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Abenteuer & Reisen

Anno dazumal Teil 4 | Schneeschuhfahrten in den Hohen Tauern

Teil II der Schneeschuhfarten in den Tauern

von Bettina Larl 08.01.2017
Auch der vierte Artikel aus der Reihe Anno dazumal nimmt uns mit in Zeit kurz nach 1900. Hans Skofizh und Franz Tursky erzählen im zweiten Teil ihres Artikels "Schneeschuhfahrten in den Hohen Tauern" aus dem Jahr 1913 von "Turen" das Große Wiebachhorn, den Johannisberg, den Breitkopf und den Großvenediger. Wiederum könnten einiger dieser Abfahrten Erstbefahrungen in dieser Region gewesen sein.

Schneeschuhfahrten in den Hohen Tauern - Teil I

von Hans Skofizh und Dr. Franz Tursky


GLOCKERIN, 3425 m, BRATSCHEN KÖPFE, 3403 UND 3416 m, GROSSES WIESBACHHORN, 3570 m

(S.) Am nächsten Morgen verließen wir um 4 Uhr die Oberwalderhütte. Über den Tälern lag undurchsichtiger Nebel, hier oben war es klar und windstill. Am Südosthange des Eiswandbühels querten wir zur Bockkarscharte, 3046 m, überschritten das sanftgeneigte Bockkarkees und erreichten nach einem kurzen, steilen Anstieg die Keilscharte, 3136 m. Dann querten wir, in gleicher Höhe bleibend, den Westhang des Großen Bärenkopfes, eine außerordentlich steile Bergflanke, mit der bei schlechten Schneeverhältnissen gewiß nicht zu spassen ist. Lauernde Klüfte zur Linken und die Steilheit des Hanges verkürzten uns den Weg. Nach Umgehung des Nordwestgrates des Großen Bärenkopfes konnten wir leicht die Gruberscharte, 3093 m, erreichen.

Von hier ging es auf immer steiler und schmäler werdenden Firnrücken zur Glockerin hinauf. Als wir den steilen, eisharten Firngrat ziemlich hoch erreichten, schnallten wir die Schier ab. Nach luftiger Stufenarbeit erreichten wir den in schroffen Fels- und Eisflanken abfallenden Gipfel. Vorsichtig waren wir darauf bedacht, daß uns die glitzernde Wächte aus lauter Freude über den seltenen Brettelbesuch nicht zu einer ihrer tollen Abfahrten mitnahm. Schön war von hier der Einblick in das wilde Spaltengewirre des Karlingergletschers. Weiter führte unser Weg über den schlanken Firngrat hinab; zuerst sehr steil, bald aber wieder auf breitem Kamme die Verwendung der Schier zulassend. Mehr als hundert Meter Höhe mußten wir trotz unseres entrüsteten Geknurres aufgeben. Unser nächstes Ziel war die Einsattlung zwischen dem Vorderen und Hinteren Bratschenkopf. Dort oben hielten wir um 7 Uhr eine halbe Stunde Rast, die herrlichen Bilder der Umgebung dabei in vollen Zügen genießend. Ein kurzer, steiler Schneehang trennte uns noch von der Wielingerscharte, 3267 m. Gegenüber stand das Große Wiesbachhom. In scharf umrissenen Linien ragt das schlanke Schneehorn aus sonnenbestrahltem Nebelmeer. Blendend, in allen Farben buchtend, wirft die östliche Eiswand das Sonnenlicht zurück. Daneben erscheinen, scharf umgrenzt, die beschatteten Flächen in ihrem violetten Farbenkleide in abweisender Steilheit. Wunderbar leuchtet auf dem Gipfel die in die Wand hinausragende Eiskrone, die mit einer flimmernden Wächte geschmückt ist.

