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Schneegestöber

SchneeGestöber 1 2017/18 | Die essentiellen Unterscheidungen

Neuer Winter, neues Gestöber

von Lukas Ruetz • 16.11.2017
Der Winter ist da, der Schnee auch, der Schneestöberer ist aus seinem Schneeprofilloch aus den Westalpen ebenfalls zur Tastatur zurückgekehrt. Bezugnehmend auf die SchneeGestöber-Kolumnen der letzten Saison bringen wir einige dort regelmäßig auftauchenden Begriffe wieder in Erinnerung.

Zuallererst für unsere neuen Mitleser: Beim Schneegestöber stöbern wir nicht nur im Schnee... Die Priorität wird zwar bei aktuell beobachtbaren Prozessen in der Schneedeckenentwicklung und deren Auswirkungen auf die Lawinengefahr liegen, illustriert mit Schneeprofilen und deren Interpretation. Oft werden wir der Sache anhand von Modellbildungen und extremen Vereinfachungen bzw. hyperbolischer Sprache auf den Grund gehen, um den Fokus stärker auf das Wesentliche legen zu können. Daneben gibt es auch sporadisch einen Blick in andere Abteilungen von Winter und Brettlrutschen. Am Ende jeden Schneegestöbers werden wir einen Merksatz finden – einfach zum Einprägen.

Viele Begriffe des SchneeGestöbers der vergangenen Saison benötigen wir heuer als Grundlage und fassen diese damit in einen geeigneten Rahmen, den sogenannten „essentiellen Unterscheidungen“: Die überlebenswichtigen Unterscheidungen beruhen auf Erfahrungswerten, die zeigen, welche Begriffe häufig nicht bewusst wahrgenommen werden und nicht unterschieden bzw. definiert werden können. Einige Wörter davon kommen regelmäßig in den Lageberichten vor, andere liest man dort nicht, aber ohne sie verstanden zu haben, kann man die Informationen des Lageberichtes nicht erfassen und anwenden.

Wissen – Erfahrung

Wir unterscheiden explizit zwischen Wissen und Erfahrung. Wissen ersetzt keine Erfahrung und Erfahrung ersetzt kein Wissen. Nicht nur in der Schnee- und Lawinenkunde. Die letzten drei Winter haben uns im Ostalpenraum beispielsweise gezeigt: Beim Altschneeproblem ist ein hohes MaĂź an Erfahrung fast nutzlos, wenn man kein fundiertes Basiswissen sein Eigen nennt.

Gefahrenstufe – Gefahrenstufe

Drei ist nicht gleich Drei, Zwei ist nicht gleich Zwei. Die Gefahrenstufe beschreibt lediglich die Gesamtsituation. Sie ist ein Mittelwert aus der Lawinengefahr in allen Hängen aller Expositionen im besagten Höhenbereich. Es gibt bei ein und derselben Lawinenwarnstufe die Möglichkeit, dass Hänge im Südsektor (= Exposition West über Süd bis Ost) brandgefährlich sind, z.B. bei einer Frühjahrssituation. Unter dieselbe Gefahrenstufe fällt ebenfalls die Situation, dass Hänge im Nordsektor (= Exposition West über Nord bis Ost) durch Schwachschichten im Altschnee leicht auslösbar sind, sich aber der Südsektor safe präsentiert. Gleiche Gefahrenstufe, allerdings jeweils vollständig andere Bereiche sicher bzw. gefährlich!  Es kommt immer auf die Verteilung und Auslösebereitschaft der Gefahrenstellen an. Die Stufe fasst sie nur zusammen und bringt uns alleine gleich viel wie ein Tourenski ohne Felle.

Versteckte Gefahrenhinweise – offensichtliche Gefahrenhinweise

Leicht erkennbar sind beispielsweise nicht-überdeckte Triebschneepakete, Gleitschneemäuler, Durchnässung der Schneedecke oder die Neuschneemenge. Schwer erkennbar sind Altschneeprobleme, also Schwachschichten innerhalb der Schneedecke, aber auch eingeschneite Triebschneepakete. Sie sind nur hin und wieder zuvorkommend und teilen Setzungsgeräusche oder Rissbildungen aus. Nicht jede Gefahr zeigt sich im Gelände! Schwachschichten im Altschnee erkennt man oft nur durch aufmerksames Lesen von Lagebericht bzw. Bulletin. Andere Gefahren liest man dort natürlich auch heraus, sie sind jedoch im auch Gelände viel leichter für jeden selbst erkennbar.

