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Abenteuer & Reisen

Story | Unvergessener Einsatz: Bergrettung in Tirol

Wie läuft ein Einsatz ab und wie wird man eigentlich Bergretter?

von Lukas Ruetz 09.10.2016
Ob ein Lawinenabgang oder der Sturz in eine Gletscherspalte: Für viele Bergretter beginnt jetzt wieder die anstrengendste Zeit des Jahres. Wir erklären, wer die Menschen sind, die am Berg für andere viel riskieren und warum sie manchmal dabei eine Grenze überschreiten.

Es ist Dienstag, der 3. März 2015, 17:15 Uhr, mein Handy piepst: eine SMS von der Leitstelle Tirol: „Einsatz BR St. Sigmund/Sellrain Ortsstelle, EL A. S., St. Sigmund, abgängige Person Pforzheimer Hütte." Ich sitze in meinem Zimmer am PC. Jetzt springe ich auf, stopfe Einsatzmaterial und zusätzlich warme Kleidung in meinen Tourenrucksack, felle auf und sprinte in meinen Tourenschuhen in das Bergrettungslokal. Währenddessen telefoniere ich mit unserem Einsatzleiter. Er weiß, dass der Koch unserer nächstgelegenen Schutzhütte heute allein auf eine Skitour aufgebrochen ist und laut der Wirtin noch nicht zurückgekommen sei.

Auf dem Weg zum Einsatz muss ich an das Wetter der letzten Tage denken: Starker Westwind hat hier gewütet, viel Neuschnee fiel zudem auf eine miserabel aufgebaute Altschneedecke. Eine Lawine ist unter diesen Ausgangsbedingungen das erste, was mir durch den Kopf geht.

Bergwacht oder Bergrettung – ein fundamentaler Unterschied in Österreich

Der Grund, warum ich trotz schlechtem Wetter an diesem Tag ausrücke: Ich bin Bergretter in Österreich. Wer häufiger in den deutschen Bergen unterwegs ist, würde mich jetzt wohl als „Bergwachtler" betiteln. Was die meisten nicht wissen: In Österreich gibt es zwei Organisationen, die sich stark unterscheiden. Die Bergrettung ist in Österreich vornehmlich für das terrestrische, alpine Rettungswesen zuständig. Übersetzt bedeutet das: auf dem Boden. Die Flugrettung übernimmt der Autofahrerclub ÖAMTC mit seiner Christophorus-Hubschrauberflotte und verschiedene Privatanbieter, wobei sie mit den Bergrettern intensiv zusammenarbeiten.

Nach außen zeigt sich die Bergrettung in Österreich relativ einheitlich. Der Dachverband der Bergrettung setzt sich in den Bundesländern mit alpinem Gelände jedoch aus sieben Gruppierungen zusammen. Die Organisation ist also mehr eine gemeinsame „Arbeitsgruppe", innerhalb der die Bundesländervereine selbstständig agieren. Der „Österreichische Bergrettungsdienst Land Tirol" ist also ein eigenständiger, einzelner Verein, der sich in 93 Ortsstellen gliedert. Die Ortsstellen stellen keinen eigenen Verein dar und unterliegen somit dem Landesverband. Die angewandten Bergetechniken und vor allem die Ausbildung unterscheiden sich innerhalb der Bundesländer sehr stark. Das gleiche Ziel haben sie jedoch alle: Vermisste, verletzte und auch tote Personen bergen - teilweise auch (Kletter-) Steige warten und präventive Maßnahmen setzen, damit Unfälle erst gar nicht passieren. Momentan gibt es in Tirol etwa 4.300 einsatzbereite Männer, 145 Frauen und 65 Bergrettungshunde.

Der Zuständigkeitsbereich der Bergwacht liegt dagegen in erster Linie im Naturschutz: Bergwächter überwachen Naturschutzgesetze und engagieren sich zum Beispiel im Kampf gegen Neophyten. Wer bei der Bergwacht ist, darf abmahnen, Personen festnehmen, Gegenstände (wie zu viele gesammelte Pilze) beschlagnahmen und Organstrafverfügungen verhängen. Die Bergwacht ist eine vollkommen von der Bergrettung unabhängige Körperschaft öffentlichen Rechts. Kurzum: Jemandem mit einem grünen Kreuz mit darauf sitzendem Edelweiß auf rot-schwarzer Uniform die Frage zu stellen: „Bist du bei der Bergwacht?", stellt in Österreich ein absolutes No-Go dar!