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Die felsdurchsetzte, vereiste Südwestflanke sollte den Anstieg vermitteln. Wir unterschätzten ihre Entfernung und ließen hier vorzeitig die Bretter zurück. Mit Steigeisen, Seil und Pickel ausgerüstet, fuhren wir über den Schneehang zur Wielingerscharte ab. Aber erst in einer halben Stunde erreichten wir den Fuß des Gipfelhoms. Wir nahmen das Seil. Eine halbe Stunde mühsamer, aufmerksamer Arbeit ließ uns die letzten 300 Meter gewinnen. Um 9 Uhr betraten wir den Gipfel. Groß und strahlend leuchtet uns die Sonne entgegen, all die zahllosen Spitzen überflutend mit blendendem Licht. Frisch zieht der Morgenwind. Vor unseren Füßen gleißt die Wächte und darunter gähnt die schwindelnde Tiefe, im schimmernden Weiß sich verlierend, das weite Flächen bedeckt und tief unten erst übergeht in das dunkle Grün der Wälder. Die Täler sind überschleiert von ziehenden Morgennebeln und dazwischen, wohin du blickst, mächtige, weiße Berge. Und sie alle überragend, zur herrischen Spitze sich auftürmend, der Großglockner und dahinter in weiter Ferne die schlanke Pyramide des Großvenedigers, beide, soweit das Auge ihren herrlichen Linien folgen kann, von Eis und Schnee übergossen! Und drüben auf der starren Bergeshöhe der Adlersruhe winzig klein ein blinkendes Viereck, in all dem Glanze kaum erkennbar: die Erzherzog- Johann-Hütte, ein kühnes Wahrzeichen menschlicher Werte.

Kurz war der Abstieg zur Wielingerscharte, lang der Rückweg durch den aufgeweichten Schnee zu unserem Gepäck. Dort oben zwischen den Bratschenköpfen hielten wir einstündige frohe, sonnige Rast. Ein kurzer Bummel brachte uns hierauf auf diese beiden Gipfel. Am Seil fuhren wir dann, stellenweise nur einzeln, die schmalen, steilen Kämme vom Bratschenkopf und der Glockerin hinunter, bis die breiteren Firnrücken wieder ein flotteres Tempo gestatteten. Heiß brannte die Sonne und in nur kurzen Zwischenräumen gingen von der Hohen Dock Stein- und Schneelawinen gegen das wildzerklüftete Hochgruber- kees krachend ab. Auch eine mächtige Eislawine sahen wir dort donnernd niedergehen.

Glücklich wurde die Nordwestflanke des Großen Bärenkopfes gequert, die uns für den Rückweg etwas Sorge gemacht hatte, und nach flotter Fahrt erreichten wir um 2 Uhr wieder die trauliche Oberwalderhütte.
Dem Schimanne, der eine geschlossene Abfahrt höher schätzt als bergsteigerische Genüsse, werden die unterbrochenen Fahrten über zum Teile sehr steile und schmale Kämme nicht behagen. Der Bergsteiger hingegen, der die Unterbrechung der schneidigen Abfahrten durch Eis- oder Felsarbeit auf steilen Hängen oder luftigen Graten als nicht minder genußreiche Abwechslung betrachtet, wird von dieser herrlichen Tur hoch befriedigt sein.

EISWANDBÜHEL, 3197 m, VORDERER BÄRENKOPF, 3263 m, JOHANNISBERG, 3467 m(S). Als wir am nächsten Morgen um 4 Uhr zum Fenster hinauslugten, machten wir lange Gesichter. Jagendes Regengewölk und brausen man der Nordweststurm sind dem Bergsteiger keine freundlichen Morgengrüße. Um 7 Uhr krochen wir endlich aus den Betten und machten uns in der Küche zu schaffen. Um 1/2 10 Uhr war der Wolkenzug bedeutend höher, der Sturm schwächer. Wir beschlossen einen Vormittagsbummel. Wortlos fuhren wir zum Eiswandbühel hinauf und erreichten, dem Verbindungskamme folgend, nach einer Stunde den Vorderen Bärenkopf. Alle Bergspitzen sind unter finsteren Wolkenhauben versteckt. Hoch oben zieht das jagende Gewölk in allen düsteren Farben. Über den Hofmannsgletscher und von der Glocknerwand donnern fast unausgesetzt Lawinen nieder. Der Sturm braust mächtig. Schwer lastet das Unwetter auf dem Gemüt und instinktiv sehnen wir uns nach körperlicher Anstrengung, die von diesem Alp befreit. Aber den Johannisberg müssen wir nun wohl aus unserem Programm streichen.

