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Interviews

PowderPeople | Nadine Wallner

"Wenn man mehrere Sportarten ausübt, kann man auch viel besser mit den Jahreszeiten und der Natur mitgehen. Dann trauert man nicht nur der einen Jahreszeit nach."

von Claus Lochbihler 04.02.2025
Ein Interview mit Nadine Wallner (geb. 1989) über ihre Sportarten neben dem Skifahren, ihre Vorliebe für Kaspressknödel und das Einmaleins des Sluffmanagements. Und wie sie in der Reha einst das Klettern für sich entdeckte ….

Claus Lochbihler: Nadine, als ich deinen Steckbrief gelesen habe, ist mir aufgefallen, dass du für eine krasse Skifahrerin ganz schön leicht bist: 56 Kilo.

Nadine Wallner:  Ich versuche im Winter auch immer etwas mehr Gewicht aufzubauen. Weil du die Skier dann noch besser ums Eck bekommst. Und noch etwas dynamischer und spritziger Skifahren kannst, auch wenn der Schnee mal schwerer ist. Es ist ja nicht so, dass man immer im Japan-Powder fährt, wo der Schnee nur so von dir wegrieselt. Lachen. Aber mit der vielen Bewegung und meinem großen Grundumsatz, klappt das nicht so richtig mit der Gewichtszunahme. Wenn du in Serie richtig lange Skitouren- und Freeride-Tage hast so wie ich und dabei nur frühstückst und nur abends richtig isst, ist das einfach zu wenig, um Gewicht aufzubauen.

So viele Kaspressknödel kann man gar nicht essen.  

Nein. Lachen.

Dabei ist das – wenn ich richtig gelesen habe – dein Leibgericht.

Stimmt. Ich bin zwar Allesesser, aber Kaspressknödel mag ich schon am liebsten.

Wenn du internationalen Besuch bekommst – bekommt der dann Kapressknödel vorgesetzt?

Sehr gerne. Oder ein Schnitzel – je nachdem, ob Veggie oder nicht.

Fürs Klettern sind 56 Kilo natürlich super….

Es gibt wohl kaum Sportarten, die so gegensätzlich sind wie Skifahren und Klettern. Ein Spitzenkletterer will eigentlich nicht Skifahren – da bekommst du Oberschenkel, die du beim Klettern eigentlich nicht gebrauchen kannst. Das Extrem sind natürlich die Abfahrer – die brauchen Masse, die sie in Bewegung setzen können.

Warst du, als du noch in der Freeride World Tour gefahren bist, mit die leichteste Fahrerin im Feld?

Das war ziemlich gemischt. Da gab es Fahrerinnen, die deutlich mehr Muskeln hatten als ich. Aber auch solche, die einen ähnlich leichten Körperbau hatten. Aber natürlich ist mir schon oft gesagt worden, dass an mir eigentlich eine bessere Kletterin verloren gegangen ist, wenn ich nicht so viel Skifahren würde.

“Ich wollte es immer nur bis zum nächsten Haken schaffen und habe nicht danach geschaut, wie weit der letzte Fortschritt schon zurücklag”

Aber du bist ja auch Kletterin – und nicht die schlechteste.

Stimmt. Aber ich wäre natürlich viel besser, wenn ich nicht jedes Jahr sechs Monate quasi Kletterpause hätte, weil ich da nur beim Skifahren bin. Dann ginge sicher noch mehr beim Klettern. Rein von meinen physischen Begebenheiten her bin ich fürs Klettern eigentlich gut ausgestattet. Nicht nur, weil ich recht leicht bin, sondern auch, weil ich im Verhältnis zu meiner Körpergröße sehr lange Arme habe.

Du hast eine gute Spannweite.

Genau. Mein Ape-Index liegt bei plus 12 – meine Armspannweite ist also 12 cm länger als meine Körpergröße. Das ist viel. Ich bin klein, habe aber ziemlich lange Arme.

Du hast mit dem Klettern ja erst quasi als Reha-Maßnahme nach deinem schlimmen Freeride-Unfall in Alaska 2014 angefangen. Wie kam es dazu? Und warum hast nicht schon früher damit begonnen - dein Vater ist schließlich Berg- und Skiführer.

Weil bei uns in der Familie Skifahren immer DIE zentrale Aktivität war. Stimmt, mein Papa ist Berg- und Skiführer und wir sind auch immer viel in die Berge gegangen. Aber das war immer mehr Bergsteigen als Klettern: also Bewegung im leichten Scramble-Gelände. Aber wir waren nie eine Wand klettern. Wir waren auch nie Sportklettern. Oder nur sehr selten. Einfach deshalb, weil wir so viel Ski gefahren sind. Oder auf Skitour oder Skihochtour waren.

