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Schnee von morgen

Schnee von morgen | Klimaschützer oder Umweltzerstörer

Dilemma eines Skifahrers

von Martin Svejkovsky 22.11.2023
In diesem Gastbeitrag erklärt Martin, Volunteer bei „Protect Our Winters Austria“, welchen Umgang er mit dem moralischen Dilemma des Skifahrens gefunden hat. Ein wiederkehrendes Dilemma, das ihn und viele von uns Wintersportbegeisterte Jahr für Jahr einholt. Denn immer dann, wenn im Herbst von neuen Klimarekorden berichtet wird, die Medien den frühen Saisonstart diskutieren, die Gesellschaft schon längst die Schuldigen gefunden hat und wir dennoch an nichts anderes denken können, als schon bald wieder durch den Schnee zu pflügen, dann wächst das schlechte Gewissen. Doch die Frage ist, warum eigentlich?

Ja, ich weiß vom menschengemachten Klimawandel. Und ja, durch ihn steigen die Meeresspiegel, Extremereignisse wie Überflutungen nehmen zu und werden stärker. Es kommt zu weltweiten Hungersnöten und die Gletscher der Alpen werden innerhalb der nächsten Jahrzehnte verschwunden sein.

Obwohl ich von all den Konsequenzen des Klimawandels weiß, fällt es mir als Skifahrer oft schwer, mir diese einzugestehen. Ich habe Angst, Angst festzustellen, dass auch ich und meine Leidenschaft für das Skifahren nicht nur Opfer, sondern auch Auslöser dieser Entwicklungen sind. Denn ja, ich fahre Ski und das sogar sehr häufig. Und ja, ich nutzte hierzu problematische Infrastruktur, wie PKWs oder Liftanlagen und verhalte mich durchaus auch klimaschädlich, indem ich dabei aufwändig hergestellte Outdoor-Bekleidung trage und auf im Ausland produzierten Skiern stehe. Deshalb frage ich mich: Ist meine Angst berechtigt? Bin ich ein Teil des Problems? Und wie kann gerade ich, der Skifahrer, von anderen Menschen einen klimafreundlichen Lebensstil erwarten oder schlecht über klimaschädliches Verhalten sprechen?

All jene Fragen führen zurück auf das Dilemma, in dem ich mich befinde. Dieses Dilemma wird im Englischen als „the hypocrisy trap“ bezeichnet. Hierbei ist gemeint, dass wir Menschen davon ausgehen, nur dann bestimmte Probleme ansprechen zu dürfen, wenn wir selbst unfehlbar sind. Ich als Mensch, der Ski fährt, sollte vielmehr auf mein eigenes Verhalten achten oder das Skifahren gar gänzlich einstellen, um so zum Klimaschutz beizutragen, bevor ich von anderen oder der Politik eine klimafreundliche Wende einfordere. Auch das deutsche Sprichwort „sich an die eigene Nase fassen“ geht in diese Richtung. Doch woher stammt diese scheinbar indiskutable Binsenweisheit? Hier lohnt sich ein Blick auf die gesellschaftlichen Bedingungen, in denen wir leben.

Das dominierende Wirtschaftssystem des letzten und dieses Jahrhunderts war und ist der Kapitalismus. Dieser enthält eine Vielzahl verschiedener Spielarten und Ausprägungen, wobei sich in seiner jüngeren Vergangenheit die neoliberale Variante durchgesetzt hat. Bei dieser Art des Kapitalismus handelt es sich jedoch nicht nur um eine Wirtschaftsform, sondern auch um eine Kulturform, welche die verschiedenen Sphären unseres Privatlebens durchdringt und auch unser Denken und Verhalten beeinflusst. Die wesentliche Säule des neoliberalen Kulturwandels ist die Betonung der individuellen Verantwortung eines jeden einzelnen Menschen. Individuen werden unabhängig von ihrer sozialen Herkunft nicht nur dafür verantwortlich gemacht, ob sie wirtschaftlich erfolgreich sind, ganz nach dem Motto „Sei deines Glückes Schmied.” Auch andere globale Problematiken wie der Klimawandel werden zu individuellen Thematiken, für deren Lösung sich jeder Mensch persönlich verantwortlich zeigen soll. Dies führt zurück zu der Frage, warum ich mich als Skifahrer in dem oben erläuterten moralischen Dilemma wiederfinde. Doch die im Neoliberalen enthaltene Individualisierung hat einen Zweck: Mit ihr gelingt es, von tatsächlichen, bedeutenden, Beschleunigern der Klimaerwärmung, wie beispielsweise fossilen Energiekonzernen abzulenken und die Verantwortung so zu verteilen, dass Menschen wie ich ein schlechtes Gewissen bei der Ausübung ihres Hobbys bekommen.

