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Welt der Wissenschaft | ISSW Teil 2 – Regionale Lawinenvorhersage

Ist erheblich immer erheblich? Der komplizierte Weg zu konsistenten Gefahrenstufen.

von Lea Hartl 04.01.2017
Weiter gehts mit dem International Snow Science Workshop 2016 und den dort vorgestellten Studien: Nachdem wir uns in Teil 1 bereits mit einigen Themen beschäftigt haben, die eher mit der Natur der Sache(n) Schnee und Lawinen zu tun haben, geht es nun in Richtung Menschen und deren Umgang mit Lawinen. Lawinenlageberichte und die Behörden, die diese ausstellen, sind für uns als Wintersportler ungemein wichtig, aber ihr Job ist nicht immer einfach. Einerseits natürlich weil der Schnee nicht immer das macht, was man vielleicht erwarten würde, andererseits weil sehr komplexe Sachverhalte möglichst einfach und intuitiv kommuniziert werden müssen. Was gibt es hier aktuell für Fragestellungen und wie wird daran heran gegangen?

Weiter gehts mit dem International Snow Science Workshop 2016 und den dort vorgestellten Studien: Nachdem wir uns in Teil 1 bereits mit einigen Themen beschäftigt haben, die eher mit der Natur der Sache(n) Schnee und Lawinen zu tun haben, geht es nun in Richtung Menschen und deren Umgang mit Lawinen. Lawinenlageberichte und die Behörden, die diese ausstellen, sind für uns als Wintersportler ungemein wichtig, aber ihr Job ist nicht immer einfach. Einerseits natürlich weil der Schnee nicht immer das macht, was man vielleicht erwarten würde, andererseits weil sehr komplexe Sachverhalte möglichst einfach und intuitiv kommuniziert werden müssen. Was gibt es hier aktuell für Fragestellungen und wie wird daran heran gegangen?

Gefahrenstufe: Konsistenz zwischen Warndiensten?

Lawinenwarndienste haben die schwierige Aufgabe, viele verschiedene Informationen in einer einzigen Zahl zusammen zu fassen: der Gefahrenstufe. Natürlich enthalten die Lageberichte nicht nur die Gefahrenstufe, aber sie ist für viele der wichtigste – wenn auch hoffentlich nicht der einzige – wahrgenommene Inhalt. Lawinenwarner aus den USA haben sich folgende Frage gestellt: Kommen Lawinenwarner mit den gleichen Informationen immer zum gleichen Ergebnis, also der gleichen Gefahrenstufe? Die Studie bezieht sich auf die nordamerikanische Gefahrenstufen Skala, die sich geringfügig von der europäischen unterscheidet und vornehmlich in den USA, Kanada und Neuseeland angewandt wird. Die Definition der Gefahrenstufen ist bei der amerikanischen Variante etwas weniger eindeutig. Um die Eingangsfrage zu beantworten, wurden 10 hypothetische Schneeszenarien entwickelt, basierend auf alten Lageberichten verschiedener Regionen. Für jedes Szenario gab es eine kurze Zusammenfassung zum Wetter der letzten Tage, der Schneedecke, der Lawinenereignisse der letzten Zeit, usw.

68 derzeit im öffentlichen Dienst aktive Lawinenwarner aus den USA, Kanada und Neuseeland wurden gebeten, für die 10 Szenarien eine Gefahrenstufe auszugeben. Die Auswertung zeigt, dass durchaus unterschiedliche Gefahrenstufen gewählt werden, auch wenn die Ergebnisse „im Groben" überein stimmen. In keinem der 10 Szenarien wurde von allen Teilnehmern die gleiche Stufe gewählt und in 9 der 10 Szenarien wurden mindestens 3 verschiedene Stufen angegeben. Meist wurde von der Mehrzahl der Teilnehmer die Stufe gewählt, die auch tatsächlich ausgegeben wurde. Abweichende Angaben lagen in der Regel nur um eine Stufe höher oder niedriger. Die höchste Übereinstimmung herrscht bei Szenarien der Stufen gering und mäßig. Bei höheren Gefahrenstufen ist die Übereinstimmung schlechter, insbesondere bei für die Vorhersage schwierigen Szenarien, in denen eine bis dahin trockene Altschneedecke durchfeuchtet wird oder ein Altschneeproblem besteht.

