Zum Inhalt springen

Cookies 🍪

Diese Website verwendet Cookies, die Ihre Zustimmung brauchen.

Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung

This page is also available in English.

Zur Powderguide-Startseite Zur Powderguide-Startseite
Interviews

Interview | Sebastian zum neuen PowderGuide Wetter

Die Hintergründe und Einleitung zu PG-ICON-Wetter

von Lorenzo Rieg 28.11.2023
Mit der neuen PowderGuide Website präsentieren wir unserer Community auch ein vollkommen neu entwickelten Wetterservice: das PG-ICON-Wetter. Federführend darum gekümmert hat sich Sebastian, der den meisten Leserinnen und Lesern wohl vor allem aus unserer Rubrik „Videos der Woche“ bekannt ist. Tatsächlich ist Sebastian aber promovierter Meteorologe und erforscht aktuell an der Universität Trento tropische Niederschläge in hochaufgelösten globalen Klimamodellen. Wir sind somit sehr froh mit Sebastian einen Spezialisten im Team zu haben und freuen uns Ihn und das neue PG-ICON-Wetter im Rahmen eines Interviews vorstellen zu können.

Hi Sebastian! Schön, dass wir uns zu einem Interview treffen können, in dem wir einiges über die neuen Wetterkarten bei PowderGuide und wie diese zustande kommen erfahren werden.

Aber vielleicht erstmal noch ein bisschen zu dir. Wo kommst du her, was machst du so, wieso zieht es dich in die winterlichen Berge und wie bist du zu PowderGuide gekommen?

Ciao Lorenzo, die Freude ist ganz auf meiner Seite. Ich bin aufgewachsen in einem Kaff in Niederbayern und habe das Skifahren von ganz klein auf im bayerischen Wald erlernt. Mittlerweile lebe ich auf der Alpensüdseite und betrachte die Julischen Alpen und die friulianischen Dolomiten als meine Hausberge. PG ist mir gefühlt schon seit ewig bekannt, und irgendwann habe ich Skistraps bestellt und anbei gefragt warum es denn die „Videos der Woche“ nicht mehr gibt… und dann nahm das seinen Lauf!

Dann kommen wir doch jetzt zum Wetter. Du hast Meteorologie studiert und beschäftigst dich in deiner Forschung mit regionalen und hochaufgelösten Klimamodellen. Wie kam es dazu und was interessiert dich besonders daran?

Ich begann erst mit einem Physikstudium an der LMU in München, und nach zwei Semestern wollte ich mehr Natur in der Physik und wechselte zum B.Sc. Physik plus Meteorologie. Das funktionierte sogleich voll gut und ich bin seitdem in der Forschung tätig, wobei sich konvektive Wolken als zentrales Thema manifestiert haben. Das Verstehen der uns ständig umgebenden Wetterphänomene ist ein besonderer Reiz, und gleichsam die Komplexität unserer Atmosphäre eine unendliche Herausforderung.

Mit dem Hintergrund liegt die Verbindung ja nahe, zudem hast du ja auch in den letzten Wintern bereits teilweise den WetterBlog übernommen. Trotzdem noch die Frage, wie kam es dazu, dass du dich um die neuen Inhalte im Bereich des Wetters bei PowderGuide gekümmert hast, und wie war denn hier der Prozess?

Das war anfangs gar nicht geplant. Ich habe die Neugestaltung unserer Website begleitet, und irgendwann kam die Frage auf, wie unser Wetterservice denn gestaltet werden solle. Es stand dabei sogar zur Diskussion ob wir ihn vielleicht aus Kostengründen aussetzen sollten. Ich habe daraufhin vorgeschlagen die Machbarkeit eines eigenständigen PG-Wetters zu erkunden, und habe den DWD (Deutscher Wetterdienst) kontaktiert und sogleich wurde ich auf die freie Verfügbarkeit aller ihrer Vorhersagen verwiesen. Dann konnte ich halbwegs problemlos erstmal die alt-bekannten Vorhersage-Produkte erstellen, und dann waren wir uns schon ziemlich einig, dass das machbar ist und sich lohnen könnte.

