Jeder und jede, der in Richtung Süden durch und über den Gotthard will, muss an ihm vorbei: Mit 3073 m ist er nichtmal sonderlich hoch, doch er thront mit schwindelerregenden 2500 m majestätisch über dem flachen Talboden des Urner Reusstals. Allein diese Tatsache macht ihn neben seiner Prominenz, Formschönheit und Steilheit zu einem Traumziel. Allerdings zu einem, das man alles andere als geschenkt bekommt!
Wer sich an den Bristen wagt, tut dies vernünftigerweise im Frühling, wenn die Schneedecke schon entsprechend konsolidiert und stabil ist. Ab und zu hört und liest man zwar auch von Befahrungen im Hochwinter, dazu sind aber sehr genau Kenntnisse der Verhältnisse notwendig. Die tageszeitliche Erwärmung im Frühjahr bedingt am notorisch lawinengefährdeten Bristen einen sehr frühen Aufbruch. Als Ausgangspunkt für die Variante "Tagestour" dient das gleichnamige Dorf Bristen auf 770 m im Maderanertal oder das obere Ende der Druckleitungen des Kraftwerks Amsteg auf rund 800 m beim Schiltwald. Bis hierher gelangt man auf einer Forststrasse bequem per PKW, biwakiert und startet frühmorgens um 03:30 Uhr. Wer es etwas geruhsamer mag, steigt am Vortag zum Bristenstäfeli auf 1519 m hinauf und übernachtet in der gemütlichen, unbewarteten aber perfekt ausgerüsteten Hütte (wir wählten die Biwak-Variante im Schiltwald).
Aufstieg
Im Schein der Stirnlampe folgt man mit aufgebundenen Skis dem Bergweg via Hagglisberg und durch den steilen, gleichnamigen Wald zum Bristenstäfeli. Ab hier liegt Ende März normalerweise eine geschlossene Schneedecke. Man folgt weiterhin dem Sommerweg über den markanten Geländerücken zur Alp Blacki, 1868 m. Harscheisen leisten von nun an gute Dienste über die steilen und hartgefrorenen Hänge von Alt Stafel hoch zum Plateau des Bristensees auf ca. 2100 m. Doch das flachere Intermezzo ist nur von kurzer Dauer: denn vor einem bäumt sich der markante N-Kessel des Bristen immer steiler auf. So weit es geht, reiht man Spitzkehre an Spitzkehre bis es endgültig zu steil wird. Hart arbeitend gewinnt man weiter an Höhe durch bis zu 50° steiles felsdurchsetztes Gelände und erreicht den NE-Grat zwischen Rot Bristen und dem P. 2946 m auf ca. 2850 m. Nach mehr als 2000 Höhenmetern Aufstieg ist dies kein schlechter Ort, sich eine kurze Pause zu gönnen. Exponiert gehts weiter auf dem Grat zum Vorgipfel, 2946 m, wo mit gutem Gewissen die Ski deponiert werden können. Vom Gipfel zieht nur das sagenumwobene und komplexe Urinelli-Couloir geradewegs nordwestseitig ins Reusstal. Die Anzahl er Befahrungen lässt sich wohl an einer Hand abzählen... Auch ohne Ski auf dem Rücken ist der Schlussaufstieg über den Nordgrat kein Spaziergang. Einige ziemlich exponierte Stellen mit atemberaubenden 2400 m Tiefblicken fordern noch einmal, bevor es nach fast 2300 Höhenmetern und sieben Stunden nicht mehr höher geht. Der Blick reicht geradewegs vom hochwinterlichen Gipfel ins frühlingshafte Urner Reusstal 2500 m tiefer. Und dies bei gerade mal vier Kilometern Horizontaldistanz! Doch nun gilt es, fast ebenso viele Höhenmeter sicher im Abstieg bzw. Abfahrt zu bewältigen.
Abfahrt
Der Fußabstieg zum Skidepot auf 2946 m ist noch etwas anspruchsvoller als der Aufstieg, doch dann kann endlich auf Ski-Modus umgestellt werden! Die direkte Einfahrt in den N-Kessel unterhalb des Vorgipfels ist durch eine Kaskade von Felsriegeln versperrt, also kann man sich dem NE-Grat zuwenden und entlang der Aufstiegsspur abfahren, wobei fahren wohl zunächst eher Abrutschen auf dem schmalen Grat gleichkäme.
Variante
Wir entschieden uns daher gegen diese offensichtliche Route zu Gunsten der Umgehung via W-Flanke und NW-Grat. Diese ist äußerst exponiert, sehr steil und erfordert einen kurzen Bootpack zurück auf den NW-Grat. Es ist vorteilhaft, wenn man die Linie vom NW-Grat in den N-Kessel während des Aufstiegs studiert hat, denn einige Felsbänder erschweren die Routenfindung. Dafür ist die Abfahrt in den markanten N-Kessel vom NW-Grat noch einmal ein steiler Leckerbissen mit beeindruckenden Tiefblicken. Mit etwas Glück genießt man diese aufregenden Höhenmeter in stabilem, gesetztem Pulver. Bis zur Verschnaufpause in der Ebene des Bristenseelis sind es noch einmal 500 Höhenmeter über die nun abflachenden Hänge des N-Kessels. Via die steilen und bei optimalem Timing butterweich aufgesulzten Hänge von Alt Stafel und Zigerblätz cruised es sich angenehm zurück nach Bristenstäfeli. Das Timing ist wirklich entscheidend, denn ist man zu spät dran, befindet man sich unvermittelt in klassischen Lawinenhängen. Vom Bristenstäfeli kann man mit etwas Glück auf den letzten Schneeresten des Bergweges noch so manchen Höhenmeter vernichten. Irgendwann beenden mit Bestimmtheit zaghaft blühenden Wiesen das Skivergnügen und man erfreut sich nun nicht nur an diesen Frühlingsboten, sondern vor allem an der soeben vollbrachten Leistung!
Zusammenfassung
Schwierigkeit (5-stufige Skala): *****
Besondere Gefahren: sehr steile, lawinengefährdete Hänge / tageszeitliche Erwärmung, Exponiertheit, sehr lange und physich wie psychisch fordernde Tour!
Durchschnittliche und Maximale Steilheit: 35-40° | 50°
Exposition: NE-N-NW-W
Höhe Start und Ziel: 800m | 800m
Höhenmeter bergauf und bergab: 2300 m | 2300 m
Dauer: 9 bis 10 Stunden total
Beste Jahreszeit: Ende März bis Mitte Mai