Der WetterBlog beginnt die Saison mit einer Entschuldigung: Er hat nämlich das Alpenwetter in letzter Zeit nicht verfolgt, weil er eine Weile auf Dienstreise im Himalaya war und dort weder Internetzugang noch entsprechende Muße hatte, erst seit kurzem wieder da ist und in abzuarbeitenden E-Mails und sonstiger Arbeit ersäuft. Ja, genau, das sind Ausreden. Da Kollege Orakel hierzulande alles bestens im Griff zu haben scheint und der WetterBlog mental noch nicht ganz wieder angekommen ist, geht es diesmal jedenfalls um eine andere Gebirgsregion.Nepal besteht zum Großteil aus Bergen. Gebirge und Hügelland machen einen noch größeren Anteil der Landesfläche aus als in Österreich oder der Schweiz. Die Berge verlaufen mehr oder weniger von Westen nach (Süd)Osten. Während der Alpenhauptkamm als Wetterscheide fungiert, lebt der Himalaya auf weit größerem Fuß und darf sich Klimascheide nennen. Er blockiert trockene, arktische Luft aus dem Norden ebenso wie den Monsun aus dem Süden. Nördlich herrscht ein arides Gebirgsklima (Tibet/China), südlich (Indien) ist es warm, feucht und vor allem vom Monsun geprägt. In Nepal kann man im allgemeinen davon ausgehen, dass es in der Regenzeit regnet und sonst nicht. Der WetterBlog wurde mehrfach von einheimischen Kollegen gefragt, wann in Europa eigentlich Regenzeit ist. Die Antwort – alle paar Tage – rief Reaktionen von Zweifel bis Fassungslosigkeit hervor.
Wenn man sich Nepal auf der Landkarte anschaut, oder sogar wenn man in Pokhara in einer Strandbar sitzt, umgeben von westlichen Trekkingtouristen, Marihuana-Dunst und den greatest Hits of Woodstock, könnte man meinen, dass es hier eigentlich gar nicht so anders ist wie in den Alpen, abgesehen von der etwas gewöhnungsbedürftigen Regenzeit.
Im Gegensatz zu den Alpenländern handelt es sich bei Nepal jedoch um ein sogenanntes Entwicklungsland. Man könnte sich jetzt beispielhaft alle möglichen Lebensbereiche aussuchen, um zu konkretisieren, was das heißt, aber wir wollen beim Wetter und dem Bergsport bleiben.
Zyklon Hudhud
Die extremen Regenfälle in den Südalpen während der letzten Zeit haben wir als PowderAlarm wahrgenommen und als tägliche Meldungen in Radio und Fernsehen. Neben den sowieso allgegenwärtigen Wetterberichten gab es spezielle Unwetterwarnungen. Sportliche Aktivitäten wurden darauf abgestimmt – überhaupt schauen wir ja meistens nach dem Wetter, bevor wir irgendwas unternehmen. Nepal wurde Mitte Oktober von den Ausläufern von Zyklon Hudhud gestreift und in einigen Bergregionen schneite es in der Folge in kurzer Zeit sehr viel. Auch das war grundsätzlich nicht unerwartet und durchaus vorhersagbar. Trotzdem starben mindestens 43 Menschen, die zum Wandern in den Bergen waren. Etwa die Hälfte der Toten waren ausländische Trekker, der Rest einheimische Träger und Trekkingguides. 518 Menschen, davon 304 Ausländer, mussten in über 70 Hubschrauberflügen aus dem Schnee gerettet werden (Quelle).
Was ist passiert?
Zyklon Hudhud war schon eine internationale Schlagzeile wert, bevor er die Küste Indiens erreichte. Wirbelstürme im Golf von Bengalen hatten in der Vergangenheit desaströse Auswirkungen in Indien. 1999 starben bei einem solchen Sturm 10.000 Menschen. Indien ist bezüglich tropischer Wirbelstürme sensibilisiert, es gibt Frühwarnsysteme und flächendeckende Evakuierungen. Hudhud und auch Phailin zur gleichen Zeit letztes Jahr sorgten in Indien für große Verwüstung, Tote gab es gemessen an der Stärke der Zyklone aber nur wenige, weil das Warnsystem funktioniert.