Kommen wir zur neuen Seite beziehungsweise den Inhalten beim Wetter auf PowderGuide, welche Produkte finde ich denn jetzt auf der neuen Seite?

Ja, wir finden alles was unserer Community schon bekannt ist: Schneehöhen und ihre Veränderung, Sonnenscheindauer und natürlich Neuschneemenge. Dann haben wir in den ausgegeben Daten noch Variablen gefunden, die den Zustand der modellierten Schneedecke beschreiben: Schneealter, Schneedichte und Schneetemperatur! Diese findet man (to the best of my knowledge) nur bei uns. Wir runden unser Angebot noch mit der Schneefallgrenze, den maximalen Böen, der Regenmenge und der Lufttemperatur in Bodennähe ab, und schließlich haben wir auch noch Ensemble-Modelle im Repertoire!

Das ist ja wirklich einiges Neues! Werden die Informationen 1:1 aus dem Modell übernommen, oder wird hier noch etwas für die Anzeige auf PowderGuide verändert?

Die Gitterstruktur von ICON entspringt einem Ikosaeder, der in beliebig viele Dreiecke aufgeteilt werden kann. Damit kann über dem ganzen Globus eine gleichmäßige räumliche Auflösung erzielt werden. Wir interpolieren diese Daten auf ein entsprechend hoch-aufgelöstes lat-long-Gitter und erstellen unsere Plots. Aus diesen Bild-Dateien werden dann für die unterschiedlichen Zoom-Stufen Kacheln erstellt, die wir schließlich zu sehen bekommen. Bis auf dieses Remapping nehmen wir also keine Manipulationen vor.

Die Information, die auf PowderGuide zum Wetter zur Verfügung gestellt werden, haben sich mit der neuen Seite ja stark verändert. Bis einschließlich letzter Saison basierten die Daten zuvor Großteils auf dem regionalen Wettermodell des österreichischen Wetterdienstes, der GeoSphere Austria (früher Zentralanstalt für Meteorologie und Geophysik), die wir zugekauft haben. Jetzt werden andere Daten verwendet. Kannst du uns erklären was der Unterschied ist und was es mit den neuen Daten auf sich hat?

Alle gezeigten Vorhersagen werden vom DWD mit ihrem ICON-Modell zum einen global, als auch regional auf verfeinerten Gittern für Europa (ICON-EU) und für Deutschland und den Alpenraum (ICON-D2) operationell berechnet. Nun weiß ich nicht welches Modell GeoSphere verwendet, aber sicherlich ist ICON als eines der besten Wetter- und Klimamodelle einzuschätzen. Gerade das ICON-D2 Modell ist wegen seines feinen Gitters mit 2.2km Weite besonders vielversprechend. Trotzdem garantiert das keine perfekte Vorhersage, denn die Bestimmung des Anfangszustandes der Atmosphäre kann nicht perfekt sein und das Fehlerwachstum in der Atmosphäre ist nicht-linear.

Ein Ansatz, um mit Vorhersage-Unsicherheiten umzugehen, ist die Verwendung eines Ensembles: Das heisst es wird nicht nur ein einzelnes (deterministisches) Modell gerechnet, sondern ein Ensemble bestehend aus vielen Vorhersagen (20 für ICON-D2, 40 für ICON-EU), die jeweils mit leicht veränderten Anfangsbedingungen gestartet werden. Damit kann die Qualität der Vorhersage eingeschätzt werden: Divergieren die einzelnen Ensemble-Vorhersagen stark voneinander, dann ist die gegebene Großwetterlage sehr anfällig für kleinen Störungen, und die Qualität der (determistischen) Vorhersage gering. Umgekehrt gilt, dass zum Beispiel Wetterlagen die von stabilen Hochdrucksystemen dominiert werden, sehr verlässlich sind und die einzelnen Ensemble-Simulationen sich nur wenig unterscheiden, und folglich die Vorhersage sehr verlässlich ist. Wir bieten in unserem PG-ICON-Wetter die Ensemble-Vorhersage-Systeme (EPS) ICON-D2-EPS und ICON-EU-EPS, die man sonst auch nur schwerlich anderswo findet. Wir zeigen dabei das Mittel über alle Ensemble-Vorhersagen, was als wahrscheinlichste Vorhersage betrachtet werden kann, und zudem das Minimum und Maximum, was für die Vorhersage von Neuschnee als pessimistischste bzw. optimistischste Vorhersage gesehen werden kann. Schließlich errechnen wir mit Hilfe des Ensemble die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten einer kritischen Neuschneemenge.

