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News

Sylvain Saudan – Abschied von einem Skifahrer

Nachruf zu einer Legende

von Bernhard Scholz 22.07.2024
Die Nachricht von Sylvain Saudans Tod im Alter von 87 Jahren an einem Herzinfarkt ist ein Verlust für die gesamte Ski- und Alpinismusszene. Saudans Pioniergeist und seine mutigen Abfahrten setzten Maßstäbe und inspirierten viele Generationen von SkifahrerInnen und BergsteigerInnen.

Samstag Abend im Frühjahr 2013 klingelte mein Handy. Unbekannte Nummer. Gerade als ich auf der Terrasse meiner Eltern wenig erfolgreich versuchte den nagelneuen Gasgrill anzuwerfen. Genervt: „Ja. Hallo?"

„Bon soir, c'est Sylvain. Tu m'as envoyé un courriel." Aha. Damals hatte ich ziemlich vielen Franzosen E-Mails geschrieben. Steilwandskifahrern. Aber warum ruft gerade jetzt einer an?

Dann dämmerte es: Sylvain? Sylvain! Das muss Sylvain Saudan sein! Der Skifahrer, der die unmöglichen Abfahrten schafft! Eine lebende Legende! DER ruft beim mir an! Wow! Grill vergessen. Es folgte ein langes Gespräch und eine Verabredung zu einem Interview in Chamonix. Das ist nun über 10 Jahre her.

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Diese Woche kam die traurige Nachricht vom Tode Sylvain Saudans. 87, Herzinfarkt. Stolzes Alter! Egal ob Extremsportler oder Papiertieger. Angesichts der Meldung las ich mir das Interview von damals durch. Viel hat sich in der Welt des Steilwandskifahrens seither verändert. Neue Protagonisten sind aufgetaucht und die Popularität ist vom Freeride wieder etwas mehr in Richtung Alpinismus geschwappt. Vor 10 Jahren war es eine Nische, heute wieder mehr in Mode. So wie damals, als Saudan eine Art Skifahren bekannt machte, die zuvor unbekannt war. Das Skifahren selbst als Freizeitbeschäftigung war für die Normalbevölkerung gerade erst populär geworden.

Saudan wurde zu einem der 50 bedeutendsten AbenteurerInnen der letzten 200 Jahre gekürt – in den 80er Jahren, als seine Karriere schon vorbei war. Dafür muss die Definition von Abenteuer klar sein: Eine Unternehmung, die nie zuvor jemand gewagt hat und deren Ausgang völlig ungewiss ist. Beim echten Abenteuer geht es nicht um höher, schneller, weiter. Es geht um das Ausloten des Unbekannten. Und das tat Sylvain Saudan mit seinem Skifahren.

Seine Karriere war wohl durchdacht. Zumindest ab dem zweiten Schritt. Der erste entstand aus einer Bierlaune heraus. Bei einem Besuch in Chamonix 1967 redeten er und Freunde über die Möglichkeit das Spencer Couloir an der Aiguille de Blaitière mit Ski abzufahren. „Unmöglich!" die einen. Sylvain, der schon über zehr Jahre überall auf der Welt als Skilehrer viel gesehen und gehört hatte, hielt dagegen: „Doch, das geht! Kommt mit, ich zeig es euch!" Er war damals Skilehrer und LKW-Fahrer, der im Winter in Europa und während der Sommer in Australien seinen Lebensunterhalt verdiente.

Gesagt. Getan. Geschafft. Zurück im Tal war zufällig eine Journalistin von Paris Match da. Das entspricht in Deutschland etwa der Sport Bild. Die Frau glaubte Saudan und seinen Freunden kein Wort. Erst als sie mit einem Helikopter hinauf geflogen wurde und selbst die Skispuren sah – machte sie eine große Story daraus. Und die schlug ein. Abenteuer! Ein (relativ) junger, gut aussehender Kerl mit viel Charme geht ans Limit. Ein Artikel folgt auf den anderen und Sylvain Saudan, der bauernschlaue Walliser, wittert die Chance auf Ruhm, Erfolg und vor allem auch Geld.