Lawinenzeiten – Lawinenorte

Die zentrale Frage im persönlichen Lawinenmanagement ist meistens an die räumliche Dimension gebunden. Sie lautet: „Wo kann ich was auslösen?“ Sollte sich an einem Tourentag die Schneedeckenstabilität massiv ändern, kommt die zeitliche Dimension noch dazu: „Wann kann ich wo und was auslösen?“ Das finden wir in erster Linie bei der Frühjahrssituation vor, aber auch bei Schneefall, Regen, oder anhaltender Windaktivität.

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Großer Maßstab – Kleiner Maßstab

In welcher Größenordnung spielt sich das Lawinenproblem ab? Liegen die Gefahrenstellen nur in speziellen Hängen in einer Exposition in einem speziellen Gebiet oder sind sie im gesamten Land diffus über weite Höhenbereiche und Expositionen verteilt? Bei zweiterem, und hier wieder ein Hinweis auf das Altschneeproblem, führt kein Weg um defensives Verhalten und Meiden der betroffenen Bereiche herum.

gebundener Schnee – ungebundener Schnee

Gebundener Schnee kann Schneebrettlawinen erzeugen. Ungebundener Schnee nur Lockerschneelawinen. Pulverschnee kann gebunden oder ungebunden sein. Schneebrettlawinen gibt es also auch im lässig-staubenden Powderhang der uns fluffig erscheint. Diese Lawinen bezeichnet man als „weiche Schneebretter“.

Bruch – Gleiten

Die Schneedecke kann man sich als einen Klumpen Eis mit Lufteinschlüssen vorstellen. Die Kristalle weisen Bindungen auf und halten zusammen, mal besser, mal schlechter, aber sie sind untereinander verbunden. Um ein Schneebrett auszulösen, muss der Klumpen Eis irgendwo auseinander brechen. Dies kann er durch die Belastung seines eigenen Gewichts machen (spontane Lawine) oder durch eine externe Belastung, also einen Menschen. Wenn der Klumpen irgendwo gebrochen ist, meist in einer Schicht wo die Bindungen untereinander aufgrund der Kristallstruktur nur wenig belastbar sind (Schwachschichten), dann gleitet der Teil oberhalb des Bruchs als Schneebrett ab, sofern die Steilheit ausreicht. Das passiert ab grob 30° Hangneigung, ab hier ist die Reibung geringer als die hangabwärts treibenden Kräfte. Gleitschneelawinen allerdings benötigen keinen Bruch vor dem Abgleiten weil die Schneedecke „nur“ auf dem Boden abgleitet, damit kann man sie nicht auslösen – unmöglich! - und kaum einschätzen, ob und wann sie abgehen wird. Für eine Schneebrettlawine benötigen wir also einen Bruch, für eine Gleitschneelawine nicht.

spröde – plastisch

Unter sprödem Kunststoff kann sich noch jeder etwas vorstellen. Schnee ist Eis. Die Eiskletterer unter uns wissen: Je kälter es ist, desto spröder wird Eis. Was heißt spröde? Sprödes Material bricht leichter. Schneebrettlawinen entstehen durch Brüche im Schneegerüst. Schnee wird ebenfalls spröder, je kälter er ist. Jeder von uns kann spröden Schnee von weniger sprödem Schnee im Alltag unterscheiden: Wenn es saukalt ist, knackst er bei jedem Schritt unter den Sohlen. Am Berg bedeutet das für uns in erster Linie: Triebschneepakete sind auslösefreudiger, je kälter sie sind. Vor frischen Triebschneepaketen sollte man sich trotzdem immer fernhalten. Denn es dauert seine Zeit, bis die Kristalle die nötige Verbindungsqualität aufweisen, um nicht mehr von uns Menschen gestört werden zu können. Aber Kälte erhöht die Störungsbereitschaft kontinuierlich, das heißt mit jedem Grad den frischer Triebschnee kälter wird, bricht er noch leichter. Die Kälte macht Triebschnee nicht nur spröder, also leichter störbar, sondern vor allem zeitlich länger störbar, weil die Bindung durch die Kälte länger braucht um sich zu verstärken. Bei kalten Fingern funktioniert Bewegung schließlich auch nur mehr wie in Zeitlupe. Weist Schnee 0°C oder nur knapp darunter auf – ist also für seine Verhältnisse sehr warm – und wird ein Triebschneepaket gebildet, ist seine Auslösebereitschaft schon im frischen Zustand geringer und wird schnell abnehmen. Er reagiert durch die hohe Temperatur mehr plastisch. Plastisch bedeutet, er verformt sich durch eine äußere Einwirkung und bleibt nachher in dieser Form. Spröde bedeutet, er bricht auseinander bevor er sich verformen kann.