Aber dann hast du das Klettern nach deiner schweren Verletzung für dich entdeckt.

Eigentlich war es so, dass man mir in Alaska bei der OP einen zu langen Marknagel eingesetzt hatte. Dadurch hatte es mir die Beinachse verschoben und der Marknagel hat ins Sprunggelenk hineineragt und hat da was blockiert. Dadurch konnte ich meine Ferse nicht mehr heben  – das hat einfach überhaupt nicht mehr funktioniert. Nach sechs Monaten Reha und Training habe ich immer schlimmere Schmerzen bekommen. Das hat im Sprunggelenk angefangen, ist dann ins Knie gewandert und weiter bis in die Hüfte hoch. Einfach dadurch, dass die Beinachse so verschoben war und falsch belastet worden ist. Ich bin dann nochmal operiert worden, weil der Marknagel gegen einen kürzeren ausgetauscht werden musste. Danach also wieder Reha: fast bei null, weil alles, was ich mal an Muskeln hatte in sechs Monaten der Unbeweglichkeit quasi verschwunden war. Und da kam dann das Klettern ins Spiel. Das war eine sehr coole Methode, mit Handunterstützung wieder Kraft in den Beinen aufzubauen. Es hat noch dazu Spaß gemacht hat – viel mehr als auf der Stiege oder am Gerät zu stehen und da meine Sätze zu machen. Das Klettern als Reha war auch eine Ablenkung davon, dass ich zu der Zeit immer noch nicht Skifahren konnte. Ich hab’s ein paar Mal versucht, aber ich hatte solche Schmerzen, dass ich mit dem Lift nicht nur raufgefahren bin – ich bin mit dem Lift auch wieder runter.  

Gab es Zeiten, wo du Angst hattest, dass es vielleicht mit dem Skifahren nie wieder was wird?

Ich muss ehrlich sagen, dass ich trotz der Schmerzen und der langen Genesungszeit nie diese Angst hatte. Es war eher so wie beim Klettern: ich wollte es immer nur bis zum nächsten Haken schaffen und habe nicht danach geschaut, wie weit der letzte Fortschritt schon zurücklag.

Du hast also in kleinen Fortschritten gedacht.

Genauso wie wenn man sich den nächsten schwierigen Zug vorstellt. Bei meiner Genesung hat mir das Klettern wirklich sehr viel geholfen. Ich war dadurch beschäftigt und gefordert und habe mental sehr viel für mich gelernt. Beim Klettern lernt man, sich zu überwinden, Probleme taktisch anzugehen und sehr methodisch zu trainieren. Man hat beim Klettern in der Regel auch mehr Zeit als beim Skifahren zu überlegen und Entscheidungen zu treffen.

Was taugt dir denn am meisten am Klettern?

Für mich ist es das coolste immer noch onsight oder flash zu klettern – wenn es einem also gelingt, seine Leistung ganz punktuell abzurufen. Ich projektiere auch ab und zu, aber cooler oder schöner finde ich immer noch, wenn mir Routen onsight oder flash gelingen, weil ich da mein gesamtes Setup an Fertigkeiten auspacken und abrufen muss.

Ist das auch näher an dem, wie du Skifahren erlebst?

Ja, weil du auch beim Freeriden immer nur einen Versuch hast. Gerade, wenn ich mit einem Filmteam unterwegs bin. Da habe ich immer nur einen Versuch pro Line – also gewissermaßen onsight.

Du hast dann beim Klettern in kurzer Zeit Wahnsinnsfortschritte gemacht. Hast einen Winter lang sogar mit Babsi Zangerl trainiert….

Stimmt. Das war schon lässig mit ihr. Wobei ich davon sicher mehr profitiert habe als die Babsi, für die sich das Skifahren nicht so ganz ausging, weil sie damals davon Probleme mit dem Rücken bekam. Und bei mir muss man im Nachhinein auch sagen, dass ich wahrscheinlich zu schnell zu große Fortschritte im schweren Klettern gemacht habe. Und für diesen explosiven Senkrechtstart ins Klettern auch Lehrgeld bezahlen musste.

Du hast mit Verletzungen zu kämpfen gehabt.

Besonders mit Fingerverletzungen. Umso schöner, dass ich vergangenen Sommer verletzungsfrei geblieben bin – obwohl ich nicht weniger schwer geklettert bin, auch an ganz kleinen Griffen.

