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Interviews

PowderPeople | SLF Schneeforscher Jürg Trachsel

Vom Forschungsgegenstand Powder

von Jürg Trachsel 19.03.2018
SLF Doktorand Jürg Trachsel fährt gern Ski und freut sich, wenn Schneewolken fluffigen Powder bringen. Beruflich interessieren ihn die Eigenschaften von Schnee auch, allerdings tauscht er dann seine Ski gegen ein Mikroskop. Seine Proben bekommt er von den echten Powder-Wolken und einer künstlichen Wolke im Labor, die es auf Knopfdruck schneien lässt.

Mit einem Frontensystem wird feuchte Luft aus Nordwesten an die Alpen gedrückt. Wassermoleküle, die irgendwann mal im Atlantik schwammen, werden herumgewirbelt, zusammen mit Feinstaub, Pollen und anderen kleinen Partikeln, die durch Wind und Turbulenz nach oben befördert werden.

Die herbeiströmende Luft stößt am Alpenrand an und muss nach oben ausweichen, wobei sie abkühlt. Dabei steigt die relative Luftfeuchtigkeit bis zum Sättigungspunkt an. Einzelne Wassermoleküle beginnen, an den vorhandenen Staubteilchen anzufrieren und bilden nach und nach eine große, graue, PowderAlarm auslösende Nordstauwolke.

Die Eisteilchen sind nicht zufällig angeordnet, sondern bilden ein regelmäßiges Gitter. Bei Normaldruck hat dieses Gitter eine hexagonale Struktur. Im Verbund reagieren die Atome eines Wassermoleküls auf die Ladung der Atome der Nachbarmoleküle und arrangieren sich auf eine energetisch möglichst günstige Art und Weise. Aus sechs Wassermoleküle entsteht so ein winziges, sechseckiges Prisma – der Grundbaustein einer jeden Schneeflocke.

Aufgrund der Bedingungen in der Wolke (Übersättigung), neigen noch frei herumfliegende Moleküle dazu, sich den sechseckigen Minikristallen anzuschließen. Das heißt, dem sechseckigen Basis-Prisma wachsen nach und nach aus den Ecken heraus Ärmchen (dendritisches Wachstum), die wiederum Verästelungen entwickeln können. Je nach Temperatur und Feuchtigkeit entstehen die klassischen Schneeflockensternchen wie aus dem Bilderbuch, oder andere sechseckige Strukturen, etwa kleine Plättchen oder Nadeln.

Die sprichwörtliche und auch tatsächliche Einzigartigkeit der Schneeflocken ergibt sich aus minimalen Unterschieden in den Umgebungsbedingungen in der Wolke und größeren Temperatur-, Druck- und Feuchtigkeitsschwankungen, die ein Kristall auf dem Weg durch die Wolke durchläuft. Schon kleinste Veränderungen lassen andersförmige Kristalle entstehen und jede Flocke legt einen anderen Weg durch die Wolke zurück - Turbulenzen lassen einzelne Flocken wieder aufsteigen und führen sie durch unterschiedliche Luftschichten.

Schnee als Forschungsgegenstand

In den vergangenen Jahrzehnten wurden bereits viele Fragen zur Entstehung von Schneeflocken und der Physik von Schnee beantwortet. Dennoch ist längst nicht alles geklärt. Die Aufmerksamkeit gilt heute beispielsweise den materialspezifischen Eigenschaften, wie Bruch- und Fliessmechanik, die unter anderem für die Lawinenvorhersage eine wichtige Rolle spielen, oder Austauschprozessen zwischen Schneedecke und Atmosphäre, welche in der Klimaforschung relevant sind.

SLF Doktorand Jürg Trachsel untersucht den Einfluss der Umwandlungsprozesse in der Schneedecke auf die räumliche Verteilung von Verunreinigungen innerhalb des Schnees, sozusagen an der Schnittstelle zwischen Physik und Chemie. Dabei arbeitet er zusammen mit dem Paul-Scherrer Institut (PSI) in Villigen (CH), welches die Expertise für die nötigen chemischen Analysen mitbringt. 