Sinnend schaue ich hinüber. Da zerreist für einen Augenblick seine mächtige Haube. Rasch bin ich zur Tur entschlossen. Ich wende mich meinem GeFährten zu: die Augensprache ist deutlich. Ich hätte ihm danken mögen für sein Ja. Doch schon zischt der Schnee unter den eiligen Schiern, die uns in sausender Fahrt über den Südosthang zum Obersten Pasterzenboden hinuntertragen. Sinnbetörend ist der Flug über die weißen Flächen. Da, ein feiner Streif im weichen Firn — eine Spalte! Schon ist sie hinter mir. Da noch eine, eine breitere —, mehrere noch! Ich fühle, daß mich die rasende Fahrt sicher hinüberträgt. Ich kann mich nicht umsehen, aber ich weiß bestimmt, mein Gefährte ist wohlbehalten hinter mir. Gleich, gleich sind wir unten und dann nehmen wir das Seil! Über den Obersten Pasterzenboden fahren wir der Südflanke des Johannisberges zu. Immer tiefer sinkt das Gewölk, immer brausender weht der Sturm. Wenn für Augenblicke der Nebel aufreißt, überprüfen wir die Richtung und legen sie mit der Bussole fest. Dort, wo wir beiläufig die vorgestrige Abfahrt von der Hohen Riffl kreuzen, treten wir tiefe Marken in den Schnee, die uns den kürzesten Rückweg zur Hütte weisen sollen.
Die Südflanke ist erreicht. Einige schwarzgähnende Klüfte werden auf sicheren Schneebrücken überquert. Schritt für Schritt gewinnen wir gegen den Sturm kämpfend an Höhe. Jagende Nebel lassen uns nur auf wenige Schritte sehen. Brennend schlagen die Hagelkörner ins Gesicht. — Nur weiter in zäher Zickzackspur bergan! Wir müssen den Gipfel erreichen!
Ich habe den Ersten wieder abzulösen. Im Vorbeigehen treffen sich forschend unsere ernsten Blicke: Wohl uns, ungebeugter Wille und frohe Kraft blitzen mir entgegen! Ein Wesen ist aus den zwei Menschen geworden, die da am Seile gehen, denn ein Wille beherrscht sie und verbindet sie mit eherner Gewalt: der Wille zu siegen und zu leben.
Wir müssen schon ziemlich hoch sein; die Flanke wird immer steiler. Schaurig heult der Sturm aus dem Ödenwinkel. Einzelne Sturmböen sind so heftig, daß wir uns minutenlang mit den Handschlingen an den tief eingerammten Pickeln sichern müssen. Die Köpfe beugen wir bis auf den Schnee hinunter, um die Gesichter vor den Eiskörnern zu schützen, welche die Haut blutig reißen. Da, ein Firnkamm zu unserer Rechten, es muß der Ostgrat sein. Der Gipfel ist nahe!
 

Schritt für Schritt, Seillänge um Seillänge kämpfen wir uns weiter. Um 1 Uhr erreichen wir den Gipfel.---
Bei unvermindertem Sturm und Nebel erfolgte unverzüglich die Abfahrt. Sorgfältig achteten wir, die Spuren der Auffahrt nicht zu verlieren. Je tiefer wir kamen, um so schwächer wurde der Sturm und desto schneller glitten die Brettel, immer größer wurden unsere Bögen. Als wir dann in gerader Spur den starken Wind im Rücken hatten, da begann eine tolle Wettfahrt mit den uns umfegenden Spukgestalten jagenden Nebels. In zischendem Schuß erreichten wir den Obersten Pasterzenboden und bald darauf die Marken, die wir beim Aufstieg in den Schnee getreten hatten. Um halb 3 Uhr kamen wir in unsere Unterkunft zurück und freuten uns aufrichtig des Sieges, während brausende Windstöße an der Oberwalderhütte rüttelten.
Diese sonst nicht als schwierig geltende Tur hatte unsere Willenskraft und unser Können in hohem Maße beansprucht; die Verhältnisse machen den Berg.

