Die Anfrage im Herbst kam aus heiterem Himmel: "Willst du mit nach Georgien? Ich war im Sommer dort, die Berge sehen vielversprechend aus." Georgien, hmmm. Mal die verrosteten Geografiekenntnisse im Hirn abfragen. Das müsste irgendwo im Osten liegen, nahe bei Russland. Ach ja, da war doch noch ein Konflikt um eine autonome Region zwischen Georgien und Russland im Jahr 2008. Das war's dann auch schon mit meinem Wissen über Georgien. Zu Unrecht, denn das Land hat unglaublich viel zu bieten, wie ich es nach und nach während der Reise erfahren werde.
Georgien, von den Einheimischen „Sakartwelo“ genannt, liegt am Westufer des schwarzen Meeres. Im Norden bildet der „große Kaukasus“ die Grenze zu Russland, im Süden übernimmt dies der „kleine Kaukasus“ zur Türkei, Armenien und Aserbaidschan. Ungefähr ein Fünftel des Landes ist von Bergen mit über 2000 Metern Höhe bedeckt. Zwischen den beiden Bergketten liegt ein fruchtbares Land. An der Grenze zwischen Asien und Europa gelegen, bildet Georgien ein Mosaik verschiedener Kulturen und Religionen. Dieses Mosaik wollten wir, eine sechsköpfige Truppe von Schweizer FreeriderInnen während eines fünfwöchigen Trips erkunden.
Zur besseren Übersicht gliedere ich diesen Artikel in drei Abschnitte. Der erste Teil beschreibt die Region nördlich von Tbilissi, der zweite die Provinz „Swanetien“ und der dritte ist allgemeiner Art über Land und Leute.
Chewsuretien und die Heerstraße
Straßen waren immer schon ein Dreh- und Angelpunkte in der Entwicklung einer Region. Weil die Strasse der kürzeste und zugleich der gefährlichste und beschwerlichste Weg war, um den Großen Kaukasus in Nord-Süd Richtung zu überqueren hat sie eine besondere Bedeutung. Die „Heerstraße“, die durch die Provinz „Chewsuretien“ führt, spielte eine strategische Rolle bei der Entwicklung der transkaukasischen Beziehungen. Sie verbindet Wladikawkas im russischen Nordossetien mit Tiflis in Georgien und eröffnete uns den Weg zum georgischen Skigebiet „Gudauri“.
Gudauri liegt ca. 120 Kilometer nördlich von der georgischen Hauptstadt Tbilisi, auf Deutsch Tiflis. 1988 wurde Gudauri durch österreichische und schwedische Investoren aus dem Boden gestampft. Durch die einfache und verhältnismässig schnelle Erreichbarkeit hat sich Gudauri zum bekanntesten Skigebiet in Georgien gemausert. Es muss aber erwähnt werde, dass es in Georgien gerade mal vier Skigebiete gibt, wobei zwei davon mehr oder weniger aus einem einzigen Lift bestehen. Dies bei einer Landesfläche von ca. 69.700 Quadratkilometern, wobei Gebirge und Vorgebirge 87 Prozent des Landes bedecken. Die Konkurrenz ist also nicht besonders groß.
Gudauri, das mit dem Slogan „Gudauri – Feel Good Aura“ für sich wirbt, ist der modernste und westlichste Ressort in Georgien. Durch die hohe Lage von 2200 bis 3300 Meter über dem Meeresspiegel bietet Gudauri trotzt der südseitigen Ausrichtung Schneesicherheit bis Ende April. Was das Skigebiet für Freerider interessant macht ist die Nahe Lage am 2379 Meter hohen Kreuzpass der sich neben dem Skigebiet nach Norden gegen Russland schlängelt. Fährt man vom obersten Lift nordseitig ab, gelangt man automatisch auf die Passstrasse, wo man abgeholt und nach Gudauri zurückgebracht werden kann. Das Problem ist nur, dass die Passstrasse mehr oder weniger willkürlich von den Behörden gesperrt wird. Der dreistündige Rückweg ist aber ein Erlebnis für sich selber, da er durch unbeleuchtete Tunnel und Gallerien und eine wunderschöne Berglandschaft führt.Diese Variante zieht dann doch einige Freerider an und im Allgemeinen sind das Skigebiet und die Unterkünfte für unseren Geschmack viel zu westlich ausgerichtet. Das ist also nicht das Georgien, das wir suchen. Wir beschließen nach drei Tagen deshalb auf die Aufstiegshilfe zu verzichten und in Zukunft mehr Beinarbeit zu leisten. Um uns den Rückweg über den Pass offen zu halten, reduzieren wir unser Gepäck auf einen Tagesrucksack mit Schlafsack, Matte und ein paar Ersatzkleidern, um Notfalls zu Fuß über den Kreuzpass zurückkehren zu können.
