Das Bishorn gilt unter Bergsteigern als einer der einfachsten Alpen-Viertausender. Eine Besteigung mit dem Bike ist dennoch alles andere als eine alltägliche Fahrrad-Tour. Neben Seilsicherungen, Steigeisen, Gletschern und Bergsteigern bleibt noch genug Raum für eine ordentliche Bike-Abfahrt. Natürlich direkt vom Gipfel auf 4153 m Höhe.
Zur Tracuit-Hütte
Als wir uns auf den letzten Höhenmetern vor dem Col de Tracuit durch das Geröll arbeiten, werden wir von Wanderkollegen fotografiert und einer hebt uns sogar unsere Bikes entgegen, als wir diese am Col an einer seilgesicherten Felsstufe hochschleppen.
Und da stehen wir nun! Links von uns der Gletscher, ca. 150 m vor uns die Hütte, dahinter der Tête de Milon (3.693 m) und links von ihm Weiss- (4.506 m) und Bishorn (4.153 m). Wir sind schon fast am Ziel!
Die Terrasse der Hütte ist voller Leute und wir bleiben nicht lange unentdeckt. Während wir uns nähern, wenden sich uns immer mehr Leute zu und andere werden herbeigerufen. Als wir in Hörweite gelangen, rufen uns die ersten laut "Vive les bleus!" zu, womit die gesamte Terrasse anfängt zu applaudieren und jubeln. Wow, mit solch einer Begrüßung hatten wir nun wirklich nicht gerechnet! Aber wie sie wohl reagieren, wenn sie merken, dass wir auch aufs Bishorn wollen - mit Bikes!?
Zuerst kommen die üblichen Fragen: Was wiegen die Räder? Wo wollen wir wieder runter (als ob es viele Alternativen gäbe)? Ist das auch wirklich fahrbar? Bei einigen lassen wir durchschimmern auch aufs Bishorn zu wollen und kommen dabei mit einem Deutschen ins Gespräch der wohl der Führer einer Gruppe zu sein scheint. Die Bedingungen klingen sehr vielversprechend. Es gibt wenig Schnee und obwohl es auf dem ansonsten harmlosen Gletscher mehr Spalten gäbe als sonst, so seien diese gut sichtbar.
Während Hannes seinen Füßen ein wenig Ruhe gönnt, laufen Felix und ich über den Schutthügel vor der Hütte zum Gletscher hinüber. Der Schnee ist jetzt natürlich recht sulzig, an Fahren ist nicht zu denken. Wenn's friert, wird's aber wohl gehen. Nur nimmt die Bewölkung immer mehr zu. Mit einer klaren, kalten Nacht ist also nicht zu rechnen. Warten wir ab, was der Morgen bringt.
Der Wecker klingelt unbarmherzig
Wir wollten um 3 Uhr starten, im Morgenlicht den Gipfel erreichen und direkt abfahren, bevor der Untergrund wieder antaut. Doch dann hätten wir auf der Abfahrt die ganzen Seilschaften vor uns auf dem Weg! Und den wollen wir wegen der Spaltengefahr auch nicht verlassen. Im Gegensatz zu den Seilschaften sind wir nämlich nicht angeseilt. Mit den Bikes wäre das zumindest auf der Abfahrt nicht wirklich praktikabel. Unsere Überlegung ist einfach, dass auf der ausgetretenen Spur die letzten Tage bereits mehrere Hundert Leute hinauf sind, so dass das Risiko nicht so hoch ist.
Der verbesserte Plan ist nun, mit allen anderen zu starten und dafür auf der Abfahrt nur noch wenigen Gruppen zu begegnen. Wir stehen also doch erst kurz vor 5 Uhr auf und warten bis unsere Essensschicht dran ist. Nachdem wir zuvor einem Blick rausgeworfen haben, lassen wir es aber erstmal ruhig angehen! Die Temperatur ist zwar gut. Wir haben -3°C. Nicht richtig kalt, wenn auch kalt genug, um den Schnee wieder gefrieren zu lassen. Dafür ist es aber noch total bewölkt und die Vorstellung auf dem Gipfel bei Null Sicht inmitten einer Wolke zu stehen gefällt uns überhaupt nicht. Und in der Kälte oben auf Besserung zu warten ist ebenfalls keine Option. Daher machen wir gemütlich, schauen den anderen beim hektischen Treiben zu und lassen sie einfach alle ohne uns davonziehen. Felix und Hannes legen sich schließlich noch einmal ins Lager, während ich die Karte für die nächsten Projekte studiere. Eine Stunde später passiert es endlich - der Himmel reißt auf und der Blick auf unser Gipfelziel wird wieder frei!
Um 7.45 Uhr starten wir somit als letzte Gruppe von der verwaisten Tracuit-Hütte. Der Schnee auf dem Turtmanngletscher ist so schön gefroren, dass wir im Flachen sogar das Meiste fahren können. Die etwas eingebrochenen Schneebrücken sind gut sichtbar und wir passieren nur wenige Spalten neben dem Weg. Schnell kommen wir voran und am Fuß des Bishorns sehen wir schließlich die ganzen Seilschaften die sich einer Karawane gleich hinaufarbeiten.
