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Safety-Themen

Gedanken zum Tod von Tof Henry

Heldenverehrung, Risikomanagement in Chamonix, Social Media und was es mit uns macht

von Lars Oelmann 18.10.2023
Tof Henry, Freeride-Pro aus Chamonix, und der chilenische Bergführer Juan Señoret sind am 11. Oktober bei einer Befahrung des Vulkan Puntiagudo in Chile ums Leben gekommen. Henry war bekannt für spektakuläre Befahrungen der klassischen und weniger klassischen Steilwände rund um Chamonix. Er brachte den "Freeride-Stil" mit in die Eiswände und zog in hohem Tempo große Turns, wo andere umspringen. Tof Henry wurde 38 Jahre alt und hinterlässt einen Sohn.

Downdays hat weitere Informationen zum Unfall - soweit bekannt - zusammengestellt. Von Powder gibt es ein etwas älteres Portrait von Tof Henry. In seinem Film "Born in Chamonix" kommt er selbst zu Wort und lässt seine Abfahrten für sich sprechen.

Wie reagiert man als Skimedium angemessen auf den Tod (prominenter) Freerider? Wir haben im PowderGuide-Team schon öfter darüber diskutiert, auch diesmal wieder. Lars Oelmann, das PG PowderAlarm-Orakel, hat - wie wohl viele von uns - beobachtet, wie sich die Nachricht von Tof Henry's Tod von Insta-Story zu Insta-Story verbreitet hat. Traurige Herzchen begleiteten die Posts. Die Videos von Tof's Steilwandbefahrungen wurden oft mit Fire-Emojis kommentiert. Lars hat das Gefühl, das beides der Situation nicht gerecht wird - die Herzchen nicht dem tragischen Tod eines Menschen, die Flammen nicht den Abfahrten, die selbst in der risikotoleranten Freeride-Szene oft als "hart am Limit" wahrgenommen wurden. Im folgenden Beitrag teilt Lars seine Gedanken dazu.

Wie die "richtige" Reaktion auf den Tod eines Ski-Stars wie Tof Henry aussieht und ob es überhaupt eine gibt, wissen wir nicht. Das PG-Team war sich einig, dass Lars uns einige wichtige Denkanstöße gegeben hat. Zur Frage, ob diese Art von Diskussion in einem Medium wie PG so kurz nach einem Unfall "passend" ist, gab es unterschiedliche Meinungen. Wir haben auch die daraus entstandenen Gespräche als wertvoll empfunden und uns daher schlussendlich entschieden, den Text hier mit der PG-Community zu teilen.

Der Tod von Tof hat in mir etwas ausgelöst, das sich von dem zu unterscheiden scheint, was er bei anderen ausgelöst hat, zumindest wenn man den sozialen Medien glauben darf. Er hat in mir den Wunsch ausgelöst, über etwas zu sprechen, das ich schon seit einigen Jahren mit mir herumtrage und das ich nun in einem Debattenbeitrag zur Diskussion stellen möchte. Ich betone, dass dies meine Meinung ist und nicht die allgemeine Meinung von PowderGuide. Vielleicht nicht einmal die von jemand anderem.

Es geht darum, wie Tof wahrgenommen wurde, wie wir in den Bergen Entscheidungen treffen und wie wir diese Entscheidungen dann nach außen tragen. Der Tod von Tof ist tragisch. Zuallererst für seine Familie und seine Freunde. Aber anscheinend auch für hunderte Andere, die eben das auf Social Media in Form von Herzen und anderen Emojis zum Ausdruck bringen. Viele empfinden seinen Tod anscheinend nicht nur als tragisch, sondern auch als überraschend. 

Hier scheine ich aus der Reihe zu fallen, denn mein erster Gedanke war: "Nicht schon wieder". Denn überrascht war ich nicht. Ich dachte an einen Artikel aus dem Powder Magazine über Andreas Fransson, Dave Rosenbarger und andere, die damals als die neue Generation von Freeridern in Chamonix portraitiert wurden. Sie fuhren Lines am Limit, aber mit einer Freeride Einstellung und nicht im klassischen Steilwand-Stil. Das heißt: In äußerst steilen und ausgesetzten Hängen wurden anstatt kontrollierter Jumpturns nun weite Turns in hoher Geschwindigkeit gefahren. Das Ganze funktioniert nur bei entsprechend guten, pulvrigen Schneebedingungen, bei welchen tendenziell das Risiko eines Lawinenabgangs deutlich größer ist als bei Frühjahrs-Firnbedingungen. In dieser Tradition steht auch Tof Henry.

Fast alle Protagonisten aus diesem Artikel sind mittlerweile tot. Nun also auch Tof, der in Chamonix aufgewachsen ist und wie kein anderer für diese „Chamonix Attitude“ stand.

Die „Chamonix Attitude“ besteht für mich einerseits aus dem Rationalisieren von Entscheidungen, die nach einem klassischen Risikomanagement - etwa im Sinne der Reduktionsmethode - nicht hätten getroffen werden sollen, und andererseits aus der Art und Weise, wie die "Szene", zu der wir alle gehören, das wahrnimmt.

