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Bergwissen

Welt der Wissenschaft | Lawinenbulletin

Wie entsteht ein Lawinenbulletin?

von Lydia Knappe 16.01.2025
Ein grundlegendes Tool für das Skifahren abseits der Pisten und das Skitourengehen ist der Lawinenlagebericht, auch Lawinenbulletin genannt. Dieser hat sich im Laufe der Zeit stark verändert. Er erscheint nicht nur häufiger – ein- bis zweimal am Tag –, sondern seine räumliche Auflösung ist auch kleinteiliger und präziser geworden. Mit dem Vormarsch der künstlichen Intelligenz und der Einbindung modellbasierter Vorhersagen eröffnen sich neue Perspektiven in der Lawinenwarnung.

1945 veröffentlichte das Schweizer Eidgenössische Institut für Schnee- und Lawinenforschung (heute SLF) seinen ersten Lawinenlagebericht. Bereits in den späten 1930er-Jahren publizierte der Schweizer Skiverband Beobachtungen der Kommission für Schnee- und Lawinenforschung zu den Schneeverhältnissen in den Schweizer Alpen. Während des Zweiten Weltkriegs und aufgrund der militärischen Bedeutung der Alpen gewann das Thema Lawinen auch auf politischer Ebene zunehmend an Relevanz. Nach Kriegsende übernahm das SLF die institutionalisierte Lawinenwarnung, die heute eines seiner wichtigsten Zusatzprodukte ist.

Heutzutage wird der Schweizer Lawinenbulletin vom Lawinenwarndienst veröffentlicht, der am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) angesiedelt ist. Dadurch können die neuesten Forschungsresultate des Instituts direkt eingebunden und umgesetzt werden. Das Bulletin deckt die Schweizer Alpen, Liechtenstein und – bei ausreichender Schneelage – auch das Jura ab und hat den Charakter einer Warnung.

Informationsquellen

Um die Heterogenität der Schneedecke und das dynamische Verhalten des Schnees umfassend zu adressieren und Vorhersagen zu ermöglichen, werden unterschiedliche Informationsquellen herangezogen. Diese Daten liefern Erkenntnisse über bisherige Entwicklungen, den aktuellen Zustand und erste Prognosen.

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Messungen

Als Informationsquellen dienen Messungen von etwa 90 Stationen des Interkantonalen Mess- und Informationssystems sowie 80 weiteren SwissMetNet-Stationen, die von MeteoSchweiz betrieben werden.

Beobachternetz

Zusätzlich unterhält das SLF ein Beobachternetz, das aus etwa 200 vom SLF ausgebildeten BeobachterInnen besteht. Diese übermitteln regelmäßig Informationen – entweder stationär oder von variablen Orten, z. B. von Bergführerinnen – durch die Anfertigung von Schneeprofilen und Stabilitätstests. Die übermittelten Daten umfassen Parameter wie Schneehöhe, Neuschneemenge, beobachtete Alarmzeichen und Lawinenabgänge. Gelegentlich wird auch eine Einschätzung der Lawinenlage abgegeben. Darüber hinaus dienen Beobachtungen lokaler Sicherheitsdienste, der Polizei, von Rettungsorganisationen oder WintersportlerInnen als wertvolle Informationsquellen.

Abbildung 1: Unter Reply Public (https://pro.slf.ch/reply/public/#/) können Beobachtungen, Bilder und Bemerkungen direkt ans SLF rückgemeldet werden (Quelle: Denis Pecaut 2024, Gepatschferner).

Wetter

Da der Schneedeckenaufbau maßgeblich vom Wetter beeinflusst wird, fließen die Prognosen von Wettermodellen in die Beurteilung der Lawinenlage ein. Variablen wie Niederschlag, Wind, Lufttemperatur, Strahlung und Luftfeuchtigkeit werden zur Beurteilung der Schneedecke, ihrer Schichtung und (In)Stabilität sowie deren Veränderung benötigt. Für kurzfristige Entwicklungen stehen die Meteo-Modelle ICON1 und ICON2 von Meteo Schweiz zur Verfügung. Außerdem werden Modelle des operationellen Schneehydrologischen Dienstes (OSHD) des SLF herangezogen. Auch das globale Meteo-Modell ECMWF, das europäische Zentrum für globale mittelfristige Wettervorhersagen sowie generelle Wetter- und Niederschlagsprognosen von Meteo Schweiz dienen als Grundlage.

