„Für uns steht fest, dass wir das seit 2016 geplante und mittlerweile stillgelegte Projekt Zusammenschluss Pitztal-Ötztal nicht mehr weiterverfolgen.“ So lautete die Reaktion der Pitztaler Gletscherbahnen auf das Ergebnis der Volksbefragung in St. Leonhard. Die Mehrheit der 1.500-Einwohner Gemeinde hat sich im Sommer 2022 gegen die sogenannte Gletscherehe ausgesprochen. Doch schon ein halbes Jahr später ging die Geschäftsführung mit neuen Plänen an die Öffentlichkeit: Das ursprüngliche Projekt soll abgespeckt werden, eine Verbindung ins Ötztal ist nicht mehr vorgesehen. Statt der ursprünglich geplanten drei Seilbahnen soll nun eine Bahn auf das Fernerjoch führen – nur rund 100 Meter Luftlinie vom benachbarten Ötztaler Gletscherskigebiet entfernt. Bleibt der Zusammenschluss vielleicht doch das langfristige Ziel?
Schnee von morgen | Neue Erschließungspläne am Gepatschferner und rund um den Linken Fernerkogel
Sind Erweiterungen von Gletscherskigebieten noch zeitgemäß?
Gleichzeitig haben die Kaunertaler Gletscherbahnen (die von derselben Familie wie das Pitztaler Gletscherskigebiet geleitet werden) einen neuen Anlauf für die seit Jahren angestrebte Erschließung des Gepatschferners gestartet und Pläne für eine Bahn auf das Weißseeköpfl, einen Schlepplift im Bereich des Hohen Zahns und zusätzliche Pistenflächen beim Land Tirol eingereicht.
Aktuell befinden sich beide Projekte im UVP-Feststellungsverfahren, d.h. die Behörde (Land Tirol) prüft, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist. Erweiterungen von Gletscherskigebieten sind dann UVP-pflichtig, „wenn damit eine Flächeninanspruchnahme durch Pistenneubau, Lifttrassen oder Beschneiungsanlagen (einschließlich Speicherteiche) verbunden ist“ (UVP-G 2000, Anhang 1, Z 12 a)). Für die Projektwerber bedeutet dies zwar einen erhöhten Dokumentationsaufwand, gleichzeitig aber auch den Vorteil, dass alles in einem einzigen Verfahren abgewickelt wird. Anerkannte Umweltorganisationen wie der Alpenverein oder auch Bürgerinitiativen haben im UVP-Verfahren Parteistellung und können ihre Argumente einbringen - bei nicht UVP-pflichtigen Projekten haben sie diese Möglichkeit nicht. Mit einer Entscheidung über die UVP-Pflicht dürfte wohl erst Anfang des nächsten Jahres zu rechnen sein. Aufgrund der erwähnten Definition und dem, was bisher über die Projekte bekannt ist (bei beiden Projekten werden Gletscherflächen in Anspruch genommen), wäre es eine Überraschung, wenn die Behörde zum Schluss käme, dass keine UVP notwendig ist. Soweit der aktuelle Projektstand.
Gletscher als Sehnsuchtsorte und Wirtschafträume
Gletscherlandschaften sind der Inbegriff des Hochgebirges, Sinnbild seiner Schönheit und Ursprünglichkeit. Seit dem Beginn des Alpinismus im 18. Jahrhundert üben sie eine starke Faszination auf Bergsteiger*innen aus. Mit dem Aufschwung des Skisports witterten einige Unternehmer bald auch massentouristisches Potential. So entstanden ab den 1960er Jahren österreichweit folgende acht Gletscherskigebiete:
Kitzsteinhorn (Salzburg), eröffnet 1965
Hintertuxer Gletscher (Tirol), eröffnet 1968
Dachsteingletscher (Oberösterreich/Steiermark), eröffnet 1969, Skibetrieb seit der Saison 2022/23 wegen der starken Gletscherschmelze eingestellt
Stubaier Gletscher (Tirol), eröffnet 1973
Gletscherskigebiet Sölden (Tirol), eröffnet 1975
Kaunertaler Gletscher (Tirol), eröffnet 1980
Pitztaler Gletscher (Tirol), eröffnet 1983
Mölltaler Gletscher (Kärnten), eröffnet 1983
(Anmerkung: Bei den hier angeführten Gletscherbezeichnungen handelt es sich um die Namen der Skibetriebe und nicht um geografisch korrekte Benennungen der im jeweiligen Gebiet vorhandenen Gletscher.)
