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Safety-Reports

Report | Wie arbeiten SLF-Beobachter im Gelände?

CR-ler Alex schaut SLF-Beobachter Reto ĂĽber die Schulter

von Alexander Braschel • 05.04.2022
Die SLF-Beobachter*innen beobachten und beurteilen die aktuelle Situation in ihrem Gebiet und übermitteln die Beobachtungen ans SLF (WSL-Institut für Schnee und Lawinenforschung SLF). Die gewonnenen Daten sind Teil der Grundlage für die Erstellung des täglichen Lawinenbulletins. Ich durfte Reto, einen der Beobachter, einen Tag lang bei seiner Arbeit begleiten und ihm über die Schulter schauen.

Eigentlich wollten wir im Hochwinter zusammen etwas unternehmen, wenn die Lawinensituation heikel ist und die Schneedecke etwas „Spannendes“ zu sehen bietet. Doch schaffen wir es nicht einen gemeinsamen Termin zu finden und so wird es Ende März. Seit 3 Wochen gab es so gut wie keinen Niederschlag mehr und das Lawinenbulletin deutet auf eine klassische Frühjahrssituation mit Tagesgang hin. Allerdings gibt es im hochgelegenen Nord- und Ostsektor vereinzelt Gefahrenstellen im Altschnee. Eigentlich eher sichere Verhältnisse und so frage ich mich, was wir in der Schneedecke wohl finden werden.

Reto holt mich mit dem Auto ab und in den 40 Minuten Fahrt nach Savognin merke ich schon, wie begeistert er von seiner Tätigkeit ist. Nicht nur von der Arbeit im Schnee, sondern von der Arbeit im Gelände generell. Im Hauptberuf ist Reto Geologe in einem lokalen Ingenieurbüro und so erfahre ich auf der Autofahrt allerlei Spannendes über die „kleinen“ bröckelnden Hügel in Domat/Ems, welche der Flimser Bergsturz vor langer Zeit zurückgelassen hat. Und über den aktuellen Bergrutsch bei Brienz, der nicht nur bei der Albula-Strasse und der Trasse der Rhätischen Bahn Probleme macht, sondern auch das gleichnamige Dorf bedroht.
Schneeprofile für das SLF macht Reto schon seit mehr als 10 Jahren Jahren. Dazu gekommen ist er als langjähriger Geländebeobachter über ein mehrwöchiges Praktikum beim SLF und anschliessender Ausbildung.

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In Savognin angekommen fahren wir mit dem Lift bis zum Piz Cartas (2713m), von wo aus wir nach dem obligatorischen LVS-Check ins Gelände traversieren und nach einer kurzen Abfahrt die Felle aufziehen. Wir suchen einen unbefahrenen Hang im Nordsektor, der um die 35 Grad hat und nicht unbedingt direkt hinter einem Kamm liegt. Reto hat sich auf der Karte schon grob etwas überlegt und so sind wir nicht lange unterwegs. Auf dem Weg dorthin sammeln wir schon die ersten Informationen: Die 2-5cm Triebschnee der letzten Tage brechen unter der Spur wie kleine Schollen weg und der Saharastaub kommt zum Vorschein. Ausserdem ist die Schneedecke recht heterogen: Teilweise bricht man auf dünnem Harsch einige Zentimeter tief ein, teilweise trägt es.

Kurze Zeit später haben wir einen potentiellen Hang gefunden, doch bevor wir anfangen zu graben, checken wir noch, was unter und über dem Hang ist und überlegen, was passieren würde wenn der Hang abgeht. Der Hang ist nach obenhin von Felsen begrenzt und insgesamt recht klein, nach unten leicht auslaufend. Nicht unbedingt das, was ein Freerider als „Hang“ bezeichnen würde, aber für uns genau richtig, weil für die Exposition und Höhe repräsentativ und trotzdem ziemlich sicher.

