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Abenteuer & Reisen

Anno dazumal Teil 3 | Schneeschuhfahrten in den Hohen Tauern

Teil I - Große Namen und lange Abfahrten

von Bettina Larl 02.01.2017
Der dritte Artikel aus der Reihe Anno dazumal führt uns in die Hohen Tauern des beginnenden 20. Jahrhunderts. Hans Skofizh und Franz Tursky berichten im Artikel "Schneeschuhfahrten in den Hohen Tauern" aus dem Jahr 1913 von Touren auf das Schareck, die Hohe Riffl und die Granatspitze. Bei den Abfahrten handelte es sich wohl um einige der ersten Skiabfahrten in den Hohen Tauern.

Schneeschuhfahrten in den Hohen Tauern - Teil I

von Hans Skofizh und Dr. Franz Tursky

(T.) Kaum zwei Dezennien sind verflossen, seit die Kunde von den ersten Versuchen über die Verwendbarkeit der Schneeschuhe im Hochgebirge in die Öffentlichkeit drang. Heute weist die Literatur schon eine ganze Reihe von Schilderungen winterlicher Gletscherfahrten auf, die alle Zeugnis geben von den Erfolgen, die in dieser kurzen Spanne Zeit errungen wurden. Jahr für Jahr wächst die Zahl derer, die den alten Zustand des Urwüchsigen, Reinen und Unversehrten aufsuchen, den die Berge im Winter noch immer bewahrt haben. Diesen begeisterten Anhängern unseres alpinen Schneeschuhlaufes manchen Wink zu geben, soll die Aufgabe dieser Arbeit sein.

Die Hohen Tauern bieten Gelegenheit zu einer großen Anzahl genußreicher Schneeschuhfahrten. Mächtige, sanftgeneigte Gletscherströme und bis zum Gipfel oder doch hoch hinauf mit den Gleithölzern zu befahrende Berge machen sie darin ihren zwar besuchteren Ötztaler Rivalen, die ihnen aber an landschaftlicher Großartigkeit sowie Länge der Abfahrten vielfach nachstehen, mindestens ebenbürtig. Die für den Schialpinisten schönsten und bedeutendsten Touren in dieser ausgedehnten Bergwelt sollen in den folgenden Zeilen geschildert werden.

Von den Unterkünften in den Hohen Tauern, die für winterliche Hochtouren in Betracht kommen, sind nur der Tauernhof in Kolm-Saigurn und im beschränkten Maße das Zittelhaus auf dem Hohen Sonnblick bewirtschaftet. In allen andern Gebieten ist der Winterbesucher auf die einsamen Schutzhütten angewiesen, die meist mit Holz, nicht aber mit Mundvorrat versehen sind. Die Mehrarbeit, die ihm aus diesem Umstande erwächst, wird aber durch die sittlichen Werte der Unabhängigkeit und Freiheit vielfach wettgemacht und er gewinnt dadurch ein Stück jener abenteuerlichen Romantik zurück, die für den Sommerbesucher schon lange verloren gegangen ist.
Einige Worte über die Zugänge seien noch vorausgeschickt: Die nach Norden geöffneten Täler, die alle an den Bahnlinien der Salzach münden, verdienen gegenüber den entlegenen, reichverzweigten Nebentälern der Drau den Vorzug. Besonders die verhältnismäßig geringe Länge und die leichte Erreichbarkeit von den Städten am Nordsaume der Alpen bewirken es, daß fast nur diese Zugänge benützt werden. Für die Goldberggruppe ist noch die Überfahrt aus dem Gasteiner Tal, die sich auch vorteilhaft zu einer Gipfeltur auf den Silberpfennig gestalten läßt, von Belang. Mallnitz an der Tauernbahn ist ein leicht erreichbarer und günstiger Ausgangspunkt für Türen in der Ankogelgruppe. Nur auf diesen Wegen ist es möglich, ohne zeitraubende Postfahrten schon an einem Tage hochgelegene Stützpunkte in den einzelnen Gruppen zu erreichen, so daß sich auch mit einem nur zweitägigen Zeitaufwande Türen ausführen lassen, die Abfahrten bis zu fast 3000 m Höhe bieten.