Bereits am 8. Oktober warnen die großen indischen Zeitungen vor Hudhud. Die Zugbahn wird mit hoher Genauigkeit vorhergesagt. Am 9. Oktober gibt es erste Prognosen, aus denen hervorgeht, dass die Nepalesische Entwicklungsregion Mittelwest betroffen sein wird, allerdings nicht in Nepalesischen Medien. Am 10. Oktober wird Hudhud offiziell zu einem Sturm der Kategorie 3. Am 11. Oktober erreicht er in Vishakapatnam die indische Küste, weltweit wird am 11. und 12. Oktober darüber berichtet. Am 13. Oktober gibt es im Nepalesischen Fernsehen Hinweise, man möge eventuell seine Ernte einbringen, da Regen oder Schnee bevorstehen. Die Wettervorhersage der großen Zeitung Republica lautet „Allgemein bewölkt, kurze Regenschauer und Gewitter möglich in manchen Gebieten im Osten und im Zentralbereich sowie in ein paar Bereichen im Westen.“
Am 14. Oktober beginnen Trekker auf der beliebten Annapurnarunde zum Thorung La Pass aufzusteigen, obwohl es bereits schneit. Die Medien berichten von Regen, der von Hudhud verursacht wird. Schnee und extreme Niederschlagsmengen werden nicht erwähnt, es gibt keine expliziten Warnungen.
Die Annapurnarunde ist eine unschwierige Wanderung, das einzige Problem ist üblicherweise die Höhe. Der Thorung La Pass ist mit etwa 5400 m der höchste Punkt. Auf dem Weg gibt es Lodges und Teehäuser, kaum jemand hat hier Zelt und Kocher dabei. Viele Trekker suchen in einer kleinen Teehütte am Pass Schutz vor dem Schnee, allerdings ist die Hütte schnell voll und manche entscheiden sich, abzusteigen. Das kostet viele das Leben. In der Nähe des Thorung La sterben die meisten Menschen, weitere Tote gibt es in der Nar-Phu Region, am Dhaulagiri Basecamp und in der Nähe von Dolpa. Die Hauptursachen waren wohl Lawinen und Unterkühlung sowie Kohlenmonoxid-Vergiftungen. Letzteres passiert, wenn man in nicht belüfteten Zelten kocht.
Und was will uns der WetterBlog mit all dem sagen?
Vielleicht einfach nur, dass wir manchmal daran denken sollten, wie privilegiert wir eigentlich sind. Oder dass man sich vor Augen halten sollte, wo man eigentlich hinfährt, wenn man auf Reisen geht. Nepal lebt, etwas überspitzt ausgedrückt, von Tourismus und Entwicklungshilfe. Bergsport ist hier alles andere als Breitensport. Es gibt zwar eine historische Bergkultur, die hat aber viel mit Überleben in landwirtschaftlichen Siedlungen auf 5000 Metern zu tun und sehr wenig mit Gipfelsiegen als Freizeitbeschäftigung. Die moderne Bergkultur ist in erster Linie eine Dienstleistungskultur. Es gibt sehr erfahrene einheimische Guides, es gibt aber auch viele Guides und Träger, die selbst von kleinen Problemen oder Überraschungen am Berg völlig überfordert sind. Als ausländischer Besucher möge man daran denken, dass man eine gewisse Verantwortung für sich und andere hat und den angeheuerten Träger, der in Flipflops und T-Shirt 30 Kilo auf 5000 Metern herumträgt, nicht als mythischen Sherpa-Gott verklären.
Und was passiert mit dem hiesigen Wetter?
Sonne und kein Neuschnee voraussichtlich bis einschließlich Wochenende. In den vom Orakel behandelten Gebieten liegt bereits eine mehr als brauchbare Basis und auch an den österreichischen Gletschern wird es so langsam, allerdings sind die Verhältnisse dort eher so, wie man sie Mitte November erwarten würde. Zur Erinnerung: Wenig Schnee und Frühwinter heißt nicht, dass es noch keine Lawinen gibt.
Mehr zur Lage in den Alpen nächste Woche. Versprochen.