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Schneegestöber

SchneeGestöber 4 2017/18 | Warum man Gleitschneelawinen nicht auslösen kann

Bruch vs. Gleiten

von Lukas Ruetz 28.12.2017
Gleitschneelawinen kann man durch eine reguläre Zusatzbelastung nicht auslösen - weder als Skifahrer, noch als Sprengmeister. Warum ist das so?

Endlich wieder ein richtiger Winter in weiten Teilen der Alpen! In vielen Regionen finden wir aufgrund der mächtigen Schneedecken und regelmäßigen Schneefälle nur wenige, eher schwächer ausgeprägte Schwachschichten im Altschnee. Gleitschneelawinen sind vor allem in den schneereichsten Regionen mit glatter Bodenoberfläche eine ernst zunehmende Gefahr. Sie gehen meist spontan ab, man kann sie praktisch nicht auslösen und sprengen bringt schon gar nichts. Unter Gleitschneemäulern sollte man sich nicht aufhalten. Wir hören diese Sätze immer und immer wieder – doch was steckt dahinter?

Mechanik & Theorie

Gleitschneelawinen gehen aufgrund eines Reibungsverlustes vom Boden zur Schneedecke ab. Damit gehören sie wie am Boden abgleitende, trockene Schneebrettlawinen und nasse Schneebrettlawinen im Frühjahr zu Kategorie „Grundlawine“. ABER: Gleitschneelawinen weisen einen anderen Auslösemechanismus als Schneebrettlawinen auf.

Die Reibung zwischen Boden und Schneedecke wird einerseits durch die Anfeuchtung der Schneeschicht direkt an der Grenze zum Boden sowie andererseits durch eine von Haus aus geringe Bodenrauigkeit vermindert. Deswegen lösen sie sich hauptsächlich auf Wiesenhängen und Felsplatten.

Gleitschneelawinen entstehen nicht durch einen Bruch in einer Schwachschicht wie Schneebrettlawinen. Gleitschneelawinen gleiten (ohne vorherigen Bruch!) lediglich durch Reibungsverlust der Schneedecke zur Bodenoberfläche ab. Ihr Abgangszeitpunkt ist kaum vorherzusagen. Weil bei der Gleitschneelawine keine Schwachschicht bricht, kann man Gleitschneelawinen praktisch nicht auslösen. Der Zugriss einer Gleitschneelawine, das Gleitschneemaul, ist nicht das selbe wie der Bruch innerhalb einer Schwachschicht. Eine Schneebrettlawine weist ebenfalls einen Zugriss auf, allerdings entsteht dieser erst nach dem Bruch und dem Abgleiten des Schneebretts.

Eine Schneebrettlawine, die am Boden abgleitet, ist ebenfalls nicht das selbe wie eine Gleitschneelawine. Bei einer am Boden abgleitenden Schneebrettlawine befindet sich direkt oberhalb der Bodenoberfläche eine Schwachschicht im Schnee. In dieser Schwachschicht wird ein Bruch initiiert, dieser pflanzt sich fort. Weil die Schneekristalle auseinanderbrechen und damit nicht mehr verbunden sind, löst sich eine Schneetafel aus der gesamten Schneedecke und gleitet in weiterer Folge am Boden ab, sofern sich darunter keine weitere Schneeschicht mehr befindet.

Allerdings nur, wenn die Schwerkraft die nun entstandene Reibung zwischen gelöster Schneetafel und Untergrund überwinden kann (grob ab etwa 30° Hangneigung). Eine Schneebrettlawine, bei der sich unterhalb der Schwachschicht noch weitere Schneeschichten befinden, gleitet auf der nächstfolgenden Schneeschicht unterhalb der ersten Schwachschicht ab.

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Gleitschneelawinen beobachtet man an extrem glatten Bodenoberflächen bereits ab etwa 15° Hangneigung. Vermehrt treten sie wie Schneebrettlawinen allerdings erst ab einer Hangneigung von 25° auf.

