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Unfallstatistik: Unterschiedliche Nutzergruppen, unterschiedliche Lawinen

Triebschnee im Variantenbereich besonders problematisch

von Lea Hartl • 11.11.2020
Peter Höller, Lawinenexperte am BFW in Innsbruck, hat Unfallstatistiken des österreichischen Kuratoriums für Alpine Sicherheit ausgewertet. Er stellt fest, dass tödliche Lawinen im skigebietsnahen Variantenbereich häufig auf Neu- und Triebschneeprobleme zurückzuführen sind, während es bei klassischen Skitouren anteilig zu mehr tödlichen Unfällen bei Altschneeproblem kommt.

Das österreichische Kuratorium für alpine Sicherheit betreut eine Datenbank, in der Eckdaten zu Alpinunfällen gesammelt werden. Wenn man sich größere Datenmengen über längere Zeiträume anschaut, werden Muster sichtbar, die bei Analysen einzelner Vorfälle verborgen bleiben. Daher ist die KURASI Datenbank Grundlage vieler statistischer Untersuchungen: Wo passieren was für Unfälle? Wann und wem passieren sie? 

Peter Höller befasst sich in der Abteilung Naturgefahren des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW) in Innsbruck unter anderem mit solchen Fragen. Da die KURASI Datenbank bei der Erhebung von Lawinenunfällen zwischen Varianten- und Tourengelände unterscheidet, lassen sich die Unfälle nach Nutzergruppen aufschlüsseln. Natürlich ist die Abgrenzung "Variantenfahrer*in" oder "Tourengeher*in" in der Praxis eher fließend und auch nicht immer sinnvoll möglich. Andererseits wissen sicher viele der PowderGuide Leser*innen aus persönlicher Erfahrung, dass eine Line neben der Piste ein anderes Erlebnis ist als eine 1800 Höhenmeter Skitour weit weg von Skigebietsinfrastruktur. Im Sinne der Statistik ist mit Variantengelände liftnahes Gelände gemeint, das ohne oder nur mit kurzen Aufstiegen erreichbar ist. Tourengelände meint Skitouren im klassischen Sinn, ohne Liftoptionen und in größerer Entfernung zu den Skigebieten. 

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Neu- und Triebschneeunfälle im Variantenbereich Anteilig stärker vertreten

Die verfügbaren Daten gehen bis zum Winter 1981/82 zurück. Insgesamt entfallen etwa zwei Drittel der Lawinenunfälle auf Tourengelände, der Rest auf Variantengelände. Im Variantenbereich ereigneten sich 18% der tödlichen Unfälle bei einer Kombination aus Neu- und Triebschneeproblem, sowie 32% bei einem "reinen" Triebschneeproblem. Altschneelawinen sind in dieser traurigen Statistik mit 28% auch wichtig, aber weniger stark vertreten. Der Anteil von Neu- und/oder Triebschneelawinen ist bei tödlichen Unfällen im Variantengelände drei mal höher als bei klassischen Skitouren, wo vor allem Altschneelawinen tödlich enden (Anteil tödlicher Unfälle bei Kombination aus Neu- und Triebschneeproblem im Variantengelände: 18%. Im Tourengelände: 6%).

Neu- und Triebschneesituationen treten im Laufe des Winters häufig auf, was dazu beitragen mag, dass sich auch die entsprechenden Unfälle häufen. Allerdings, so betont Höller, ist das Neu- und Triebschneeproblem im Gelände auch für nicht sehr erfahrene Personen meist gut zu erkennen, insbesondere verglichen mit dem tückischen Altschneeproblem, das selbst für Experten eine schwierige Herausforderung darstellt. 

Woher kommt also der höhere Anteil tödlicher Lawinen bei Neu- und Triebschneeproblemen im Variantenbereich? Pauschalisierungen über vielfältige Personengruppen sind immer schwierig, aber die Begründung liegt wohl im Verhalten der unterschiedlichen Wintersporttypen. Variantenfahrer*innen sind verstärkt bei Neuschnee unterwegs, weil sie (wir) gern unverspurte Hänge fahren. Wenn es Neuschnee gibt, ist oft auch Wind dabei und die Triebschneegefahr damit quasi vorprogrammiert. Bei den "klassischen" Tourengeher*innen geht es dagegen öfter um das Gesamterlebnis am Berg oder um das Erreichen eines bestimmten Gipfels. Tourengeher*innen sind anteilig öfter von Nassschneelawinen betroffen, weil sie auch im späteren Frühjahr noch viel unterwegs sind. Im Variantenbereich ist Nassschnee ein kleineres Problem, weil Freeriden in fauligem Nassschnee einfach keinen Spaß macht. Ob die Risikobereitschaft im Variantengelände bei Neu- oder Triebschnee grundsätzlich höher ist als bei Skitouren, lässt sich pauschal nicht beantworten. 

Präventionsarbeit in bekannten Freeridegebieten stärken

Im von Höller analysierten Datensatz zeigt sich eine starke Häufung der tödlichen Varianten-Unfälle in vier österreichischen Gemeinden: St. Anton, Lech, Ischgl, Sölden. In anderen Skigebietsgemeinden, wie beispielsweise Galtür oder Neustift, überwiegen dagegen die Unfälle im Tourenbereich. In Galtür gab es im untersuchten Zeitraum keine einzige tödlichen Lawine im Variantenbereich, aber insgesamt 21 tödliche Unfälle im Tourenbereich – vor allem bedingt durch die beiden Unfälle mit mehreren Todesopfern im März 1988 und im Dezember 1999. In Neustift gab es in der gleichen Zeitperiode 4 tödliche Unfälle im Variantenbereich, aber insgesamt 11 im Tourenbereich. 

Der Arlberg, Ischgl und Sölden sind natürlich nicht die einzigen Gebiete, in denen an Powdertagen im liftnahen Gelände sehr viel los ist, aber offenbar kommt es hier ganz besonders häufig zu Unfällen. Höller schlägt vor, bei der Präventionsarbeit einen verstärkten Fokus auf diese Regionen zu legen und das dortige Publikum gezielt anzusprechen, etwa mit Durchsagen in der Gondel und Aushängen mit Informationen zur Lawinensituation. Er sieht hier vergleichsweise hohes Potential für eine Reduktion der Opferzahlen durch spezifischere Informationsvermittlung, da die Unfälle im Variantengelände durch bessere Einschätzung der Gefahrenlage wohl oft vermeidbar wären. Wesentlich schwieriger ist das bekanntermaßen beim Altschneeproblem, das bei einem oberflächlichen Blick ins Gelände nicht zu erkennen ist.

Auch vom LWD Val D'Aran in den Pyrenäen gibt es Untersuchungen, die zu dem Schluss kommen, dass die Kommunikation der Lawinengefahr stärker auf bestimmte Nutzergruppen abgestimmt werden sollte. Unfallanalysen zeigten zum Beispiel, dass nicht-einheimische Freerider den Lagebericht teilweise gar nicht finden, oder der Landessprache nicht mächtig sind und keine englische Version finden. Auch in den Pyrenäen wird eine engere Zusammenarbeit der Warndienste mit den Skigebieten als Ansatz genannt, um dem Problem zu begegnen.

Peter Höller hat seine Analysen im Rahmen eines Vortrags der Österreichischen Gesellschaft für Schnee und Lawinen präsentiert.

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