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass es zwar durchaus eine allgemeine Konsistenz gibt, die Variabilität zwischen den einzelnen Ländern, Institutionen und Personen aber dennoch Beachtung erfordert. Für einheitlichere Beurteilungen sei eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Warndiensten nötig, sowie gemeinsame Schulungen. Außerdem wird angeregt, anderen Informationen neben der Gefahrenstufe im Lagebericht mehr Gewicht zu geben. Es wird betont, dass die Umfrage aus verschiedenen Gründen nicht direkt mit dem operativen Betrieb verglichen werden kann. Lawinenwarner profitieren normalerweise stark davon, dass sie die Schneedecke die ganze Saison über beobachten – eine Wissensgrundlage, die bei den Umfrageszenarien naturgemäß nicht gegeben war.

Studie: Brian Lazar, Simon Trautman, Mike Cooperstein, Ethan Greene, Karl Birkeland, 2016. North American Avalanche Danger Scale: Do Backcountry Forecasters apply it ocnsistently? Proceedings, International Snow Science Workshop, Breckenridge, Colorado.

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Gefahrenstufe: Konsistenz bei Beobachtern?

Mit einem artverwandten Problem beschäftigen sich auch die Forscher des SLF: um einen Lagebericht zu erstellen, brauchen die Warndienste detaillierte Informationen über die Schneedecke und die Wetterbedingungen in vielen verschiedenen Gebieten. Da die Warndienstmitarbeiter nicht überall selbst vor Ort sein können, gibt es Beobachternetzwerke, die Daten und Eindrücke an die Warndienste melden. Beobachter sind typischerweise Mitglieder der Lawinenkomissionen, einheimische Bergführer oder Hüttenwirte, die regelmäßig berichten, was in ihrem Gebiet passiert. Die Meldungen aus einer Region (Region im Sinne der Regionen in den Lageberichten) werden bei den Warndiensten gesammelt und im Bulletin für diese Region zusammengefasst. Es stellt sich die Frage: liefern Beobachter aus der gleichen Region auch die gleichen Gefahreneinschätzungen?

Um eine Antwort zu finden, wurden über 1000 Fälle untersucht, in denen Gefahreneinschätzungen von unterschiedlichen Beobachtern für die gleiche Region vorlagen. In circa 80% der Fälle stimmten die Einschätzungen überein. In 10% der Fälle lagen Beobachter mal über oder unter der allgemeinen Gefahrenstufe und in den restlichen Fällen wurde ein Bias (definiert über statistische Schwellwerte) festgestellt: die Beobachter bewerteten die Situation immer entweder als besonders kritisch oder sahen umgekehrt weniger Gefahr als andere Beobachter.

Auch innerhalb der gleichen Region (die Regionen in der Schweiz sind im Schnitt 225km2 groß) können sich die Schneebedingungen natürlich unterscheiden und dann sind Abweichungen in der Einschätzung der Beobachter zu erwarten. Jedoch gibt es eben auch einige Beobachter, die immer zu einer vergleichsweise hohen oder niedrigen Gefahreneinschätzung tendieren. Daher ist es wichtig, dass gemeinsame und einheitliche Schulungen stattfinden und dass die Warndienste ihre Beobachter kennen, um deren Einschätzungen wiederum entsprechend einschätzen zu können. Beim Tiroler Lawinenwarndienst wurde laut Rudi Mair die Erfahrung gemacht, dass sich die Beobachter oft auch von den Prognostikern beeinflussen lassen: Erst wenn der Lagebericht mit der Gefahrenstufe runter geht, machen das auch die Beobachter in ihren Einschätzungen.

Studie: Frank Techel, Lukas Du?rr and Ju?rg Schweizer, 2016. Variations in individual danger level estimates within the same forecast region. Proceedings, International Snow Science Workshop, Breckenridge, Colorado.

