Zum Nachdenken – Teil 3: Erschließer der Alpen?
Tirol hat eine Fläche von 12.640 km², davon sind 1.345 km² als Dauersiedlungsraum (für Straßen, Häuser, Industriegebäude, Landwirtschaft) nutzbar, also ca. 11%. Von den gesamt 12.640 km² werden 73 km² von Pisten eingenommen, also 0,6%. Selbst wenn man die Pistenflächen verdoppeln würde (!), würden nur etwa 12% der Landesfläche vom Menschen „intensiv“ genutzt werden. Eine Frage aus dem Publikum während der Diskussion an die Skigebietsbetreiber ist damit meiner Meinung nach beantwortet: „Was würden Sie meinen Kindern sagen, wenn sie nach Kanada fliegen müssen, um liftfreie Berglandschaft zu erleben?“
In Tirol gibt es ebenfalls 24.000 km Wanderwege. Geht man von einer durchschnittlichen „Zerstörung“ der Natur auf drei Meter Breite auf dieser Strecke aus, kommt man auf 72 km² an „zerstörter“ Fläche. Fast gleich viel an Natur wird also für uns ruhesuchende Naturburschen zerstört, wie für die Pistenrowdys. Eigentlich wächst auf einem Steig oder Wanderweg aber weniger bzw. gar nichts im Gegensatz zu Pistenflächen. Man mag behaupten, dass die meisten Steige nicht viel breiter als einen halben Meter sind, doch Hand aufs Herz: wie viele Meter sind links und rechts davon meist niedergetrampelt und werden durch dauernde Begehung zur „Weg-Erweiterung“? Und wie viele Kilometer der Wanderwege sind autobreit oder noch breiter?
Außerdem setzen die Alpenvereine mit dem Bau und der Erhaltung der alpinen Infrastruktur auch menschliches und naturfernes in die Landschaft. Ich denke, es ist der Natur egal, ob an einem bestimmten Ort eine Schutzhütte oder eine Liftstation steht. Nur: die Schutzhütten wurden zu einer Zeit gebaut, in der man die Erschließung und die Bebauung der alpinen Landschaft noch als großen Fortschritt feierte. Ich nutze Schutzhütten genau so gerne wie Aufstiegshilfen. Aber was würden wir heute denken, wenn die Landschaft noch nicht von Schutzhütten gesättigt wäre? Ist es nicht eine ähnliche "Katastrophe", dass fast jedes Seitental mit einer Hütte erschlossen ist? Hütten schauen ja doch eigentlich genauso scheußlich aus und passen gar nicht in das Bild der unberührten Landschaft?
Im Grunde werden die Alpen von uns allen gemeinsam durch und durch immer weiter erschlossen: Sei es ein Lift, ein Wanderweg, ein Single-Trail oder aber auch nur eine Tourenbeschreibung im Internet, der tausende von Wintersportlern folgen. Der Alpenverein erschließt die Alpen nicht weniger als die Skigebietsbetreiber. Der letzte Höhepunkt dieser Erschließungswelle war der Launch des hochqualitativen und toll umgesetzten Tourenportals „Alpenvereinaktiv“. Auch ich habe dort bereits Touren veröffentlicht. Doch eines Faktums müssen wir uns bewusst sein: Mit dem, was wir derzeit nach und nach niederschreiben, rauben wir unseren Kindern immer mehr die Möglichkeit, selbst richtige Abenteuer in den Alpen zu erleben. Mit der genauen Informationen über jeden Stein, der am Weg liegt, kann man schön langsam nur mehr die wirklich extremen, objektiv gefährlichsten Touren als "Abenteuer" erleben. Alles, was einem normalen Bergsteiger entspricht, ist derart erschlossen, dass das viel gelobte Auf-sich-gestellt-sein, eigene-Wege-gehen und damit ein wichtiger Teil zur Persönlichkeitsentwicklung wegerschlossen wurde.
