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Schneegestöber

SchneeGestöber 5 2017/18 | Warum Neuschnee die Lawinengefahr ansteigen lässt

Teile der Alpen versinken im (Neu-) Schnee

von Lukas Ruetz 11.01.2018
Im gesamten Alpenbogen finden wir eine für die Jahreszeit gute Schneelage vor. Regelmäßigen, durchaus beachtenswerten Neuschneefällen sei Dank. Intensive Neuschneefälle erhöhen die Lawinengefahr signifikant. Warum eigentlich?

Neuschnee erhöht die Lawinengefahr. Für Wintersportler und Ureinwohner der alpinen Bergdörfer könnte man diesen Satz fast schon ins Repertoire des Hausverstandes einordnen. Sofern es so etwas wie Hausverstand überhaupt gibt – denn der Mensch ist bezüglich Schnee und Lawinen eine klassische Tabula rasa: Fragt man genauer nach, warum es bei (viel) Neuschnee gefährlicher ist als bei viel Altschnee, ist es mit dem Hausverstand oft nicht mehr so weit her. "Viel Schnee ist einfach immer gefährlicher als wenig Schnee!" so ein durchaus noch häufig zu beobachtender, grundlegend falscher Gedankengang. Ein Beweis für das unbeschriebene Blatt Mensch in Sachen kristallförmiges Eis...

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Wind

Im Hochwinter gibt es Niederschlag meist aus Fronten und im Stau, der konvektive Anteil der Niederschläge ist gering. Fronten und Stauniederschlag bringen Wind und lassen die Lawinengefahr allein schon durch die Ausbildung eines Triebschneeproblems während des Neuschneefalls ansteigen.

Entscheidend: Die Zusatzbelastung & Temperaturschwankungen

Extreme Neuschneemengen über mehrere Tage oder sogar Wochen gibt es ebenfalls nur durch eine Kombination aus Fronten und Staueffekten. Auf eine Kaltfront folgt eine Warmfront, darauf wieder die nächste Störung, usw. Vor allem für die Bereiche nördlich des Hauptkammes sind dafür die atlantischen, feuchten Westwetterlagen verantwortlich, wie vor einer Woche. Für Neuschneemassen südlich des Hauptkammes braucht es einen Tiefdruckkomplex im westlichen Mittelmeerraum, wie wir in diese Woche vorfinden.

Das Neuschneepaket weist hauptsächlich durch das ständige Auf und Ab der Temperatur beim Wechsel von einer Front zur nächsten und deren Einfluss auf die Schneekristalle verschiedene Schichten auf. Gleichsam wie es in einer Altschneedecke verschiedene Schichten gibt.

Ein Beispiel: Bei der Kaltfront lagern sich anfangs kalte, lockere Neuschneekristalle ab. Daraufhin steigt die Windgeschwindigkeit an, es bilden sich auf diesen Neuschneekristallen härtere Triebschneepakete. Dann folgt die Warmfront: Diese lässt große, feuchte Flocken vom Himmel fallen. Eine gebundene, feuchte Schneeschicht lagert auf frischem Triebschnee, beide zusammen bilden das Schneebrett – dieses liegt auf kaltem, lockerem Neuschnee, eine sogenannten Schwachschicht. Ein wohlschmeckendes Rezept für eine Schneebrettlawine! Und das Ganze ohne aufbauende Umwandlung und somit ohne Altschneeproblem!

Große Neuschneemengen: auch ohne Wind ein Problem

Durch die Schwankung der Temperatur bilden sich auch ohne Wind Problembereiche innerhalb des Neuschnees aus. Die kritische Neuschneemenge wird auch unter günstigen Bedingungen spätestens bei 50cm erreicht. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Irgendwo im Neuschneepaket eines anhaltenden Starkschneefalls befinden sich immer Schichten mit lockeren Kristallen. Darüber lagert oft etwas dichterer Neuschnee, der bei höherer Temperatur gefallen ist, somit in kürzester Zeit gebunden ist und damit ein Schneebrett bilden kann. Meist zu finden bei der angesprochenen Abfolge von Kaltfront mit anschließender Warmfront.

Allerdings kann auch ein homogenes Neuschneepaket zum Problem werden: Durch Einstrahlung beziehungsweise steigende Lufttemperaturen beginnt sich der Neuschnee an der Oberfläche zu binden und schneller zu verdichten als der Neuschnee tiefer im Neuschneepaket. Somit beobachtet man ausgesprochen häufig, dass Neuschnee nach Ende des Schneefalls kurzfristig gefährlicher wird als im ganz frischen Zustand. Die oberen Bereiche des Neuschnees beginnen durch die Verfestigung das Schneebrett zu bilden, während tiefere Bereiche etwas länger locker und ungebunden bleiben.

Hauptproblem: Belastung von Schwachschichten im Altschnee

Das Hauptproblem von extremen Niederschlagsereignissen stellt allerdings die abrupte Belastung von bereits vorhandenen Schwachschichten im Altschnee dar. Bei 1m Neuschnee beispielsweise lasten ca. 100kg/m² mehr auf der bisherigen Schneedecke, und das in verhältnismäßig kurzer Zeit. Die Schwachschichten im Altschnee halten diese zusätzliche Belastung unter Umständen nicht aus. Schneit es jedoch 1m Neuschnee in drei Wochen, haben die Schwachschichten Zeit, sich Schneefall für Schneefall „darauf anzupassen“.

Lockerer Pulverschnee dient wenn eingeschneit als Schwachschicht.

Lockerer Pulverschnee dient wenn eingeschneit als Schwachschicht.

Lukas Ruetz

Schnelle Gefahrenabnahme

Große Neuschneemengen setzen sich vor allem durch den eigenen Druck besonders schnell. Außerdem baut sich Neuschnee, der als Schwachschicht fungiert, bei geringem Temperaturgradienten wieder viel schneller ab als das bei Schwimmschnee der Fall ist. Bei der Lawinenkatastrophe von Galtür 1999 mit 38 Toten herrschte wenige Tage nach dem Unglück wieder Gefahrenstufe 2 – mäßig.

Langfristig: Viel Neuschnee bildet eine homogene, stabilere Altschneedecke

Starke Neuschneefälle bilden später einen sehr homogenen Bereich in der Schneedecke. Sie räumen ohnehin schon sehr schwach verfestigte Bereiche im Gelände mit Lawinen aus und bilden eine mächtige Auflage an jenen Bereichen, wo vorhandene Schwachschichten durch die Neuschneelast noch nicht brechen. Dadurch kann man diese Schwachschichten nicht mehr so leicht stören.

Die aufbauende Umwandlung, vor allem in bodennahen Schichten, wird durch den stark verminderten Temperaturgradienten anhand der ansteigenden Schneehöhe abgebremst. Außerdem wird die abbauende Umwandlung von bereits vorhandenen Schwachschichten durch den zusätzlichen Druck gefördert. Und so makaber es klingen mag: Durch die Katastrophenlawinen, die während intensiver Schneefallperioden Schaden anrichten, wird weiter im Bereich Lawinenschutz geforscht und investiert.

Starke Neuschneefälle sind kurzfristig problematisch, langfristig positiv und auf unserer Tabula rasa steht jetzt auch warum.

Merke: Viel Neuschnee kurzfristig gefährlich, eine mächtige Altschneedecke langfristig weniger gefährlich.

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