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SCHARECK, 3131 m

(T.) „Einen solchen Tag, wie gestern beim Anstieg auf den Sonnblick, bekommen wir nicht wieder; heute müssen wir eilen, wenn wir nicht ganz auf diese Tour verzichten wollen", rief ich meinem Gefährten zu, als wir tags darauf vor der Eingangstür unsere Schneeschuhe anschnallten. Das Wetter war noch nicht ungünstig, aber der Westwind, der dort oben die Wolken peitschte, die warme Luft, die uns umgab und den Schnee schon frühmorgens erweicht hatte, das waren Anzeichen, die nie trügen.

Auf schon bekannter Route stiegen wir durch das „Maschinental" zum Neubau auf und wendeten uns dann über das felsfreie, hindernislose Gelände der Fraganter Scharte zu. Während der ganzen Auffahrt „markierte" ich mit den Doppelstücken so gut es nur ging den Anstieg, um uns auch dann noch eine flotte Fahrt zu sichern, wenn etwa neidische Nebel uns wieder um diesen Genuß bringen wollten. Mühelos kamen wir über metertiefen Firnschnee mit einigen wenigen Kehren, bei deren Anlage zugleich auch ihre Benützung zur Talfahrt berücksichtigt wurde, vollends auf die Scharte. Vor uns lag das Wurtenkees, das in sanftem Gefälle vom Firngiebel des Scharecks herabzieht, nur durch eine unbedeutende Einsenkung von uns getrennt. Über diese hinweg fuhren wir vorerst gegen den Weinflaschenkopf zu und gelangten unter diesem vorbei auf den Gipfel des Scharecks.

Der schöne Tiefblick ins Naßfeld und der Blick auf den Ritterkopf, den Hocharn und den Sonnblick mit seiner Hochwarte gaben Bilder und Eindrücke, die mir tief in Erinnerung blieben. Aber fast mehr noch als die großartige Bergwelt, der Ausblick auf die Umgebung und die Fernsicht, fesselte das Wurtenkees meine Blicke. Immer und immer wieder überflog ich die eisig glitzernde Schneeschuhbahn zu unseren Füßen, in der keine Steilstufe, kein Fels die fliegende Talfahrt zu stören schien. Da gab's für uns kein Verweilen mehr, sausend ging's vom Gipfel hinweg in den stäubenden Schnee. Schwung folgte auf Schwung, hoch wirbelte der Schneestaub auf, immer schneller, rasender wurde die Fahrt, bis wir endlich knapp unter der Fraganter Scharte zum Stillstehen kamen. 400 m Höhe hatten wir in wenigen Minuten aufgegeben. — Wir stiegen nun das kurze Stückchen zur Scharte bergan, um jenseits das jagende Spiel wieder von neuem zu beginnen. So sehr hatte die Fahrt unsere Sinne gefangen, daß wir gar nicht nach dem Wetter ausschauten und auf einmal ganz unerwartet in dicken Nebel gehüllt waren. Wir hielten eine kurze Rast, um zu warten, ob der graugelbe Dunst, der uns umgab, nicht weichen wollte, entschlossen uns aber bald zur Weiterfahrt, da wir Schneefall fürchteten. Wie angenehm waren jetzt die mit den Stöcken in den Schnee eingezeichneten Marken und unsere Aufstiegspuren, die teilweise noch gut sichtbar waren! Diesen Zeichen entlang schossen wir in das vollständig undurchdringliche Grau des wogenden Nebelmeeres hinab. Der Neubau zog schemenhaft an uns vorüber, in toller Gleitfahrt sausten wir in das Maschinental; dann noch einige Schwünge und Bogen und der Talboden war erreicht. Nach kaum einstündiger Fahrt legten wir vor dem Hochtauemhof unsere Schneeschuhe ab. Welch ein Unterschied liegt in solcher, dem Vogelflug gleichenden Abfahrt gegenüber dem Abstieg des Fußgehers! — Als wir eine Weile später zum Fenster hinausblickten, sanken ungezählte Schneeflocken in nimmermüdem Wirbeltanze zur Erde herab.

Das Schareck bietet wohl die schönste Fahrt in der Goldberggruppe und wer sich bei der Wahl seiner Winterziele von der Eignung des Geländes allein leiten läßt, wird diesen Berg bevorzugen. Wer aber auch Sinn für eine wohlgeordnete, überwältigende Rundschau hat, dem wird der Sonnblick noch mehr bieten.

