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Bergwissen

Die 10 entscheidenden Lawinengefahrenmuster, Teil II

Die 10 entscheidenden Lawinengefahrenmuster 6-10

von Rudi Mair • 16.03.2011
Bei der Analyse hunderter, meist tragischer Lawinenunfälle stellten Rudi und Patrick fest, dass sich die meisten Unfälle bei typischen, immer wieder kehrenden Gefahrenmustern ereignen. Daher erarbeiteten sie 10 typische, besonders unfallträchtige und häufige Gefahrenmuster. Das Erkennen dieser Lawinen-Gefahrenmuster soll dem Wintersportler helfen, sich entsprechend vorsichtig zu verhalten – und dadurch Unfälle zu vermeiden.

Bei der Analyse hunderter, meist tragischer Lawinenunfälle stellten Rudi und Patrick fest, dass sich die meisten Unfälle bei typischen, immer wieder kehrenden Gefahrenmustern ereignen. Daher erarbeiteten sie 10 typische, besonders unfallträchtige und häufige Gefahrenmuster. Das Erkennen dieser Lawinen-Gefahrenmuster soll dem Wintersportler helfen, sich entsprechend vorsichtig zu verhalten – und dadurch Unfälle zu vermeiden.

Gefahrenmuster (gm) 6 – kalter, lockerer Neuschnee und Wind "Der Wind ist der Baumeister der Lawinen": Dieser klassische Spruch von Wilhelm Paulcke aus den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts gilt auch heute noch unverändert. Wind beeinflusst sowohl den fallenden als auch den bereits abgelagerten Schnee und ist einer der wesentlichsten Lawinen bildenden Faktoren. Bei lockerem, trockenem Schnee führt Wind immer zu Verfrachtungen und damit zu einer Zunahme der Lawinengefahr!

Je kälter der verfrachtete Schnee, desto empfindlicher reagiert er auf Belastung, weil die Sprödigkeit zunimmt. Dieses Gefahrenmuster unterscheidet sich von gm.5 dadurch, dass der kalte, lockere Schnee nicht während einer langen Kälteperiode, sondern kurzfristig entstanden ist. Es hat also entweder kurz zuvor bei kalten Temperaturen ohne Wind geschneit und dann zu wehen begonnen oder aber es beginnt ohne Windeinfluss zu schneien, wobei der Wind während des Schneefalls an Stärke zunimmt. Ein Muster, das sich in der Regel recht gut erkennen lässt.

Ein Beispiel: Lawine HochgrabeLawine. Ein einheimischer Bergführer plant ursprünglich bei sehr widrigen Wetterverhältnissen mit einem Kollegen auf einen seiner Hausberge, die 2951 m hohe Hochgrabe, zu gehen. Der Freund sagt wegen des Wetters ab. Somit beschließt der Bergführer, die Tour allein durchzuführen. Er startet gegen 7:30 Uhr und geht über den Normalweg in Richtung Gipfel. Als er um 16:00 Uhr noch nicht – wie eigentlich vereinbart – von der Tour zurückgekehrt ist, alarmiert seine Frau die Bergrettung Sillian.
Gegen 17:30 Uhr wird sein Auto gefunden, 30 Minuten später ein kleiner Lawinenkegel entdeckt. Auf diesem Kegel finden sie den bereits leblosen, teilweise aus dem Schnee ragenden Tourengeher.

Kurzanalyse. Ende März ist die Schneedecke bis etwa 2800 m meist vollkommen durchnässt. Am 1. 4. herrscht Hochdruckeinfluss. Die Schneedecke stabilisiert sich aufgrund intensiver nächtlicher Ausstrahlung in Zusammenhang mit sehr geringer Luftfeuchtigkeit. Es bildet sich ein ausgeprägter Schmelzharschdeckel, der die Schneedecke stabilisiert. Darunter bleibt diese nass bzw. in höheren Lagen feucht. Am 2. 4. stellt sich das Wetter um. Es dringt außergewöhnlich kalte Luft nach Tirol ein. In Osttirol schneit es bis zu 40 cm. Zudem nimmt der Wind ständig an Stärke zu und weht aus unterschiedlichen Richtungen. Die Temperatur beträgt in 2000 m sehr kalte –10°C. Frischer, kalter und somit spröder Triebschnee lagert auf einer dünnen, lockeren Neuschneeschicht, die wiederum auf einer stabilen Altschneedecke liegt. Der Tourengeher befindet sich bereits bei der Abfahrt, als er bei der Querung der Rinne die Lawine auslöst und anschließend bis ins Bachbett mitgerissen wird.
Pech: Er ist allein unterwegs und kann sich selbstständig nicht aus seiner misslichen Lage befreien.