Was hast du geändert?

Meine Consistency.

Beim Klettern?

Nein, bei den Ausgleichsübungen. Das ist zwar immer etwas langweilig, speziell bei den Fingern, aber es bringt einfach sehr viel. Je mehr umso regelmäßiger man die Übungen macht. Es geht darum, die Strukturen unter Belastung zu halten – so nenne ich das jedenfalls. Wenn ich die Bänder, Muskeln, Kapseln regelmäßig unter Belastung halte, werden sie stärker. Und weniger verletzungsanfällig.  

Mit was arbeitest du da?

Mit Lattice Training, dieser großen Kletter-Community. Mit deren Trainings habe ich es geschafft, verletzungsfrei zu bleiben. Man muss einfach regelmäßig dranbleiben. Einer Trainerin dort ist  eine Freundin von mir. Die hatte ich um Rat gebeten, wie ich beim Klettern verletzungsfrei bleiben kann. Dann haben wir zusammen einen Trainingsplan ausgearbeitet. Und seitdem ich fleißig danach trainiere geht es mir wirklich gut – ganz ohne Fingerverletzungen im vergangenen Jahr. Hoffentlich bleibt es auch so.

Du gehst im Winter also nicht in die Halle?

Kaum. Da habe ich wegen des Skifahrens fast keine Zeit für etwas anderes. Aber ich mache eben weiter meine Übungen, die mir Lattice gezeigt hat. Das ist nur eine halbe Stunde Aufwand pro Tag. Oder sogar weniger. Wenn du dann wieder anfängst zu klettern, hast du nicht das Problem, das ich früher hatte: zu viel Kraft für meine Finger und Strukturen. Wenn ich sie aber auch im Winter unter Belastung halte, fällt der Schock beim Wiedereinstieg ins Klettern geringer aus – dann sind die Finger, Bänder und Sehnen vorbereitet und es entstehen auch nicht diese Mikroverletzungen, die mir so zu schaffen gemacht haben.

Glaubst du, dass du beim Skifahren vom Klettern in irgendeiner Form profitierst? Vorhin hast du ja gesagt, dass das zwei so extrem verschiedene Sportarten sind. Gibt es vielleicht auch Überlappungen? Ist dein Skifahren vielleicht sogar noch besser geworden, dadurch, dass du jetzt auch kletterst?

Ich glaube tatsächlich, dass sich beide Sportarten an sich nicht besonders gut ergänzen. Andererseits ist Klettern natürlich ein brutal effizientes Training für den Oberkörper. Man bekommt vom Klettern eine exzellente Oberkörperstabilität, von der man natürlich auch beim Skifahren profitiert.  Ich wäre sicherlich eine bessere Kletterin, wenn ich keine so lange Skisaison hätte. Aber ich habe trotzdem noch keinen einzigen Schwung bereut. Lacht.  Obwohl der Start in die vergangene Klettersaison schon hart war.

Weil deine Skisaison so lang war?

Genau. Ich bin 2024 bis zum 26. Juni auf Ski gestanden.  So wenig beim Klettern wie vergangenen Frühling war ich echt noch nie seitdem ich mit dem Klettern angefangen habe. Normalerweise ziehe ich es bis Jänner durch, dass ich im Winter zumindest ab und zu in die Kletterhalle gehe. Danach kommen die Hochsaison-Monate fürs Skifahren, in denen ich dann meistens gar nicht mehr klettern gehe. Auch weil ich da so viel auf Reisen unterwegs bin. Oft an Orten, wo es eh keine Kletterhallen gibt. Vergangene Saison dauerte meine Skisaison also zwei Monate länger als sonst – einfach weil die Verhältnisse so gut waren. Die Felsen zum Klettern sind ja immer da und so wie im Frühling 2024 die Verhältnisse waren, gerade in die Westalpen, musst du als Skifahrerin einfach zuschlagen. Das kommt einmal in 10 Jahren vor, dass so viel Schnee liegt. Da sind meine Prioritäten dann schon ziemlich klar: Skifahren!

"Ich musste Vertrauen aufbauen, damit ich nicht gleich Panik schiebe, wenn sich irgendwas Weißes in meinem Rücken bewegt."

Du hattest 2014 in Alaska diesen Unfall mit einem offenen Schien- und Wadenbeinbruch. Hat sich dein Skifahren, deine Einstellung dazu, durch diese Erfahrung irgendwie verändert? Bist du vorsichtiger geworden?  Auch weil die Genesung ja so lange gedauert hat.