Harmonisierung der Gefahreneinschätzung

Um den Diskrepanzen in den Gefahreneinschätzungen und der entsprechenden Gefahrenstufenausgabe entgegen zu wirken, braucht es genauere Definitionen und einheitliche Schemata, an die man sich halten kann. Bei den europäischen Warndiensten hat sich hierfür die sogenannte Bayernmatrix (BM, siehe Abbildung oben) durchgesetzt, allerdings gibt es nach wie vor Diskussionen, wie die einzelnen Zellen genau zu interpretieren sind, da manche Begrifflichkeiten nicht eindeutig sind. Die BM besteht aus zwei Teilen: der linke bezieht sich auf vom Menschen ausgelöste Lawinen, der rechte auf spontane Lawinen. In Nordamerika gibt es das Conceptual Model of Avalanche Hazard (CMAH). Das CMAH ist eher eine Art konzeptioneller Workflow und spuckt am Ende auch keine Gefahrenstufe aus. In der Abbildung rechts ist eine beispielhafte Anwendung für zwei verschiedene Fälle zu sehen (etwa: Storm Slab – Triebschnee, Persistent Slab – Altschnee). Die Größe der Ellipsen zeigt die dem Lawinenproblem eigene Prognoseunsicherheit. Im Gegensatz zur BM wird hier stark auf die potentielle Größe der Lawinen Bezug genommen.

Einige Europäische Lawinenwarner haben nun eine Kombination der beiden Methoden vorgeschlagen: die Avalanche Danger Assessment Matrix (ADAM). Die ADAM besteht aus zwei Teilen: der erste bezieht sich auf die Auslösewahrscheinlichkeit und die räumliche Verteilung der Gefahrenstellen. Der zweite Teil zeigt die Beziehung zwischen der aus dem ersten Teil hervorgehenden räumlichen Auslösewahrscheinlichkeit und der Lawinengröße. Am Ende steht explizit eine Gefahrenstufe.

Auch diese Variante bietet ein gewisses Potential für begriffliche Unklarheiten, jedoch erhoffen sich die Autoren, dass ADAM einen Beitrag zu einheitlicheren – international wie Warndienst-intern – Gefahrenstufen leisten kann. Sie betonen, dass auch Sprachen übergreifend eine einheitliche Terminologie wünschenswert wäre und dass man sich entsprechend auf eindeutige Übersetzungen festlegen sollte. Das Hauptziel der regionalen Lawinenvorhersage ist in der Regel die Öffentlichkeit zu informieren. Die Autoren schlagen vor, den Gefahrenstufen kurze, intuitive Phrasen zuzuordnen, die simpler sind als die Definitionen der Gefahrenstufenskala (siehe Tabelle). Auch diese könnten leicht aus ADAM abgeleitet werden.

Studie: Karsten Mu?ller, Christoph Mitterer, Rune Engeset, Ragnar Ekker and Solveig Kosberg, 2016. Combining the Conceptual Model of Avalanche Hazard with the Bavarian Matrix. Proceedings, International Snow Science Workshop, Breckenridge, Colorado.

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Jammern auf hohem Niveau

Die Diskussion um Begrifflichkeiten und Matrizen ist ein vielerlei Hinsicht ein klassisches „First World Problem". Das wird in einem Beitrag verdeutlicht, der sich mit der Lawinenwarnung in Afghanistan, Pakistan und Tajikistan befasst. Immer wieder gibt es hier katastrophale Lawinen, bei denen ganze Dörfer verschüttet werden. Eine Entwicklungshilfeorganisation und Lawinenwarner in Montana haben 571 Dörfer in besonders kritischen Lagen identifiziert. Vor Ort wurden Beobachter geschult, die Schnee- und Wetterdaten in ein zentrales Onlinesystem stellen und wissen, was im Ernstfall zu tun ist. Professionelle Lawinenwarner in den USA haben Zugriff auf das System und stehen den Beobachtern vor Ort per Internet beratend zur Seite. Wenn zum Beispiel viel Niederschlag gemeldet wird, kann der Profi in den USA Radardaten und Wettermodelle evaluieren und diesbezüglich Informationen weiter geben.

Das ganze Projekt arbeitet mit sehr simplen Methoden: Wetterbeobachtung, grundlegende Lawinenschulungen und Bewusstseinsbildung vor Ort, und einige Faustregeln, die besagen, wann ein Dorf evakuiert wird. Seit Implementierung wurden Dörfer wenige Stunden vor massiven Lawinenabgängen erfolgreich evakuiert. Ein hoffnungsvolles Ergebnis internationaler und interdisziplinärer Zusammenarbeit und ein klarer Hinweis, dass auch mit einfachen Methoden Leben gerettet werden können.

Studie: Doug Chabot and Aysha Kaba, 2016. Avalanche Forecasting in the Central Asian Countries of Afghanistan, Pakistan and Tajikistan. Proceedings, International Snow Science Workshop, Breckenridge, Colorado.

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