Diese Woche kam die traurige Nachricht vom Tode Sylvain Saudans. 87, Herzinfarkt. Stolzes Alter! Egal ob Extremsportler oder Papiertieger. Angesichts der Meldung las ich mir das Interview von damals durch. Viel hat sich in der Welt des Steilwandskifahrens seither verändert. Neue Protagonisten sind aufgetaucht und die Popularität ist vom Freeride wieder etwas mehr in Richtung Alpinismus geschwappt. Vor 10 Jahren war es eine Nische, heute wieder mehr in Mode. So wie damals, als Saudan eine Art Skifahren bekannt machte, die zuvor unbekannt war. Das Skifahren selbst als Freizeitbeschäftigung war für die Normalbevölkerung gerade erst populär geworden.
Saudan wurde zu einem der 50 bedeutendsten AbenteurerInnen der letzten 200 Jahre gekürt – in den 80er Jahren, als seine Karriere schon vorbei war. Dafür muss die Definition von Abenteuer klar sein: Eine Unternehmung, die nie zuvor jemand gewagt hat und deren Ausgang völlig ungewiss ist. Beim echten Abenteuer geht es nicht um höher, schneller, weiter. Es geht um das Ausloten des Unbekannten. Und das tat Sylvain Saudan mit seinem Skifahren.
Seine Karriere war wohl durchdacht. Zumindest ab dem zweiten Schritt. Der erste entstand aus einer Bierlaune heraus. Bei einem Besuch in Chamonix 1967 redeten er und Freunde über die Möglichkeit das Spencer Couloir an der Aiguille de Blaitière mit Ski abzufahren. „Unmöglich!" die einen. Sylvain, der schon über zehr Jahre überall auf der Welt als Skilehrer viel gesehen und gehört hatte, hielt dagegen: „Doch, das geht! Kommt mit, ich zeig es euch!" Er war damals Skilehrer und LKW-Fahrer, der im Winter in Europa und während der Sommer in Australien seinen Lebensunterhalt verdiente.
Gesagt. Getan. Geschafft. Zurück im Tal war zufällig eine Journalistin von Paris Match da. Das entspricht in Deutschland etwa der Sport Bild. Die Frau glaubte Saudan und seinen Freunden kein Wort. Erst als sie mit einem Helikopter hinauf geflogen wurde und selbst die Skispuren sah – machte sie eine große Story daraus. Und die schlug ein. Abenteuer! Ein (relativ) junger, gut aussehender Kerl mit viel Charme geht ans Limit. Ein Artikel folgt auf den anderen und Sylvain Saudan, der bauernschlaue Walliser, wittert die Chance auf Ruhm, Erfolg und vor allem auch Geld.
Er plant seine Karriere: Wie die großen Alpinisten sollten die folgenden Abfahrten aufeinander aufbauen. Immer steiler, immer höher. Und immer medial begleitet. Insgesamt neun große Abfahrten. Begonnen in den Alpen, abgeschlossen im Himalaya mit der ersten Befahrung eines 8000ers. Er fand gut zahlende Sponsoren, die ihm 25 Jahre treu blieben. Er produzierte Filme und hielt Vorträge, verkaufte Bücher. Weltweit. Sylvain Saudan fand ein Geschäftsmodell für eine Sportart, die es vorher nicht gab. Und er war gut darin: im roten Sportwagen düste er durch die Alpen. Ganz anders als fast alle, die ähnliches taten. Heini Holzer etwa. Der Südtiroler, Kaminkehrer, Seilgefährte Messners, der mit seinen über hundert Steilwandabfahrten zwar Berühmtheit in der Szene erlangte, aber für seinen Broterwerb weiterhin auf Hausdächer kletterte. Saudan zeigte vor 50 Jahren, wie man aus einer Nische mit etwas Glück, Nachdenken, Planung, Detailversessenheit, viel Hartnäckigkeit sowie Risikobereitschaft und dem Willen eigene Wege zu gehen, auch finanziell erfolgreich sein kann.
Für diese Karriere stellte er ein Prinzip auf. Er ist und bleibt Skifahrer. Das bedeutete für ihn, dass er für seine Abfahrten keine alpinistischen Hilfsmittel verwendete. Keine Seile, keine Steigeisen, keine Eispickel, nicht mal einen Rucksack für Notfälle. Nach dem Aufstieg wandelte er sich stets in einen Skifahrer. Mit Skistiefel, Sonnenbrille, ohne Rucksack und oft ohne Mütze. Was so nicht machbar war, ist keine Skiabfahrt. Sobald er es sich leisten konnte, flog er auch einfach mit einem Hubschrauber zum gewünschten Ausgangspunkt seiner Abfahrt. Die streng alpinistische Definition von Steilwandskifahrern, die den sauberen, selbst geschafften Aufstieg mit berücksichtigt, gab es zu Beginn seiner Befahrungen noch nicht. Erst Anselme Baud und Patrick Vallençant, die den Begriff „Ski Extême" prägten, stellten die Regeln auf (an die sich Saudan sowieso nie gehalten hätte).