Immer wieder wird man damit konfrontiert, dass unerwartet Freunde oder Bekannte mit auf Tour oder zum Freeriden gehen möchten, deren Kenntnisse und Fähigkeiten in der Lawinenrettung den Ansprüchen nicht genügen, die ein Ernstfall erfordert. Bekanntermaßen stellen jedoch die Erfahrung und die Fähigkeiten der Gruppenmitglieder in der Kameradenrettung im Falle eines Unfalls die eigene Lebensversicherung dar, weil sie als erste am Unfallort sind und als erste mit der Rettung beginnen können. Was also tun? Sich unbeliebt machen und unerfahrene Leute nach Hause schicken, oder stillschweigend die Unerfahrenen mitnehmen, wohl wissend, dass man im Ernstfall einem Fiasko entgegensieht.
Die Ergebnisse von Manuel Gensweins Feldversuch zeigt einen dritten Weg auf… Dass man grundsätzlich nur mit erfahrenen, gut ausgebildeten und zuverlässigen Begleitern auf Tour gehen sollte, wird jeder gerne unterstützen. Die Praxis sieht aber häufig anders aus: Immer wieder sind Gruppenmitglieder dabei, deren Rettungs-Know-how in einem Ernstfall wahrscheinlich nicht ausreicht, um einen oder mehrere Verschütteten erfolgreich zu lokalisieren und auszugraben. Dabei sind die Fähigkeiten aller Gruppenmitglieder von essenzielelr Bedeutung, was sich daran zeigt, dass die gut ausgebildeten Gruppenmitglieder meist auch die erfahreneren und besseren Skifahrer/Snowboarder sind, die zumeist als erste abfahren. Und diejenigen, die zuerst abfahren, setzen sich einem statistisch höheren Risiko aus, eine Lawine auszulösen und verschüttet zu werden. Also sollten grundsätzlich immer alle Gruppenmitglieder wissen, was im Ernstfall zu tun ist. Ein umfangreicher Feldversuch (2009) von Manuel Genswein hat erstaunliche Ergebnisse erbracht: schon nach einer 15minütigen Einweisung sind Anfänger zu guten Rettungsergebnisse in der Lage.
Lawinenschulungsfeldversuch von Manuel Genswein mit Gästen von Ski- und Bergschulen (Oberlech, Arlberg)
Der Lawinenrettungsexperte Manuel Genswein hat in einem großen Feldtest mit gänzlich unbedarften Gästen von Ski- und Bergführern ein 15-minütiges Crash-Kurs-Curriculum entwickelt, das zu erstaunlichen Erfolgen geführt hat. Nach einer 15-minütigen Schulung sollten die Gäste in einem 50 mal 80 Meter großen Suchfeld zwei Verschüttete orten und ausgraben. Diese Suchfeldgröße, bei sehr weichem Schnee mit entsprechender Einsinktiefe, entspricht der durchschnittlichen Größe typischer Skifahrerlawinen. Das Ziel des Versuchs bestand darin, zu zeigen, welche Ergebnisse bei optimaler Einweisung und Ausrüstung erzielt werden können. Folglich wurden die Rettungsprobanden mit idealer Rettungsausrüstung ausgerüstet: LVS, Lawinensonde und -schaufel.
Am Versuch nahmen insgesamt 83 Gäste von 14 professionell geführten Gruppen (von Ski- und Bergführern sowie Skilehrern) teil. Ihr Altersdurchschnitt war mit 53 Jahren eher hoch; 17 Gäste waren bereits über 65 Jahre alt. Die Testpersonen wurden vor der Einweisung mit sehr guten Lawinenschaufeln und -sonden sowie Dreiantennen-LVS-Geräten mit Markierfunktion ausgerüstet. Nach der Instruktion wurden folgende Parameter während den Rettungsübungen erfasst:
- Die benötigte Zeit für die Signalsuche bis zum Empfang des ersten Signals.