Ob man die Alpen materiell oder immateriell erschließt - alles weist seine Sonnen- und seine Schattenseiten auf. Die 89% der Landesfläche, die nicht unter Dauersiedlungsraum oder Skigebiete fallen, sind ebenfalls bereits erschlossen und seit langem nicht mehr natürlich, sondern maximal nur noch naturnah. Fast jeder Quadratmeter ist irgendwie vom Menschen beeinflusst und sowieso schon immateriell erschlossen. Fordert man einen Ausbaustopp für Skigebiete, sollte man auch einen Erschließungsstopp für beschriebene, markierte oder topobasierte Touren fordern. Wir haben doch genug davon?
Auf der anderen Seite stellen Pisten keineswegs karge, leblose Landschaft dar. Besonders in Österreich, wo es strenge Auflagen zur Renaturierung von Pisten gibt, pendeln sie sich in ihrem biologischen Zustand ähnlich ein wie eine extensiv bewirtschaftete Weidefläche. Jetzt kann man natürlich diese Art von Lebensraum als verabscheuenswert darstellen, aber man müsste dann die gesamte Almwirtschaft ebenfalls negativ betrachten. Denn hier werden genauso die natürlichen Lebensgemeinschaften vollständig verändert: Durch Trittschäden & Bodenverdichtung der weidenden Rinder oder durch massiven, zusätzlichen Eintrag von Dünger durch die Tiere. Mit der natürlich vorherrschenden Lebensgemeinschaft hat genutzter Almboden ebenfalls nur mehr wenig zu tun. Damit kommen wir wieder zum Thema zurück: Ist der Mensch mit all seinem Tun Teil der Natur oder nicht? Ist die Veränderung der Natur durch die Almwirtschaft und den Schutzhüttenbau nur akzeptabel, weil wir nichts anderes mehr kennen?
Zum Nachdenken – Teil 4: Jobabsicherung und Gehaltserhöhung, nein danke?
Der sanfte Tourismus wird in unserer Region vor allem im Sommer groß geschrieben und man hat einen guten Kompromiss zwischen „richtigem“ Tourismus durch das Skigebiet im Winter und sanftem Tourismus abseits dessen gefunden. Allein vom sanften Tourismus könnten wir jedoch niemals leben – das ist auf absehbare Zeit wirklich unmöglich.
Daneben ist der Bergwanderer oder Skitourengeher durchschnittlich ein eher heikler Gast. Viel pflegebedürftiger und situationselastischer als der Alpin-Skifahrer. Ist das Wetter schlecht oder sind die Verhältnisse weniger ansprechend, wird verständlicherweise kurzfristig abgesagt und man kann mit leeren Zimmern Daumendrehen. Das ist zwar im Einzelfall nicht existenzbedrohend, aber ein riesen Problem für die Erwirtschaftung des eigenen Lebensunterhalts, wenn man ausschließlich von dieser Kundschaft leben muss. Da Wetter und Verhältnisse bekanntlich sehr variabel sind und Massenabsagen von Bergsteigern, wie auch auf Schutzhütten, ziemlich häufig vorkommen.
Oder sagen wir so: Ist das Wetter schlecht, bekommst du nur einen Bruchteil deines Gehalts, musst aber trotzdem zur Arbeit gehen und musst dich dort den ganzen Tag langweilen – einverstanden?
Egal ob die Skigebiete Hochötz und Kühtai verbunden werden und egal wie: Verhungern werden wir so oder so nicht. Wir würden uns mit einer Verbindung mit Sicherheit leichter tun, Gäste anzusprechen und sie von der Skiregion zu überzeugen. Vor allem würden sich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit mehr davon wieder her-verirren. Viele, vor allem Gäste, die das Gebiet erstmals besuchen, klagen tatsächlich über die geringe Größe des Gebiets und die skifahrerisch doch recht limitierten Abfahrtsmöglichkeiten. Es wäre ein Teil unserer Arbeitsplatz-Absicherung und die Auslastung ist über den Winter gesehen besser. Ein (noch) sicherer Job und mehr Einkommen bei einem verhältnismäßig kaum ansteigenden Arbeitspensum, wer will das nicht?