BREITKOPF, 3154 m

(S). Ein klarer Morgen folgte der schwarzen Sturmnacht, schimmernd in schneeiger Winterpracht. Wolkenlos war der Himmel und blau, alle Farben tief und satt. Sonnendurchleuchteter Nebel lag über den Gletschern. Schweren Herzens trennten wir uns von der Oberwalderhütte, um die Talfahrt anzutreten. Der Abstecher auf den Breitkopf sollte uns dabei trösten.

Um 5 Uhr brachen wir auf. In einer halben Stunde erreichten wir auf bekanntem Wege die Bockkarscharte und leider schon zehn Minuten später längs des Westkammes den Gipfel. Um sechs Uhr standen wir wieder bei unserem Gepäck auf der Bockkarscharte. Neckend brachen sich die Sonnenstrahlen in dem wenig dichten Nebel, auf hellem Firn, einige Meter vor den gleitenden Brettern einen tiefdunklen Steilhang vortäuschend, der bald in sausender Fahrt vor uns dahineilte. Nach flotter Abfahrt gelangten wir zum Sommerweg, der an der Gamsgrube vorbei zur traulichen Hofmannshütte, 2443 m, führt, bei der wir eine Stunde im Freien saßen.

Im hellen Frühschein lag die Pasterze vor uns, von mächtigen Wächtern umgeben: Großglockner, Glocknerwand und Johannisberg! Wenn sich die wohltuende Befriedigung, die uns bei dem unendlich vollkommenen Anblick einer Landschaft erfüllt, noch mit der großartigen Erhabenheit eines solchen Bildes paart, muß da nicht der Eindruck ein unvergeßlicher bleiben? —
Auf ausgeapertem Weg stiegen wir dann zur Pasterze ab. Sorglos konnten wir dort die weit sichtbaren, schmalen Spalten überfahren, bis wir den Felsenweg zur Franz-Josefs-Höhe erreichten. Dort wurden die Schier bleibend versorgt und wir verplauderten ein Viertelstündchen mit einem alten Heiligenbluter Führer, der Hütteninspektion auf der Hofmannshütte halten wollte. Als wir ihm auf seine Frage unsere Türen nannten, wiegte er bedächtig den weißen, verwitterten Kopf: Jahreszeit, Wetter, Schier und Karte! Nur schlecht konnte er seine Abneigung gegen diese Dinge verhehlen.
Die Abfahrt nach Heiligenblut gilt im Winter mit Recht als äußerst lawinengefährlich. Durch die vorgeschrittene Jahreszeit war sie für uns zwar bedeutend gekürzt, dafür aber sorgenlos und genußreich. Schon um 3/4 9 Uhr vormittags standen wir auf der Franz-Josefs-Höhe in stummer Bewunderung des so bekannten und doch immer wieder ergreifenden, großartigen Bildes, das der König der Hohen Tauern dem Beschauer bietet. Bevor wir dem Talfrühling weiter zueilten, nahmen wir noch Abschied von diesem wundervollen Stück deutscher Heimat: Frohe Siege aus eigener Kraft, sausende Fahrten auf verfirnten Gletschern, wonnige Rasten auf einsam umsonnten Gipfeln haben wir dort droben genossen — glückliche, unvergeßliche Stunden seliger Freiheit! —