Da sich die meisten Skigebiete in Tirol befinden und die aktuellen Ausbaupläne auch diese Region betreffen, lohnt sich ein genauerer Blick auf die dortigen Verhältnisse: Welchen Stellenwert hat der Gletscherschutz auf gesetzlicher Ebene? Wie verläuft die gesellschaftliche Debatte? Und nicht zuletzt: Was sagt die Wissenschaft über die Zukunft der Gletscher?
Gletscherschutzprogramm oder Gletschererschließungsprogramm?
Nach der großen Erschließungswelle folgte Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre eine Phase, in der die Tiroler Landespolitik dem Naturschutz einen höheren Stellenwert einräumte. Die vom damaligen Landeshauptmann Weingartner ausgerufene dreijährige „Nachdenkpause für Skigebietsprojekte“ fällt ebenso in diese Zeit wie eine Novellierung des Tiroler Naturschutzgesetzes, mit der der absolute Schutz der Gletscher beschlossen wurde. Im Wortlaut hieß die im Jahre 1990 festgelegte Bestimmung: „Jede nachhaltige Beeinträchtigung der Gletscher und ihrer Einzugsgebiete ist verboten“ (LGBl. 52/1990).
Das war gleichbedeutend mit dem Aus für alle Skigebietserweiterungen auf Gletscherflächen. Die Seilbahnlobby gab sich damit aber nicht zufrieden und versuchte, auf die Landespolitik einzuwirken und die strengen Gletscherschutzbestimmungen wieder aufzuweichen, was schließlich im Jahr 2004 auch gelang. Im Zuge einer neuerlichen Novellierung des Naturschutzgesetzes wurde der Grundstein für eine Verordnung gelegt, die im Jahr 2006 als „Raumordnungsprogramm zum Schutz der Gletscher“ (Gletscherschutzprogramm) in Kraft trat und auch heute immer noch gültig ist. Was nach Schutz klingt, ist in Wirklichkeit das Gegenteil: Diese Verordnung dient hauptsächlich dazu, Ausnahmeflächen zu definieren - also Gebiete festzulegen, in denen der Gletscherschutz nicht gilt. Davon betroffen sind im Kaunertal der obere Gepatschferner inklusive Weißseespitze und im Pitztal der Linke Fernerkogel mit seinen drei Gletschern. Die Ausnahmeflächen sind auf den beiden folgenden Kartenausschnitten zu sehen:
Spalten, Bagger und Petitionen
Diese Verordnung hat nicht nur den Gletscherschutz ausgehöhlt, sie ist auch die Ursache für jahrzehntelange Diskussionen: Auf der einen Seite die Naturschutzorganisationen, die diese Ausnahmeregelungen kritisieren und auf der anderen Seite die betroffenen Skigebiete, die darin die rechtliche Legitimation für ihre Ausbaupläne sehen.
In den letzten Jahren hat sich die Diskussion verschärft. Illegale Gratsprengungen, Bilder von Baggerarbeiten am Gletscher, aber auch ein allgemein gestiegenes Umweltbewusstsein haben zu einer verstärkten medialen Präsenz des Themas beigetragen. Über 170.000 Menschen haben die Petition der Bürgerinitiative Feldring gegen die sogenannte Gletscherehe Pitztal-Ötztal unterschrieben und bei einer Umfrage des WWF Österreich im Jahr 2020 sprachen sich rund 90 Prozent der Befragten für einen ausnahmslosen Schutz der Gletscher- und Hochgebirgsregionen vor weiterer Verbauung aus. Die gescheiterten Ausbaupläne im Stubaital (Neustift-Schlick), auf den Feldringer Böden (Hochoetz-Kühtai) oder auch im Malfontal (Kappl-St. Anton) zeigen, dass sich die zivilgesellschaftliche Kritik an Skigebietserweiterungen nicht nur auf Gletscherregionen beschränkt. Während kaum jemand dem gebetsmühlenartig vorgetragenen Argument der Tourismusvertreter*innen - die Branche sei so wichtig und jeder dritte Euro in Tirol werde im Tourismus erwirtschaftet - widerspricht, sind immer weniger Menschen bereit, dieses Argument als Rechtfertigung für jede tourismusrelevante Baumaßnahme zu akzeptieren.