Ein praktisches Beispiel, wie sich klimaschädliche Konzerne von ihrer Verantwortung freisprechen und diese dabei diskret an das individuelle Pflichtgefühl der Gesellschaft übertragen, findet sich in der Geschichte des „ökologischen Fußabdrucks“. British Petroleum, kurz BP der zweitgrößte nicht-staatliche Ölkonzern der Welt beauftrage Anfang der 2000er Jahre die PR-Agentur Ogilvy damit, sein Image zu verbessern und seine Rolle als Treiber der Erderwärmung zu relativieren. So wurde 2004 der „Carbon Footprint Calculator“ vorgestellt, mit dem jeder Mensch ausrechnen kann, wie sich das individuelle Verhalten auf das Klima auswirkt. Der Plan von BP ging auf, denn niemand fragte mehr nach den Folgen der Konzernpolitik, sondern suchte die Schuld und Lösung des Problems bei sich selbst. Ganz ähnlich wie man es heute aus dem Diskurs rund um die Verantwortung von Skifahrer:innen bezüglich des Klimawandels kennt.

Die zu Anfang gestellten Fragen, wie ich als Mensch, der vom menschengemachten Klimawandel weiß, dennoch Skifahren kann und warum mich dabei mein Gewissen plagt, rührt wie nun erläutert von gesellschaftlichen Bedingungen und der Überbetonung der individuellen Verantwortung her. Natürlich ist es keinesfalls schlecht, das eigene Konsumverhalten zu reflektieren und sich klimafreundlich zu verhalten. Die Erde zu schützen, kann schließlich niemals ein Fehler sein. Jedoch sollte man sich - gerade, wenn man die Ambitionen hat, als skifahrender Mensch zum Klimaschutz beizutragen - über diese gesellschaftlichen Voraussetzungen bewusst sein. Dies führt mich zu meiner nächsten Frage: Was sollte ich als Skifahrer, dem Klimaschutz wichtig ist, tun?

Wie im ersten Teil des Textes hoffentlich klar geworden ist, entstehen durch die Logik eines neoliberalisierten Kapitalismus individuelle Schuldzuweisungen. Anstatt einen Blick auf tatsächliche Ursachen zuzulassen, verschleiern individuelle Schuldzuweisungen diesen. Sie können auch deshalb kein Hauptbestandteil der Lösung sein, da sie strukturelle und ursächliche Erklärungen vernachlässigen. Das Motto sollte lauten: „We can do something, but don’t make anything personal!”. Letztlich braucht es einen kollektiven Wandel. Im Zuge dessen kann durch politischen Willen so auch individuelles Verhalten gelenkt und gefördert werden.

Die Politik steht in ihrer Funktion und Aufgabe in einer maßgeblichen Verantwortung, die Leben der Menschen zu schützen und die Lebensqualität zu erhalten.

Ich bin Skifahrer und damit Teil einer Community, die aufgrund des gemeinsamen Hobbys ein Interesse an klimafreundlichen Entscheidungen hat und die Politik deshalb an ihre Aufgaben erinnern sollte. Da politische Entscheidungsträger:innen abhängig von Mehrheiten sind, gilt es, diese gesellschaftlichen Mehrheiten zu schaffen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Bildung: Klimabildung bewahrt uns davor, in die beschriebene Falle der Individualisierung zu tappen. Sie stärkt das Wissen über die Entstehung des Klimawandels und das kollektive Bewusstsein über Wege, ihn zu verhindern, was sich letztlich in politischen Mehrheiten bemerkbar macht.