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GROSSVENEDIGER, 3660 m

(T.) Wenn das Kleid der Erde in hundertfältiger Blütenpracht sich wieder erneuert, und jugendlich grünende Gefilde den herannahenden Frühling künden, wenn die Sonne den frostglitzernden Panzer, mit dem die nordischen Wintergötter die Berge umfangen haben, wegzunehmen droht, dann drängt es uns noch einmal hinaus, Abschied zu nehmen von der unendlichen Stille winterlicher Hochwelt, von der hehren Pracht sonnig glänzender Schneedome. Noch einmal wollen wir in der Zeit, die so viele Jahre lang die Berge als verschlossenes, unnahbares Gebiet erscheinen ließ, in die schimmernde Hochregion Vordringen, wollen in atemraubender Gleitfahrt zu Tal jagen, noch einmal in kühnen Schwüngen die Steilheit meistern, um dann unsere treuen Begleiter in den sommerlichen Ruhestand zu versetzen und wieder Pickel und Seil hervorzusuchen. Ostern! Das ist für den alpinen Schneeschuhläufer so recht die Zeit zu Gletscherfahrten. Die Tage sind schon lang, Schönwetter oft meist anhaltend die Eisströme von metertiefem Schnee bedeckt, die Spalten gut überbrückt: da läßt sich die Sehnsucht nach einem größeren Unternehmen nicht mehr unterdrücken. Diesem Drange folgend, fuhr ich in Gesellschaft Gleichgesinnter im „Zügle" der Krimmler Bahn durch das Salzachtal. Der Hauptort des Pinzgaus, Mittersill, war bereits durchfahren, wir näherten uns der Mündung des Untersulzbachtales, wo sich ein prächtiger Blick auf den unumschränkten Herrscher des ganzen Gebietes, auf „unseren" Gipfel, bot und bald nachher hatten wir auch die Haltestelle Rosental-Großvenediger erreicht. 1/2 10 Uhr vormittags war es — eine mehr als zwölfstündige nächtliche Bahnfahrt hatte uns von Wien hierher gebracht —, nun hieß es tüchtig ausschreiten, um die bedeutende Höhe der Kürsingerhütte, 2558 /n, noch vor Einbruch der Dunkelheit zu bezwingen.

Über den schneelosen Talboden wanderten wir, die Bretter auf den Schultern, der Öffnung des Obersulzbachtals zu und folgten dem Alpenvereinsweg zur Hütte. Nach kaum mehr als halbstündigem Aufstieg lag bereits genügend Schnee, um anzuschnallen. Immer weiter ging's talein über die Reste zahlreicher Lawinen, die vielleicht vor wenigen Tagen in das tiefeingeschnittene Tal herabgeschossen, zur Steilstufe des Seebachfalls. Wir durchfuhren sie in tief verschneitem Wald, den langen Kehren des Reitweges entlang, und erreichten die Berndlalpe, wo wir uns ein sonniges Plätzchen zur Mittagsrast wählten. Diese Talstufe bietet den ersten Blick auf das Obersulzbachkees. Mit scharfen Konturen vom Blau des Himmels abgegrenzt, schien es wie ein mächtiger Strom die verschneiten Felsen des Geigers zu umbranden. In flimmernder Märchenpracht und unentwegter Stille lag die Gletscherwelt vor uns — ein glanzvolles Bild des unwandelbaren Waltens starrer Naturgesetze, so recht ein Ort, die Verehrung zu verstehen, die unsere Zeit dem Schönen und Erhabenen im Hochgebirge entgegenbringt! —

Nachdem wir den Mundvorräten unserer Rucksäcke tüchtig zugesprochen hatten, fuhren wir wieder weiter an der Aschamalpe vorbei, über wellige Almböden zum Gletscher empor. Mit jedem Meter Höhe, den wir gewannen, wurde die Umgebung großartiger. Die Eiskatarakte der „Türkischen Zeltstadt", die den Absturz des ausgedehnten Keeses gegen seine Zunge hin bilden, prägten sich unauslöschlich in mein Gedächtnis ein. In einer Kaskade von wild übereinander aufgetürmten Eisblöcken liegt das verworrene Kluftsystem neben uns. Abgrundtiefe, bläuliche Schlünde neben tausendfach schimmerndem Schnee, seltsam geformte Eisgebilde neben zerborstenen Wänden, das sind die Naturwunder, die uns hier erwarten. Nur allzubald hatten wir das Spaltenlabyrinth hinter uns und fuhren auf der darüber gelagerten Terrasse, nunmehr schon angesichts des überwältigenden Nordabfalles des Venedigers, weiter, bis wir an einer geeigneten Stelle den Hang zur Hütte anschneiden konnten; bald nachher begannen wir, uns in diesem so günstig gelegenen, von Schneeschuhfahrern oft aufgesuchten Hochasyl häuslich einzurichten.