 „Supersicher“ – „Supergefährlich“ & der Zustand zwischen den beiden

Die Lawinengefahr in der Wirklichkeit kennt keine Grenzen oder Einteilungen. Sie verläuft kontinuierlich. Unser System „Lawinenwarnung“ sowie unser „Lawinenhandling“ ist durch die menschlichen Faktoren auf den Gefahrenstufen aufgebaut. Diese haben sich in gewissen Hinsichten bewährt und in gewissen Hinsichten bereiten sie uns große Probleme, vor allem bei Stufe 2 und 3. Man beachte ebenfalls die inzwischen de facto vorhandene Gefahrenstufe „3+“. Wichtig ist die Unterscheidung in unseren Köpfen: Es gibt Situationen, wo man von sehr sicheren Verhältnissen ausgehen kann. Das heißt nicht, dass es dabei nicht möglich ist, eine Lawine auszulösen, aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist sehr gering: die nötige Belastung eher hoch, Gefahrenstellen kaum vorhanden. Dann gibt es Situationen, bei denen eine Lawinenauslösung sehr wahrscheinlich ist, es sogar in den meisten Hängen als möglich betrachtet wird. Und dann gibt’s unendlich viele Situationen dazwischen: Und genau jetzt gibt es einige oder vielleicht auch nur eine Hand voll Hänge, in denen man Lawinen leicht auslösen kann und daneben existieren viele, wo eine Auslösung als kaum möglich betrachtet wird.

leicht handlebar – schwer handlebar

Mit der Unterscheidung zwischen den Situationen von sehr sicher bis äußerst gefährlich kommen wir zum Handling der einzelnen: Leicht handlebare Situationen, also solche, in denen man Entscheidungen einfach und mit weniger komplexen Überlegungen treffen kann, liegen in den beiden Extremlagen vor: Das sind in unserem System die Gefahrenstufen Gering - 1, Groß - 4 und Sehr Groß - 5. Bei der Gefahrenstufe „Gering 1“ gibt es nur ganz wenige Gefahrenstellen, an denen man eine Lawinenauslösung für möglich hält. Im überwiegenden Teil kann man sich dabei über andere Probleme der Tour den Kopf zerbrechen. Oft muss man eher aufpassen, dass man am harten Schnee nicht abstürzt. Bei Gefahrenstufe „Groß 4“ hat sich mittlerweile aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit von spontanen Lawinen – also Lawinen, die von selbst abgehen und keiner externen Auslösung bedürfen – durchgesetzt, dass man das gesicherte Gelände nicht mehr verlässt. Somit sind sie auch sehr leicht handlebar: durch das Kriterium „vollständiger Verzicht“.

Schwer handlebar sind die Situationen dazwischen, diese werden in unserem System mit den Gefahrenstufen „Mäßig 2“ und „Erheblich 3“ umschrieben. Hier ist die Lawinenauslösewahrscheinlichkeit wie ein mehr oder weniger geordneter Fleckerlteppich im Gelände verteilt: Es gibt Stellen, wo man leicht auslösen kann, welche wo man schwerer auslösen kann und welche wo man eine Lawinenauslösung für unwahrscheinlich hält. Diese Situation zu handlen ist am schwierigsten. Vollständiger Verzicht auf den Tag im Gelände ist nur selten die gewählte Option. Partieller Verzicht auf gewisse Gebiete, Bereiche, Höhenlagen, Expositionen & Hänge stellt nun das gewählte Mittel dar. Diese kann man aus dem Lagebericht explizit herauslesen. Teilweise können sie vom Lawinenwarner relativ genau eingegrenzt werden, z.B. auf ein genaues Höhenband beim Altschneeproblem. Teilweise können sie nur grob eingegrenzt werden. Die Bereiche, in denen man vermehrt aufpassen muss bzw. sich fernhalten sollte, sind mehr oder weniger bekannt. Wir müssen die Zeilen im Lagebericht jetzt nicht subjektiv interpretieren, sondern sie so nehmen, wie sie dort stehen und sie im Gelände umsetzen. Das heißt beispielsweise: Bei einem Altschneeproblem den angesprochenen Bereich bestenfalls gar nicht aufsuchen und wenn doch ein Maximum an defensivem Verhalten an den Tag legen, bei einem Triebschneeproblem dem erkennbaren Triebschnee ausweichen, oder bei einer klassischen Frühjahrssituation zeitig wieder daheim sein.

Der Schneestöberer wünscht einen erlebnisreichen und unfallfreien Winter!

Merke: Sich bewusst zu werden, welche Situation man leicht handlen kann und wann es schwieriger ist gutes Lawinenmanagement zu betreiben, ist ein großer Schritt nach vorne in der persönlichen Entwicklung bezüglich Lawinenrisikosteuerung.

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