Bis nach dem Unfall von 2014 physisch alles wieder funktioniert hat, hat es gut zweieinhalb Jahre gedauert.

Du hast also drei Winter dadurch verloren.

Genau. Ich bin zwar im dritten Winter schon wieder Ski gefahren, aber da war ich immer noch weit davon entfernt, dass alles wieder zu hundert Prozent okay war. Und als ich dann endlich gemerkt habe, dass ich physisch fast wieder hergestellt war, hatte ich immer noch ziemlich mit dem Kopfkino vom Unfall zu kämpfen. Aber auch dabei hat mir das Klettern geholfen – weil es eine so gute Schule der Überwindung und der Fokussierung ist.

Das hat dir also geholfen, die mentale Hemmung nach deinem schweren Unfall zu überwinden?

Genau.

Wie hat sich diese Hemmung, dieses negative Kopfkino nach dem Unfall für dich angefühlt?

Mein Unfall ist ja durch Sluff entstanden -  also auf der Oberfläche nachrutschender Schnee, der sich aufgrund der Steilheit löst. Sluff kann viel sein, der kann schnell sein, der kann auch wenig sein – je nachdem welche Line, welchen Hang oder welche Spine du fährst - und wie du sie fährst. Wenn du den Sluff nicht richtig managst, dann kann er dich von den Skiern reißen – so wie mich in Alaska.  

Worin lag dein Fehler?

Ich bin etwas zu dynamisch gefahren – und in den eigenen Sluff hinein. Ich habe das unterschätzt und offenbar gedacht, dass ich da schon durchkomme. Als ich nach dem Unfall endlich wieder Ski fahren konnte, musste ich das Vertrauen zu mir wieder aufbauen. Das Vertrauen, dass ich mein peripheres Blickfeld in mein intuitives Entscheiden wieder gut – wie soll ich sagen? – einbetten kann. Und dabei zu guten Entscheidungen komme. Ich musste Vertrauen aufbauen, damit ich nicht gleich Panik schiebe, wenn sich irgendwas Weißes in meinem Rücken bewegt. Es geht auch darum, dass man der Intuition seiner Entscheidungen vertraut. Es ist beim Skifahren in freien Geländen ja so, dass du vieles sehr, sehr schnell entscheiden musst. Man plant deswegen schon im Vorfeld, was in einer Line passieren und wie man dann reagieren könnte. Damit du – falls eine gefährliche Situation eintritt - intuitiv auf dem aufbauen kannst, was du geplant hast.

Deine Bindung ist damals nicht aufgegangen.

Wobei das bei dieser Art von Sturz nicht die Schuld der Bindung war: Ich bin ja eine Spine, eine Rippe, gefahren und dann hat es mich mit einem Highsider, also einem Rückwärtsdreher, von dieser Spine abgeworfen und dann bin ich im Nebengully gelandet. Dabei ist ein blöder Hebel in die falsche Richtung auf mein Bein gekommen. Deswegen ist es beinahe sofort gebrochen – schon im zweiten oder dritten Überschlag. Und weil das Bein schon gebrochen, der Ski aber noch dran war und vom gebrochenen Bein keinen Widerstand bekam, ist die Bindung auch nicht mehr aufgegangen. Die Bindung war nicht einmal sonderlich hart eingestellt. Das gebrochene Bein hat verhindert, dass sie auslöst.

“Ich glaube, dass das schnelle, intuitiv richtige Entscheiden einen großen Schatz an Erfahrungen voraussetzt.”

Bei der dritten Abfahrt in deinem aktuellen Film „Backyard“ - ist das eigentlich eine Lawine oder Sluff?

Eine Kombi. Wir haben da oben im Bettlerkar ein durch Wind entstandenes Schneepolster ausgelöst – das war an sich zu klein, um jemanden zu verschütten. Aber im Couloir wird so ein Rutsch natürlich schneller und schneller und akkumuliert sich auf engem Raum. Hinzu kamen die Felsen am Rand des Couloirs und die Richtungsänderung im Couloir – und dass der Schnee Yannick Glatthard Richtung Felsen hätte spülen können. Außerdem hat Yannick das Problem, das ihn da in seinem Rücken verfolgt hat, erst sehr spät bemerkt. Deswegen ist er erst im letzten Moment nach links ausweichen. Auch das ist ein Beispiel für die sehr intuitiven, blitzschnellen Entscheidungen, die man beim Skifahren oft treffen muss. Da bleibt keine Zeit, um groß nachzudenken. Zum Glück ist es gut ausgegangen.