Er plant seine Karriere: Wie die großen Alpinisten sollten die folgenden Abfahrten aufeinander aufbauen. Immer steiler, immer höher. Und immer medial begleitet. Insgesamt neun große Abfahrten. Begonnen in den Alpen, abgeschlossen im Himalaya mit der ersten Befahrung eines 8000ers. Er fand gut zahlende Sponsoren, die ihm 25 Jahre treu blieben. Er produzierte Filme und hielt Vorträge, verkaufte Bücher. Weltweit. Sylvain Saudan fand ein Geschäftsmodell für eine Sportart, die es vorher nicht gab. Und er war gut darin: im roten Sportwagen düste er durch die Alpen. Ganz anders als fast alle, die ähnliches taten. Heini Holzer etwa. Der Südtiroler, Kaminkehrer, Seilgefährte Messners, der mit seinen über hundert Steilwandabfahrten zwar Berühmtheit in der Szene erlangte, aber für seinen Broterwerb weiterhin auf Hausdächer kletterte. Saudan zeigte vor 50 Jahren, wie man aus einer Nische mit etwas Glück, Nachdenken, Planung, Detailversessenheit, viel Hartnäckigkeit sowie Risikobereitschaft und dem Willen eigene Wege zu gehen, auch finanziell erfolgreich sein kann.

Für diese Karriere stellte er ein Prinzip auf. Er ist und bleibt Skifahrer. Das bedeutete für ihn, dass er für seine Abfahrten keine alpinistischen Hilfsmittel verwendete. Keine Seile, keine Steigeisen, keine Eispickel, nicht mal einen Rucksack für Notfälle. Nach dem Aufstieg wandelte er sich stets in einen Skifahrer. Mit Skistiefel, Sonnenbrille, ohne Rucksack und oft ohne Mütze. Was so nicht machbar war, ist keine Skiabfahrt. Sobald er es sich leisten konnte, flog er auch einfach mit einem Hubschrauber zum gewünschten Ausgangspunkt seiner Abfahrt. Die streng alpinistische Definition von Steilwandskifahrern, die den sauberen, selbst geschafften Aufstieg mit berücksichtigt, gab es zu Beginn seiner Befahrungen noch nicht. Erst Anselme Baud und Patrick Vallençant, die den Begriff „Ski Extême" prägten, stellten die Regeln auf (an die sich Saudan sowieso nie gehalten hätte).

Kontrovers war sein Ansatz. Er wurde kritisiert: Dass er ja kein Alpinist sei (wollte er gar nicht), dass er das Geschäft der Bergführer kaputt mache (wo man abfahren kann, da kann man nicht viel Geld für einen Aufstieg verlangen), dass es unanständig sei so viel Geld als ungelernter Wallisischer Bauernbub mit Skifahren zu verdienen (Neiddebatten?), dass er ja gar nicht der Erste sei, sondern viele andere auch steile Abfahrten fahren (stimmt, aber die sagten es ja keinem)... Seine Antwort damals und bis zum Schluss: Keine. Er machte einfach sein Ding und war damit erfolgreich. Er sah sein sportliches Tun auch nicht als kompetitiv. Die geschäftliche Seite, das Ringen um Aufmerksamkeit, darin lag für ihn die Herausforderung, um die sich seine Karriere wand. Saudan überlegte, plante, tat nichts einfach so. Erst, wenn er sich sicher war, dass eine Abfahrt für ihn möglich war, führte er sie durch. Und aus diesem Nachdenken, dem genauen Beobachten und den klaren Zielen mit seinen Unternehmungen, formte er bewusst ein Lebenswerk: Skieur de l'impossible. (Der Skifahrer, der die unmöglichen Abfahrten fährt). Den Abenteurer.

2013 war Saudan bereits 76. Aber nicht müde und keinesfalls Rentner. Er war immer noch unterwegs, um Vorträge zu halten, hatte ein Heliski Unternehmen im Himalaya, gab noch Interviews und trat in Filmen auf. Nicht weil er musste. Weil er wollte. Seiner Berufung folgte. Und im Laufe der Jahre war seine Strategie aufgegangen. Aus dem Skifahrer, der das Unmögliche tat, war eine lebende Legende geworden. Eine Ikone, die von zahlreichen anderen, die in seine Fußstapfen traten oder ein wenig von dem Flair des echten Abenteuers abbekommen wollten, gerne genutzt wurde. Selbst nahm er eifrig an dieser Legendenbildung teil. Als Konsequenz luden ihn dann immer mehr große Firmen ein, um das Management zu inspirieren. So wie es auch andere echte Abenteurer tun. Auf den Skipisten in Chamonix traf man ihn zudem auch noch, was Fans gerne auf Selfies festhielten. 

Die Stellung, die sich Sylvain Saudan bereits zu Lebzeiten erarbeitet hatte, wird ihm bleiben. Ein Skifahrer, der die steilsten Abfahrten als einer der ersten überhaupt wagte, der sich ins Abenteuer stürzte und gleich mehrere Generationen Skifahrer inspirierte. Es gibt und gab nur sehr wenige Menschen, wie er einer war.

Adieu Sylvain!

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