Der Transport von Schnee aus der Natur ins Labor ist anspruchsvoll. Temperaturschwankungen können Umwandlungsprozesse auslösen, was schlimmstenfalls dazu führt, dass die Probe bei der Analyse nicht mehr die ursprünglichen Eigenschaften aufweist. Feine Strukturen, wie beispielsweise eingeschneiter Oberflächenreif, sind sehr erschütterungsanfällig. Bereits kleine Vibrationen lassen sie kollabieren.

Das Vergießen der Schneeprobe mit der Chemikalie Diethylphthalat bereits im Feld ist eine Möglichkeit, um solche Strukturen beim Transport zu schützen. Dabei werden die Hohlräume zwischen den Schneekristallen ausgefüllt und diese somit gestützt. Die Chemikalie wird hart und wenn im Labor das Eis verdunstet wird, bleibt ein Negativbild der Struktur, welches weiter untersucht wird. Diese Methode eignet sich aber nur, um anschließend die physikalische Struktur des Schnees zu untersuchen. Sobald chemische Inhaltsstoffe analysiert werden sollen, muss jegliche Kontamination von außen verhindert werden.

Auch für Jürg Trachsel stellt der Transport seiner Proben eine Herausforderung dar. Einen Teil seiner Messungen und Experimente führt er auf dem Messfeld des SLF auf dem Weissfluhjoch (2550 m.ü.M.) durch. Der große Vorteil dabei ist, dass dieses mit einer Vielzahl von Sensoren ausgestattet ist. Daten über Wetter, Strahlungsbilanz, Oberflächen- und Bodentemperaturen stehen so für ihn und andere Forschende zur Verfügung, ohne dass sie individuell erhoben werden müssen.

Jürg nimmt am Messfeld monatlich das ganze Schneeprofil auf, was in seinem Fall etwas aufwendiger ist, als ein „Skifahrerprofil“. In einen weißen Schutzanzug gekleidet, füllt er jede Schneeschicht einzeln in ein Plastikröhrchen. Die Röhrchen werden luftdicht verschlossen und müssen zeitnah und ohne zu Schmelzen ins entfernte Villigen AG ans PSI. Dazu werden sie mit Kühlelementen und mehrfacher Isolationsschicht sorgfältig verpackt. Per Ski gelangt die Kiste dann ins Tal. Und dank des (meist) hervorragend funktionierenden öffentlichen Verkehrs, weiter mit der Bahn ans PSI.

Powder aus dem Labor

Doch nicht für alle Experimente eignet sich der natürliche Schnee! Insbesondere in der Grundlagenforschung kann es von Vorteil sein, als Ausgangsmaterial möglichst gut definierten und gleichmäßigen Schnee zu haben. Nicht aller Schnee für Jürgs Experimente im Labor stammt daher aus wildwachsenden Nordstauwolken. Manche Proben kommen aus einer präzise einstellbaren, künstlichen „Wolke“, die dauerhaft in einem der SLF Kältelabore wohnt – dem sogenannten SnowMaker. In der temperaturregulierten Klimakammer, die den SnowMaker beherbergt, hat es Sommer wie Winter -24°C. Statt einem Laborkittel trägt Jürg einen dicken Daunenexpeditionsanzug.

Hinter der schweren Isolationstür stechen als erstes die weissen Styroporboxen mit Schneeproben aus aller Welt ins Auge. Der Rest des Raumes wird vom SnowMaker eingenommen. Die künstliche Wolke brummt in der Kälte vor sich hin und ähnelt eher einem unförmigen Kleiderschrank als einer Wolke. Ausgedacht hat sich das Konzept ursprünglich ein Japanischer Schneeforscher in den 1970er Jahren. Der SLF Schneeforscher Martin Schneebeli hat die künstliche Wolke dann über die Jahre optimiert. Das Grundprinzip ist noch immer das gleiche - kalte Luft strömt über warmes Wasser und wird dabei übersättigt.

Ähnlich wie die Polarluft, die sich beim Weg über den vergleichsweise wärmeren Nordatlantik mit Feuchtigkeit anreichert, nimmt auch die Luft aus dem SnowMaker-Gebläse Feuchtigkeit auf, während sie über ein Becken mit warmem Wasser streicht: Das Wasser wird auf Temperaturen von um die 30°C erwärmt und die Luft, die das Gebläse ansaugt, hat die gleiche Temperatur wie die Umgebungsluft im Kältelabor, also -24°C. Der starke Temperaturunterschied fördert den Verdunstungsprozess.

