und die Rippen und Philipp und Gabriel tun mir netterweise den Gefallen so zu tun, als würden sie mir glauben. Echte Freunde.
Vom Puigmal d'Err aus kann man die Spitzen des Montserrat aus dem Dunst aufragen sehen, aber mein Zustand lässt kein Hochgefühl ob der guten Sicht mehr zu. Mechanisch drücke ich den Auslöser der Kamera und fühle nichts dabei. Ich schleppe mich den restlichen Weg zum Puigmal de Segre bevor ich zum ersten Mal wieder so etwas wie Vorfreude empfinden kann. Abfahrt. Endlich! Die Schneedecke ist angefirnt und an manchen Stellen kann man einzelne Eisplatten ausmachen. Für langgezogene, weite Schwünge ist die Flanke aber allemal zu gebrauchen, und die Geschwindigkeit bringt wieder Leben in meinen halb toten Körper. Geil!
Zurück im Gebiet gönnen wir uns was zu Essen und aus Solidarität bestelle ich, wie die beiden anderen, ein Pils. Was mir direkt nach dem ersten Schluck wieder in Erinnerung ruft, warum ich eigentlich nie Pils bestelle. Ich mag das Zeug einfach nicht. Völliger Fehlkauf. Philipp erbarmt sich dann netterweise des Getränks, und erwähnt dabei ganz beiläufig, dass er jetzt gerne eine rauchen würde. Auf dem Heimweg machen wir noch nen Abstecher ins Thermalbad, das aufgrund der französischen Winterferien leider aus allen Nähten platzt. Zu allem Überfluss beginne ich auch zu merken, dass die Anstrengung des Tages meiner Genesung vermutlich nicht besonders zuträglich war. Kluge Voraussicht ist definitiv keine meiner Special Abilities.
03.03.13 – total krank…
Schlimmster Tag bisher: Sonnenschein, immer noch brauchbarer Neuschnee wenn man weiß wohin und ich bin so krank, dass gar nichts mehr geht. Herr Erkältung ist echt ein undankbarer Typ. Gabriel und Philipp gehen heute mit nem Franzosen touren während ich im Bett liege und leise in mich rein fluche. Die Hälfte des Tages verschlafe ich, die andere liege ich auf der Couch rum und trinke Tee. Als die Beiden zurück kommen, sehe ich die Fotos die sie geschossen haben und platze fast vor Neid. Was zur Hölle habe ich mir nur dabei gedacht krank zu werden?
04.03.13 – Powder weg…
Der Tag Ruhe hat gut getan, und ich will Ski fahren. Dummerweise ist von dem Powder den Philipp und Gabriel gestern noch hatten, kaum mehr was übrig. Starke Sonneneinstrahlung über Tag und der starke Wind haben ganze Arbeit geleistet.
Allerdings scheint auch heute die Sonne, die Wärme firnt die gefrorene Schneedecke an und wir haben auch so unseren Spaß im Backyard von Les Angles. Ideal um wieder einigermaßen auf den Dampfer zu kommen. Die Aussicht ist wunderschön und auf der anderen Seite des Tals lockt der Cambre d'Aze mit seiner unglaublich fotogenen, von fünf steilen Couloirs durchzogenen Nordseite. An eine Befahrung ist aufgrund der heiklen Lawinenlage leider nicht zu denken, aber ich beschließe hier und jetzt, dass er in jedem Fall auf meiner (noch nicht sonderlich umfangreichen, aber stetig wachsenden) To-Do-Liste landet. Eine echte Schönheit.
05.03.13 – Regen…
Oh Freude: Es regnet.
06.03.13 – noch mehr Regen
Es regnet immer noch. Um den Tag mit etwas Sinnvollem zu füllen und Philipp von seiner traurigen Nichtraucherexistenz abzulenken, fahren wir nach Fontrabiouse und schauen uns die 1962 dort entdeckten Tropfsteinhöhlen an. Downday-Therapie. Aber das Wetter soll ja wieder besser werden...
