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Schneegestöber

SchneeGestöber 2 2017/18 | Luftfeuchtigkeit und Temperatur – eine emanzipierte Ehe

Hand in Hand

von Lukas Ruetz 23.11.2017
Der Luftfeuchtigkeit wird im Schnee-Alltag viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Doch sie ist in der Bedeutung ihres Einflusses auf die Schneedecke genau gleichwertig wie die Temperatur anzusehen. Betrachten wir eine Ehe, in der die vollkommene Gleichstellung beider Partner die Realität darstellt.

Partnersuche

Über die Lufttemperatur und ihren direkten Einfluss auf die Schneetemperatur und damit auf die Eigenschaften des Schnees brauchen wir nicht lange sprechen. Eigentlich. Dass die Entstehung und Umwandlung von Schnee stark von der Lufttemperatur abhängt, wissen wir doch alle. Das mit den unterkühlten Tröpfchen, den Kristallisationskeimen in der Wolke bzw. dem Temperaturgradient am Boden und so.

Hinter dem vermeintlich dominanten Bräutigam namens „Temperatur“ steckt aber einiges, was wir darüber hinaus wissen sollten: Schnee kann 0°C „warm“ sein, wenn er vom Himmel fällt aber auch -30°C „kalt“ sein. In beiden Fällen ist er verhältnismäßig „heiß“. Warum? Bei 0°C schmilzt Schnee, wandelt sich in die flüssige Phase. Darum ist er eigentlich nie weit von seinem Schmelzpunkt entfernt. Und viel kälterer Schnee fällt in unserer Gegend praktisch nie zur Erde bzw. kühlt kaum noch mehr aus wenn er bereits auf der Erde liegt. Materialien, die sich knapp unterhalb ihres Schmelzpunktes befinden, sind sehr wandlungsfreudig.

Was heißt das? Vergleichen wir den Schnee mit einem Brocken Stahl: Bei einem Schmelzpunkt von ca. 1.400°C beginnt Stahl bereits bei etwa 600°C zu glühen, bei 1.300°C glüht er hell und gleißend und scheint für einen Beobachter, der nicht von den österreichischen Metaller-Lohnverhandlungen betroffen ist, kurz vorm Explodieren zu sein. Mit dem Glühen verändern sich die Eigenschaften im Stahl. Glühen wird dadurch gezielt zu dessen Verarbeitung angewandt. Man spricht dabei u.a. von „Rekristallisationsglühen“. Dieser Ausdruck zeigt uns die Analogien zum Schnee: Bei Temperaturen knapp unterhalb des Schmelzpunktes verändert sich viel mehr als bei Temperaturen, die weit darunter liegen. Schnee der -20°C kalt ist, oder - wie es in unserer winterlichen Schneedecke häufiger vorkommt - nur -6°C temperiert ist, ist so gesehen mega-heiß. Darum wandelt sich in einer Schneedecke ständig alles um, bzw. rekristallisiert.

Wie es sich umwandelt, liegt am Temperaturgradienten, also dem Temperaturunterscheid zwischen verschiedenen Schneekristallen. Ist der Temperaturunterschied groß, wandert der Wasserdampf vom warmen Teil zum kalten Teil und friert dort so an, dass er Kristalle bildet, die wir später als Schwachschichten kennen. Ist der Temperaturunterschied klein oder sind die Kristalle gleich temperiert, werden sie immer kleiner und rundlich – der Schnee wird dadurch fester und setzt sich schneller. Ist die Temperatur so hoch, dass er sogar schmilzt und anschließend wieder gefriert, finden wir wiederum andere Kristallformen vor. Unser Bräutigam, die Lufttemperatur, beeinflusst dieses Geschehen ständig: schon während der Bildung des Schnees in der Wolke und später in der vorhandenen Schneedecke und an deren Oberfläche, die im ständigen Wärmeaustausch mit der Lufttemperatur steht.

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Die Partnerschaft

Doch nur die Lufttemperatur allein ist nicht ausschlaggebend für den Schnee. Sie hat sich bereits mit der Luftfeuchtigkeit vermählt. Die Luftfeuchtigkeit beeinflusst Schnee in selber Art und Weise – nur auf indirektem Wege: Durch ihren Einfluss auf die Schneetemperatur anhand von Einstrahlung und Ausstrahlung, Verdunstung und Sublimation.

Bezüglich Strahlung ist das ganze schnell erklärt: Je höher die Luftfeuchtigkeit, desto stärker wird die Wärmeabstrahlung der Schneeoberfläche behindert. Die Wasserteilchen in der Luft werfen die Wärmestrahlung wieder zurück zum Boden, die Schneeoberfläche wird wärmer bzw. kühlt sich schwächer aus. Ein Wolkenschirm verhindert die Abstrahlung mehr oder weniger vollständig, hohe Luftfeuchtigkeit behindert die Abstrahlung stark.

Bei Sublimation und Verdunstung geht es ums gleiche Prinzip: Je höher die Luftfeuchtigkeit, desto weniger kann die Schneeoberfläche auskühlen. Verdunstung von flüssigem Wasser an einer feuchten Schneeoberfläche sowie Sublimation von Schnee an der Schneeoberfläche kühlt die Schneedecke – der Phasenübergang von flüssig zu gasförmig bzw. von fest zu gasförmig benötigt Energie, also Wärme.