Gletscherschutz auch ohne Gletscher?
Die Gletscher schmelzen schneller als noch vor wenigen Jahren angenommen. Gibt es noch Hoffnung für Mittelbergferner, Karlesferner & Co.? Und was passiert, wenn die Gletscher weg sind - sind die Gebiete dann weniger schützenswert?
Laut Auskunft des Forschungsschwerpunkts Alpiner Raum der Universität Innsbruck wird der Mittelbergferner in den nächsten 30 Jahren rund 80 Prozent seines derzeitigen Eisvolumens verlieren. Am Ende des Jahrhunderts werden nur noch wenige Eisreste übrig sein. Den anderen Ostalpengletschern wird es ähnlich ergehen.
„Man kann nur Dinge schützen, die noch da sind.“ Das sagt Andrea
Fischer, stellvertretende Leiterin des Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung und von Seilbahner*innen oft zitierte Glaziologin.
Sie stellt die Frage, ob ein Gletscher ohne Eiskörper das ist, was
wir schützen wollen. Für viele Naturschützer*innen ist die Antwort
klar: Auch die durch den Gletscherschwund entstandenen
Gletschervorfelder sind schützenswert. Es handelt sich dabei um
hochalpine Urlandschaften, die wohl kaum ein Mensch zuvor betreten
hat. Und auch im Tiroler Naturschutzgesetz beschränkt sich der
Gletscherschutz nicht nur auf den Eiskörper, sondern umfasst auch die
Einzugsgebiete und die im Nahbereich der Gletscher gelegenen Moränen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Gletscherskigebiete spüren den Klimawandel am eigenen Leib. Durch den Gletscherrückgang verändert sich das Gelände stark (siehe Gletschervergleichsbilder). Die Bilder von den Bauarbeiten auf der Weltcuppiste am Rettenbachferner in Sölden zeigen eindrucksvoll, welcher Aufwand betrieben werden muss, um die bestehenden Pisten zu erhalten. Die Kritik daran ist berechtigt, der Vorschlag eines späteren Weltcupauftakts auch. Gleichzeitig muss man sich aber auch eingestehen: Um einen sicheren Skibetrieb in diesem Gelände zu ermöglichen, sind Eingriffe schlicht notwendig. Eine generelle Schließung von Gletscherskigebieten wird wohl kaum jemand wollen. Was sich aber die meisten (angesichts der vielen kritischen Reaktionen und der oben zitierten Petitionen und Umfragen) wünschen, ist eine skitouristische Nutzung mit Augenmaß. Bei 90 Skigebieten, rund tausend Liftanlagen und über dreitausend Pistenkilometern stellt sich die Frage, ob dieses Augenmaß in Tirol bereits verloren gegangen ist. Auch der Alpenverein schätzt die positiven Effekte des Skisports für die persönliche Gesundheit und für den Wirtschaftsstandort und ist daher zurückhaltend mit Kritik an der Existenz bestehender Skigebiete bzw. an Maßnahmen innerhalb der ausgewiesenen Skigebietsgrenzen. Großflächige
Skigebietserweiterungen, wie sie im Kaunertal und im Pitztal geplant sind, stellen jedoch eine klare rote Linie dar. Die Umwandlung weiterer unerschlossener Naturräume in hochalpine Dauerbaustellen ist nicht akzeptabel. Deshalb hat der Alpenverein einen Gegenvorschlag: Die Ausnahmeregelungen sollen aufgehoben und die Gebiete um die Weißseespitze und den Linken Fernerkogel in das angrenzende Ruhegebiet „Ötztaler Alpen“ integriert werden. Schützen statt verbauen. Das wäre nicht nur ein angemessenes Zeichen in Zeiten der Klima- und Biodiversitätskrise, sondern würde auch dem „neuen Selbstverständnis im Tiroler Tourismus“ entsprechen: „Neben den wirtschaftlichen Aspekten werden auch gesellschaftliche und ökologische Aspekte gleichrangig betrachtet und in eine zukunftsfähige Balance gebracht“ (Der Tiroler Weg). Wird dieses Ziel ernst genommen, sollten auch sichtbare Taten folgen.
UPDATE 30.11.2023
Die akutell Petition “NEIN zur weiteren Verbauung von Tirols Gletschern” kann hier unterzeichnet werden: https://mein.aufstehn.at/petitions/nein-zur-weiteren-verbauung-von-tirols-gletschern
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