- Der Zeitbedarf ab Erstempfang bis zum Beginn der Feinsuche.
- Die benötigte Zeit für die Feinsuche: Suchzeit während der letzten Meter bis zum Identifizieren eines eindeutigen Distanzminimums.
- Punktsuchzeit: Zeit bis zum Treffer mit der Sonde.
- Erster Kontakt mit dem Verschütteten (= im Versuch ein großer mit Stroh gefüllter Brennholzsack)
- Zeit bis zur Freilegung des Verschütteten
Ausbildungsinhalte der 15-Minuten-Schulung
- Montage von Sonde und Schaufel
- Grundverwendung LVS-Gerät: Ein- und Ausschalten, aktivieren des Such-Modus
- Praktische Suche mit dem LVS: je einmaliges Suchen eines Senders in 35 Meter Entfernung
- Einführung in die Signalsuche: Primäre Suchphase in der das LVS-Gerät noch kein Signal empfängt.
- Grobsuche mit horizontal gehaltenem Gerät in die vom Gerät angezeigte Suchrichtung
- Feinsuche ab 3 Meter Distanzanzeige: Gerät unmittelbar über der Schneeoberfläche (ohne auskreuzen). Den Punkt mit der kleinsten Entfernungsanzeige mit der Schaufel markieren.
- Punktsuche mittels Sonde: Sondierspirale. Verschütteter mit Sonde gefunden.
- Verschüttete bergen: Kurzeinweisung in das V-förmige Schneeförderband mitsamt Rotation der Mitglieder der Grabemannschaft, um die Effizienz zu steigern. Den Gästen wurde erklärt, wie sie sich während dem Ausgraben zu positionieren haben, wie mit der Lawinenschaufel Blöcke gestochen werden müssen und wie der Schnee abtransportiert werden soll.
Die Ergebnisse
Der anschließende Rettungsversuch bei dem zwei Verschüttete geortet und geborgen werden mussten, brachte folgende Ergebnisse: Nach durchschnittlich 6:39 Minuten wurde der erste Verschüttete freigelegt! Die schnellste Zeit betrug 4:20 Minuten, die langsamste Zeit 22:30 Minuten. Durchschnittlich wurde mit der Feinortung des zweiten Verschütteten nach 11:55 Minuten begonnen, der nach durchschnittlich 15:43 Minuten geborgen werden konnte. Die schnellste Zeit betrug hierbei 6:48, die langsamste Zeit 27 Minuten. Wurde das Signal des LVS-Geräts des georteten Verschütteten nicht mittels „Markierfunktion“ ausgeblendet, bekundeten die Retter, dass sie oftmals große Schwierigkeiten hatten, sich bei steigenden Distanzanzeigen des LVS-Geräts vom ersten Verschütteten zu lösen und den zweiten zu lokalisieren. Dies erklärt den großen Zeitunterschied zwischen der Bergung des ersten und Lokalisation des zweiten Verschütteten.
Fazit
Dass nach einer 15minütigen Kurz-Ausbildungseinheit vorher gänzlich unbedarfte Wintersportler in der Lage sind, Verschüttete in akzeptablen Zeiten zu retten, zeigt, dass die zu Anfang des Artikels genannte Gruppenkonstellation grundsätzlich vermieden werden kann. Eine kurze, aber seriöse Einweisung macht es möglich, dass die überwiegende Mehrzahl der Wintersportler einen bzw. zwei Verschüttete in akzeptabler Zeit zu retten vermag. Dass knapp innerhalb der kritischen 15-Minuten-Überlebens-Zeit eine weitere Person geortet und ausgegraben werden konnte, belegt eindrücklich den großen Fortschritt der verwendeten Dreiantennengeräte. Probleme bereitete in der Suche vor allem der Übergang zwischen dem ersten und dem zweiten Verschütteten, wenn die Retter den ersten Verschütteten nicht mittels Markierfunktion ausblenden konnten. Kostenloser Download des Originalartikels im Fachmagazin BergUndSteigen