An diesem frühen Abend wird also ein Mensch vermisst und für uns Bergretter zählt jede Sekunde. Beim Bergrettungslokal höre ich schon den Hubschrauber. Ich schnappe mir noch schnell ein Funkgerät. Es dämmert bereits – keine guten Aussichten für eine Suche. Ich bin der erste Einsatzbereite, der Hubschrauber fliegt mich sofort ins hintere Gleirschtal – ohne Zusatzmaterial, das können die Nachkommenden mitbringen. Bei einer möglichen Lawine tickt die Uhr. Je schneller jemand am Einsatzort ist und mit der LVS-Suche beginnen kann, desto besser. Außerdem habe ich mein persönliches Erste-Hilfe-Paket im Rucksack.

Pilot und Flugretter erklären mir während des Flugs, wo der vermisste Mitarbeiter der Hütte vermutet wird, dann sind wir auch schon da. Der Wind bläst hier noch sehr stark aus West. Ich merke wieder, warum ich heute privat keine Skitour unternommen habe. Im Gleirschtal befinden sich dutzende frische, riesige Lawinenkegel - auch im Bereich der Route, wo die gesuchte Person vermutet wird. Der Pilot hat es schwer, im schwachen, diffusen Licht, bei Wind und Schneefegen zu landen. Er setzt mich auf einem frischen Lawinenkegel ab. Dort treffe ich zwei auf der Hütte einquartierte Bergführer, die zu Fuß aufgebrochen sind, um Hilfe zu leisten. Ich spreche kurz mit den Bergführern, welchen Bereich sie schon abgesucht haben und stelle mein Funkgerät vom Trunk-Modus (funktioniert wie ein Handy, braucht eine Funkmastenverbindung zur Übertragung) auf den Direktmodus (Übertragung direkt von Funk zu Funk, wie ein Walkie Talkie). Im Gleirschtal besteht von der „Enge" weg keine Verbindung zu einem Funkmasten, ich werde also keinen Empfang haben. Dann beginne ich, mit dem LVS-Gerät den Kegel abzusuchen. Kurz darauf unterstützen mich ein Lawinenhundeführer und sein Vierbeiner. Der Heli hat die beiden direkt von zu Hause abgeholt.

Innerhalb von einer halben Stunde befindet sich eine Einsatzmannschaft von etwa 20 Mann mit speziellem Bergematerial und Akja vor Ort. Auch der Ortsstellenleiter unserer Nachbarortsstelle ist hier und übernimmt mit mir die Einsatzleitung Berg, weil er viel mehr Erfahrung hat als ich. Am Lawinenkegel ist inzwischen außerdem ein Alpinpolizist angekommen.

Die einzige Verbindung nach außen besteht über unser Funkgerät zum Funkgerät auf der Hütte. Von dort aus kann die Wirtin mit der Einsatzleitung im Tal telefonieren. Eine direkte Verbindung ist weder mit einem Handy noch mit einem Funkgerät möglich. Uns erreicht die Nachricht, im Tal würden noch mehr Kollegen warten, aber es ist 18:00 Uhr und stockdunkel, die Hubschrauber können nicht mehr shuttlen und ein Fußmarsch bis zum Suchgebiet würde drei Stunden in Anspruch nehmen. Außerdem ist die Lawinensituation immer noch angespannt, es sind schon viel zu viele bei Nacht und Sturm im Gelände. Wie riskant dieser Einsatz ist, rückt in unseren Köpfen aber ganz weit nach hinten, denn es geht um ein Menschenleben. Der junge Mann ist zwar bereits vor vier Stunden von der Hütte aufgebrochen und im Falle einer Lawine möglicherweise bereits seit langem verschüttet, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Keiner zwingt uns zu diesem Einsatz. Die Bergrettung ist im Gegensatz zur Bergwacht nicht gesetzlich verankert, und somit ähnlich wie zum Beispiel ein Sportverein. Damit entfallen dem Bergretter viele Rechte, aber auch Pflichten.

Es gibt keinen „Anspruch" auf eine Rettung im Einsatzbereich der Bergrettung - abgesehen von der moralischen Ebene. Jeder kann sich weigern, zum Einsatz aufzubrechen. In der Praxis geschieht das glücklicherweise nicht, im Gegenteil: Wie an diesem Tag wagt die Mannschaft bei den meisten Einsätzen eher zu viel, aus verschiedensten psychologischen Gründen: Einsatzgeilheit, gruppendynamische Vorgänge wie bei einer gemeinsamen Tour, das Bewusstsein „Je schneller wir oben sind, desto wahrscheinlicher überlebt der Patient".

