Zu allererst: Willkommen bei der neuen wöchentlichen Kolumne bei PowderGuide! Bei Schneegestöber stöbern wir nicht nur im Schnee: Die Priorität wird bei aktuell beobachtbaren Prozessen in der Schneedeckenentwicklung und deren Auswirkungen auf die Lawinengefahr liegen – illustriert mit Schneeprofilen und deren Interpretation. Oft werden wir der Sache anhand von Modellbildungen und extremen Vereinfachungen bzw. hyperbolischer Sprache auf den Grund gehen – um den Fokus stärker auf das Wesentliche legen zu können. Daneben gibt es auch sporadisch einen Blick in andere Abteilungen von Winter und Brettlrutschen. Der Schneestöberer behält es sich ebenfalls vor, provokante oder zynische Meinungen einzubauen und freut sich über lebhafte Diskussionen dazu. Am Ende jeden Schneegestöbers werden wir einen Merksatz finden – einfach zum Einprägen. Das war's schon mit dem allgemeinen Blabla. Heute beschäftigen wir uns mit den Lawinen in den ersten Atemzügen der Saison.
Die Ausgangslage
Im Oktober kamen bei zwei Lawinenereignissen in den Zillertaler Alpen insgesamt fünf Menschen ums Leben. Die Tiroler Tageszeitung titelte „Lawinengefahr in Tirol: Situation ist nicht positiv". Die Schlagzeile „Was steckt hinter den Lawinen im Oktober?" verdeutlicht sehr schön eine leider immer wiederkehrende Meinung, die Lawinen im deutschsprachigen Raum oft an die Monate Dezember bis April bindet. Beide Unfälle sind grundsätzlich auf eine Verkettung unglücklicher Umstände zurückzuführen. Vor allem bei jenem am Olperer hätte kaum jemand ohne vorige Schneedeckenuntersuchungen damit gerechnet, dass sich hier bereits eine Schwachschicht derart ausbilden konnte, damit sich ein Bruch darin soweit fortpflanzen kann – trotzdem sind Lawinen um diese Zeit möglich. Dazu gesellten sich der frische Triebschnee und die extreme Steilheit des Nordhanges. Damit sind wir bei den im Herbst primär problematischen Lawinenproblemen:
Neuschnee & Triebschnee
„Fühle & denke wie eine Lawine" ist nach wie vor eine der besten Prämissen, um Lawinengefahr mit bereits vorhandenem Hintergrundwissen auch ohne Lagebericht bzw. Bulletin einzuschätzen. Obwohl es in den Tälern noch (oder: schon) grün ist, hat des wenig bis gar nichts mit dem Zustand von Schnee und seiner Affinität zur Massenwanderung in höheren Gefilden zu tun. Wer auf über 1500m (wie der Schneestöberer) lebt, tut sich da schon etwas leichter mit dem „In-Schnee-und-Lawinen-Hineinversetzen" weil er örtlich näher am Geschehen ist.
Trotzdem sollte man die Frühlingsgefühle oder Herbstdepressionen des Talbewohners möglichst ausblenden und sich mittels Webcams, Wetterstationen, einem guten Wetterbericht und natürlich dem WetterBlog vorab ein genaues Bild der Situation machen und die vorhandenen Daten mit seinem breitbasigen Lawinenwissen vor der ersten Shark-Pow-Shark-Session des noch jungen Winters kombinieren. Dazu denken wir zuerst an Neuschnee und Triebschnee: Wieviel hat es geschneit? Von wo kam der Wind? Wie stark hat er geweht? Wie lang hat er geweht? Und vor allem: Wie viel Zeit bei welcher Temperatur ist vergangen, seitdem sich der letzte Triebschnee bilden konnte?
Schnee ist wie viele andere Materialien spröder, je kälter er ist – einfach ausgedrückt: er bricht leichter. Das heißt je kälter frischer Triebschnee ist, desto leichter kann er gestört werden. Betrachtet man nur das reine Triebschneeproblem ohne Bezugnahme anderer Wechselwirkungen, gilt: Je mehr Zeit nach der Triebschneebildung vergeht, desto unwahrscheinlicher wird eine Störung aufgrund des „Zusammenwachsens" (Sintern) der Schneekörner. Dieser Prozess läuft bei höheren Temperaturen schneller ab.
Deswegen lernt man: Kälte konserviert die Gefahr, Wärme trägt zur schnelleren Setzung und zur Gefahrenabnahme bei. Die Extremfälle reichen von Triebschnee-nur-wenige-Stunden-störbar bis Triebschnee-zig-Tage-störbar. Das Zeitfenster reicht oft (aber halt bei weitem nicht immer!) von einem bis zu drei oder vier Tagen. Im LWD-Tirol Blog liest man zum Unfall am Olperer: „Als Lehre aus diesem Unglück kann einzig mitgenommen werden, dass nach Sturmereignissen zumindest für wenige Tage an die Gefahr von harten Schneebrettern gedacht werden sollte." Egal, zu welcher Jahreszeit!