Hauptsächlich kommen Gleitschneelawinen bei einer mächtigen, kompakten Schneedecke vor: Also bei viel Schnee, der vornehmlich aus Schmelzformen und abbauend umgewandelten Kristallen besteht. Bei stark ausgeprägten Schwachschichten in Bodennähe (Schwimmschnee) gibt es sehr selten Gleitschneelawinen. Dies hängt unter anderem von der Kohäsion der Schneekörner ab: Lockere, bindungsarme Schneekristalle geben die Gleitbewegung nicht großflächig weiter und bilden keine große Tafel, die zusammenhängend abgleiten kann.

Eine mächtige Schneedecke isoliert außerdem besser den Grenzbereich Schnee-Boden von der meist kälteren Luft. Der warme Boden kann so die untersten Schneeschichten erwärmen und anfeuchten. Bei Wassereintrag in die Schneedecke bis hin zum Boden durch Regen oder nachhaltiger Erwärmung im Frühjahr beobachtet man ebenfalls häufiger Gleitschneelawinen.

Das reibungsmindernde Wasser kann somit auf drei Weisen an die Grenzfläche zwischen Boden und Schnee kommen: 1. Wasserfluss durch Schneedecke von oben 2. Schmelzen der bodennahen Schneeschicht durch Bodenwärme 3. Kapillarkräfte saugen Bodenfeuchtigkeit zur Bodenoberfläche hin.

Vergleiche, Vergleiche

Mit Vergleichen aus dem alltäglichen (Bergsteiger-) Leben kann man üblicherweise mehr anfangen als mit dem theoretischen Blabla. Gleitschneelawinen fließen ähnlich wie Gletschereis. Dabei tun sich Risse und Spalten auf. Der Zugriss, das Maul, öffnet sich genau an der Grenze zwischen nicht-gleitender (bzw. langsamer gleitender) und (schneller) gleitender Schneedecke. Gleich wie bei einem Bergschrund: Der Bergschrund ist eine spezielle Form der Gletscherspalte: Eine sogenannte Randspalte bildet sich direkt zwischen Fels und Eis, ein Bergschrund hingegen öffnet sich zwischen Eis und Eis in steilen, vergletscherten Wänden. Das Eis oberhalb des Bergschrunds ist festgefroren, es gleitet nicht, das Eis unterhalb des Bergschrunds gleitet langsam nach unten (beim Gletscher spricht man statt „Gleiten“ von „Fließen“). Zwischen den beiden bildet sich ein Riss, der Bergschrund.

Zusammenfassung

Gleitschneelawinen werden durch einen Reibungsverlust zwischen Bodenoberfläche und Schneedecke ausgelöst und gleiten nur ab, ohne Bruch.

Schneebrettlawinen werden durch einen Bruch in einer Schwachschicht ausgelöst. Dieser Bruch trennt die Schneedecke in zwei Teile. Der Teil oberhalb des Bruchs gleitet anschließend als Schneebrettlawine ab. Bei der Gleitschneelawine teilt sich die Schneedecke nicht in zwei Teile. Die gesamte Schneedecke verschiebt sich am Boden. Gleitschneelawinen kann man höchstens durch das Abtrennen des „Fußes“ (das ist der Stauchwall bei bereits beginnender Gleitbewegung und gleichzeitigem Öffnen eines Maules) bzw. durch „Anschieben“ der Anrisskante unterhalb des Zugrisses auslösen.

Den für die Schneebrettlawine erforderlichen Bruch in einer Schwachschicht kann man durch Zusatzbelastung erzeugen, den für die Gleitschneelawine nötigen Reibungsverlust nicht. Die Verstärkung des Reibungsverlusts von oben auf die Gleitschneetafel durch eine Zusatzbelastung ist zu vernachlässigen.

Somit kann man Gleitschneelawinen auch praktisch nicht mit Hilfe von Schneeprofilen einschätzen lernen.

Im Gesamten versteht man von Gleitschneelawinen noch sehr wenig. Das SLF hat hier einen Forschungsschwerpunkt. Kann man als weiterführende Literatur sehr empfehlen!

Merke: Gleitschneelawinen, Schneebrettlawinen und Lockerschneelawinen sind wie Aufstiegsrennski, Freerideski und Abfahrtsrennski - Teil einer gleichen Kategorie aber doch komplett verschieden.

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