Der Schweizer Lawinenexperte Werner Munter hat wirkungsvolle Methoden entwickelt, mit denen Freerider das immer bestehende Lawinen-Restrisiko drastisch reduzieren können. Angewandt werden dabei die 3x3-Filter- und die Reduktionsmethode, die vielen auch als Munter-Methoden bekannt sind.
Die 3x3-Filtermethode zur Beurteilung der Lawinengefahr
Ziel der 3x3-Filtermethode ist es, das Risiko einer Lawinenauslösung so weit als möglich zu vermindern. In der praktischen Lawinenkunde geht es darum herauszufinden, ob dieser Hang hält, wenn du ihn befährst. Dazu werden die drei lawinenbildenden Faktoren:
Schnee (Schnee- und Wetterverhältnisse)
Berg (Gelände)
Mensch (der einen Hang befährt)
aus jeweils drei unterschiedlichen Entfernungen (Perspektiven) betrachtet. Nämlich:
RegionalMan beginnt immer mit der regionalen Beurteilung der Lawinengefahr. Dank Lawinenlage- und Wetterbericht kennt man die Gefahrensituation in der Region.
LokalBei der lokalen Beuteilung, im Gebiet, versucht man, durch ständiges Beobachten die möglichen Gefahrenstellen um sich herum zu erkennen.
Einzelhang-CheckBeim zonalen Einzelhangcheck fahndet man in dem Hang, den man befahren will, nach eventuell vorhandenen Gefahrenstellen.
Kommt man 3x3 = 9 x zu dem Ergebnis, dass die Verhältnisse günstig sind, kann man abfahren. Kommst du hingegen einmal oder öfters zu dem Ergebnis, dass die Verhältnisse ungünstig bzw. gefährlich sind, darf nicht gefahren werden – sonst befindest du dich in Lebensgefahr!
Die 3x3-Filtermethode entspricht einem System aus drei übereinander gelegten Sicherheitsnetzen. Je kleiner das zu beurteilende Gebiet ist bzw. je näher die Beurteilungsentfernung, desto feiner wird die Maschengröße des Sicherheitsnetzes - und umso kleiner wird letztlich auch das Risiko. Entscheidend ist die Reihenfolge der Beurteilung, d.h. es muss mit der regionalen Beurteilung (Vorbereitung) begonnen werden, der die lokale Beurteilung (im Gebiet) und schließlich der Einzelhangcheck folgt.
Die Reduktionsmethode
Bei der Reduktionsmethode versucht man das gesamte Risiko einzuschätzen und es dann - durch dem jeweiligen Risiko angepasstes Verhalten - auf ein möglichst geringes Restrisiko zu reduzieren. Daher der Name: Reduktionsmethode. Um eine einheitliche Messlatte für das vertretbare Restrisiko festzulegen, entwickelte Werner Munter auf der Grundlage langjähriger Statistiken und der Wahrscheinlichkeitsrechnung die Reduktionsmethode. Das [Lawinen-]Risiko berechnet sich wie in der Grafik rechts dargestellt. *Der Wert 1 ist die Grenze des akzeptablen Restrisikos. Das Risiko kann im Gebirge nie Null werden. Wer mehr riskieren will, z.B. Restrisiko 1.33, kann dies tun. Aber kein Wintersportler kann mehr behaupten, er habe das Risiko nicht gekannt.
Mit der Reduktionsmethode
…können Bergführer, Freerider und Tourengeher innerhalb kurzer Zeit zu einer Entscheidung kommen. Ziel ist immer das Treffen einer Ja/Nein-Entscheidung: "to go or ... not to go".