Wo: Hochgrabe / Zentralosttirol / 2090 m / N-Hang / 35°
Wer: 1 beteiligte Person / 1 getötete Person
Wann: 6. 4. 2003, ca. 11:00 Uhr
Lawine: Schneebrettlawine (trocken)/L 150 m/B 20 m/Anriss 0,3–0,5 m/Verschüttung 0,4 m/ca. 7 Std.
Regional gültige Gefahrenstufe: 2 (mäßig)
Schlagzeile LLB: Im Hochgebirge Vorsicht vor Triebschneeansammlungen

Gefahrenmuster (gm) 7 – schneearme Bereiche in schneereichen Wintern

In schneereichen Wintern passieren normalerweise deutlich weniger Lawinenunfälle als in schneearmen Wintern, weil der Schneedeckenaufbau im Allgemeinen günstiger ist. Dennoch beobachtet man auch in schneereichen Wintern regelmäßig das Phänomen, dass aufgrund vorherrschender Wetterlagen windexponierte Hänge relativ schneearm sind. Dementsprechend ungünstiger gestaltet sich dort der Schneedeckenaufbau, und umso wahrscheinlicher werden genau dort Lawinen von Wintersportlern ausgelöst.

 Ein Beispiel: Lawine kleiner Kaserer

Lawine. Eine achtköpfige Tourengruppe wählt am 22. 4. 2006 ein für diese Zeit durchwegs übliches Tourenziel auf den Kleinen Kaserer. Sie starten um 7:00 Uhr vom Schmirntal und gelangen problemlos auf den Gipfel. Vom Gipfel aus beobachten sie zwei Südtiroler Skitourengeher, die über die extrem steile Nordflanke abfahren. Die Gruppe wählt jedoch die objektiv sicherere Route entlang der Aufstiegsspur. Vom Skidepot fahren sie in großen Abständen über einen anfangs nur mäßig steilen Rücken bis zu einer kleinen Hangverflachung. Als bereits vier Tourenteilnehmer am Sammelpunkt warten, hören sie einen lauten Knall. In Folge löst sich eine gewaltige Schneebrettlawine, die sich unmittelbar vor ihrem Standplatz teilt. Die anderen Personen werden erfasst. Einer kann gerade noch rechtzeitig ausfahren, die anderen werden über felsdurchsetztes Gelände mitgerissen. Eine Person stirbt aufgrund der schweren Verletzungen am Unfallort, die anderen ziehen sich schwere Verletzungen zu.

Kurzanalyse. Es kommen zwei mögliche Ursachen für die Lawinenauslösung in Frage: die Auslösung durch die Tourenteilnehmer im Bereich des mäßig steilen, relativ schneearmen Rückens oder aber der zufällige Bruch der angrenzenden Wechte, die den Lawinenabgang initiiert. Wahrscheinlicher dürften die Wintersportler die Lawine im Bereich des schneearmen, während des Winters ständig vom Wind beeinflussten Rückens (während eines sehr schneereichen Winters) ausgelöst haben. Bei dem von uns aufgenommenen Schneeprofil erkennt man dort eine ausgeprägte, jedoch nicht überall schlecht verbundene Schwimmschneeschicht. Von einer superschwachen Zone dürfte sich nach der Belastung der Riss fortgepflanzt haben und in Folge die Lawine samt der Wechte abgegangen sein.

Wo: Kleiner Kaserer / Zillertaler Alpen / 2950 m / N-Hang / 30°–45°
Wer: 8 beteiligte Personen / 2 verletzte Personen / 1 getötete Person
Wann: 22. 4. 2006, 11:00 Uhr
Lawine: Schneebrettlawine (trocken)/L 800 m/B 150 m/Anriss 0,3–1 m/Verschüttung 0,3 m/30 Min.
Regional gültige Gefahrenstufe: 1 (gering) – 2 (mäßig)
Schlagzeile LLB: Am Vormittag allgemein geringe Gefahr – tageszeitlicher Anstieg

Gefahrenmuster (gm) 8 – eingeschneiter Oberflächenreif

Oberflächenreif zählt zu den schönsten Schneearten überhaupt und birgt für sich allein gesehen noch kein Gefahrenpotenzial: Erst wenn er von neuen, gebundenen Schneeschichten überdeckt wird, wird er gefährlich und gilt deshalb zu Recht als eine der kritischsten Schwachschichten der Schnee- und Lawinenkunde.