Wie lässt sich Sluffmanagement vorher planen?

Man überlegt immer, wie man sich beim Abfahren vom Sluff wegbewegen kann. Manche Lines lassen das aber nicht zu. Dann sollte man bei einem Testrun ausprobieren, ob der Sluff schnell oder langsam ist. Ober man ihm davonfahren kann oder ob das Risiko besteht, dass er dich einholt. Und dann muss man natürlich beim Fahren und besonders bei der Einfahrt in die Line ganz besonders auf den Schnee achten – das sind die kurzfristigsten, aktuellsten Informationen die man bekommt. Es ist alles natürlich auch eine Frage der Erfahrung. Ich glaube nämlich, dass das schnelle, intuitiv richtige Entscheiden einen großen Schatz an Erfahrungen voraussetzt. Oft geht es um Bruchteile von Sekunden, in denen man entscheiden muss. Und von denen manchmal abhängt, ob eine Situation gut ausgeht oder nicht.

Wo hast du den bislang krassesten Sluff erlebt? In Alaska?

Definitiv. Erstens, weil es dort oft so kalt ist. Zweitens, weil man dort die krasseste Spines fährt, weil die Stürme vom Meer den Schnee fast vertikal zum Picken bringen. Der Schnee rieselt bei der Einfahrt nur so von dir weg – das fühlt sich im steilen Gelände fast wie freier Fall an. Wenn du dann auch noch von deinem Sluff erfasst wirst, bedeutet das meistens Absturz.

Wie unterscheidet sich das Fahren früher bei einem Contest vom Freeriden?

Bei einem Contest steht natürlich die Performance im Vordergrund: was ich als Skifahrerin mache und ob ich mein Können richtig einschätze. Bei einer Competition kann und muss ich mich komplett auf meine Fahrperformance konzentrieren, weil ich mich um so etwas wie Lawinen - in der Regel jedenfalls - nicht kümmern muss. Der Hang ist bei Wettbewerben ja abgesichert und gesprengt, da ist ein ganzes Bergrettungsteam da, da muss ich mir eigentlich um andere Sachen als meine Fahrperformance keine Gedanken machen. Ganz anders im freien Gelände und auch beim Filmen im freien Gelände: da kommen so viel mehr Entscheidungen hinzu. Selbst mit Guide. Ich war immer schon ein Fan davon, dass man selber mitdenkt, auch wenn man einen Guide dabei hat. Bei großen Produktionen ist das ja fast immer der Fall und in Alaska kommst du ohne Guide und Supervisor eh fast nirgendwo hin. Und trotzdem sollte man als Athlet das nötige Wissen haben, damit man auch bei Filmproduktionen Entscheidungen selber treffen kann. Und auch hinterfragen kann, was der Guide da so erzählt und ob sich das mit dem deckt, was man selbst wahrnimmt. Das macht auch skifahrerisch mehr möglich, weil die Guides oft sehr vorsichtig sind – das ist ja auch ihr Job. Aber wenn du mitarbeitest und dich einbringst und die merken, dass du wirklich weißt, was du tust, sind auf einmal ganz andere Faces und Lines möglich.

Musstes du lernen, mit dem Gefilmtwerden und seinen psychologischen Folgen umzugehen? Es kann ja sein, dass man nur, weil man gefilmt wird, mehr riskiert.

Das ist ganz klar so. Man will einen bestimmten Shot und jeder, der behauptet, er riskiere beim Filmen nicht mehr als ohne Kamera, dem glaube ich nicht. Es ist ein bisschen so wie bei einem Wettkampf, wo man ja auch mehr Druck hat. Beim Filmen muss ich mich auch – ganz ähnlich wie bei einem Contest - in einen anderen Konzentrationszustand bringen, als wenn ich jetzt privat irgendwo just for fun runterfahre. Da kann ich jederzeit stehen bleiben. Im Contest oder beim Filmen will man die Line so fahren, wie man sich das vorgestellt hat. In einem Zug. Man will sich mit seiner Line ja auch ausdrücken. Wenn das dann auch noch gefilmt wird, heißt das, dass ich anderen Menschen zeigen darf, wie ich Ski fahre und wer ich als Skifahrerin bin.

Es ist auch ein Ausdruck von Kreativität.

Natürlich mit gewissen Absprachen. Wenn die Kamera läuft, ist es meine Aufgabe, die Line möglichst gut und schön zu fahren – aber natürlich so wie man das mit dem Foto- oder dem Filmteam besprochen hat. Da geht es um die verabredeten Shots, ums Licht und den Schatten. Da geht für das ganze Team darum, exakt auf den Punkt hin zu arbeiten.  