Alles klar, wir haben also erstmal gute Daten und können uns über die Informationen der Ensembles sogar die Qualität der Vorhersage erkennen. Auf was schaust du denn selbst bei den PowderGuide Karten, wenn du herausfinden möchtest, wo es viel, beziehungsweise am meisten schneit, oder wo du in den nächsten Tagen zum Skifahren hin möchtest?

Naja, ich werde sehr regelmäßig die Neuschneemenge beobachten, und wenn dann was kommt genauer hinschauen. Das heißt Schneelage, Temperaturen und Windböen checken, was mit den verfügbaren Masken (Einflüsse) funktionieren sollte.

Super, da wird ja jetzt wirklich einiges angeboten, was auch weit über die reinen Informationen zu Niederschlagsmengen hinausgeht. Was hältst du denn für besonders spannend?

Ich bin besonders gespannt auf Schneedichte und Schneetemperatur. Wir werden wohl erst im Saisonverlauf sehen, wie hilfreich und verlässlich diese Variablen sind, die ersten Eindrücke sind jedenfalls vielversprechend. Dann finde ich natürlich die Ensemble-Modelle spannend, und dabei besonders die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten einer kritischen Neuschneemenge, hier 15 cm. Schließlich habe ich in die deterministischen Neuschneevorhersage noch Masken (Einflüsse) eingebaut, die andeuten wo Neuschneefälle von Wärme, Wind oder mangelnder Unterlage beeinflusst sind. Vielleicht wird hier im Saison-verlauf noch etwas fine-tuning vorgenommen. Ich bin auch besonders gespannt auf das Feedback unserer Community, und natürlich hätten wir noch einige Erweiterungen im Sinn - schau ma mal!

Und was empfiehlst du uns für den Umgang mit Wetterinformationen bzw. Vorhersagen, gerade hinsichtlich unserer Tourenplanung? Wie sehr kann ich mich auf die Angaben auf PowderGuide, oder auch sonst wo, verlassen?

Die von uns gezeigten ICON-Vorhersagen sind sicherlich von bester Qualität, aber Wettervorhersagen von gleich welchem Modell haben keinen Anspruch auf Richtigkeit. Die numerische Wettervorhersage bleibt wegen der Komplexität und Nicht-Linearität der Atmosphäre eine ewige Herausforderung: All models are wrong, but some are useful (George Box)!  Dahingehen tragen die Lawinenwarndienste eine wirkliche Verantwortung, und der Check der Lawinenlageberichts ist für jeden der in den Schnee geht unverzichtbar.

Wenn wir uns das, auch in der Vergangenheit, anschauen, hat sich die Wettervorhersage generell und auch das Angebot auf PowderGuide in den letzten Jahren immer weiter verbessert. Woran liegt das, und können wir für die Zukunft weitere solche Entwicklungen erwarten?

Ich denke wir stehen an einem sehr interessanten Punkt in der operationellen Wettervorhersage und ICON-D2 ist ein Paradebeispiel für diese Entwicklung: Es wurde dank gestiegener Rechenkapazitäten nun eine Gitterweite von 2,2km erreicht, womit die Simulation aller Prozesse die mit komplexer Orographie und konvektiven Wolken zu tun haben, entscheidend verbessert sein sollte: Niederschläge, lokale Windsysteme und Temperaturen. Wir erkennen aber auch, dass auf größeren Zeit- und Raum-Skalen hochaufgelöste Modelle ihre Schwierigkeiten haben und die gröberen Modelle mit Parametrisierungen oftmals besser funktionieren. Daher scheint ICON-D2 wegen seiner räumlich und zeitlich begrenzten Skalen ein ideales System. Schließlich, wie die Entwicklung der numerischen Wettervorhersage aussieht, wird auch maßgeblich vom Einzug von künstlicher Intelligenz (KI) in die Vorhersagesysteme bestimmt sein. Obwohl die KI riesiges Potenzial hat und dieses auch schon unter Beweis gestellt hat, kann sie wegen der Verdrängung physikalischer Gesetze auch fehlschlagen.

