Das Bedretto auf der Südseite des Gotthards gelegen, gilt zu Recht als eine der schönsten Ecken der Schweizer Alpen. Dort hat es fast immer beeindruckend viel Schnee und da der Nufenen-Pass im Winter geschlossen ist, sind die Skitourengeher, die hier unterwegs sind, meist für sich.
Traum- oder Albtraum-Tour – heute ist beides möglich
Außer einem 150 m kurzen Tellerlift gibt es keine Aufstiegshilfen, weshalb man hier nach der earn-your-turn-Devise unterwegs ist, was ja auch nicht schlecht ist. Nach einem 12.000-Höhenmeter-Powder-Vortag wollten wir nicht gleich wieder das nächste Skigebiet rocken, sondern die alten Knochen und Muskeln bei einer schönen, mittelgemütlichen Skitour auf die großen Touren im Frühjahr vorbereiten… The early Bird usw. das kennt ihr ja… Schnell überwinden wir die ersten 500 Höhenmeter im steilen Lärchen-Bergwald. Ein traumhafter Tag, nochmals Neuschnee über Nacht und stahlblauer Himmel, eigentlich perfekt, wären da nicht die ungewöhnlich großen Schneefahnen an den Graten und Gipfeln. Noch sind wir zuversichtlich, unser Gipfelziel das knapp 3000 m hohe Helgenhorn zu erreichen, schließlich erreicht man den Berg ohne allzu gefährliche Hänge passieren zu müssen, weshalb wir uns bei der erheblichen Lawinengefahr für dieses Ziel entschieden haben. Kaum jedoch haben wir den Wald hinter uns gelassen, faucht uns kräftiger Wind entgegen, der, je höher wir kommen, zum ausgewachsenen Schönwettersturm wird. Kurz nachdem wir unsere Spuren durch den windverblasenen Powder gezogen haben, sind diese wieder zugeweht. Innerhalb kürzester Zeit werden zig Tonnen Schnee umgelagert. Kein gutes Omen für den heutigen Tag und ich werde von Minute zu Minute unruhiger. Als dann wenig später auch noch das erste Wumm-Geräusch (dumpf-dröhnendes Geräusch, das durch Strukturbrüche in der Schneedecke entsteht, wenn durch die Setzung Luft ausgepresst wird) die ernste Lawinengefahr verdeutlicht, ist klar, heute ist nicht unser Tag. Nach einiger Diskussion und einigem eindringlichen Wumm-Geräuschen später, beschließen wir, nur einen kleinen Vorgipfel im mäßig steilen Gelände zu ersteigen.
Trotz größter Vorsicht wäre es fast passiert…
Auf dem Grat-Rücken kämpfen wir uns Schritt für Schritt gegen den Sturm empor. Die Abfahrt wählen wir durch flaches, unter 30 Grad langweiliges Kuppen-Gelände. Aber wie das im kupierten Gelände so ist, die eine oder andere Böschung ist doch 30 Grad steil oder sogar steiler. Und das reicht heute bereits! Während ich mit schrillender Gefahren-Alarmsirene talwärts eiere, cruist Totti relaxt durch windverblasenen Powder einen knapp 30 Grad steilen Hang hinunter. Nach knapp zwei Dritteln, löst sich auf einmal der gesamte Hangabschnitt und Totti und die Lawine cruisen jetzt zu zweit weiter. Zum Glück war die ausgelöste Schneeschicht wenig mächtig, sonst hätte die Lawine böse Folgen gehabt, da im Muldengelände schon die kleine Lawine – immerhin waren es rund 80 Tonnen Schnee! – für eine extrem tiefe Verschüttung gereicht hätte. Spätestens jetzt ist allen klar, wie prekär und gefährlich dieser Tag in diesem Gebiet war. Interessanterweise schien in Andermatt, das keine 15 Kilometer nördlich liegt, der Schnee recht stabil zu sein und Aron und seine Kumpels pflügten dort 40 Grad steile Hänge hinunter, ohne dass es dort ernste Anzeichen für eine instabile Schneedecke gegeben hätte.
Die Lawinensituation entspannt sich erst, als wir die 2000-Höhenmeter-Linie unterschreiten. Dort weht der Wind nur schwach und der Pulverschnee ist nahezu ungebunden. Um eine brenzlige und lehrreiche Erfahrung reicher powdern wir durch den lockeren Lärchenwald talwärts. Fazit: bei Gefahrenstufe 3 (= erheblich) bleibt man zum Powdern besser im Skigebiet, wo die Schneedecke in der Regel stabiler ist, oder man muss extrem defensiv unterwegs sein.