“Es ist auch cool, wenn man anfängt die Schneedecke zu verstehen.”

Hattet ihr bei „Backyard“ einen Guide oder warst du das?

Ich hatte schon die Hauptverantwortung. Was insofern auch etwas lustig war, weil ich die einzige am Film beteiligte Frau war.  Ich hatte in die Planung mit dem Regisseur Tim Marcour sehr viel Zeit investiert. Als das Filmerische geklärt war, habe ich mich nach Ski-Partnern umgesehen. Es mussten Partner sein, die für mich im Fall des Falls einen guten Backup dargestellt hätten.  Das Ziel war ja, am ersten schönen Tag nach einem guten Schneefall loszuziehen – da sind gute Partner schon sehr wichtig.

Wie waren denn die Lawinen- und - Schneeverhältnisse an dem Drehtag?  Zum Teil wird es im Film thematisiert, aber was habt ihr in eure Planung noch einfließen lassen, was im Film nicht vorkommt?

Wir sind eigentlich fast keinen schlechten Schwung gefahren an dem Tag – insofern war der Schnee überwiegend geil. Es gab einen gewissen Windeinfluss – insofern musste man bestimmte Sachen sehr situativ vor Ort entscheiden.

Was hatte es für eine Lawinenwarnstufe an dem Tag?

Das weiß ich gar nicht mehr. Lachen.  Aber das ist auch nur deshalb so, weil ich am Arlberg praktisch jeden Tag unterwegs bin – da ist das, was ich von Tag zu Tag im Gelände erlebe und beobachte, genauer und informationsgesättigter als der Lawinenlagebericht. Anders ist es natürlich, wenn ich in einem Gebiet unterwegs bin, in dem ich mich nicht so viel bewege wie bei mir zu Hause. Oder wenn sich im Schneedeckenaufbau etwas tut – wenn es zum Beispiel sein könnte, dass Altschneeschichten aktiviert werden. Oder wenn sich durch neue Wetterereignisse die Lage signifikant verändert. Aber auch dann ist das Lesen vom Lawinenlagebericht mehr ein sorgfältiges Gegenchecken zu dem, was ich täglich draußen im Gelände beobachte.

Hattest du diese fünf Lines, die ihr im Film fahrt, also den ganzen Winter im Blick?

Genau. Ich war den ganzen Winter daheim. Von daher hatte ich einen sehr guten Überblick, was den ganzen Winter über am Arlberg passiert ist - und je näher das Zeitfenster für unseren Film kam, umso genauer habe ich das verfolgt. Es ist auch cool, wenn man anfängt die Schneedecke zu verstehen. Wenn man zusätzlich zum offiziellen Lawinenlagebericht quasi seinen eigenen, viel kleinräumigeren Lagebericht erstellt. Und dann auch jenseits von Reduktionsmethode und Stop-Or-Go seine Entscheidungen treffen kann. Das setzt allerdings unbedingt voraus, dass man sich quasi täglich im Gelände bewegt. In allen Expositionen und Höhenlagen. Und man auch von Zeit zu Zeit Schneeprofile gräbt und in die Schneedecke hineinschaut. 

Thema Ausrüstung: Ihr seid im Film ja mit Freeride-Ausrüstung unterwegs, was bei 3000 Höhenmetern im Aufstieg ganz schön hart ist. Wie bist du ausrüstungsmäßig sonst so unterwegs? Immer so oder auch mal mit leichterer Tourenausrüstung?

Also ich fahre in der Regel keinen Ski unter 100 mm Mittelbreite. Außer ich gehe eine Pistenskitour oder es geht nur um den Aufstieg, weil ich zum Beispiel auf Skiern zum Eisklettern gehe. Meistens fahre ich den Völkl BMT 109 – das ist dank der Carbonbauweise ein ziemlich guter Kompromiss zwischen Fahrperformance und Gewicht. Der ist von der Torsion her ziemlich steif, aber auch leicht. Ich mag auch den V-Werks Katana und den V-Werks-Mantra. Der Mantra ist mein bester Allrounder. Wenn es zum Beispiel nach Patagonien geht, nehme ich den Mantra mit.

Und welche Bindungen fährst du?

Ich bin ein totaler Kingpin-Fan. Seitdem es sie gibt, fahre ich Kingpin. Und bin damit total zufrieden.