Reto misst mit seinen Stöcken noch schnell die Steilheit des Hanges. Anschliessend deponieren wir unsere Ski und checken mit der Lawinensonde, ob die Schneedecke beim geplanten Profilstandort überall die gleiche Höhe hat.

Los geht’s: Das erste Profil wird ganz ohne Graben mit der Rammsonde erstellt. Die Rammsonde ist um einiges dicker als eine gewöhnliche Lawinensonde. Sie ist einen Meter lang und mit einem Gewinde um einen Meter verlängerbar. An ihrem oberen Ende befindet sich noch eine dünne Stange, auf der ein Gewicht von einem Kilogramm geführt ist. Alle 5 cm ist eine Markierung auf der Führungsstange. Auf der Rammsonde ist jeder Zentimeter mit einem Strich gekennzeichnet.

Zuerst wird notiert, wie tief die Rammsonde beim Aufsetzen auf die Schneeoberfläche einsinkt. Dann ist ein bisschen Gefühl und Erfahrung gefragt. Reto hebt das Gewicht an und lässt es fallen. Alle paar Zentimeter notieren wir, was es braucht, damit die Sonde weiter vordringen kann, also wie oft er das Gewicht fallen lässt, aus welcher Höhe und wie tief die Sonde dabei einsinkt. Ausserdem wird die aktuelle Länge der Sonde vermerkt. Bis zum Boden wird sondiert, wobei wir die Sonde einmal verlängern müssen. Wir notieren alles im Feldbuch für Schneeprofilaufnahmen. Wenn die Daten später digital eingegeben werden, rechnet das Programm die Rammwiederstände aus und ein grafisches Profil wird gezeichnet.

Jetzt geht’s ans Graben. Eine Wand von guten 3 Metern Breite wird bis zum Boden freigelegt. Während des Grabens platzieren wir noch das Schneethermometer von der Sonne geschützt an der Schneeoberfläche. Die Lufttemperatur haben wir zuvor schon festgehalten.

Beim Erstellen des Handprofils schauen wir uns die einzelnen Schichten ganz genau an, bestimmen die Feuchtigkeit des Schnees, Kornart und Grösse, die Härte der einzelnen Schichten und messen oben alle 10cm, weiter unten alle 20cm die Temperatur. Einen ausführlichen Artikel zur Erstellung und Interpretation von Schneeprofilen findet ihr in diesem SchneeGestöber.

An der Oberfläche finden wir eine dünne Schicht Oberflächenreif, der spielt zwar aktuell keine wirkliche Rolle, könnte aber bei grösserer Trieb- und Neuschneeüberlagerung zum Problem werden. Es folgen mehrere Schichten, die auf ca. 30 cm nach unten hin fester werden. Unter diesem Brett folgt die potentielle Schwachschicht: Kantig aufgebaute, grosse Kristalle. Teilweise sogar Becherkristalle.

Unter der Lupe schauen wir uns das ganz genau an: Die Größten sind bis zu 4mm groß. Untereinander sind die Kristalle hier kaum verbunden und rieseln uns beim Graben wie grober Zucker entgegen. Weiter nach unten werden die Schichten eher wieder fester. Nachdem alles notiert ist, legen wir an der Wand noch zwei ECTs (Extended column test) frei. Dabei wird jeweils ein Block von 30x90 Zentimeter freigelegt. Warum zwei? Weil es schnell geht, ein gleiches oder sehr ähnliches Ergebnis die Aussagekraft erhöht und die 2 ECTs nebeneinander praktisch die spätere Breite vom Rutschblock haben.

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Jetzt schlägt Reto 10 mal aus dem Handgelenk und holt dann zum ersten Schlag aus dem Ellenbogen aus. Zack! Beim insgesamt 11. Schlag kollabiert die von uns zuvor identifizierte Schwachschicht auf der ganzen Länge. Reto schaut mich an, lacht und freut sich fast ein bisschen, dass seine Vermutung eingetroffen ist. Beim zweiten ECT kollabiert die gleiche Schicht beim 3. Schlag aus dem Ellbogen.

