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Safety-Themen

Freeriding und (Straf-)Recht – wann müssen Freerider mit rechtlichen Konsequenzen rechnen?

von Stefan Beulke 07.01.2010
Nach den Lawinenunfällen bei Gefahrenstufe 4 im Hochwinter 09/10 ist die Diskussion um eine mögliche strafrechtliche Verfolgung von Freeridern und Tourengängern in den Medien erneut voll entbrannt. Inwieweit Freerider im Fall eines Lawinenunfalls mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen müssen, erklärt der Rechtsanwalt und Bergführer Dr. Stefan Beulke.

                        Tödliche Schneebrettlawine in den Chiemgauer Alpen.

Nach den Lawinenunfällen bei Gefahrenstufe 4 im Hochwinter 09/10 ist die Diskussion um eine mögliche strafrechtliche Verfolgung von Freeridern und Tourengängern in den Medien erneut voll entbrannt. Inwieweit Freerider im Fall eines Lawinenunfalls mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen müssen, erklärt der Rechtsanwalt und Bergführer Dr. Stefan Beulke.Trotz richtiger Planung und angepasstem Verhalten während einer Tour und obwohl Lawinenunfälle glücklicherweise sehr selten geschehen – ein Unfall kann nie ausgeschlossen werden. Für alle Beteiligten stellt dies eine schlimme Situation dar – neben der Frage nach der eigenen Schuld kommt möglicherweise die Sorge um verletzte Freunde oder sogar die Trauer um deren Tod. Werden bei einem Lawinenunglück Menschen verletzt oder getötet, ist die zuständige Polizeibehörde verpflichtet, die Gründe und Ursachen des Unfalls zu ermitteln. Und diese Ermittlungen finden auch tatsächlich statt. So gibt es z. B. sowohl in Deutschland als auch in Österreich speziell ausgebildete Polizei-Beamte, die für die Aufklärung von Berg- und Lawinenunfällen eingesetzt werden. Man kann davon ausgehen, dass praktisch jeder Lawinenunfall mit Personenschaden (Körperverletzung oder Tötung) zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren führt. 
Gegenstand dieses Ermittlungsverfahrens ist die Frage, ob der Lawinenunfall durch ein schuldhaftes Fehlverhalten einer oder mehrerer Personen verursacht wurde und ob diese Person(en) deshalb strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können.
Die strafrechtlichen Überlegungen können im Einzelnen sehr schwierig und für einen juristischen Laien schwer zu verstehen sein. Nicht jeder Lawinenunfall ist eine Straftat. Gleichzeitig muss man sich aber von dem Irrglauben verabschieden, dass im Hochgebirge grundsätzlich "andere" rechtliche Spielregeln gelten als z. B. im Straßenverkehr oder auf dem Sportplatz. Leider entscheiden relativ häufig Juristen über Bergunfälle, die vom Straßenverkehr noch relativ viel Ahnung und von einem Sportplatz zumindest noch etwas Jugenderinnerung haben, vom "Freeriding" aber noch nie etwas gehört haben. Das macht die Sache nicht einfacher, dafür aber umso unberechenbarer. Da die gängige Rechtspraxis, je nach Fall und Alpenland, in dem der Unfall geschehen ist, unterschiedlich ist, können hier nur einige allgemeine Hinweise und Informationen gegeben werden Nachfolgend soll deshalb versucht werden, mit Hilfe typischer Fallgruppen die Bandbreite der strafrechtlichen Problematik zu skizzieren.

Eigengefährdung, Fremdegefährdung und Verletzung Dritter

Jeder Freerider kann sich selbst nach Belieben gefährden, ohne dass man ihm deshalb einen Vorwurf machen kann. Wer meint, ohne Lawinenlagebericht und ohne LVS-Set auskommen zu können, und glaubt, dass Warnhinweise und Sperrtafeln nur für andere gelten, der betreibt ein originelles, wenn auch völlig blödsinniges Risikomanagement. Strafrechtlich ist das allerdings nicht grundsätzlich verboten – solange nichts passiert. Ob das freilich ein sinnvoller Umgang mit der Problematik ist, ist eine ganz andere Frage. 
Allerdings gilt auch hier der Grundsatz: Keine Regel ohne Ausnahme. In Italien sieht die Rechtslage vor, dass bereits das Gefährden von Skipisten eine Straftat darstellt. Wer also im freien Skiraum schuldhaft, d. h. zumindest fahrlässig, eine Lawine auslöst, die eine darunterliegende Skipiste erfasst, macht sich strafbar – selbst wenn auf der Skipiste keine Skifahrer verletzt oder gar getötet werden. Wenn durch die Lawine ein Skifahrer verletzt oder gar getötet wird, dürfte die mögliche Strafbarkeit des Freeriders jedem einleuchten – sofern der Freerider die Lawine fahrlässig ausgelöst hat.