Was taugt dir daran so?

Der Hinterbacken gibt dir so viel Übertragung, wie du sie mit einem Touren-Hinterbacken und den zwei Metallstiften nie bekommst. Das merkt man an der Fahrperformance und besonders bei Sprüngen.

Wann sperrst du die Bindung?

Wenn ich mich in einer krasses Nofall-Zone bewege – zum Beispiel vergangenen Frühling in der Matterhorn-Ostwand. Wenn da die Bindung aufgeht, tritt der Worst Case ein: dann stürze ich ab. Also verriegele ich die Bindung. Und wenn ich doch abstürze, ist eh egal, ob die Bindung aufgeht oder nicht.

Du hast für diese Abfahrt am Matterhorn den Begriff „survival skiing“ verwendet. Willst du noch mehr in diese Richtung gehen?

Ja, das ist schon interessant. Ich habe so was über die Jahre immer wieder mal gemacht. Allerdings bin ich generell kein Fan davon, Sachen zu fahren egal ob die Bedingungen skifahrerisch sinnvoll sind oder nicht. Die Bedingungen sollten auch skifahrerisch gut sein. Krasse, exponierte Lines auch bei beschissenen Verhältnissen zu fahren, nur damit man sagen kann: Ich bin’s gefahren – da bin ich kein Fan davon. Es geht auch bei solchen Projekten um die Ästhetik und Kreativität des Skifahrens.

“Ich kann einfach nur runterfliegen oder eben eine Figur einbauen.”

Du fliegst ja auch Gleitschirm. Denkst du auch an Projekte, in denen du das Skifahren mit dem Klettern oder mit dem Fliegen verbindest?

Im Sommer habe ich den Gleitschirm schon mal als Tool verwendet, um mir Abstiege zu ersparen. Oder auch um längere Sachen zu machen. Für das Biwakfliegen im Winter reicht mein fliegerisches Können noch nicht aus. Das ist mit Skiausrüstung und von den thermischen Bedingungen im Winter einfach viel schwieriger als im Sommer. Aber generell interessiert es mich schon, meine verschiedenen Sportarten und Spielwiesen zu verbinden. Auch weil es von einem verlangt, dass man dabei in jeder Sportart auf ein gewisses Level kommt. Das Skifahren mache ich schon so lange und kann es dadurch so gut, dass es dabei oft nur noch darum geht, die Verhältnisse richtig einzuschätzen und zum richtigen Zeitpunkt zuzuschlagen. Das erlaubt es mir, auch mal etwas Zeit vom Skifahren abzuknapsen – Zeit, die ich zum Beispiel ins Klettern oder ins Fliegen investieren kann. Damit ich da besser werde. Es macht auch immer wieder Spaß, neue Sachen zu lernen. Klar, die Tage, an denen es sich gut fliegen lässt, sind oft auch die Tage, die gut zum Klettern geeignet sind. Andererseits habe ich in den vergangenen Jahren so viel Zeit ins Klettern investiert, dass ich mir mittlerweile denke: die Welt bricht nicht zusammen, wenn ich mal zwei Monate nicht klettere. Man braucht nach einer Pause natürlich eine Aktivierungsphase, aber dann ist man auch wieder schnell dort, wo man vom Level her sein möchte.

Du magst die Abwechslung.

Unbedingt. So gern wie ich Ski fahre, ich freue mich schon jetzt auf das Klettern und Fliegen, wenn die Skisaison zu Ende geht. Die Vorfreude ist ja auch etwas sehr Schönes. Die ist ganz wichtig, weil sie einen davor bewahrt – etwas schief ausgedruckt – auszubrennen. Wenn man mehrere Sportarten ausübt, kann man auch viel besser mit den Jahreszeiten und der Natur mitgehen. Dann trauert man nicht nur der einen Jahreszeit nach.  

Ist Fliegen für dich näher dran am Skifahren als das Klettern?

Als ich im Herbst meinen ersten SAT geflogen bin – eine der leichtesten Akro-Figuren, die man fliegen kann - habe ich das so empfunden. Das war total cool und  dynamisch und hat wie das Skifahren sehr viel mit Geschwindigkeit und Flow zu tun.

Wie Springen beim Skifahren?

Ungefähr so. Ich kann beim Skifahren ja einfach nur runterfahren, ich kann bei der nächsten Windlip aber auch einen Backflip einbauen. So ähnlich ist das beim Fliegen. Ich kann einfach nur runterfliegen oder eben eine Figur einbauen.