Wer Bergretter werden will

Unter meinen Kollegen bei dieser Suche sind ganz unterschiedliche Menschen, alle haben jedoch die gleiche Ausbildung durchlaufen. Wer Bergretter werden will, muss mindestens 14 Jahre alt sein - bei Einsätzen darf man erst ab 16 Jahren mitkommen. Das Hauptaugenmerk bei der Aufnahme liegt auf den bergsteigerischen Fähigkeiten und Vorkenntnissen. Eine alpinistische Grunderfahrung in verschiedenen Spielarten des Bergsports gilt als primäre Voraussetzung für einen angehenden Bergretter. Je nach Ortsstelle liegt der Fokus zum Beispiel im Wilden Kaiser Gebiet auf klettertechnischen Fähigkeiten, im Sellrain dagegen auf skialpinistischem Können. Nimmt die Ortsstelle einen Bewerber auf, ist man Anwärter in Probezeit. Während diesem Probejahr sollte jeder Anwärter an möglichst vielen Schulungen, Übungen und kameradschaftlichen Aktivitäten innerhalb der Ortsstelle teilnehmen.

Nach der Probezeit müssen die einheitlichen Aufnahmeprüfungen der Landesleitung von jedem Anwärter absolviert werden: Ein Sommerteil - sicheres Steigen im alpinen Gelände, Route im Vorstieg mit Bergschuhen im UIAA-Schwierigkeitsgrad IV bis V, Seiltechnik, Abseilen, Seilrolle, diverse Knoten und gute Erste Hilfe Kenntnisse - und ein Winterteil, bei dem bei einer Skitour von mindestens 1.000 Höhenmetern mit einem Aufstiegstempo von mindestens 500Hm/Stunde solide Spitzkehrentechnik und sicheres Skifahren mit Parallelschwung in allen Schneearten geprüft wird.

Außerdem muss man bis zur ersten Prüfung einen 16-stündigen Erste Hilfe Kurs und einen Tourenbericht mit mehrere Hochtouren, alpinen Klettertouren und Skitouren vorlegen. Die Kriterien sind für einen geübten Bergsteiger nicht anspruchsvoll. Was die meisten jedoch nicht wissen: Es hapert häufig am Skifahren und am sicheren Steigen im alpinen Gelände, das heißt seilfrei gehen bis Schwierigkeitsgrad UIAA III. Der beste Sportkletterer und der beste Freerider bringen der Bergrettung nichts, wenn sie sich nicht im potentiell einfachen, aber stark ausgesetzten Gelände ohne Sicherungsmaßnahme angstfrei bewegen oder mit dem Akja bei Bruchharsch abfahren können.

Was dagegen nicht überprüft wird, ist die Ortskenntnis der angehenden Bergretter: Die meisten Einsätze werden bei Nacht und Schlechtwetter absolviert, sonst übernimmt mittlerweile meist die Flugrettung den Einsatz. Als angehender Bergretter sollte man die Flurnamen seines Einsatzgebietes kennen, die Namen aller Gipfel sowieso. In Bergregionen hat bekanntlich jede noch so kleine Rinne, jeder größere Stein, jede Geländekammer einen alteingesessenen Namen.

Innerhalb von maximal vier weiteren Jahren muss der nun erfolgreich überprüfte Anwärter einen einwöchigen Winterkurs im Ausbildungszentrum der Bergrettung Tirol im Jamtal (Silvretta), sowie eine neuntägigen kombinierten Fels-/Eis-/Erste-Hilfe-Kurs mit Prüfungen am Ende der Kurszeit absolvieren. Das Hauptaugenmerk in den Grundkursen liegt nicht auf bergsteigerischen und seiltechnischen Grundtechniken und der Kameradenrettung, wie sie etwa der Alpenverein lehrt - die werden als Voraussetzung angesehen. Der Fokus liegt auf der planmäßigen Bergrettung, die sich in weiten Teilen sehr stark von der Kameradenrettung unterscheidet und darauf aufbaut.

Wer dann ein „vollwertiges" Bergrettungsmitglied wird, kann auch Funktionen wie Ortsstellenleiter, Gerätewart oder Schriftführer übernehmen. Außerdem kann man sich in spezifischen, dreitägigen und freiwilligen Fortbildungskursen (Eiskletterkurs, Alpin-Medic, Einsatztaktik, Dyneema, Lawinenretter, Liftevakuierung) im Ausbildungszentrum Jamtal weiterentwickeln. Daneben gibt es noch die Ausbildung zum Canyoningretter und Lawinenhundeführer. Die regelmäßigen Schulungen innerhalb der Ortsstellen sind laut Satzungen ebenfalls verpflichtend für jedes Mitglied.