Wann hat man eine Lawine fahrlässig ausgelöst?

Diese Frage ist pauschal praktisch nicht zu beantworten und der Jurist fängt dann üblicherweise mit dem Einleitungssatz an: "Das kommt darauf an, ob ?". Diese Frage kann nämlich immer nur unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Eines muss man aber eindeutig feststellen: Je länger sich hochqualifizierte Fachleute mit dem Thema Lawinengefahr beschäftigen, je intensiver alpine Institutionen Aus- und Weiterbildungen anbieten und je besser die Lawinenlageberichte und die Risikomanagement-Methoden zur Beurteilung der Lawinengefahr werden, umso schwieriger wird es werden, den einzelnen Lawinenabgang als ein völlig unvorhersehbares Ereignis zu qualifizieren, das auch bei sorgfältiger Tourenvorbereitung und Tourenplanung nicht hätte erkannt und damit auch vermieden werden können. Mit anderen Worten: Wenn man sich nach einem Unfall darauf berufen möchte, dass der Lawinenabgang nicht vorhersehbar und deshalb auch nicht fahrlässig verursacht war, braucht man schon gute Argumente, z. B. einen günstigen Lawinenlagebericht und einen positiven Risiko-Check nach einer der anerkannten Risikomanagement-Methoden (z. B. Munters 3x3 & Reduktionsmethode oder Stop-or-Go). Wenn man sich nach diesen Infos und Checks im "grünen Bereich" bewegt, ist auch die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass man im Fall eines Lawinenunfalls den Vorwurf eines fahrlässigen Verhaltens widerlegen kann.

Gefahrengemeinschaft und faktische Führer

Wenn Freerider gemeinsam im Backcountry oder im Freeride-Gebiet unterwegs sind, kann es sich dabei um eine so genannte Gefahrengemeinschaft handeln. Eine Gefahrengemeinschaft liegt vor, wenn die Gruppenteilnehmer im Wesentlichen über den gleichen Kenntnis- und Ausbildungsstand verfügen und deshalb die Risiken im Wesentlichen gleich gut einschätzen können. In diesem Fall ist jeder Freerider für sich selbst verantwortlich und im Falle eines Lawinenunfalls auch "selbst schuld".
Das ist allerdings ein eher theoretischer Idealfall. Die Praxis sieht nämlich häufig anders aus. Nicht selten schwingt sich einer der Gruppenteilnehmer zum "Führer" auf. Häufig verfügt so ein "Führer" über keinerlei fundierte Ausbildung, nur seine Risikobereitschaft und seine sportlichen Fähigkeiten, möglicherweise in Verbindung mit einer "Leitwolfmentalität", lassen ihn zum Führer werden. Ob es sich dann tatsächlich um einen "Führer" im rechtlichen Sinne handelt, der auch für die Sicherheit der weiteren Freerider aus der Gruppe verantwortlich ist, hängt immer von den Umständen des Einzelfalles ab. Nicht jeder, der einen coolen Auftritt hinlegt oder der beste Rider in der Gruppe ist, muss strafrechtlich den Kopf hinhalten, wenn etwas passiert. Man muss aber wissen, dass es auch den so genannten "faktischen Führer" gibt, der sehr wohl eine erhöhte Verantwortung gegenüber den anderen Gruppenmitgliedern haben kann. Faktische Führer können z. B. Personen sein, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung, z. B. als Snowboard- oder Skilehrer, Freunde und andere Personen auf nicht-kommerzieller Basis mit ins Gebirge nehmen. Ihre Begleiter gehen davon aus, dass sie von ihrem "Führer" gefahrlos geführt werden. Eine typische Fallgestaltung ist das "Überreden" eines wenig erfahrenen "Freeriders" zu einer anspruchsvollen Variantenabfahrt mit der Begründung, man selbst habe dies als "erfahrener" Freerider "voll im Griff" und der andere könne sich darauf verlassen, dass alles o. k. ist. Dadurch erzeugt man beim anderen Vertrauen auf Sicherheit – und dieses Vertrauen verpflichtet den faktischen Führer, die versprochene Sicherheit auch zu bieten.Dies bedeutet zwar nicht, dass man, nur weil man z. B. eine Freerideausbildung absolviert hat, nicht mehr mit seinen Freunden freeriden gehen kann, wenn diese über keine Ausbildung verfügen. Wenn man aber seinen Freunden mit einem ausdrücklichen Hinweis auf die eigene Ausbildung Sicherheit verspricht, muss man sich auch im Klaren darüber sein, dass diese sich auf die Ansage auch verlassen – und nach den anerkannten rechtlichen Grundsätzen auch verlassen dürfen. Wer sich einem faktischen Führer anvertraut, handelt nicht mehr eigenverantwortlich, sondern vertraut auf das Risikomanagement des faktischen Führers.