Ohne den weiteren Transport zu Organisieren, fahren wir auf gut Glück eine weitere Variante vom Skigebiet aus, die zur Passstrasse in einen Ort namens „Kobi“ führt. Dort landen wir mitten in einer Armeeaktion, die hier mit einem russischen Riesenhelikopter Holz durch die Gegend fliegt. Wir erklären Ihnen, dass wir nach „Stepantsminda“ möchten. Einer der Soldaten faselt darauf irgendwas das wir nicht verstehen, läuft davon und kommt einige Minuten später mit seinem alten verlotterten Lada wieder angefahren. Irgendwie schaffen wir es unser Gepäck und sechs Personen im und auf dem Auto zu verstauen und schon fährt unser Taxi los. Das ist georgische Unkompliziertheit kombiniert mit georgischem Geschäftssinn, wo jeder nebenbei noch irgendwie ein wenig „Lari“ dazuverdient.
Stepantsminda das früher Kazbegi hieß und von den Einheimischen immer noch so genannt wird, ist ein Dorf mit 1800 Einwohnern und liegt 15 Kilometer von der russischen Grenze entfernt am Fusse des Berges „Kazbek“. Der Kazbek ist mit 5047 Metern der zweithöchste Berg in Georgien und ist im Sommer ein beliebtes Ziel für Alpinisten. Das Dorf selber liegt in einem Kessel umgeben von 3000ern und 4000ern, die von diversen steilen Couloirs durchzogen sind, die jedes Freerider-Herz höher schlagen lassen. Leider mussten wir auf eine Winterbesteigung des Kazbeks und die Nordwestcouloirs hinter dem Dorf verzichten. Kurz zuvor hatte ein Wintersturm durch die Gegend gefegt und dem Schnee arg zugesetzt. So blieb es bei einem Besuch der „Gergeti Trinity Church“ am Fuße des Kazbeks. Der eigentliche Grund um über den Kreuzpass nach Norden zu gehen war jedoch nicht Stepantsminda sondern die Seitentäler die vom Tergi-Tal abzweigen. In diesen Tälern erhofften wir uns bessere Schneeverhältnisse zu finden. Nach dem Kartenstudium entschieden wir uns für ein abgelegenes Dorf mit dem Namen Juta (sprich: Dschuta) aufzusuchen. Das Dorf liegt auf ca. 2100 Meter am Ende des „Sno-Tales“ und ist im Winter nur zu Fuß erreichbar. Nur wissen wir nicht ob das Dorf im Winter überhaupt bewohnt ist und ob wir dort eine Übernachtungsmöglichkeit finden. Vasili, der Herr von unserem Guesthouse, bringt uns nachdem wir ihm sehr deutlich beigebracht haben, dass wir seine Obhut verlassen wollen, soweit wie möglich ins Sno-Tal. Von da aus heißt es die Ski und Splitboards anzuschnallen und den zwölf Kilometer langen Weg nach Juta in Angriff nehmen. Von da aus starten wir die nächsten drei Tage Skitouren auf die umliegenden Berge in der Suche nach gutem Schnee, leider war auch hier der Wind am Werke und wir finden nur windgepresste Hänge mit wenigen Flecken Pulverschnee drin. Der verschneite Kaukasus entschädigt uns immerhin mit einer atemberaubenden Landschaft, allem voran der 3842 Meter hohen „Chaukhi“ der mit seinen 800 Meter großen Felswänden am Ende des Tales thront. Am vierten Tage scheint sich das Wetter zu verschlechtern und Schneefall kündigt sich an. Wir entschließen uns deshalb Juta zu verlassen und nach Stepantsminda zurückzukehren.
Dort steigen wir in eine „Marschrutka“, einem öffentlichen Minibus die überall in Georgien verkehren und meist noch den Aufdruck des vorherigen Besitzers aus Westeuropa tragen. Die Marschrutka bringt uns nach einigen Schiebeinlagen, zerstörten Ketten und einem heillosen Chaos über den schon stark verschneiten Kreuzpass und die geschichtsträchtige Heerstraße zurück nach Tbilisi.
Kurioses und Erlebnisse Teil I
- In der autonomen Republik „Adscharien“ waren vor 2004 für die Einreise besondere Passierscheine nötig. Man erhielt die Passierscheine gegen eine Spende an den Lieblingsfußballverein von „Aslan Abaschidse“ des amtierenden Machthabers von Adscharien.
- „Trinkt man am Abend zu viel muss man am nächsten Tag gegen den Kater zwei, drei Schnaps nehmen. Fühlt man sich dann besser, trinkt man weiter. So kann man das ganze Leben lang Trinken.“ Dies erklärte uns ein grinsender Gia Chkhatarashvili, ein bekannter georgischer Fotograf den wir in Tbilisi mit einem Kater getroffen haben.
- Auch wenn man noch so arm ist, in Georgien ist ein Fernseher ein Muss. Und er läuft nonstop. Von da an wo die erste Person aufsteht bis dann wenn die letzte ins Bett geht. Die Georgier sind verrückt nach katastrophal synchronisierten brasilianischen Seifenopern, die alle 15 Minuten von einem Werbeblock der Regierung, Polizei und Lazika, dem georgischen Panzerhersteller unterbrochen wird.
Wer Werbefernsehen à la Georgien sehen möchte, der folge diesem Link
Ausblick Teil II
Im nächsten Teil erwartet euch dann das georgische Skiabenteuer, das wir gesucht haben. Um’s schon mal zu verraten: die zwei Wochen in „Ushguli“ waren die besten „Skiferien“ die ich bisher erleben durfte…