Nachdem in den letzten Wintern immer wieder interessante und teils innovative Bücher – man denke an das Buch von Nairz/Mair zu gen Gefahrenmustern – über die Lawinen-Thematik veröffentlicht worden sind, ist nun auch im renommierten Bergverlag Rother ein neues Lawinenbuch erschienen: „Lawinen: Verstehen – Vermeiden – Praxistipps“. Autor ist der  langjährige Skitourengeher, Bergretter und Physiker Eike Roth. Mancher fragt sich möglicherweise, ob das in Zeiten eines neu aufgelegten PowderGuides, eines immer noch aktuellen 3x3 von Werner Munter und anderen Büchern tatsächlich notwendig war?! Die Kurzantwort hierauf: Ja, das war es und zwar aus verschiedenen Gründen.
Gliederung
Das Buch ist präzise gegliedert – was anderen Rezensenten Grund für Kritik gab – und hat deshalb für mich die Funktion eines Kompendiums/Handbuchs im Bereich „Lawinen“. Weder die Schneekunde (Kapitel 2), noch die Theorie über die Entstehung von Lawinen kommen zu kurz (Kapitel 3). Sinnvollerweise wird das ausführliche Kapitel über Bruchmechanik und Auslösemechanismen (Kapitel 5) in die drei Unterkapitel Initialbruch – Bruchfortpflanzung  und die eigentliche Auslösung der Lawine gegliedert. Als meines Wissens erstes für ein breites Publikum geschriebenes Buch geht Eike Roths Lawinenbuch ausführlich auf die sog. Antiriss-Theorie bei der Lawinenentstehung ein.
In weiteren Kapiteln werden die gängigen, modernen Strategien zur Vermeidung von Lawinenunfällen – Reduktionsmethode, 3x3, Stop or Go, Snowcard, grafische Reduktionsmethode – umfassend und systematisch miteinander verglichen. Im vorletzten Kapitel wird dann auf Lawinenunfälle eingegangen. Ausgehend von der Beschreibung der richtigen Ausrüstung bis hin zur Strategie des Ausgrabens und der Organisation der Rettungskette sind neueste Erkenntnisse in das Buch eingeflossen und werden prägnant dargestellt, so z. B. das V-förmige Schneeförderband von Manuel Genswein.
Bewertung
Für mich ist das Buch von Eike Roth das am klarsten und stringentesten argumentierende Buch im Bereich der Lawinentheorie. Positiv sind eindeutig die klare Sprache, die zum Teil extrem detailreiche Argumentation, die trotzdem gut nachvollziehbar ist und der Umfang des Buches. Schließlich werden alle relevanten strategischen Entscheidungsverfahren an sinnvollen Parametern miteinander verglichen und zudem metatheoretische Probleme, wie beispielsweise  das Messen und Schätzen von Hangneigungen, die Lernfalle oder auch die sogenannten „Human Factors“ ausführlich dargestellt (Kapitel 8.8). Zudem gefallen mir die gut verständlichen eigenen Gedanken des Autors zu den verschiedenen Thematiken, besonders die argumentative Kritik an den strategischen Entscheidungsverfahren(Kapitel 8.9.2 & 3).  Bei all dem verdienten Lob gibt's aber auch Kritik: Diese erfolgt hier in zwei Bereichen –  zum einen im inhaltlichen und zum zweiten im strukturellen, formalen Bereich. Inhaltlich ist, wie oben angedeutet, sehr umfassend gearbeitet worden, jedoch sind manche Schlüsse aus alter und neuer Theorie (Scherriss vs. Antiriss und seine Synopse aus diesen beiden) für mich paradox und nicht nachvollziehbar. Es ist mir nicht ganz klar, weshalb der Autor auf vielen Seiten die Scherrisstheorie erklärt und sie plausibilisiert, um sie dann im Kapitel über Bruchmechaniken mehr oder weniger abzutun, um dann doch weiterhin an ihr festzuhalten. Argumentativ gelingt das zwar eindrucksvoll und elegant über das Beibehalten des Konzepts der „Superschwachzone“, welche aber gerade innerhalb der neuen Theorie des Antirisses nicht mehr existent ist. Der Autor verkompliziert mit seinen durchaus einleuchtenden Ausführungen die Theorie der Bruchmechanik, in dem er eine Synopse aus alt und neu vollzieht. Dabei hat die neue Theorie meiner Meinung nach die gleiche Erklärungskraft wie sein theoretisches Konstrukt, bei einfacherer Struktur – womit wir wissenschaftstheoretisch wieder einmal bei Ockhams Razor angelangt wären. Die formale Kritik bezieht sich hauptsächlich auf die Gründlichkeit des Lektorats: Stellenweise sind Formulierungen überflüssig oder Argumente redundant. Manchmal scheinen Recherchen zu ungenau: so wiegt beispielsweise die AvaLung kein Kilogramm…
Fazit
Dieses Buch bringt definitiv einen Mehrwert im Vergleich zu den existierenden Lawinenbüchern. Das Buch von Eike Roth stellt ein referenzwürdiges Handbuch in klarer, eindeutiger Sprache und Argumentation über sämtliche Aspekte der Lawinenkunde dar, welches zudem mit interessanten, eigenen Aspekten aufwarten kann (als ein weiteres Beispiel: die einleuchtende Tabelle auf S. 204 zur Relevanz der statistischen/strategischen Methode bei unterschiedlichen Lawinenproblematiken). Der Überblick über alle vorhandenen Entscheidungsstrategien ist hilfreich und ein Novum in der Literatur. Prädikat: Weihnachtsgeschenke-tauglich, für alle, die es genau wissen wollen!
Infos zum Buch
Autor: Eike Roth
Lawinen: Verstehen / Vermeiden / PraxistippsÂ
Bergverlag Rother, 1. Auflage 2013
304 Seiten 155 Farbabbildungen und Grafiken
Format 16,3 x 23 cm
Preis: 29,90 Euro [D] Â / 30,80 Euro [A] / 41,90 SFr Â