GRANATSPITZE, 3085 m, LANDECKER SONNBLICK, 3087 m

(S.) Nach einer nächtlichen Bahnfahrt von Wien und einer einstündigen Wagenfahrt von Uttendorf im Stubachtale trafen Herr Ing. Assanek und ich am Morgen des 2. Juni 1911 beim schmucken Wirtshaus in der Schneiderau ein. Wir wünschten dem Wirte, daß er nicht abergläubisch sei, denn sonst müßte ihm die geringe Zeche der ersten Saisongäste noch sorgenvolle Stunden bereitet haben. Nach einfachem Frühstück verließen wir die gastliche Stätte und wanderten taleinwärts der Rudolfshütte zu. — Vom Großvenediger und vom Hohen Sonnblick aus hatte ich all die herbe Schönheit der Glockner- und Granatspitzgruppe in ihrer Winterpracht bewundern können und unwiderstehlich zog es mich hin nach dem Zauber, den der Winter in seinen letzten Bollwerken so reichlich entfaltete.

Allein der angebrochene trübe Morgen, der sich von seinen Vorgängern nur dadurch unterschied, daß er voraussichtlich seine feuchten Schönheiten etwas später zu zeigen beabsichtigte als diese, war so recht geeignet, unsere Siegeszuversicht nicht gerade bis zum Gipfel des Großglockners emporwachsen zu lassen.
Von den Schönheiten des »Fischerweges", der uns längs der schäumenden Ache durch prächtigen Hochwald zu den anmutigen Almen des Enzingerbodens mit seinen vormärzlichen Landschaften führte, von dem von Schnee umgrenzten, verträumten Grünsee zwischen seinen ragenden Wänden, mit all der schwermütigen Schönheit eines kleinen Hochsees und dem zur Rast einladenden Französach-Jagdhause in winterlicher Umgebung will ich hier nicht erzählen. Denn dies wäre zu stark im Widerspruche mit unserem Geknurre über diesen "Schinder", wobei zugestanden werden muß, daß die Unparteilichkeit unseres Urteiles ebenso wie wir selbst durch das Gewicht der Schier und Pickel, des Seiles, des achttägigen Proviants, der Steigeisen, sowie durch den Regen und Schnee peitschenden Gegenwind und dergleichen Kleinigkeiten mehr doch erheblich herabgedrückt war. Nach Überwindung der letzten Steilstufe »Im Winkel", die bei nur einigermaßen ungünstigen Schneeverhältnissen lawinengefährlich ist, konnten wir dauernd die Schier verwenden. Nach fünfeinhalbstündigem Marsche erreichten wir bei heftigem Schneesturm die in tief verschneiter Umgebung reizend gelegene Rudolfshütte, 2242 m.

Dort hatten unsere Vorgänger (wie wir im Tale erfahren haben, waren es Jäger) bereits dafür gesorgt, daß uns der Rest des Tages durch Reinigen und Ordnungmachen recht schnell verging. Für die weitere Unterhaltung sorgte ein kleiner Eisenofen, der, obwohl selbst recht gefräßig, für unseren Hunger und Durst wenig Verständnis zeigte, uns viele Mühe verursachte und sich in seiner Bauart als wenig praktisch erwies. Aber sonst war es in der Rudolfshütte sehr gemütlich.

Die Schönheit des nächsten Morgens trieb uns früh hinaus. Granatspitze und Landecker Sonnblick waren unser Ziel. Blendender Neuschnee und tiefblauer Himmel, von dem sich die umliegenden Spitzen mit ihren wehenden Schneefahnen und schneidigen Graten scharf abhoben, ließen uns bald die von gestern noch schmerzenden, verschwollenen Schultern vergessen. Nach kurzer Schußfahrt zum Ufer des verschneiten Weißsees wendeten wir uns, in der Wahl unserer Anstiegsroute den zahlreichen Lawinengängen Rechnung tragend, dem Tauernkogel zu und gelangten, an dessen Nordhängen weit unten nach Westen querend, in die steile Mulde, die zum Sonnblickkees hinaufleitet. Bald war sie durchfahren und wir erreichten mühelos den Gletscher. Hier war der Neuschnee weggeweht und wir zogen unsere Spur in einer breiten Gasse zwischen den Eisbrüchen auf festem Firn bergan, hielten dann in einer Höhe von beiläufig 2700 m die Sommerroute ein und gelangten nach dreistündigem Anstieg zur Granatscharte, 2967 m, von wo man nach einer halben Stunde pikanter Kletterei über den Südgrat den Landecker Sonnblick erreicht.