Beispiel für Programm des Sommerkurses. 

Obwohl wir mit Kameraden aus der Ortstelle die Suche nach Vermissten regelmäßig üben, ist dieser Einsatz in der Dunkelheit keine Routine. Wir überprüfen einen Kegel nach dem anderen mit unseren Piepsern – zumindest die, die bezüglich Gefahrenstellen mit „beiden-Augen-zudrücken" erreichbar sind.

Bei einem „planmäßigen" Lawineneinsatz halten wir uns an die sogenannte Rasterfahndung: Zuerst die grobe Oberflächensuche („mit Aug und Ohr"), dann Suche mit dem LVS-Gerät, dann mit dem Hund. Wenn wir nichts finden, beginnt die Recco-Suche, dann Sondierketten und Dampfsonde, anschließend muss nochmal der Hund ran. Für diese Nacht ist das jedoch zu aufwendig, langwierig und definitiv zu gefährlich. Außerdem wissen wir nicht, ob der Vermisste überhaupt in einer Lawine verschüttet ist. Mittlerweile scheint das jedoch sehr wahrscheinlich. Ich stehe in ständigem Kontakt mit der Hüttenwirtin, die inzwischen bei den Nachbarhütten angerufen hat, um auszuschließen, dass die gesuchte Person nicht auf einer anderen Hütte Schutz gesucht hat.

Teure Bergrettung

Trotz unserer eingeschränkten Suche verursacht der Einsatz Kosten. Spenden und Subventionen decken den Großteil der Kosten für die Ausbildung, die Verwaltung und die Einsatzausrüstung. Das Land Tirol erweist sich als Tourismus- und Sporthochburg als größter Förderer der Tiroler Bergrettung. Daneben gibt es einzelne Tourismusverbände sowie andere Organisationen, Firmen und private Förderer, die den Betrieb mittels Zuschüssen aufrechterhalten. Die Tiroler Bergrettung verrechnet zudem Einsatzkosten und Aufwandsentschädigungen, beispielsweise von Pistenrettungsdiensten. Die Mitarbeit der 4 400 „normalen" Bergretter in Tirol ist jedoch ehrenamtlich. Unsere persönliche Ausrüstung können wir vergünstigt direkt von den Herstellern beziehen, müssen sie aber selbst bezahlen.

Ebenso wie die Flugrettungsorganisationen stellt die Bergrettung im Normalfall jedem Patienten eine Rechnung. Weil die Krankenversicherung und gewisse Unfallversicherungen die Bergekosten im alpinen Gelände oft gar nicht oder nur zum Teil übernehmen, sollte jeder Outdoorsportler eine Bergekostenversicherung besitzen. Schon ein kleiner Einsatz kann durch die Dauer im Zustieg und Abtransport und den technischen Aufwand tausende Euro kosten, obwohl nur die Selbstkosten ohne Gewinnauslegung verrechnet werden. Eine Bergekostenversicherung bieten zum Beispiel die Alpenvereine, aber auch die Tiroler Bergrettung selbst an.

Keiner denkt jetzt jedoch an Kosten oder Versicherungen als die ersten Kollegen am letzten Lawinenkegel laut „Fund!" in das Funkgerät schreien. Alle unterbrechen ihre Tätigkeit und brechen zur Fundstelle auf. Es ist mittlerweile fast 23:00 Uhr. In kürzester Zeit haben wir den Kopf und den Oberkörper des Vermissten aus einer Verschüttungstiefe von 1,2 Metern befreit. Doch es ist zu spät: Sichere Todeszeichen wie Totenflecken und die eintretende Totenstarre geben auch uns Bergrettern mit unseren medizinischen Grundkenntnissen die Gewissheit: Wir können jetzt weder reanimieren, noch irgendeine sonstige Versorgung starten. Von Hektik und einer Mega-Stresssituation wechselt die Stimmung innerhalb von Sekunden in gespenstische Stille. Wer so eine Situation nie erlebt hat, kann sich die Stimmung nicht vorstellen.