Kommerziell geführte Touren

Schließt man sich einer geführten Tour an, z. B. einem Freeride-Kurs, einer Snowboard- oder Skitour, vertraut man sich einem eigens dazu ausgebildeten Spezialisten an: dem staatlich geprüften Berg- und Skiführer. Dieser ist für die Sicherheit seiner zahlenden Gäste verantwortlich. Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass auch ein Bergführer seinen Kunden keine 100%ige Sicherheit bieten kann, denn die gibt es im Gebirge bekanntermaßen nie.

Ausrüstung

Die Frage nach der "richtigen" Ausrüstung ist nicht nur ein Dauerthema in der alpinen Sicherheitsdiskussion, sondern auch ein "Klassiker" in der juristischen Aufarbeitung von Berg- und Lawinenunfällen. Wer keine ausreichende Ausrüstung verwendet hat, handelt fahrlässig, wenn der Unfall mit der "richtigen" Ausrüstung hätte vermieden werden können oder wenn zumindest die Unfallfolgen weniger dramatisch ausgefallen wären.
Die Ausrüstungsfrage wird allerdings erst dann relevant, wenn eine Person für die Unfallfolgen einzustehen hat, weil sie aufgrund besonderer Umstände für die Sicherheit einer anderen Person verantwortlich war. Wenn ich allein ohne LVS-Gerät im Gelände unterwegs bin, ist das ausschließlich mein Problem, insbesondere wenn ich verschüttet werde. Wenn zwei erfahrene Bergführer spontan beschließen, einen Pistenskitag mit einer Variantenabfahrt im frischen Tiefschnee zu beginnen, obwohl man keine LVS-Geräte dabei hat, ist das deren freie Entscheidung. Und wenn einer der beiden von einem Schneebrett verschüttet wird und anschließend von seinem Kollegen nicht geortet und nicht geborgen werden kann, kann man nur sagen – blöd gelaufen, aber nicht strafbar.
Wer allerdings für Dritte verantwortlich ist, sei es als "faktischer Führer" oder als "richtiger" Führer, ist auch für die Auswahl und Mitnahme der erforderlichen Sicherheitsausrüstung einschließlich einer angemessenen Funktionskontrolle verantwortlich. Standard ist dabei das LVS-Set, bestehend aus LVS-Gerät, Sonde und Schaufel. Dabei sollte der Verantwortliche mit der Sicherheitsausrüstung auch umgehen können, denn im Ernstfall zählt bei einer Lawinenverschüttung jede Sekunde.

Praktische Empfehlung

Unabhängig von der Frage nach rechtlichen Risiken sollte man sich immer genau überlegen, mit wem man zum Freeriden geht bzw. wen man mitnimmt. Die Kompetenz und Ausrüstung des anderen stellt dabei nämlich die eigene Rückensicherung dar. Viele Leute sind herausragend im Funpark oder an der Schneebar. Von einem guten Freerider sind aber auch andere Qualitäten wie Verantwortungsbereitschaft und Risikobewusstsein, Zuverlässigkeit und Kompetenz sowie "Snow-how", Intuition, Vorsicht und Zurückhaltung, das heißt ein smartes "Risiko-Management" gefordert.

Dr. Stefan Beulke

ist Rechtsanwalt seit 1990 und staatl. geprüfter Berg- und Skiführer seit 1985. Er war 2. Vorsitzender des VDBS (Verband deutscher Berg- und Skiführer) von 1992 bis 2003.
Als Rechtsanwalt ist er auf Berg- und Skiunfälle spezialisiert.

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