Heftiger Südwestwind, der uns schwere Wolken eilig zutrieb, ließ uns nicht lange den herrlichen Rundblick bewundern, von dem uns die elegante Pyramide des Großvenedigers im Westen, der Hocheiser und das Kitzsteinhorn im Osten besonders auffielen. Von der Granatscharte querten wir dann schräg aufwärts gegen den Ostgrat der Granatspitze, der eine höhere Auffahrt mit den Schiern gestattete als der nähere Nordwestgrat. Nach einviertelstündiger, ganz netter Kletterei über vereisten und verschneiten Fels erreichten wir den Gipfel.

Unterdessen hatte der Wind an Heftigkeit zugenommen und ein Unwetter, dessen Nahen wir ungern beobachtet hatten, mußte nun bald bei uns sein. Eilig kletterten wir daher unseren Brettern zu, nahmen rasch einen Imbiß und machten uns dann zur Abfahrt bereit. Und nun ging es in flotter, herrlicher Fahrt in den Spuren des Aufstieges über den Gletscher hinunter. Als wir dann erst die Eisbrüche hinter uns wußten und weite, übersichtliche Hänge vor uns hatten, da ließen wir den Brettern freien Lauf und freuten uns der herrlichen Schußfahrt. Aber bald trat ein Wechsel in der Schneebeschaffenheit ein. Warmer Regen hatte hier unten den Schnee wässerig und tückisch weich gemacht, so daß wir sehr aufmerksam fahren mußten. Da kam die steile Mulde, die wir im Aufstieg benützt hatten. Mein Gefährte blieb stehen, warf einen sehnsüchtigen Blick auf die weit unten sichtbare Hütte, einen gehässigen auf den Schnee, streckte den Pickel weit von sich und glitt, nein raste in gerader Schußfahrt die Mulde hinunter! Erleichtert atmete ich auf, als ich ihn wohlbehalten unten stehen sah und erkannte, daß sein Pickel eine innigere Vereinigung mit ihm abgelehnt hatte. In kurzen Schwüngen folgte ich nach. Nach dreiviertelstündiger Abfahrt erreichten wir die Rudolfshütte.

Diese Tur kann unter normalen Verhältnissen weder als anstrengend noch als technisch besonders schwierig bezeichnet werden und wird durch ihre Schönheit den Bergsteiger wie den Schimann im gleichen Maße befriedigen.

OBERE ODENWINKELSCHARTE 3219 m, HOHE RIFFL, 3346 m, GROSSER BURGSTALL, 2965 m

(S.) Am nächsten Morgen hielt das Unwetter mit unverminderter Kraft an. Heulend tobte der Sturm und jagte phantastische Nebelgebilde in rasender Eile über den düsteren Odenwinkel. Der Aufstieg über die Obere Ödenwinkelscharte zum ersehnten Standquartiere, der Oberwalderhütte, mußte deshalb verschoben werden.

Mittags wurde es dann schön, wunderschön sogar. Ein kleiner Bummel auf den Schafbühel, 2350 m, den „Hüttenberg", vermittelte uns einen schönen Rückblick auf unseren Anmarschweg und auf den Tauernmoosboden. Die dann folgende ebenso schöne als kurze Abfahrt zur Hütte veranlaßte uns, den Bummel in der Umgebung der Hütte zu verlängern. Sonnige Lenzerei auf dem Dache der Hütte, die auf der Nordseite noch so hoch verschneit war, ließ uns dann die ernste Schönheit der Umgebung mit Muße genießen, bis die violetten Schatten des entschlummernden Tages die Gletscher färbten. Aus zartem Dunstschleier lugten die Spitzen herunter. Über den weißen Firngraten des Hocheisers und der Riffl schimmerte noch eine letzte Welle scheidenden Lichtes. Hochtreibendes Gewölk leuchtete in allen Farben. — Bei duftendem Tee und gemütlichem Plausch wurde der unfreiwillige Rasttag dann im warmen Kochraume beendet. —

Am folgenden Morgen hielten wir um 3 Uhr Tagwache. Eine Stunde später waren die nötigen Hüttengeschäfte besorgt und nach kräftigem Frühstück lenkten wir unsere Brettel dem Ödenwinkelkees zu.