Du hast wahrscheinlich viel über das Wetter gelernt durch das Fliegen.

Immer noch, eigentlich ständig. Das ist ja ein never-ending-process beim Fliegen. Was auch sehr cool ist, auch weil es einem in seinen anderen Sportarten helfen kann.

Welche Skifahrerinnen und Skifahrer inspirieren dich? Wen bewunderst du? In einem früheren Interview hast du mal Candide Thovex genannt.

Der ist immer noch DER Skifahrer, nicht wahr? He is a cat: der bewegt sich auf Skiern wie eine Katze. Aber in jeder Sportart, die ich ausübe, ja sogar in Sportarten, die ich nicht ausübe, faszinieren mich Menschen, die ihre Sportart so richtig leben. Das sind nicht nur Promis wie der Candide Thovex. Auch auf meinen besten Kollegen, mit dem ich jeden Tag in der Mittagspause Skifahren gehe, trifft das zu. So etwas ist nicht per Bekanntheitsgrad messbar.

Was meinst du mit ‚seinen Sport leben‘?

Leidenschaft. Aber auch, ob jemand seinen Sport weitergibt: das kann ein guter Bergführer sein, aber auch jemand, der mit seiner mitreißenden Art, seiner Motivation andere dazu bewegt, den Sport auszuprobieren. Oder sich neue Ziele zu setzen. Beim Gleitschirmfliegen bin ich auf Piloten gestoßen, zu denen ich extrem aufschaue, weil sie so viel Wissen haben, dass ich mir denke: Verglichen mit denen weiß ich eigentlich noch gar nichts.

Dafür bist du beim Skifahren auf so einem Level.

Ich weiß nur, dass ich ein großer Fan der Demut bin. Wenn man denkt, man weiß eh schon alles, dann weißt du das Wichtigste nicht: nämlich, dass man nie alles weiß.

Hast du schon oft erlebt, dass etwas passiert ist, was du dir trotz deiner großen Erfahrung und Kenntnis einfach nicht erklären kannst?

Es gibt immer wieder solche Aha-Erlebnisse. Wichtig ist, dass man die dann auch reflektiert und versucht, daraus zu lernen. Wer sagt, er habe draußen im Schnee und am Berg keine Aha-Erlebnisse gehabt, die ihn komplett überrascht haben, war entweder zu wenig unterwegs oder sagt nicht die Wahrheit.

Dein Vater war wahrscheinlich auch ein wichtiger Motivator deines Lebens als Skifahrerin?

Auf jeden Fall. Allein schon von dem Wissen, was wir über ihn in unserer Kindheit aufgenommen haben. Vieles davon fast beiläufig, fast unterbewusst. Was er uns da mitgegeben hat ist schon sehr, sehr wichtig gewesen für mich und meinen Bruder. Auch wie wir das Skifahren und Guiden heute ausüben.

Dein Bruder arbeitete auch als Ski Guide?

Er ist auch Skiführer, aber nicht hauptberuflich. Er hat noch einen normalen Job.

Bist du als Skiguide eigentlich ständig ausgebucht, weil du so bekannt bist?

Das ist von Winter zu Winter verschieden - je nachdem, wie viel ich unterwegs bin. Ich mache auch viele Sachen, wo ich bei einem Sponsoren-Event als Skiguide zu Verfügung stehe. Oder auch als Mentorin für jüngere Athleten und Athletinnen meiner Sponsoren. Und ihnen dann zum Beispiel beibringe, wie man eine Abalakov fädelt und wie ich eine Eisschraube einsetze.

Was hast für diesen Winter geplant?

Ich bin ein sehr großer Fan der Devise: Erst machen, dann darüber sprechen. Insofern rede ich nur sehr ungern über meine Projekte. Lachen. Aber es ist definitiv was in der Pipeline.

Kannst du dir vorstellen, mit deinen Projekten in ganz große Höhen zu gehen, ähnlich wie zuletzt zum Beispiel Samuel Anthamatten und  Jérémie Heitz in Pakistan?

Expeditionen interessieren mich schon, andererseits fährt man da oft so wenig Ski. Und mit dem Klettern habe ich so viel Skifahren verpasst, dass ich seit zwei, drei Jahren irgendwie das Gefühl habe: Ich muss jetzt wieder ganz viel Skifahren. Und deswegen würde ich eher etwas Zugänglicheres machen, wo man auch wirklich viel zum Skifahren kommt.

Letzte Frage: Wie sagt man „Backyard“ auf Vorarlbergerisch?

S‘ Hinterkämmerle. Lachen.

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