Synthese und das fertige Produkt

Die lawinenbildenden Faktoren – maßgeblich Wetter, Schneedecke und Gelände – werden von ExpertInnen, den LawinenwarnerInnen, analysiert. Beim Gelände spielen insbesondere Höhenlage, Exposition, Hangneigung, Geländeformen und Bodenbedeckung eine entscheidende Rolle. Neben der Datenanalyse fließen auch Erfahrungswerte und spezifische Kombinationen dieser Faktoren in die Bewertung ein. Erst durch eine situationsgerechte Kombination und Gewichtung der einzelnen Größen lässt sich ein möglichst zuverlässiges Lawinenbulletin erstellen.

Die Lawinengefahr wird aus der Stabilität der Schneedecke, der Verbreitung der Gefahrenstellen im Gelände sowie der Größe, dem Typ und der Anzahl der potenziellen Lawinen ermittelt.

Das fertige Produkt, der Lawinenbulletin, kann anschließend über das Internet oder diverse Apps wie White Risk oder SnowSafe abgefragt werden. Er enthält eine detaillierte Beschreibung der Gefahrenstufen und Verweise auf besonders gefährliches Gelände.

Ablauf zur Erstellung eines Lawinenlageberichts

Für die Erstellung eines Lawinenlageberichts sind beim SLF jeweils drei von acht Personen im Wechsel zuständig. Die Datenanalyse der Informationsquellen beginnt in der Regel mithilfe geoinformationsbasierter Programme und beginnt am Vormittag des Ausgabetags.

Am frühen Nachmittag findet ein Briefing statt, in dem die zuständigen LawinenwarnerInnen ihre Analysen präsentieren, vergleichen und diskutieren. Der Bulletintext wird während dieser Sitzung gegengelesen und gegebenenfalls angepasst. Anschließend wird eine Gefahrenkarte erstellt, die die 120 Schweizer Warnregionen abbildet, welche zu einheitlichen Gefahrenregionen zusammengefasst wurden. Danach wird der fertige Bericht mithilfe eines Übersetzungskatalogs automatisch übersetzt. Lediglich die Abschnitte zur Schneedecke und zum Wetter werden von einem Übersetzungsbüro bearbeitet, was dazu führt, dass die Fremdsprachen mit einer entsprechenden Verzögerung online gestellt werden. Der Bericht wird meist gegen 17:00 Uhr veröffentlicht, während die Übersetzungen ins Französische, Englische und Italienische spätestens um 18:00 Uhr online verfügbar sind. Am nächsten Morgen gegen 5:30 Uhr erfolgt eine neue Analyse der nächtlichen Entwicklungen, Rückmeldungen von BeobachterInnen und veränderten Wetterprognosen, woraufhin der Bericht gegebenenfalls angepasst wird. Bei einem Briefing um 7:00 Uhr wird der aktualisierte Bericht erneut diskutiert und schließlich um 8:00 Uhr in allen vier Sprachen veröffentlicht.

Neue Perspektive

Um den Vorhersageprozess zu optimieren und eine weitere unabhängige Meinung einzuholen, werden seit der Wintersaison 2023/2024 Modellvorhersagen in die Erstellung des Lawinenlageberichts mit eingebunden. Mithilfe von Schneedeckensimulationen können Stabilitäts- und Gefahrenwahrscheinlichkeiten sowie die Wahrscheinlichkeit von natürlichen Lawinenabgängen berechnet werden. Drei Wintersaisons lang wurden diese Modellvorhersagen getestet und mit den konventionellen menschlichen Vorhersagen verglichen. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass die Modellvorhersagen den menschlichen Vorhersagen sehr ähnlich sind und weitgehend übereinstimmen. Durch die Einbindung künstlicher Intelligenz wird nicht nur eine zusätzliche objektive Perspektive geschaffen, sondern auch die Möglichkeit, den Lawinenlagebericht in räumlicher und zeitlicher Hinsicht präziser zu gestalten.

Abbildung 3: Übersicht des Entscheidungsbaumes zur Erstellung eines Lawinenlageberichts (Quelle: SLF).

 

Referenzen:

Schweizerische Eidgenossenschaft: Blog Alert Wissen. https://blog.alertswiss.ch/de/rubriken/gefahren/wie-entsteht-ein-lawinenbulletin/. [24.12.2024].

SLF: Das Lawinenbulletin. https://www.slf.ch/de/lawinenbulletin-und-schneesituation/wissen-zum-lawinenbulletin/wie-entsteht-das-lawinenbulletin/. [24.12.2024].

SLF: Geschichte des Lawinenbulletins. https://www.slf.ch/de/ueber-das-slf/portrait/geschichte/die-anfaenge-des-lawinenbulletin/. [24.12.2024].

Bilder: Denis Pecaut. denispecaut@hotmail.fr.

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