Nachdem wir den Rutschblock mit 1,5x2 Meter hinten mit einer Reepschnur abgeschnitten haben, zieht Reto die Ski an und steigt vorsichtig ins obere Drittel des Blocks. Jetzt wippt er dreimal ohne zu springen. Beim ersten Sprung macht es wieder Zack und Reto gleitet mit dem ganzen Block ab. Es ist wieder die gleiche Schicht wie bei den 2 ECTs zuvor. Alles wird wieder ganz genau im Feldbuch notiert. Würde man diesen Aufbau grossräumig vorfinden, wäre die Lawinengefahr sicher nicht zu unterschätzen. Nachdem wir aber beim Zustieg schon beobachten konnten, dass vielerorts das Brett auf der Schwachschicht fehlt, sind die Gefahrenstellen nur sehr vereinzelt anzutreffen und auch nicht grossräumig.

Eine genaue Erklärung der einzelnen Stabilitätstests findet ihr hier.

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Nach gut 1,5h im Schnee wühlen, packen wir alles wieder in unsere Rucksäcke und laufen noch einige Minuten auf einen unbenannten Gipfel um uns an der Aussicht zu erfreuen. Reto erklärt mir die Berggipfel rundherum, wo es schöne Abfahrten gibt und dass er im Tal gegenüber im kommenden Sommer eine Gefahrenkarte für Steinschlagprozesse erstellen wird. Bei der südseitigen Abfahrt geniessen wir noch ein paar Schwünge im Firn ehe wir unten bei T-Shirt-Wetter ankommen. Ganz vorbei ist es aber noch nicht: Die Daten sollten möglichst bis 14:00 digital erfasst und abgeschickt werden, damit sie beim SLF ins morgige Bulletin einfliessen können.

Bei Kaffee und Gipfeli überträgt Reto die Daten in den Laptop und schreibt noch seinen Kommentar dazu. Das Ergebnis findet ihr hier (Blau das Rammprofil, braun das Handprofil).

Circa alle 2 Wochen, jeweils Monatsmitte und Monatsende erstellen Reto und die anderen rund 60 Hangprofiler schweizweit ihre Profile, damit eine regionale Verteilung der Schneedeckenstabilitäten ersichtlich ist. In den Lawinenlagebericht, bzw. Bulletin wie es in der Schweiz heißt, fließen dann natürlich noch täglich Daten von Wetterstationen/Messstationen sowie Beobachtungen von bspw. Pistenpatrouilleuren und dem SLF-Team ein. Auch ihr könnt eure Beobachtungen beim SLF melden, einfach ein Foto und Kommentar über die WhiteRisk App hochladen! Die Lawinenprognostiker*innen sind dankbar für Beobachtungen von frischen Lawinen, Alarmzeichen und alles, was ihr zu dem Thema sonst noch so beobachtet.

Jeder Hangprofiler erstellt Profile in der eignen Region. Wenn Reto nicht mit seinem Stellvertreter Thomas am Pizol unterwegs ist, dann mit Freunden in den inneralpinen Gebieten von Graubünden. Reto macht das ganze so wie die anderen Profiler übrigens mehr oder weniger ehrenamtlich. Er bekommt eine kleine Aufwandsentschädigung sowie Fahrtkosten und in unserem Fall das Liftticket rückvergütet.

Für mich geht somit ein sehr spannender Ausflug zu Ende. Als Skilehrer und begeisterter Schneesportler konsumiere ich das Bulletin ja fast täglich. Zu sehen, was dahintersteckt und was sich in der Schneedecke abspielt, finde ich faszinierend. Reto und ich verabreden uns auf jeden Fall für nächsten Winter, wenn mal richtig viel Schnee liegt und die Lawinengefahr etwas schwieriger einzuschätzen ist. Ich freue mich drauf und werde dann in Form eines Condition-Reports oder einer Fortsetzung dieses Reports berichten.

Danke natürlich ans SLF und an Reto fürs möglich machen!

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