Woche für Woche sind wir immer wieder auf der Suche nach einem neuen Powder-Mekka. Leicht erreichbar, weitläufiges Gelände und wenig Offpistoholics, das sind unsere Wunschkriterien. Letzte Woche wurden alle drei Punkte noch übertroffen. Wo? In der Wildschönau, dem ruhigen Hochtal inmitten der Kitzbüheler Alpen.
„Wo willst Du hin?“, fragten meine Kumpels erstaunt. „Wildschönau? Wo soll das genau sein!?“ Zugegeben, sie ist etwas versteckt, die Wildschönau, und in Freerider-Kreisen ein gänzlich unbeschriebenes Blatt. Unter Skitouristen sieht das schon anders aus. Schwaigberghorn, Lempersberg und Großes Beil sind beliebte Tourengipfel.
Tag 1: Treffpunkt 11h vor dem Tiefentalhof in Oberau. Der alte Bauernhof ist unser Basecamp für die kommenden drei Tage. Bevor wir los können, muss ich noch die neuen Kohla-Felle auf meine Watea-Latten zurecht schneiden. Dann geht es los. Es schneit. Und das bei -18 Grad! Von Melkstatt im Talschluss aus steigen wir linker Hand in Richtung Feldalphorn. Über die weiten Hänge der Prädastenalm arbeiten wir uns Meter um Meter nach oben. Bei diesen sibirischen Temperaturen ist der erwärmende Aufstieg richtig angenehm.
Am Gipfelgrat nimmt der Wind zu. Mit einem Tuch vorm Gesicht steigen wir die letzten Meter zum Kreuz empor. Unten im Tal liegt die Kelchsau zu unseren Füßen. Selten habe ich warmen Tee so genossen, wie in diesem Augenblick. Obwohl laut der Anzahl der Spuren eine ganze Hundertschaft seit dem letzten Schneefall hier oben gewesen sein muss, finden wir Rider’s Right noch unverspurte Hänge. Nicht schlecht für den Anfang.
Tag 2: -20 Grad. Lift oder doch wieder aus eigener Kraft die Gipfel erlangen? Wir entscheiden uns für die eigene Kraft. Der Lempersberg ist unser Ziel. Mit 2202 Metern dominiert der Lempersberg die Bergkette zwischen Wildschönau und Alpbachtal. Mit ächtzendem Motor schafft es unser Auto auf den Parkplatz der Schönangeralm. Die Alm am Ende der Straße ist der perfekte Ausgangspunkt für die Touren in der Gegend. Großes und Kleines Beil, das Sonnenjoch, die Wildkarspitze und eben der Lempersberg können von hier in rund drei Stunden bestiegen werden.
Spitzkehre um Spitzkehre ziehen wir durch den Waldgürtel hinauf. Gar nicht so einfach mit einem 191 Zentimeter langen Vollblut-Freerideski unter den Füssen. Ja ich gebe es zu: ich bevorzuge einen fetten Ski , mit dem ich beim Aufstieg etwas mehr arbeiten muss, dafür aber im Anschluss ne richtige Bigline in den Schnee legen kann. Das beste am Aufstieg aus eigener Kraft: man bekommt direkt einen Eindruck, wo der Schnee am besten ist und kann sich seine Linie ganz genau heraus suchen.
Gute drei Stunden nach unserem Aufbruch stehen wir am Gipfel. Die Aussicht ist leider inzwischen eingetrübt. Die Sonne, die uns heute Vormittag noch begleitet hatte, ist verschwunden. Kein Problem, uns ist ohnehin die Unterlage wichtiger. Mit einem Freudenausstoß steche ich in den ersten Hang. Turn um Turn sinke ich ein in das weiße Gold. Da ist es wieder dieses Surf-Gefühl. Einfach geil. Der Aufstieg hat sich mehr als gelohnt. Über eintausend Höhenmeter geht es in einem Stück hinab. Über die Höhenloipe gelangen wir zurück zur Schönangeralm, wo wir unseren Energiehaushalt mit einem richtig guten Kaiserschmarrn wieder auffüllen.
Tag 3: Der Blick aus dem Fenster lässt erahnen, dass wir heute blauen Himmel bekommen. So ganz kann ich es noch nicht sagen. Eisrosen haben inzwischen das gesamte Fenster überwuchert. Der Schritt vor die Haustüre bestätigt die Vermutung. It’s Blue Bird Day. Das Thermometer zeigt „nur“ noch fünfzehn Grad unter null. Der kalte Wind lässt die Temperatur aber noch kälter erscheinen als tags zuvor.
Heute lassen wir die Felle zu Hause. It’s Freeride Time. Das Skigebiet Schatzberg wird fast ausschließlich von Familien und Jugendgruppen besucht. Breite Ski sucht man hier vergebens. Aus der Gondel sehen wir in Fahrtrichtung links schon unseren ersten Run.
Mit Schwung geht es hinunter in die Mulde, ehe wir die Ski an den Rucksäcken befestigen. Schultern ist heute nicht angesagt. Zu kalt sind die Ski an den Händen. Teils bis zum Oberschenkel einsinkend marschieren wir hinauf auf das Gipfelplateau des Gern. Die unscheinbare Erhöhung ist Ausgangspunkt für die Abfahrt ins Aschbachtal. Ein Gipfelfoto, dann geht es los. Der konvexe Hang lässt nur erahnen, was auf den nächsten Metern folgen wird. Nichts Wildes, einfach nur Genuss. Mit Speedturns lassen wir es laufen. Rechter Hand erspähen wir versteckt zwischen Bäumen ein Cliff. Ein Drop und weiter geht’s. Almwiese um Almwiese nähern wir uns dem Tal. Erneut sind es rund 1000 Höhenmeter ohne nennenswerte Traversen. Kein Zwischenaufstieg, keine Hindernisse. Einfach nur ein riesiger Natur-Playground mit Pillows, kuppiertem Gelände und kleinen Bachläufen.
Unten angekommen bedarf es nicht mal mehr einem wirklichen Hike. Drei-vier Minuten und schon stehen wir wieder an der Schatzbergbahn. Zeit genug für eine weitere Runde Aschbachtal.
Ja, die Wildschönau hat uns wirklich überrascht. Freeride-Runs gibt es mehr als genug, egal ob man die Felle aufspannen oder nur kurz die Ski auf den Buckel nehmen will. Unser nächstes Ziel haben wir uns auch schon ausgeguckt: das große Beil mit seiner imposanten Steilflanke. Mehr dazu, wenn wir wieder zurückkehren in diesen versteckten Winkel von Tirol.