Im fahlen Morgendämmerlichte sahen wir hoch oben im Ödenwinkel die dichten Nebel wallen. Ein frischer Ostwind drängte zu wärmespendender Bewegung. Wir folgten der Sommerroute, die über eine beiläufig 80 m hohe Wand zum Ödenwinkelkees hinabführt. Dieses Stück erforderte viel Aufmerksamkeit. Denn wo tagsüber das Schmelzwasser über plattigen Fels und steiles Gras hinunterrieselte, dort trafen wir glasiges Eis. Und die steilen Rinnen, die im Sommer auf gutem Steiglein überquert werden, erwiesen sich noch als tückische Schneekehlen, in denen fahrtfrohe Steine ihre eiligen Bahnen zeichneten. Die wenigen Eisentritte des Sommerweges waren nicht benützbar. Mit großer Vorsicht, die Schier karabinerartig umgehängt und bei jedem Schritte peinlich auf die Erhaltung des Gleichgewichtes bedacht, querten wir nach rechts abwärts. Im letzten Stücke konnten wir durch Aushängen an hübsch „glasierten" Griffen, deren Reinheit weniger trügerisch war als deren Festigkeit, rascher abwärts kommen und fuhren dann über die kurze, steile Schneehalde zum Gletscher hinab.

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Bei ungünstigeren Verhältnissen müßte man dieses Stück wohl umgehen, den Weg zum Kapruner Törl bis beiläufig zu seinem tiefsten Punkte verfolgen und dann von Norden in das Ödenwinkelkees einfahren. Der Versuch, nach kurzer Querung unter den Ostwänden des Punktes 2487 der Alpenvereinskarte über ein Schneefeld bei Punkt 2348 auf das Ödenwinkelkees abzufahren, dürfte ein befriedigendes Ergebnis bringen. Dieser Weg wäre bei geringstem Höhenverluste der kürzeste und dürfte, soweit wir ihn vom Ödenwinkelkees auskunden konnten, eine ausgiebigere Verwendung der Schier gestatten.

In sanfter Steigung ging es dann auf dem Gletscher empor. Fast bedrückend wirkt hier die wilde Schönheit des Ödenwinkels. Himmelhohe Wände zur Rechten, mächtige Eisbrüche vor uns, aus deren schillernden Eisgebilden sich deutlich die tiefen Schatten ihrer lauernden Klüfte abheben und darüber wieder wilde, neuschneebedeckte Wände. Und zur Linken lugen über drohender Wand weite, steile Firnfelder zwischen mächtigen Felsrippen herab, noch weiter links in das wildzerklüftete Rifflkees übergehend. Und über diesem mächtigen Rundbau hebt sich hoch oben, schier unerreichbar hoch, eine feine, silberglänzende Linie vom nunmehr hellen Himmel ab, die ragenden Spitzen und schlanken Grate miteinander verbindend. Da, ein kurzes Aufblinken dort oben, ein leises Zittern huscht über die glitzernden Firne und in leuchtendem Golde stehen die schneeigen Spitzen in lichtumflossener Höh'. — Ergriffen stehen wir Menschlein dort, tiefinnerst bewegt von der Erhabenheit des Anblickes und bezaubert von seiner Schönheit.

Dort oben, die überwächtete Scharte zwischen Riffl und Johannisberg ist unser nächstes Ziel. Als überraschend gutmütig entpuppt sich die Wand, die vom Gletscher aufsteigt. Eine prächtige Terrasse, die hinter einem Felspfeiler hübsch versteckt beginnt, vermittelt den Durchstieg. Dann betritt man gut befahrbare Firnhänge, bis im letzten Drittel der Höhe die zunehmende Steilheit und Vereisung zum Ablegen der Schier zwingt. Und dann beginnt ein abwechslungsreiches Bergansteigen: Vereister Fels und eisharter Firn, dessen steile Flächen die Spuren der tagsüber niedergehenden Lawinen tragen, bringen Steigeisen und Eishacke wieder in ihre Rechte. Eine kleine Firnkanzel bietet hinlänglich Sitzgelegenheit. Schier und Rucksäcke werden vorsichtig verankert und die Rückenbelastung um die Steigeisen und einen kleinen Imbiß verringert. Wenig erfreulich ist es aber bei einer solchen Rast, wenn der eine entdeckt, daß seine Schneehaube im Kasten in Wien liegt, und der andere mit kältestarren Fingern sich vergebens abmüht, die Steigeisengurten zu schließen, die für die Winterschuhe viel zu kurz sind. Bald sind wir wieder unterwegs. Stufe um Stufe bringt uns aufwärts. Wir bemerken nicht mehr die Schollen, die in lustigen Tänzen in die Tiefe surren, wir fühlen nicht mehr die Steilheit und Länge des Weges, nicht mehr den Druck von Rucksack und Schneeschuhen. Um den emsig geschwungenen Pickel sammelt sich unsere Willenskraft, den schmalen Stufen, in denen unsere Füße stehen, gilt unsere Aufmerksamkeit. Jetzt sind wir endlich im vollen Sonnenlichte. Der Schnee wird merklich weicher. Da sehen wir die kühn geschwungene Wächte über uns. Ein Augenblick der Überlegung, ein kurzes Erspähen ihrer schwächsten Stelle und die letzte Zickzackspur bringt uns auf den glitzernden Kamm der Scharte.