Es war mittlerweile Abend geworden, als ich allein vor die Hütte hinaustrat, um noch einen Blick in die winterherrliche Welt vor uns zu werfen. Ein letzter fahler Schein des Tages huschte über die eisigen Häupter, die mich umgaben. Wie flüssiges Silber flutete der breite Gletscherstrom unter mir talab. Kein Lüftchen regte sich, keine trübende Wolke war sichtbar. Über dem edlen Haupt des Venedigers erglänzte der erste Stern, von sanftem Lichte unbeschreiblicher Verklärung übergossen ragte der stolze Bau des Eisriesen in den stahlblauen Azur.--- In den Hängen des Keeskogels waren wir tags darauf zum Zwischensulzbachtörl emporgestiegen, wo uns die ersten Sonnenstrahlen blitzend grüßten, und fuhren nun auf dem Untersulzbachkees der Scharte zwischen Groß- und Kleinvenediger zu. Knapp unter dieser ließen wir unsere Schneeschuhe zurück, da wir in dem steilen Firn ohne sie besser fortzukommen hofften. Wir betraten auf der üblichen Sommerroute das Schlattenkees, überquerten mehrere Spalten und stiegen über den letzten, ziemlich steilen Firnhang vollends zur Spitze auf, von der sich uns die unermeßliche Rundschau in kristallner Klarheit erschloß.
Die Ötztaler Rivalen grüßen herüber, die Nördlichen Kalkalpen von der Zugspitze bis zum Dachstein, die Hörner und Schneedome der Glocknergruppe, die kühnen Türme der Südlichen Kalkalpen in langer Reihe, fern am Horizont Ortler und Bernina, sie alle waren heute in voller Pracht sichtbar und ihr unvergeßliches Bild der Lohn für jene „Mühen", die dem Bergsteiger ja schon an sich hoher Genuß sind. Nach allen Seiten hin wallen die Firnströme hinab in den jungen Frühling, der dort unten so kräftig atmet und in den Wonnen des Lichtes schwelgt. Nur hier auf unserer sonnigen und doch so tief winterlichen Höhe scheint die Zeit stille zu stehen, denn hier herrscht ewiger Winter, das jugendfrische Knospen, das gewaltige Regen des Frühlings dringt nie herauf in diese Region schimmernder Starrheit!

Hochbefriedigt ward endlich Abschied genommen von der hehren Zinne. Vorsichtig stiegen wir über die schon stark erweichten Schneebrücken hinab und gelangten bald zu unseren getreuen Brettern. Mit keinem König hätt' ich getauscht, als ich dann, mit Windeseile dahingleitend im tiefen Pulverschnee, über das Untersulzbachkees hinabfegte. Von den Sorgen der Welt und den Mühen des Lebens mich frei wissend, schwellte Jubelgefühl meine Brust, daß sich ihr ein Juhschrei entrang, der widerhallend mein Stolz- und Siegesbewußtsein den Wänden dieses Hochtals kündete! Das Zwischensulzbachtörl vereinigte uns alle und nun ging's in dem feuchtsalzigen Firn über das Obersulzbachkees hinab. Wieder durchschneiden unsere Schneeschuhspitzen in ungehemmtem Schuß zischend und knisternd den Schnee. Eine ununterbrochene Doppellinie, die Spur unseres vortägigen Hüttenaufstieges, die hier den Gletscher verläßt, wird sichtbar, immer weiter und weiter eilen unsere Gleithölzer in hindernisloser Fahrt, bis wir vor der „Türkischen Zeltstadt" anhalten. Jetzt heißt es gechickt sich durchschlängeln zwischen den lauernden Abgründen und Eiswänden des Bruches. Vorsichtig, an meterbreiten Klüften vorbei, fahren wir hinab. Immer näher rücken die Spalten von beiden Seiten heran, bis sie nur mehr eine schmale Durchfahrt freilassen; was dann folgt, können wir nicht sehen. Langsam und erwartungsvoll versuche ich diesen Ausweg und mit einem Freudenruf künde ich meinen Gefährten, was ich vor mir sehe. Die sanftgeneigte Gletscherzunge habe ich erreicht, und schon sause ich schnurgerade hinab in dem weißen Element, das den Brettern soviel Leben gibt. In zahlreichen Schwüngen und Bögen fahren wir dann vom Ende des Keeses zur Aschamalpe ab und nach einer längeren Rast über den fast ebenen Talboden zur Berndlalpe hin. Hier beginnt die flotte Fahrt von neuem. Durch den Hochwald geht es jetzt hinab der Talöffiiung zu, und solange noch winterliches Weiß vorhanden, wird gefahren. Dann wandern wir, die treuen Bretter geschultert, hochbefriedigt hinaus zur Bahn.