Auf hartem, kompaktem Harsch geht es weiter. Wir legen die Steigeisen an, denn der nächste Steilhang glänzt verdächtig in der Sonne. Mit den Steigeisen kommen wir zwar mühelos hoch, aber ob die Reifen auf dieser vereisten Oberfläche auch Grip haben werden?
Zum Glück wird es nach oben hin wieder etwas flacher und die Schneeauflage nimmt zu. Wir überholen die ersten Seilschaften und ein Bergsteiger witzelt sogar darüber von Radfahrern überholt zu werden!
Was nervt ist allerdings der eisige Wind. Er zerrt an den Rädern und auch wenn ich es vermeide Metall zu berühren, so greife ich sicherheitshalber ein paar Mal an die kalte Gabel. Um die Finger zu wärmen, balle ich sie unter den Handschuhen zu Fäusten. Ansonsten ist mir aber angenehm warm!
Immer wieder wandert der Blick zurück Richtung Rhonetal. Der Ausblick von hier oben ist phänomenal! Wir schauen auf die Wolken hinab und Richtung Norden wirken die Berge gleich viel niedriger. Aber es sind nur kurze Augenblicke, bevor es weitergeht und der vergletscherte Hang das Sichtfeld wieder komplett einnimmt.
Gipfelanstieg
Es läuft erstaunlich gut, die Höhe macht uns scheinbar gar nichts aus. Meine einzige Sorge ist der Bergschrund am Gipfel. Ich hatte Fotos gesehen, wo man über die Spalte hinwegklettern musste. Seile haben wir zwar für den Notfall dabei. Mir wär's aber trotzdem lieber sie im Rucksack lassen zu können.
Nach fast zwei Stunden erreichen wir schließlich den Bergkamm und das Mattertal tut sich vor uns auf! Gegenüber ragt der Dom, der höchste innerschweizer Berg, mit seinen 4.545 m aus der Viertausenderkette heraus ... und zu unserer Rechten verläuft ein ausgetretener Schneeweg den Kammaufschwung zum Gipfel hinauf. Und zwar am Bergschrund vorbei - puh! Gerne würde ich meine zwei Freunde von hier aus bei der Gipfelbesteigung fotografieren. Das wäre ein Hammer Motiv vor dem Weisshorn. Doch der Wind bläst andauernd Schnee über den Kamm und in mein Gesicht. Da lass ich die Kamera lieber stecken!
Aus dem gleichen Grund haben sich im Windschatten des Gipfels die Bergsteiger gesammelt. Und auch diesmal bleiben Jubel und Glückwünsche nicht aus, als wir uns nähern. Nachdem wir die freundlichen Bergkollegen passiert haben, trennen uns nur noch wenige ausgesetzte Höhenmeter vom Gipfel.
Und dann haben wir es endlich geschafft. Berg heil! Wir sind oben! Wir befinden uns ganz alleine am höchsten Punkt, als wir unser Gipfelglück genießen. Dieser wird aber recht schnell vom Wind verdrängt! Nach ein, zwei Fotos vor dem Weisshorn, möchte ich die Kamera schon nicht mehr halten und drücke sie Hannes in die Hand! Ansonsten hätte ich noch ein Rundumpanorama geschossen. Aber was soll's. Jetzt möchte ich doch lieber schnell weg von hier oben! Glücklich und zufrieden gesellen wir uns schon bald zu den anderen im angenehmen Windschatten und genießen noch mal in Ruhe unser Erfolgserlebnis.
Ich wärme meine Finger wieder etwas auf und nachdem wir die Steigeisen verstaut haben, beginnt der spaßigere Teil der Unternehmung! Auf den ersten etwas flacheren Metern schlingern wir noch ein wenig durch den Schnee. Doch die Oberfläche wird schnell fester und der Hang steiler.
Die Abfahrt
Der Grip ist auf den schneefreien Flächen sogar recht gut und Hannes rollt mal wieder in seiner gewohnter Manier auf dem Vorderrad hinab. Bei steilen Querfahrten muss dann aber doch ein Fuß am Hang stabilisieren und eine kurze, glatte Eispassage müssen wir vorsichtig zu Fuß (ohne Steigeisen) passieren. Den gesamten Rest können wir jedoch abfahren.
Auch den glatten Steilhang über den ich mir noch beim Aufstieg Gedanken machte ist kein Problem. Einfach Schuss runter! Da die Seilschaften beim Abstieg abkürzen und wir auf der Aufstiegsroute bleiben, kommen wir sogar ganz ungestört wieder am gespurten Pfad an, der uns über den flachen Abschnitt des Gletschers zurück zur Hütte führt.
Dort überraschen wir die Neuankömmlinge damit auf Bikes vom Gletscher zu kommen und genießen noch die restlichen, wohlverdienten 1.600 Hm Abfahrt.
Nun gehören wir also auch zu dem kleinen Kreis der Viertausender-Biker hier in den Alpen! Und das gleich im ersten Anlauf. Wir waren zwar nicht die ersten Biker hier oben, bis auf das verblockte Geröllfeld unterhalb der Hütte konnten wir jedoch tatsächlich alles komplett abfahren! Jetzt können wir ganz relaxt die nächsten Dreitausender im Bike-Bergsteigen-Stil angehen.
Text und Bilder: David Werner