Was würdest du dir für diese zukünftigen Entwicklungen wünschen, sowohl für Freeriderinnen und Freerider aber auch darüber hinaus?

Ich wünsche mir, dass die Wettervorhersagen sowohl wertvoll als auch inpirierend sind. Die Wettervorhersage ist immer Teil der Tourenplanung und ich hoffe wir tragen hierzu einige wertvolle Informationen bei. Betreffend der gegenwärtigen und zukünftigen Klimaerwärmung glaube ich sind wir zur Flexibilität und Geduld angehalten. Es wird immer wieder richtig gute Schneetage geben, auf die sich das Warten lohnt, und dann kann man sich den Tag hoffentlich freinehmen und losfahren. Oder losradeln! Wir tun gut daran Aspekte wie Abenteuer und Naturerlebnis höher zu bewerten als die reine Schneequalität. Die Suche nach Powder wird mit dem Klimawandel wohl schwieriger werden, aber an Herausforderungen wird es einem in den Alpen nie mangeln. Und wann immer es Powder gibt soll unser PG-ICON-Wetter eine wertvolle Entscheidungshilfe sein.

Natürlich kommen wir darum nicht herum. Welche Rolle spielt denn der Klimawandel für das Wetter in den Alpen? Es ist klar, dass es sich hier um ein sehr komplexes Thema handelt, aber erkennt man mittlerweile Trends, oder kann man da noch keine seriöse Aussagen machen?

Ich würde sagen, man sieht den Klimawandel gerade in den Alpen besonders stark, allem voran im Rückgang der Gletscher und des Permafrosts. Klimaprojektionen sind sich betreffend der alpinen Niederschläge in einem wärmeren Klima auch ziemlich einig: es wird mehr geben, vor Allem im Winter, und vor Allem aber mehr Regen und in immer höheren Lagen. Natürlich wirkt sich das ungünstig auf die Schneelage aus, besonders in tieferen Lagen. All das kann man gegenwärtig gewiss nicht nur subjektiv aus den Eindrücken der letzten Winter so empfinden, sondern auch in der Analyse von Messreihen schon belegen.

Wir kommen dann zum Ende unseres Interviews, vielen Dank das du dir die Zeit für das Beantworten der zahlreichen Fragen genommen hast. Möchtest du uns abschließend noch etwas mitteilen?

Ein Riesendank geht an das Team von croox, allen voran an Andi, die das möglich gemacht haben, an Colin für die Unterstützung im Roiano Office, an Totti für seine Aufmerksamkeit und Steuerung, und ein Kompliment geht an den DWD, der zum einen ein hervorragendes Modell betreibt und dieses wirklich barrierefrei zur Verfügung stellt. Zuletzt danke ich Simona Bordoni, für den mir zugestandenen Freiraum.

Zwar bin ich gerade zufrieden mir dem staus quo, aber es gäbe noch ewig viele Verbesserungsmöglichkeiten: Meteogramme mit Spaghetti, eine Sonde für exakte Werte, wind chill temperature…

Schließlich kündige ich an, regelmäßig im Wetterblog die Funktionalitäten unseres PG-ICON-Wetters in kurzen Tutorials zu erklären, und diese dann in einem Glossar zu sammeln. Feedback nehme ich gerne entgegen, per email oder in den Kommentaren auf der Wetterseite. Dort kann man auch gerne die Vorhersagen beklagen oder feiern!

Fotogalerie

Ähnliche Artikel

Kommentare