Versteckt und doch präsent, mitten im Herzen der Alpen gelegen, breitet sich ein wieder erschlossenes Freeride-Paradies für ambitionierte Auto-Vielfahrer aus. Die drei Täler um die jeweiligen Hauptorte Champoluc, Gressoney und Alagna sind vielen Freeridern ein Begriff, wenn es um hochalpines Geländeskifahren geht. Und das – nicht zuletzt durch den Neubau der Indren-Gondel – vollkommen zu Recht.
Hasenjagd
Lange hat uns Frau Holle warten lassen, aber um Ostern herum war es endlich soweit. Starkschneefälle beglücken die Alpenkämme und sorgen für ordentlich Potential abseits der Pisten. Die An- und Abreise ins Aosta-Tal ist aus deutschsprachigen Gebieten ein Kapitel für sich, bei der man lediglich die Wahl der Qual hat: Zwischen zwei exorbitant teuren Tunnelanfahrten (Mont Blanc, St. Bernhard) oder ein Umweg über den Gotthard, der Stadtbesichtigungen von Mailand und Turin fast aufzwingt. Erst danach folgt dann jeweils die fast 60minütige Gurkerei bis zu den Liftanlagen der Täler. Steigt man einmal aus der neu gebauten "Indren"-Gondel aus, sind alle Reisestrapazen aber sofort wieder vergessen. Nicht wie bisher aus Alagna, sondern von nun an geht?s vom Passo Salati auf knapp 3000 m zur neuen Station auf 3275 m. Damit mausert sich Gressoney heimlich zum neuen Freeride-Zentrum. Seilbahn-Nostalgiker werden sich noch daran erinnern, dass hier bis vor etwa 10 Jahren schon einmal zwei Schlepplifte standen und den damals noch trendigen Sommerski ermöglichten.
Die neue Bahn erschließt nicht nur wieder das Offpist-Gelände der alten Bahn auf die Punta Indren, es macht den Zustieg zu den hochalpinen Zielen einfacher (Rifugio Manova, Gnifetti und Margeritha) und erleichtert die Querung zu den beiden beliebten Tälern Val Salza und Val Perduta. Insbesondere letztgenannte sind bei der alpinen Genuss-Fraktion sehr beliebt.
Obwohl Alagna und Gressoney weithin als Freeride-Gebiete bekannt sind, scheint sich der Andrang in Grenzen zu halten. Man sieht zwar etliche modisch gekleidete Freireiter, die wenigsten jedoch scheinen die neue Gondel als Aufstiegshilfe wahrnehmen zu wollen und begnügen sich mit den mittelmässig spannenden Pisten-Zwischenstücken. Die Mehrzahl der Insassen scheint, sofern nicht von einem Guide geführt, sich die beiden buckeligen Hauptrinnen Richtung Gressoney hinunterzuquälen. Vielleicht täuscht dieser Eindruck aber auch nur, da das Gelände sehr weitläufig ist und viele verschiedene teilweise riesige Runs ermöglicht.
First Chair
Ausgestattet mit iPhone und Funkgerät steht unser Guide Poldo ständig mit Liftbetreibern, Bergwacht und seinem Chef in Verbindung, und so ist es wohl kein Zufall, dass wir direkt nach Abflauen des Nordföhns gegen Mittag pünktlich in der ersten Gondel zur Indren stehen. Im Eagle-Couloir merken wir aber schnell, dass der Wind in den drei bis vier Stunden heute morgen extrem gewütet hat. Die am Vortag quasi windstill gefallenen 50cm Neuschnee sind stark verblasen. Beim Abfahren wechseln wir daher ständig zwischen Steinkontakt und einer Crème Brulée-artigen Masse. Ab in den Backseat und Straightline hinunter erscheint uns als die beste Abfahrtsmethode!
Um das ganze Gebiet zu erfassen, rutschen wir ein wenig zwischen diversen Liften hinunter. Leider hat die Erwärmung schon so einiges angegriffen – Fahrspaß ist dennoch hier in den windgeschützten Bereichen am ersten schönen Tag vorhanden.
Zum Abschluss nehmen wir noch das Val Salza in Angriff. Von der Indren-Bergstation queren wir mit wenigen Querschritten in etwa 15 Minuten über eine markante Geländekante. Von hier breitet sich der 1000 Höhenmeter Run in einem weitläufigen und nur mässig geneigtem Kessel vor uns aus. Nächster Bremsschwung: Staffal!
"Das Vergehen"
Am zweiten schönen Tag sollte Isotherm auf 2700 m steigen. Aufgeputscht vom morgendlichen Cafe – vielleicht waren es auch drei oder vier, bei Preisen von 1.- Euro bis 1,50 Euro kann man hier schnell das Maß verlieren – und Gebäck entscheiden wir uns für eine der wenigen nordseitigen Abfahrten in dem Gebiet: das Malfatta.
Nach Querung und kurzem 2-Minuten-Hike zur alten Punta Indren Station müssen wir das Genießen der Aussicht in die Po-Ebene und die Mailänder City leider verschieben. Die Erwärmung schreitet schnell voran und wir wollen den Tag schließlich nicht in einer Nassschneelawine beenden. Also schnell weiter gequert und schon stehen wir dank der 4 bisher vorhandenen Spuren ohne Umwege am Einsteig. Wir sehen schnell, dass das mitgeführte Seil und die Kletterausrüstung auf den ersten 30 Höhenmetern doch nicht gebraucht wird – scheint aber einer der ersten Tage der Saison zu sein wo dies nicht nötig ist, da die Schneedecke zuvor noch nicht ausreichend war. Mit einigen Sidesteps und vorsichtigem Abrutschen bringen wir dieses gut 50°-Steilstück schnell hinter uns. Wenige Schwünge im noch 45°-Steilhang
und schon spritzt uns der Nordhang-Powder im weitläufigeren und flacheren Teil dieser Variante nur so um die Ohren. Man meint, als würden uns die Hochalpinen Bergriesen Beifall klatschen bei diesem Hochgenuss, doch es sind nur zahlreichen kleine Nassschenerutsche die auf den südseitigen Steiflanken gen Tal donnern.
Beim Runout zeigt sich mal wieder, dass man nicht einfach blind Spuren folgen sollte, sondern es doch ratsam ist auch diesen Weg sich vorher einzuprägen, oder zumindest im mitgeführten Guidebuch nachzuschauen. Auf entspannten Wanderweg geht es nach kleinen Umweg aber doch gemütlich Richtung Alagna. Der Schnee schwindet hier allmählich und wir kommen erstmals wieder in den "Genuss" einer Frühjahrstour mit etwa einstündigem Fußmarsch. Mit nasstriefenden Skistiefeln und im T-Shirt erreichen wir den liftunterstützten Rückweg nach Gressoney und Richtung Heimat.