Ein weitumfassender Blick eröffnet sich von hier auf weite, weiße Gletscher und edelgeformte Spitzen, rechts vom Großglockner und links vom Großen Wiesbachhom beherrscht. Zu unseren Füßen gleißt der mächtige Eissturz der Pasterze, die weit unten als breiter Eisstrom in ihrem Riesenbette ruhig dahingleitet. Nicht träumen und sinnen magst du bei solchem Anblick! Nein, dein ganzer Wille wird vielmehr aufgerüttelt zu frohem Wagen und im Angesichte all der Gefahren dieser Eiswelt und vielleicht eben deshalb, fühlst du erst die Schönheit des Daseins und mächtig drängt sich hier das Bekenntnis auf: Ja, das Dasein ist schön, ich will leben! —

Auf dem Großen Burgstall verhüllten bereits dichte Nebelschwaden die gastliche Oberwalderhütte. Da vom Riffltor die Hütte in fast gerader Fahrt nach Südosten zu erreichen ist, scheuten wir nicht den Umweg zu diesem Firnsattel, um bei eintretender Unsichtigkeit einfachere Orientierung zu haben. Eine kurze Schußfahrt auf zischendem Schnee brachte uns hin. Das Gepäck ließen wir dort zurück und steuerten der Hohen Riffl zu, deren Gipfel wir nach einer halben Stunde genußreichen Anstieges betraten. Nach kurzem Gipfelglück brachte uns eine herrliche Schußfahrt zu unseren Rucksäcken zurück. Es war 10 Uhr.

Da der Firn weich war, beschlossen wir bei der Weiterfahrt das Seil zu benützen; wir hatten davon jeder 15 Meter und fuhren am doppelten, ziemlich gespannten Seil, das jeder mit einer Handschlinge versah. Bei einem Abstecher in eine Spalte sollte die eine Schlinge als Steigbügel für den Ausreißer, die andere als Handhabe, beziehungsweise zum Anhängen am festgerammten Pickel für den Zweiten dienen. Bei einiger Übung lassen sich auf diese Art die Abfahrten ziemlich ungestört durchführen. Auf sehr steilem Gletscher, der ohnehin gewöhnlich spaltenreich ist, kann natürlich nur einer fahren, während der andere zu sichern hat. Für größere Partien mag diese Vorsicht weniger notwendig sein; bei unseren „zwei-einsamen" Gletscherfahrten, ohne jegliche Möglichkeit einer rechtzeitigen Hilfe von dritter Seite im Falle eines Unglücks, hielten wir sie bei aufgeweichtem Schnee für wohl angebracht. —

Nach herrlicher Fahrt über den obersten Parsterzenboden erreichten wir um 11 Uhr die Oberwalderhütte auf dem Großen Burgstall. Ihre unvergleichlich schöne und günstige Lage, ihre vorbildliche Einrichtung für den Winterbesucher und ihre peinliche Sauberkeit machen sie zu einem wahrhaft idealen Stützpunkte für den Schneeschuhfahrer.

Der Aufstieg zur Oberen Ödenwinkelscharte bei winterlichen Verhältnissen ist anstrengend und zum Teile auch technisch schwierig. In ihrem weiteren Verlaufe gestaltet sich aber die Tur zu einer herrlichen Schifahrt.

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