Um damit besser arbeiten zu können bzw. den Einfluss der Luftfeuchtigkeit besser abzuschätzen, gibt es drei Maße: Die relative Luftfeuchtigkeit in Prozent, den Taupunkt in Grad Celsius und die Feuchttemperatur in Grad Celsius. Da kalte Luft weniger Feuchtigkeit absolut (absolut heißt in Gramm pro Kubikmeter) aufnehmen kann als wärmere, gibt es eine Temperaturmarke, auf die ein Luftpaket abgekühlt werden muss, um bei gleichbleibender absoluter Feuchtigkeit (wo soll auch mehr Feuchtigkeit herkommen?) den Punkt zu erreichen, wo die Feuchtigkeit zu kondensieren beginnt, also die relative Luftfeuchtigkeit 100% erreicht. Das Luftpaket kann bei diesem Punkt die Feuchtigkeit, die sie im wärmeren Bereich tragen konnte, nicht mehr tragen, darum muss die Feuchtigkeit auskondensieren. Diese Temperatur ist der Taupunkt. Mit steigendem Taupunkt bei gleich bleibender Lufttemperatur steigt die relative Luftfeuchtigkeit. Die Feuchttemperatur beschreibt etwas ähnliches wie der Taupunkt, ist aber bei Wetterstationsgrafiken normalerweise nicht abzulesen und deswegen für uns weniger relevant. Sie befindet sich grob gesehen meist genau zwischen Lufttemperatur und Taupunkt. Taupunkt und Feuchttemperatur können nicht höher werden als die Lufttemperatur, da die Luftfeuchtigkeit nicht größer als 100% sein kann.

Liegen Feuchttemperatur und Taupunkt unterhalb von 0°C, sublimiert Schnee ausschließlich. Auch wenn die Lufttemperatur über 0°C liegt! Durch die geringe Luftfeuchtigkeit ist der Dampfdruck der Luft so gering, dass die Moleküle der Schneekristalle an der Oberfläche direkt vom festen in den gasförmigen Zustand in die Luft „hinausgeschleudert“ werden. Steigt die Feuchttemperatur über 0°C an, der Taupunkt bleibt jedoch darunter, schmilzt Schnee teilweise. Das heißt: Ein Teil geht vom festen in die flüssige Phase über, die Oberfläche wird feucht. Der Dampfdruck der Luft steigt mit steigender Luftfeuchtigkeit und die Moleküle der Schneekristalle haben durch den höheren Druck nicht mehr die Möglichkeit, alle direkt in Dampf überzugehen, sondern müssen an der Schneeoberfläche bleiben und werden dadurch zu flüssigem Wasser. Ein Teil geht nach wie vor direkt in die gasförmige Phase über. Steigt die relative Luftfeuchtigkeit noch weiter an und der Taupunkt steigt ebenfalls über 0°C, schmilzt Schnee ausschließlich: das heißt, er sublimiert nicht mehr und geht nur mehr vom festen in den flüssigen Zustand über. Die Schneedecke rinnt dahin, es taut. Nur noch ein geringer Teil des nun entstandenen Wassers verdunstet darauf folgend. Damit fehlt der gesamte Wärmeentzug, der vorher durch reine Sublimation bzw. Sublimation und Verdunstung entstanden ist. Bei Tauwetter erwärmt sich die Schneedecke viel schneller, durchfeuchtet viel schneller und nimmt viel schneller ab. Alles bedingt durch Lufttemperatur UND Luftfeuchtigkeit.

Für die Praxis: Bei trockener Luft bleibt Neuschnee länger fluffig als bei feuchter. Bei trockener Luft bildet sich ein Harschdeckel schneller und weicht langsamer (oder auch gar nicht!) auf. Bei trockener Luft durchfeuchtet die Schneedecke langsamer. Alles aufgrund der Auswirkungen auf die Schneetemperatur durch die oberflächliche Abkühlung. Bei extrem trockener Luft bildet sich ein tragender Harschdeckel bei Lufttemperatuen von um die +6°, +7°, oder sogar +8°C aus. Bei sehr feuchter Luft nur bis +1° oder +2°C, bei einem Wolkenschirm gibt es gar keinen Harschdeckel bis 0°C. In anderen Worten: Bei hoher Luftfeuchtigkeit reicht geringere Lufttemperatur aus, um die Schneetemperatur ansteigen zu lassen. Bei geringerer Luftfeuchtigkeit kann die Lufttemperatur höher ansteigen, um Schnee zu erwärmen.

Beide Partner gehen Hand in Hand durch das Schneeleben. Die Lufttemperatur wirkt zwar nach außen hin dominant in ihrem Einfluss, im Hintergrund werden die Fäden allerdings in gleicher Weise von der Luftfeuchtigkeit gezogen. Vor allem in Grenzsituationen (= im Bereich des Schmelzpunktes und knapp darüber) entscheidet die Luftfeuchtigkeit wohin die Reise für den Schnee geht. Hinter einem starken Mann steht eine starke Frau oder: Papa hat die Hose an, Mama sucht sie aus.

Zusammenfassung: Ehe & Ehevertrag

Der Einfluss der Luftfeuchtigkeit ist somit als praxisrelevant gleichwertig anzusehen wie die Lufttemperatur. Beide wirken sich auf die Schneetemperatur und damit die Form und die Eigenschaften des Schnees aus. Wir nehmen den Einfluss der Lufttemperatur nur stärker wahr, weil sie sich direkt durch Wärmeaustausch auf den Schnee auswirkt. Die Luftfeuchtigkeit dagegen wirkt sich indirekt über Einstrahlung/Abstrahlung sowie Verdunstung/Sublimation auf die Schneetemperatur aus. Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit pflegen im Gesamtbild eine gleichgestellte Ehe, die wir als solche anerkennen müssen!

Merke: Dem Einfluss der Luftfeuchtigkeit auf Schnee gilt gleiche Beachtung wie dem der Lufttemperatur.

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