Und jetzt wird es kniffelig, denn mir geht es eigentlich nicht um einzelne Entscheidungen oder die Personen, die sie treffen. Vielmehr geht es um uns, um die Szene, die das Ganze wahrnimmt und kommentiert, und um unsere Ehrlichkeit uns selbst gegenüber.

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Denn, sind wir ehrlich, wir haben fast alle schon mal Entscheidungen getroffen, die man nach Munter nicht hätte treffen sollen, manchmal bewusst, manchmal auch unbewusst. Alle, die Powder in spannendem Gelände fahren möchten, stehen irgendwann vor der Tatsache, dass man das nicht mehr komplett nach Munter reduzieren kann. Und fast alle fahren dann früher oder später trotzdem mal hinein. Und das ist, finde ich, auch in Ordnung. Es geht hier nicht um "falsche" Entscheidungen an sich, sondern um den Umgang damit. Auch wenn meist nichts passiert, sollte man sich bewusst sein, dass es gefährlich war und etwas hätte passieren können. Man sollte ehrlich zu sich selbst sein.

Bei vielen, die am Limit leben, wird das Ausreizen der Grenzen durch die genannte “Chamonix Attitude” rationalisiert: “Sie sind unglaublich gut in dem, was sie tun. Sie haben viel Erfahrung. Sie haben es oft gemacht. Sie kennen sich aus.” Und so weiter. Manche von uns rationalisieren das vielleicht so, damit wir auf social Media weiter unseren Helden folgen können. Ich habe das irgendwann nicht mehr geschafft. Ich konnte mir Tof Henrys Videos nicht mehr anschauen, weil ich nicht davon überzeugt war, dass er, oder vor allem viele seiner Zuschauer:innen wussten, wie sehr das Ganze am Limit war. Sie waren und sind, meiner Meinung nach, nicht ehrlich zu sich selbst.

Jetzt reden auf Social Media viele davon, dass es sie überrascht und aus der Bahn wirft, dass das akkumulierte Risiko Tof eingeholt hat. Aber warum schreibe ich einen ellenlangen Essay? Ausgerechnet ich, das PowderOrakel, das doch auch dazu beiträgt, dass die Leute bei viel Neuschnee Skifahren gehen?

Es stört mich, dass das social Media Image und auch das Geldverdienen zu oft darauf beruht, am Limit zu leben, dass aber niemand die ehrliche Entscheidung trifft, mit den Konsequenzen zu leben. Damit meine ich nicht Tof und andere in seiner Liga. Sie haben diese Entscheidung sicherlich für sich getroffen. Viele fahren ähnliche Lines auch ohne social Media Reichweite, oder ganz besonders nicht für die Social Media Reichweite, so hoffe ich zumindest.

Ich meine uns. Wir müssen damit leben, dass es Menschen am Limit erwischen kann. Und das scheint niemand wahrhaben zu wollen, weil es uns daran erinnert, dass es auch uns treffen kann. Fast alle, die lange genug in den Bergen unterwegs sind, kennen zumindest flüchtig jemanden, der nicht mehr zurückgekommen ist. 

Und jetzt sind wir bei der Frage, was passiert, wenn man in dieser Nische gelandet ist und mit diesem Image Geld verdient oder zumindest Firmen und Sponsoren damit Geld verdienen. Ist es dann nicht scheinheilig oder gar heuchlerisch, wenn die Industrie nicht klar sagt: Das Risiko ist zu hoch, es kann jederzeit vorbei sein?

Nein. Weder von den Unternehmen noch von den sozialen Medien. Höchstens von uns, denn die Werbung und die Firmen verwenden natürlich nur positive Dinge, um ihre Produkte zu verkaufen, und wir entscheiden, womit das funktioniert. Vielleicht hat die moderne Vermarktung eine Mitschuld. Aber das ist eine andere Diskussion. Es geht darum, Entscheidungen zu treffen und mit diesen Entscheidungen und ihren Konsequenzen zu leben. Tof mit seinen, wir mit Tofs, wenn wir ihm folgen, und wir mit unseren.

Im Alpinismus, beim Ski- und Höhenbergsteigen sind immer schon viele Menschen gestorben, auch ohne Sponsoring und Instagram. Aber Social Media befeuert unsere Heldenverehrung und blendet Schattenseiten kategorisch aus, denn diese bringen keine Klicks und Likes.

Funktioniert denn nur dieser krasse Content? Cody Townsend und sein The Fifty Project zeigen: Nein. Auch eine andere Herangehensweise kann in Zeiten der Social Media Algorithmen funktionieren. Sollen andere weiterhin mit dem Leben am Limit Geld verdienen dürfen? Absolut. Es ist ihre Entscheidung. Aber sie und wir müssen mit den Konsequenzen leben können und nicht erst darüber nachdenken, wenn es zu spät ist.

Letztlich sind wir alle erwachsen und wir, die viel in den Bergen unterwegs sind, wissen, was passieren kann, wenn man ans Limit geht. Wenn man das nicht weiß, sollte man nicht in die Berge gehen, oder auf Instagram Leuten folgen, die in die Berge gehen. 

Nur, bei aller Tragik, bitte postet dann keine Herzemojis und tut so, als ob es ein unvorhersehbares Unglück war. Seid ehrlich zu euch selbst.

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