PG: Du bist bereits seit 2009 am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF und seit dem Winter 2010 als Lawinenprognostiker in der Lawinenwarnung tätig. Nun hast du im Herbst 2020 deine Doktorarbeit mit dem Titel: "On consistency and quality in public avalanche forecasting - a data-driven approach to forecast verification and to refining definitions of avalanche danger" (pdf Download) abgeschlossen. Um was genau geht es beideiner Dissertation?
FT: Ich habe mich zum einen mit der Frage beschäftigt, wie gut die Qualität der Lawinenprognose, insbesondere die der ausgegebenen Gefahrenstufe ist. Ich bin also der Frage nachgegangen: war die Prognose richtig oder falsch? Die Antwort auf diese Frage ist sehr relevant – für die Lawinenwarner, um zu erkennen wo die Prognose langfristig verbessert werden muss, und natürlich auch als Anhaltspunkt für die Tourengeher und Freerider, welche die Prognosen verwenden. Aber leider ist die Beantwortung dieser Frage auch sehr schwierig, da eine Gefahrenstufe nichts Messbares ist. Das heisst, auch bei der Überprüfung einer Prognose wird eine Einstufung von einem Menschen gemacht, und es verbleiben Unsicherheiten.
Ausserdem habe ich die Prognoseprodukte der Lawinenwarndienste im Alpenraum miteinander verglichen. Neben der ausgegebenen Gefahrenstufe hat mich auch interessiert, ob es Unterschiede und Gemeinsamkeiten beim Inhalt und der Darstellung der Prognose gibt.
PG: was waren Deine Ergebnisse? Wie gut ist die ausgegebene Gefahrenstufe?
In der Schweiz habe ich die Rückmeldungen von geschulten Beobachtern nach einem Tag im Gelände ausgewertet und mit der ausgegebenen Gefahrenstufe verglichen. Unter Berücksichtigung der Streuung der Rückmeldungen am gleichen Tag in der gleichen Region, zeigte sich, dass an ungefähr sechs von sieben Tagen die Prognose als richtig, an einem als zu hoch, und fast nie als zu tief eingeschätzt wurde. Sehr ähnliche Ergebnisse konnte ich auch für Norwegen, Kanada und Colorado feststellen.
PG: Und der Vergleich benachbarter Warndienste im Alpenraum. Hast du da Unterschiede festgestellt?
Ja, ich habe teilweise grosse Unterschiede festgestellt, insbesondere bei der ausgegebenen Gefahrenstufe. So wurde zum einen die Gefahrenstufe 4 (gross) in Frankreich und Teilen Italiens wesentlich häufiger verwendet als bspw. in der Schweiz oder Österreich. Zum anderen zeigte sich auch, dass am gleichen Tag die Gefahrenstufe über Warndienstgrenzen hinweg im Schnitt an einem Drittel der Tage um eine Stufe variierte. Dabei ist natürlich klar, dass Unterschiede zwischen benachbarten Regionen zu erwarten sind, wenn sich die Topografie und das Schneeklima unterscheiden. Liegt beispielsweise der Alpenhauptkamm zwischen zwei benachbarten Warnregionen, wie zwischen dem Wallis (CH) und dem Aostatal (IT), dann sind Unterschiede ja zu erwarten. Dagegen sollten Unterschiede in benachbarten Regionen, wie zum Beispiel zwischen Samnaun (CH) und Ischgl (AT) oder zwischen dem Tessin (CH) und den Nachbarregionen in der Lombardei und im Piemont, seltener sein. Allerdings wurden teils auch zwischen diesen Regionen recht häufig Unterschiede bei der ausgegebenen Gefahrenstufe beobachtet.