Ein Beispiel: Lawine südlicher Löcherkogel

Lawine. Vier konditionsstarke Skitourengeher nehmen sich zwei lang ersehnte Gipfel, den Nördlichen und den Südlichen Löcherkogel, als Tagesziele vor. Rasch gewinnen sie an Höhe und erreichen problemlos unter Einhaltung von Entlastungsabständen den Nördlichen Löcherkogel. Nach kurzer Rast fahren sie anfangs bei Pulver, dann bei Firn ab. In einem kleinen Becken im Bereich des Südlichen Löcherferners machen sie sich neuerlich für den Aufstieg bereit und peilen nun den Südlichen Löcherkogel an. Auch dieser Aufstieg erfolgt ohne Probleme über sehr steiles Gelände. Wiederum fahren die Skitourengeher einzeln ab, sammeln sich jedoch im Steilhang. Der Letzte der Gruppe löst unterhalb des Gipfels eine kleine Lawine aus, die sich nach unten ausweitet. Zwei Personen werden über einen Felsabbruch mitgerissen, eine davon verletzt sich schwer, die andere erleidet Prellungen. Die übrigen Mitglieder können aus der Lawine ausfahren.

Kurzanalyse. Am 26. 3. 2007 beobachten die Autoren in unmittelbarer Kammnähe des 3038 m hohen Festkogels in den Südlichen Ötztaler Alpen schattseitig eine in Folge des Nigg-Effektes entstandene, ausgeprägte, wunderbar glitzernde Schicht aus Oberflächenreif. Am 31. 3. und 1. 4. schneit es bei aufkommendem Südostwind bis zu 30 cm. Anschließend fallen nochmals wenige Zentimeter unter geringem Windeinfluss. Die Situation ist ab dann heimtückisch und gleicht dem oftmals zitierten Wolf im Schafpelz. Damals passieren in dieser Region im kammnahen, schattigen Steilgelände einige Lawinenunfälle. Die Geländeneigung reicht von steil über sehr steil bis abschnittsweise extrem steil. Die Lawine wird im knapp über 30° steilen Gelände ausgelöst.

Wo: Südlicher Löcherkogel / Südliche Ötztaler Alpen / 2950 m / N-Hang / 40°
Wer: 4 beteiligte Personen / 2 erfasste Personen
Wann: 6. 4. 2007 / 13:45 Uhr
Lawine: Schneebrettlawine (trocken) / L 400 m / B 25 m / Anriss 0,2 m
Regional gültige Gefahrenstufe: 2 (mäßig)
Schlagzeile LLB: Günstige Tourenverhältnisse mit tageszeitlichem Anstieg der Gefahr

Gefahrenmuster (gm) 9 – eingeschneiter Graupel

Schwachschichten innerhalb der Schneedecke werden bei Lawinenkursen häufig mit Kugellagern verglichen. Wirklich passend ist dieses Bild nur für den Graupel: eine kugelförmige Niederschlagsform, die sich bevorzugt im Frühjahr bei gewitterartigen Schauern ablagert. Leicht vorzustellen, dass Triebschnee, der sich darüber ansammelt, meist nur schlecht mit dieser Schwachschicht verbunden ist und damit das Lawinenrisiko steigt. Graupel ist häufig kleinräumig verteilt und lässt sich ohne Blick in die Schneedecke selbst von Experten meist nur schwer erkennen. Eine durchwegs heimtückische Angelegenheit, die zum Glück nur kurzfristig zu Problemen führt.

Ein Beispiel: Lawine Marchreisenspitze

Der Winter 09/10 wird mehr für sein ausgeprägtes Schwimmschneefundament als für mächtige Graupeleinlagerungen in Erinnerung bleiben. Dennoch beeindruckt bei diesem glücklich verlaufenden Lawinenabgang eine außergewöhnlich dicke Schwachschicht aus Graupel. Wenn man sich die Sache näher anschaut, lässt sich rasch eine Erklärung dafür finden.Unfallhergang. Das landschaftlich eindrucksvolle Lizumer Kar im Nahbereich der Axamer Lizum lockt vor allem einheimische Skitourengeher an, so auch einen Einzelgänger, der sich den Ampferstein als Tourenziel vornimmt. Die Route führt die letzten 400 Höhenmeter über sehr steiles, schattiges Gelände. Bei einer Scharte kurz unterhalb des Gipfels beendet der Wintersportler seine Tour. Er genießt während derdarauffolgenden Abfahrt die guten Schneeverhältnisse und gelangt dabei in den Nahbereich des von der Marchreisenspitze herunterziehenden Felskopfes. Dort löst er ein Schneebrett aus, welches ihn ca. 150 m mitreißt und total verschüttet. Sein Kopf befindet sich nach Stillstand der Lawine ca. 30 cm unterhalb der Schneeoberfläche. Ihm gelingt es, seinen Kopf zu bewegen. Dadurch sichert er sich die Luftzufuhr von außen. Mehrere Skitourengeher am gegenüberliegenden Widdersberg – darunter auch Bergrettungsleute – sehen den Abgang, schlagen Alarm und eilen dem Verschütteten zu Hilfe. Er kann nach 20 Minuten aus seiner misslichen Lage befreit werden und anschließend selbstständig die Abfahrt ins Tal antreten.