Non-governmental-organizations (NGOs) wie beispielsweise Protect Our Winters Austria veranstalten Workshops, leisten Aufklärungsarbeit und vergrößern dadurch das öffentliche Interesse an Themen rund um den Klimawandel. So tragen sie dazu bei, gesellschaftliche Mehrheiten zu generieren, die sich politisch auswirken und nicht in individualisierten Verhaltensmustern verpuffen. Als Skifahrer, dem Klimaschutz am Herzen liegt, erachte ich es demnach als sehr sinnvoll, mich in solch einer NGO zu engagieren. Anstatt Ausdruck einer Doppelmoral ist dieses Engagement vielmehr eine sinnvolle Investition hin zu einer nachhaltigen und strukturellen Veränderung.

Wenn die breite Bevölkerung durch Bildung ein Verständnis über die Ursachen des menschengemachten Klimawandels erlangt, können daraus konkrete politische Forderungen entstehen, die von der Allgemeinheit getragen werden. Konkrete Beispiele der Wechselwirkung zwischen gesellschaftlicher und politischer Verantwortung zeigen, dass es einen Systemwandel braucht, um individuelles Verhalten zu verändern, nicht umgekehrt. NGOs leisten hierbei einen wichtigen Beitrag. So würden beispielsweise viele Menschen Fahrrad fahren, wenn die Städte darauf ausgelegt wären. Es würden weitaus weniger Menschen fliegen, wenn Züge billiger und besser ausgestattet wären. Viele Menschen würden mehr erneuerbare Energien nutzen, wenn diese gleich viel kosten würden wie jene fossilen Quellen, welche nur durch staatliche Subventionen künstlich billig gehalten werden.

Wenn ich als Skifahrer durch mein Engagement bei NGOs wie bei Protect Our Winters Austria und in der Ski-Community zu solchen oder ähnlichen politischen Entwicklungen beitrage, dann nutze ich mein Umfeld und die mir zur Verfügung stehenden Mittel. Auch wenn mein „ökologischer Fußabdruck“ dadurch nicht sinkt, so steigt dadurch mein „ökologischer Handabdruck“. Ich trage dazu bei, dass sich tatsächlich etwas verändert, anstatt nur auf meine individuellen Verhaltensmuster zu verzichten und damit letztlich wenig zu bewirken.

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Die Schlagrichtung hinter meinen Aussagen ist klar und dennoch weiß ich, wie einzelne Konsumentscheidungen zu einer Veränderung beitragen können. Ich möchte mich nicht freisprechen von Verantwortung. Ich möchte aber darauf aufmerksam machen, dass die Lösung nicht in der Schuldfrage des individuellen Verhaltens zu finden ist. Ich versuche nachhaltig zu leben, auch ich versuche - wann immer es geht - öffentlich oder in Fahrgemeinschaften in die Berge zu fahren oder durch Fair-Means-Touren gar komplett emissionsfrei auf den Gipfel zu gelangen. Doch ich weiß auch, wie privilegiert man dazu sein muss und dass dies nicht für jeden Menschen machbar ist. Genau deshalb möchte ich aufzeigen, warum die Lösung nicht alleine darin liegen kann.

Wenn es um Klimawandel geht, dann geht es um die großen Zusammenhänge und dafür braucht es uns alle, als Kollektiv, auch als Ski-Community. Wie so oft ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile und wenn ich mich das nächste Mal frage “ Skifahren und Umweltschutz, wie passt das zusammen?”, dann werde ich kein schlechtes Gewissen bekommen. Ich werde Skifahren gehen und ich werde über das Thema sprechen. Um Aufmerksamkeit zu schaffen, so wie mit diesem Artikel. Skifahren kann verbinden, es kann motivieren und aus dieser Motivation heraus können wir gemeinsam Energie ziehen, um uns zu organisieren und eine klimafreundliche Politik und Gesellschaft zu bewirken - und um somit zu schützen, was wir lieben."

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