07.03.13 – Fortsetzung
Ich schnappe das metallene Endstück meiner Felle ums Tail und blinzele gegen die bereits sengende Sonne. Das Wetter ist tatsächlich deutlich besser als die letzten Tage. Ich bereite mich innerlich auf Sonnenbrand vor und schnalle die Ski an. Philipp befindet sich im Gespräch mit einer Tourengeherin mittleren bis gehobenen Alters, die ihn interessiert fragt, was das denn für komische Ski seien, die er da an den Softboots trägt. "C'est un Splitboard" antwortet er in (für meine Ohren) akzentfreiem Französisch. Die Dame legt die Stirn in Falten und sieht ihn prüfend an: "Splitboard?" Es folgt eine kurze Pause, bis sich ihre Miene schließlich aufhellt und die Erkenntnis in ihren Augen leuchtet: "Aaaaaaah! Split! C'est anglais pour demi!" (Übersetzung: "Das is das englische Wort für halb") – Tourengehen ist hier fast ausschließlich auf die Generation 50+ beschränkt und das bringt natürlich auch eine andere Sprachbarriere mit sich, was Englisch angeht. Die jungen Franzosen verbringen ihre Zeit anscheinend lieber im Snowpark, als auf Tour. Soll uns Recht sein... Als wir schließlich an der Ostflanke des Pic de l'homme Mort stehen, geht mir trotz des absurden "Wir lagen vor Madagaskar"-Ohrwurms (Danke, Philipp), das Fotografenherz auf: Die Sonne steht günstig, Wolkenformationen ziehen vor blauem Himmel dahin, im Hintergrund sorgt die schroffe Nordwand des Pic de la Grande Porteille für alpines Flair und das Face verspricht eine schnelle Abfahrt. Der Aufstieg schließlich erfolgt einzeln, denn auch wenn wir glauben die Verhältnisse recht gut einschätzen zu können und sehr früh dran sind, so ganz trauen wird der Sache nicht. Gabriel geht als Erster und zieht mit großen Schwüngen die Flanke runter, während der Auslöser meiner Kamera durchrattert. Ein kurzes Überprüfen der Bilder bestätigt was ich mir erhofft hatte: Der Schuss für den ich heute herkam ist im Kasten.
Alles was jetzt noch kommt ist Bonus! Philipp und ich lassen uns den Spaß natürlich nicht entgehen und steigen nacheinander ebenfalls hoch. Der Schnee auf der anschließenden, 10 Kilometer langen Abfahrt durch das Vallée de la Galbe, wird in der unteren Hälfte dann leider extrem schwer und ich höre gefühlte hundert Male den Satz "Mann Robert, du hättest vor 4 Tagen dabei sein sollen. Da war hier ALLES POWDER!" Danke für die Erinnerung. Hatte ich FAST vergessen...
08.03.13 – letzter Tag, letzte Tour
Letzter Tag, Sonnenschein und das Ziel heißt (mal wieder) Formiguères. Das Liftpersonal grüßt und macht Scherze, ob wir denn mittlerweile alles kennen würden da hinten. Glücklicherweise bietet die Seenpatte der Camporells aber genug Ziele, um auch nach deutlich mehr Tagen als wir hier verbracht haben, noch interessant zu sein.
Am Refuge des Camporells angekommen, beraten wir uns noch mit dem Hüttenwart, bevor wir die gefrorenen Seen und die sie umgebende, sanfte Hügellandschaft in Richtung Petit Peric queren. Am Fuß seiner langen, breiten Südflanke angekommen, weht kein Lüftchen. Wir ziehen alles aus, was irgendwie warm halten könnte und beginnen den Aufstieg, den ich als am unangenehmsten in Erinnerung behalte: Knallende Sonne, Windstille und eine Flanke die überall gleich aussieht. Gott, wie ich Skitouren hasse... Gabriel wartet natürlich schon, als Philipp und ich schnaufend, schwitzend und fluchend endlich oben ankommen. Um das nicht noch öfter erleben zu müssen und zukünftig schneller zu sein, beschließe ich ab jetzt auch jeden Morgen zwei Schüsseln Kaba zu trinken. Irgendwas muss da ja offensichtlich dran sein! Da uns das ostseitige Coulouir nicht geheuer ist, erfolgt die Abfahrt über den gleichen Hang wie der Aufstieg. Entsprechend der Exposition und Tageszeit, herrschen hier beste Frühlingsbedingungen, die wir noch mal richtig genießen. Das ist schließlich die letzte echte Abfahrt, bevor es wieder zurück nach Deutschland geht.
Wir gönnen uns noch ein Kaltgetränk im Refuge des Camporells, halten ein Schwätzchen mit dem Hüttenwart und machen uns dann an den letzten Aufstieg, der uns zurück ins Skigebiet bringen wird. Die Gedanken kreisen um die letzten Tage und die vielen Gipfel und Abfahrten die wir in der Zeit gesehen haben, die To-Do-Liste die immer länger wird und das englische Wort für demi. Von irgendwo höre ich Philipp leise "Mr.Brownstone" singen und frage mich, ob er weniger Lieder über Drogenabhängigkeit singen würde, wenn er noch Raucher wäre. Schon komisch, mit welcher Sicherheit er diese ganzen Melodien in mein Hirn befördert. Na ja. Guns n' Roses immerhin. Hätte ja auch wieder irgend so ein Seemannslied sein können...