Wo: Marchreisenspitze / Nördliche Stubaier Alpen / 2300 m / N-Hang / 40°
Wer: 1 beteiligte Person / unverletztWann: 4. 4. 2010, 10:15 Uhr
Lawine: Schneebrettlawine (trocken) / L 200 m / B 20 m / Anriss 0,4 m / VerschĂĽttung 0,3 m / 20 Min.
Regional gĂĽltige Gefahrenstufe: 3 (erheblich)
Schlagzeile LLB: Frische Triebschneeansammlungen vermehrt im schattigen Steilgelände bilden derzeit die Hauptgefahr.

Gefahrenmuster (gm) 10 – Frühjahrssituation

Eine besondere Herausforderung für den Wintersportler, aber auch für Lawinenprognostiker sowie Lawinenkommissionsmitglieder stellt das Frühjahr dar. Selten liegen "sicher" und "gefährlich" zeitlich so eng beieinander, selten ist somit auch die Bandbreite der während eines Tages ausgegebenen Gefahrenstufen so groß. Einerseits ist die Lawinengefahr kaum einmal leichter einzuschätzen als bei stabilen Firnverhältnissen, andererseits werden aber auch kaum jemals während eines Winters so große Lawinenabgänge verzeichnet wie während kritischer Frühjahrssituationen.Dabei spielt neben dem Schneedeckenaufbau das zum Teil komplexe Wechselspiel aus Lufttemperatur, Luftfeuchte, Strahlungseinfluss und Wind eine entscheidende Rolle. Für den Wintersportler sind zeitliche Disziplin sowie Flexibilität bei der Tourenplanung gefragter denn je.

Ein Beispiel: Lawine Pforzheimer HĂĽtte

Lawine. Eine dreiköpfige Familie beschließt nach einem dreitägigen Aufenthalt auf der Pforzheimer Hütte wieder ins Tal zu gehen. Sie sind mit Schneeschuhen ausgerüstet und bewegen sich entlang der Aufstiegsspur abwärts. Im Nahbereich der Hütte – dem sogenannten Hüttenhang – ertönt plötzlich ein lauter Knall. Es löst sich eine gewaltige Lawine, die alle Personen ca. 100 m mitreißt. Zwei von ihnen sind beim Stillstand der Lawine total verschüttet. Sie können den Kopf bzw. einen Schneeschuh durch die Schneedecke stoßen. Einer davon kann sich in Folge sogar selbst befreien, die andere Person wird mit einem Eispickel ausgegraben. Die dritte Person ist nur teilweise verschüttet, zieht sich jedoch Verletzungen zu.Kurzanalyse. Fast im Wochenrhythmus wiederholt sich von Mitte bis Ende Februar 2009 dasselbe Bild: Ausgeprägte Nordwestwetterlagen schaufeln feuchte Luftmassen in den Alpenraum. Danach klart es auf. Die Temperatur steigt sukzessive an. Die Strahlung wird intensiver. Der Schneedeckenaufbau ist zu diesem Zeitpunkt schlecht. Es dominiert ein Wechsel von dünnen härteren Schichten mit sehr lockeren Schichten. Darüber werden immer wieder große Mengen an Neuschnee abgelagert, u. a. auch am 24. 2. Die Schneedecke befindet sich damals in einem sehr labilen Gleichgewicht. Neben der Zusatzbelastung der Wintersportler kommt zum Unfallzeitpunkt noch ein entscheidender Wetterfaktor ins Spiel. Es ist diffus. Das heißt, dass intensive Gegenstrahlung zu einer zusätzlichen Schwächung der Schneedecke führt. Der folgende Tag – also der 28. 2. – stellt übrigens aufgrund einer massiven Erwärmung den lawinenreichsten und gefährlichsten Tag des gesamten Winters dar.

Wo: Pforzheimer Hütte / Nördliche Stubaier Alpen / 2340 m / O-Hang / 35°
Wer: 3 beteiligte Personen / 1 verletzte PersonWann: 27. 2. 2009, 10:45 Uhr
Lawine: Schneebrettlawine (trocken) / L 350 m / B 180 m / Anriss 0,5–1,5 m
Regional gĂĽltige Gefahrenstufe: 3 (erheblich)
Schlagzeile LLB: In regenbeeinflussten Gebieten im Nordosten Nordtirols kurzfristig groĂźe Lawinengefahr

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