Von nun an gemächlich und mit Ehrfurcht vor dem leblosen Körper graben wir weiter. Wer aus Platzgründen nicht helfen kann, baut das Akja und die Vakuummatratze zusammen oder steht ruhig und bedacht daneben. Nachdem der Alpinpolizist seine Arbeit erledigt hat, schnallen wir dem Verunfallten die Skier ab und befreien ihn von seinen Stöcken. Wir packen ihn ins Akja und steuern die Hütte an. Nachdem sich die Wirtin und ihr Team von ihrem Kollegen verabschieden konnten, treten wir um 00:30 die Abfahrt ins Tal an. Es gibt einige lawinengefährdete Stellen, die wir einzeln durchqueren. Der Pulver ist tief und behindert die Ausfahrt durch das flache, über sieben Kilometer lange Tal mit dem Akja gewaltig.

Nach weit über einer Stunde sind wir endlich zurück in St. Sigmund am Parkplatz. Wir zählen die Mannschaft ab, ob jeder heil zurückgekommen ist. Der Bestatter wartet schon. Bevor er den Verunglückten übernimmt, versammeln wir uns um den Verstorbenen und beten ein Vaterunser. Einige von uns haben ihn persönlich gekannt. Jetzt müssen wir noch Material einräumen und den Einsatz bei der Leitstelle als beendet melden. Die Nachbesprechung verschieben wir auf einen Abend der nächsten Tage. Mittlerweile ist Mittwoch und der Großteil von uns muss in wenigen Stunden in die Arbeit, aber schlafen können einige jetzt ohnehin nicht.

Bei dem Einsatz waren nicht nur Kameraden aus meiner Ortstelle dabei. Da nur die Verwaltungsposten auf Landesebene der Bergrettung hauptberuflich angehören, werden Einsätze aus Personalmangel oft mit Nachbarortsstellen gemeinsam abgewickelt. Wer weit zu seinem Arbeitsplatz pendelt oder keine Freistellung von seinem Arbeitgeber für Einsätze erhält, kann während der Arbeitszeit nicht mit ausrücken. Die Alarmierung erfolgt über SMS von der Leitstelle, in der die Notrufe (Bergrettungsnotruf in Österreich: 140) eingehen. Die Einsatzhäufigkeit und -art unterscheidet sich in den Ortsstellen extrem stark nach Gebiet, Jahreszeit, Größe und Frequentierung des Gebietes: Ortsstellen in Flugsportzentren erleben regelmäßig Baumbergungen von Paragleitern, andere fast nur Lawineneinsätze. Ortsstellen mit Gletscherskigebieten haben überdurchschnittlich viele Spaltenbergungen, vor allem im Herbst. Andere bergen über den Großteil des Jahres fast täglich erschöpfte Kletterer aus langen Moderouten oder müssen jährlich nur ein oder zwei Sucheinsätze von vermissten Wanderern abwickeln.

Freiwilligkeit und Professionalität – ein Widerspruch?

Obwohl die meisten Bergretter ehrenamtlich arbeiten, entwickelt und verbessert die Tiroler Bergrettung immer wieder vorhandene Bergesysteme, Rettungstechniken oder auch Einsatztaktik und -abwicklung. Einige dieser Entwicklungen werden regelmäßig von hauptberuflichen Rettungsorganisationen übernommen. Die Ausbildung, das Material und die Techniken sind also auf einem sehr hohen Niveau, nicht zuletzt aufgrund einer mit Herzblut angetriebenen Führungs- und Ausbildungsebene. Dennoch ist kein Einsatz perfekt und Fehler auf menschlicher Ebene passieren en masse. Wer als Bergsteiger glaubt, er würde wie von einem Notarzt versorgt werden, lebt diesbezüglich in einer Scheinwelt. Es geht in erster Linie um einen möglichst schonenden und raschen Abtransport ins sichere Tal und zum nächsten Krankenhaus – am Berg arbeiten wir wie in der Kriegsmedizin mit stark eingeschränkten Mitteln und medizinischen Basics in meist gefährlicher Umgebung. Ehrenamtliche Bergretter sind auch nach Jahren nicht so erfahren, wie das hauptberuflich in kürzester Zeit möglich wäre. Dennoch gibt jeder sein Bestes zum Wohl des Patienten und arbeitet professionell.

Zwei Tage nach dem Einsatz bin ich mit dem Lawinenwarndienst zur Unfallanalyse vor Ort. Der Anriss, den wir Bergretter in der Dunkelheit nicht ausmachen konnten, ist teilweise gewaltig. Dieser Einsatz bleibt in Erinnerung, ob ich will oder nicht.

Mehr Infos:
Unfallanalyse des LWD Tirol
Ausbildungsrichtlinien 
Bergrettung Tirol Homepage
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