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Abenteuer & Reisen

Story | Sommer in den Abruzzen

Warum in die Ferne schweifen...

von Christian Skala 18.10.2016
Dieses Jahr wollten wir einmal alles anders machen: nicht um die Welt reisen, nicht mit den Bekannten die Schlacht um das exotischste Urlaubsziel antreten, sondern „gegen den Strom schwimmen" und in Europa bleiben. Denn wir waren der festen Meinung, dass es auch in der Nähe einsame und lohnenswerte Urlaubsziele gibt.

Alles begann mit einem Besuch des überlaufenen Buchladens in Arco. Durch Zufall fiel uns der Boulderführer „Magia di Calcare – Boulder sul Gran Sasso" in die Hände und lenkte unsere Aufmerksamkeit auf die Abruzzen. Zurück zuhause entschieden wir schließlich nach ausgiebiger Recherche, dass die Abruzzen unseren Wunschvorstellungen für das diesjährige Urlaubsziel ziemlich nahe kamen. Das klang nach einer gelungenen Mischung aus einsamem Wellnesstrekking (denn diesmal wollten wir ohne Zelt unterwegs sein) mit Boulderabschluss. Unsere Trekkingroute war schnell geplant und Ende August sollte es dann mit dem Auto vollbepackt mit Crashpads losgehen in Richtung Amatrice, dem Startort unserer Tour. Von dort wollten wir ein siebentägiges Trekking starten und dann noch eine Woche Bouldern im Gran Sasso-Massiv anhängen.

Drei Tage vor dem Start erreichte uns dann die Meldung von dem tragischen Erdbeben in Amatrice. Dieses verwüstete mehrere Orte in Zentralitalien und forderte rund 300 Todesopfer. Damit stellte sich die Frage, ob wir überhaupt starten können und auch aus moralischen Gründen sollten, beziehungsweise von wo unser Trip beginnen könnte. Nach mehreren Telefonaten und Mails stellte sich heraus, dass der Bereich südlich des Lago di Campotosto nicht betroffen war, so dass wir von Assergi aus unsere Tour dann doch in Angriff nahmen.

Die erste Zeit verbrachten wir im Massiv des Gran Sasso und bestiegen neben dem Corno Grande (2912 m), dem höchsten Berg des Massivs mit dem südlichsten Gletscher Europas, noch einige weitere lohnende Gipfel. Der Gran Sasso ist wohl der am meisten besuchte Teil der Abruzzen. Trotzdem ist man hier abseits des Corno Grande, der Seilbahn und der Passstraße sofort alleine unterwegs und kann den wunderschönen Anblick der mongolisch anmutenden Hochebene genießen. Hütten sind rar im Gran Sasso. Wer dort übernachten möchte, kann aber in einem Bunker aus Mussolini-Zeiten nächtigen, der seit der damaligen Ära nicht an Charme, dafür aber umso mehr an Putz und Anspruch verloren hat.

Dass man insgesamt in den Abruzzen auf relativ wenige Touristen trifft, hängt sicherlich auch mit der beispielhaft nachhaltigen Einstellung der ansässigen Bevölkerung zusammen: Sie schaffte es, sich gegen den Willen einiger Investoren durchzusetzen und den Großteil der Abruzzen als Nationalpark zu erhalten, statt sie v.a. für den Skibetrieb, Zersiedelung und Bauspekulation freizugeben. Man findet nur vereinzelte Skilifte und manche von ihnen haben sogar schon wieder das Zeitliche gesegnet. Man glaubt es kaum: Einige Liftanlagen und ein Hotelbunker mussten sogar schließen, da die Zufahrt nur selten passierbar war, da zu oft zu viel Schnee lag – und das mitten in Zentralitalien! Die Ruinen kann man noch auf dem Weg über das einsame Campo Imperatore erblicken und sie dienen inzwischen als Unterstand für einige der zahlreichen Schafherden, die man in den Abruzzen trifft. Apropos Schafherden: Eine der wohl größten Herausforderungen neben der schwierigen Wegfindung ist das Umgehen der wachsamen Hütehunde, die ihren Job mehr als ernst nehmen.

Vom Gran Sasso Massiv ging es für uns weiter in das Maiella-Massiv. Zwischenstation machten wir immer in kleinen und einsamen Bergdörfern auf dem Weg. Herrlich sind dort nicht nur der beste Peccorino Italiens und die frische Pasta, sondern auch das Beobachten der älteren Dorfbevölkerung, die sich alltäglich am Dorfplatz trifft. Die Orte bestechen durch ihren Charme. Die Gebäude, von denen viele noch aus dem Mittelalter stammen, erzeugen ein ganz spezielles Flair und man möchte am liebsten einfach noch ein paar Tage bleiben.

Im Maiella-Massiv wird es nun wirklich einsam. Dort muss man sich tatsächlich konstant durch Gebüsch und Dornen schlagen (lange Hose erfahrungsgemäß von Vorteil), da die in den Karten verzeichneten Wege aufgrund fehlender Wanderer quasi nicht mehr vorhanden und auch nicht mehr auffindbar sind. Dafür findet man aber so manchen scheuen Zeitgenossen: Abends hörten wir Wölfe und Hirsche heulen und röhren und auf einer Tagesetappe kreuzten wir sogar den Weg eines scheuen Abruzzen-Braunbären. Es gibt ihn also wirklich!

Die Berge im Maiella-Massiv sind erstaunlich alpin und haben eine Höhe von beinahe 2800 m. Es lohnte sich also für uns, auch dort einige herrliche Touren zu starten. Zielort unseres Trekkings war Sulmona. Von dort ging es mit dem Bus zurück nach Assergi zum Start. Aufgemerkt: Entgegen der Erwartung an die italienische Pünktlichkeit fahren Busse in den Abruzzen ALLE entweder pünktlich oder eher zu früh! Aufgemerkt 2: Bushaltestellen in den Abruzzen haben nicht immer ein Bushalteschild, denn der gewöhnliche Einheimische weiß schließlich von wo der Bus fährt und Touristen gibt es eh kaum – wozu also ein Schild? Aufgemerkt 3: English? Noooooo!

Leider hatten wir eine erneute Planänderung zu verzeichnen, denn das Wetter zerschlug unsere Boulderziele. Mehrtägiger Dauerregen stellte sich ein. Aber das gibt uns nun wiederrum die Motivation noch einmal zurückzukehren (vielleicht sogar im Winter zum Tourengehen), denn warum in die Ferne schweifen...
...liegt das Gute doch so nah!

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