Die Lawinengefahr wird jetzt nicht mehr anhand vieler Variablen, wie Haftreibung oder Scherspannung, eingeschätzt, sondern soll mit Hilfe der Konstanten, d.h. Hangneigung, Gelände, Karte, eingeschätzt werden. Die Informationen über die allgemeine Lawinengefahr und den Schneedeckenaufbau liefert dabei der Lawinenlagebericht. Diese Informationen sind für jeden immer zugänglich und mit etwas Übung auch leicht verständlich.Je höher die Gefahreneinschätzung des Lawinenlageberichts, umso höher ist das Gefahrenpotential im Gebiet. Den Gefahrenstufen - gering bis groß - werden in der Reduktionsmethode Gefahrenpotentiale zugeordnet. Diese Gefahrenpotentiale beschreiben die Gesamtheit der [voraussichtlichen] Gefahrenstellen eines Gebiets. Je höher das Gefahrenpotential ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, beim Freeriden eine Lawine auszulösen. Die Erforschung der Schneedeckenstabilität hat gezeigt, dass sich das Gefahrenpotential [= Summe der Gefahrenstellen] mit der nächsthöheren Warnstufe der Lawinengefahrenskala verdoppelt:
Warnstufen des Lawinenlageberichts
* Geringe Lawinengefahr, Warnstufe 1 = Gefahrenpotential 2
* Mäßige Lawinengefahr, Warnstufe 2 = Gefahrenpotential 4
* Erhebliche Lawinengefahr, Warnstufe 3 = Gefahrenpotential 8
* Große Lawinengefahr, Warnstufe 4 = Gefahrenpotential 16 und darüber...
Es können zur selbständigen Einschätzung der Lawinengefahr beliebige Zwischenwerte gewählt werden. Zum Beispiel: Der Lawinenlagebericht meldet "mäßige" Schneebrettgefahr, aber eigene Beobachtungen im Gebiet lassen vermuten, dass die Gefahr höher sein könnte. Man beurteilt dann das Gefahrenpotential als mäßig erheblich = 6. Es gibt Vorsichtsmaßnahmen [= Reduktionsfaktoren], die miteinander kombiniert [multpliziert] werden können. Das Resultat daraus muss mindestens so groß sein wie das Gefahrenpotential [= Lawinenrisiko].
Nach ihrer Bedeutung - für eine Lawinenauslösung - sind die Reduktionsfaktoren in drei Klassen unterteilt: erst-/zweit- und drittklassig. Da für eine Lawinenauslösung letztendlich die steilste Hangpartie entscheidend ist, sind diese Reduktionsfaktoren erstklassig!
Reduktionsfaktoren (RF) = Vorsichtsmaßnahmen
Wichtig!
- Bei "erheblich" sind felsdurchsetzte Steilhänge tabu: also keinesfalls über 39°! Verzichte auf Wächtensprünge und Cliffjumps.
- Wenn es in allen Expositionen gefährlich ist, sind die Reduktionsfaktoren Nr. 4-7 ungültig! Dies ist häufig, wenn die kritische Neuschneemenge überschritten ist oder die Schneedecke durchnässt ist.
- Bei Gefahrenstufe "groß" kann nur mäßig steiles Gelände (unter 30°!) befahren werden.
- Für die maximal zu befahrende Steilheit ist immer die steilste Hangpartie.
Die Reduktionsmethode – ein Beispiel
Der Lawinenlagebericht meldet "erhebliche" Schneebrettgefahr. Dies entspricht dem Gefahrenpotential 8.
- Der Hang, der befahren werden soll, hat an der steilsten Stelle ca. 34° >> erstklassiger Reduktionsfaktor 4
- Exposition: Nordost >> kein zweitklassiger Reduktionsfaktor möglich
- Teilnehmer: 3 erfahrene Freerider = kleine Gruppe >> Reduktionsfaktor 2 bzw. 3, wenn alle große Abstände einhalten.
>> 8 : (4 x 2) = Restrisiko 1
Fährt die Gruppe mit Entlastungsabständen, ergibt sich ein weit günstigeres Restrisiko:
>> 8 : (4 x 3) = Restrisiko 0.66
Ergebnis: Das Restrisiko auf eine Lawinenauslösung ist vertretbar. Wird der Hang ohne Entlastungsabstände befahren, hat man das Limit erreicht! Je größer die Sicherheitsreserven, desto besser. Da es sicherer ist und die Abfahrt mehr Spaß macht: Grundsätzlich immer große Abstände einhalten.
Wenn du die Reduktionsmethode konsequent anwendest, wirst du immer mal wieder auf einen Hang verzichten müssen - der vielleicht wenig später von einigen Adrenalin Freaks befahren wird. Dafür hast du mit der Reduktionsmethode die besseren Chancen, auch noch in vielen Jahren Powderhänge zu genießen. Und das macht so viel Spaß – das sollte man sich sein ganzes Leben lang "gönnen".