Die nach Passieren des Wasserbeckens feuchtere und wärmere (übersättigte) Luft wird in eine zweite, größere Kammer geblasen, wo sie wieder abkühlt. 400 dünne Nylonschnüre, die in der Kammer aufgespannt sind, dienen den Wassermolekülen aus dem Luftstrom als Kondensationskeime. Das Kristallwachstum geht genauso von statten wie in einer echten Wolke, nur wachsen die Schneeflocken in erster Linie nach unten, gegen die Schwerkraft, nicht wie in der Wolke in alle Richtungen gleichzeitig.

Jürg hat den Snowmaker am Tag zuvor angeschaltet und erntet jetzt den über Nacht nach Maß produzierten Powder. Auf Knopfdruck fährt eine Bürste an den Nylonschnüren entlang und es beginnt kräftig aus der künstlichen Wolke zu schneien. Feinster Pulverschnee sammelt sich im Auffangbecken. Jürg hat nun eine Schneeprobe, von der er genau weiß, aus welchem Wasser und bei welchen Temperaturen sie entstanden ist und die keine Temperaturschwankungen durchlebt hat. Mit bloßem Auge ist der künstliche Powder sowieso nicht vom echten zu unterscheiden, aber auch Mikroskop und Computertomograph bestätigen: genau wie der Schnee aus der richtigen Schneewolke, weist dieser „naturidentische Kunstschnee“ eine dendritische, fein verästelte Mikrostruktur auf. Kunstschnee aus Schneekanonen dagegen besteht aus zerstäubten Wassertröpfchen, die in der Luft gefrieren und zu runden Eiskügelchen ohne jegliche Verästelungen werden.

Laborschnee hilft, die Natur zu verstehen

Die gerade produzierte Probe kommt in eine kleinere Klimakammer. Zusammen mit Proben vom Messfeld wird sie dort einem Temperaturgradienten ausgesetzt. Das bedeutet, dass die Temperatur unterhalb der Probe einige Grad höher ist, als an der Oberfläche. Genau dieselben Bedingungen finden sich auch in der Natur: Während der Boden unterhalb der Schneedecke über den Winter hinweg konstant Null Grad aufweist, ist die Oberfläche witterungsbedingt kälter. Diese Temperaturdifferenz führt dazu, dass sich die Schneekristalle umwandeln und ohne zu Schmelzen komplett ihre Form verändern. Diese Rekristallisation kann nicht nur zu für den Skifahrer unter Umständen problematischen Schwachschichten führen, sie beeinflusst auch die Verteilung der im Schnee enthaltenen Verunreinigungen – Jürgs Forschungsgebiet. Einzelne Stoffe werden an die Oberfläche transportiert, andere fest in die Schneekristalle eingeschlossen. Mit den Experimenten im Labor lassen sich die Beobachtungen aus der Natur verifizieren und die einzelnen Prozesse ganz detailliert studieren.

Künstlicher Powder auch zum Skifahren?

Die Begeisterung für die Materie Schnee zeigt sich bei Jürg auch ausserhalb der Arbeit: In seiner Freizeit ist er genauso häufig im Schnee anzutreffen, sei es privat auf Skitouren, als Leiter mit der JO Brugg oder einfach auf der Piste. Natürlich spielt die Affinität für das „weisse Gold“ bei der Stellenwahl eine Rolle und die Arbeit am SLF, wo sich fast alles um Schnee dreht, ist doppelt so spannend, wenn man selber gerne im Schnee unterwegs ist.

Auf die Frage ob es dereinst möglich sein wird, Pulverschnee auch für die Pisten zu produzieren, winkt Jürg ab. Zu klein ist die Kapazität und zu gross der Energieverbrauch der künstlichen Wolke. Aber eigentlich ist er ganz froh darüber: Die Natur lässt sich eben nicht so einfach austricksen! Umso mehr liegt es ihm am Herzen, dass wir uns alle dafür einsetzen, unsere Umwelt weiter zu schützen. Denn nur wenn es auch in den kommenden Jahrzehnten noch genügend kalt bleibt, kann uns die Nordstauwolke nicht nur Regen, sondern auch echten Pulver bringen.

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