Neue Freude und Kraft haben wir uns herabgeholt und tragen sie heim in unser Alltagsleben. Heute noch denk' ich daran und möchte dankerfüllt hinausjauchzen, wie ich es getan auf dem weithinschauenden Gipfel!
Der Besuch des Großvenedigers ist zweifellos die schönste Schneeschuhtur in den Hohen Tauern; sie bietet eine glückliche Vereinigung dessen, was der Winterhochturist als Bergsteiger und als Schiläufer zugleich beansprucht. Die Prachtblicke, die der Aufstieg zum Kees, die „Türkische Zeltstadt" und der Gipfel selbst bieten, die Einblicke in die ausgedehnten winterlichen Gletschergebiete der Gruppe, die ungemein lange Abfahrt, die überall in günstigem Gelände vor sich geht und mit Ausnahme des kurzen Stückes zwischen Ascham- und Berndlalpe ein ununterbrochenes Gleiten gestattet, das sind Vorzüge, wie man sie vielleicht wenigen Schibergen in den ganzen Alpen nachrühmen kann.
(S.) Wenn ich mich meiner Winterfahrten erinnere, so gedenke ich immer dankbar der Schneeschuhe, die es mir ermöglichten, unsere schönsten Hochgipfel in einer Zeit zu besteigen, da sie ihre märchenhafte, unberührte Schönheit ungastlich vor jedem zu verschließen suchen, der nicht gelernt hat, die schlanken Hölzer zu gebrauchen. Man denke sich nur eine dieser Hochturen mit Schneereifen ausgeführt, halte sich die hiefür erforderliche Zeit und Mühe vor Augen und man wird verstehen, daß diese zeitraubenden Unternehmungen — soweit auf diese Art Hochgipfel überhaupt erstiegen worden sind — nahezu vollständig aufgehört haben. Aus diesem Grunde aber von einer Verflachung des Alpinismus durch den Schilauf zu sprechen, erscheint mir indes ebenso unberechtigt wie die Tatsache, daß in manchen durchaus ernsten, alpinen Kreisen die Schier, diese wertvollen Freunde des Bergsteigers, noch immer mit scheelen Augen angesehen und die alten Schneereifen bevorzugt werden. Bei näherer Betrachtung findet sich aber auch für diese im ersten Augenblick erstaunliche Tatsache die Erklärung: Mancher alte Bergsteiger, der sich mit dem neuen Hilfsmittel, den Brettern, nicht gleich befreunden mochte, mußte sehen, wie die leichter zugänglichen Berge, bisher im Winter fast ausschließlich sein Reich, zum Tummelplatz der schier ins Ungeheure wachsenden Familie Ekel wurden! Durch diese wurde er nicht nur aus seinem Gebiete vertrieben, sondern sie machten es ihm durch ihre größere Leistungsfähigkeit vermöge der Schier fast unmöglich, ihr zu entrinnen. Daher verdroß es ihn bald, überhaupt im Winter hinauszuziehen und er blieb — grollend über die Verflachung des Alpinismus durch den Schilauf — daheim. Nur schwer will er sich mit Hilfe der Turenbücher überzeugen lassen, daß gerade infolge des erhöhten Verkehres in den Voralpen echtes Bergsteigertum sich um so sehnsüchtiger in die einsamen Hochregionen zurückzieht und daß dadurch häufig Winterturen Zustandekommen, die ohne Schier wohl zu den größten Seltenheiten gehörten.
Auch von der Postkutsche mochte sich seinerzeit so mancher nicht trennen und blieb zeitlebens ein erbitterter Gegner der Eisenbahn, deren Bau mit den Vorteilen eines erhöhten Verkehres auch einige Nachteile brachte, nichtsdestoweniger aber eine ganz ungeahnte Leistungsfähigkeit zur Folge hatte. Mit Ausnahme einiger selbstsüchtiger, fahrender Krämer, die die überlegene Konkurrentin haßten, waren es oftmals die Besten, die in banger Sorge um das, was sie liebten, die Vorurteilslosigkeit verloren. —
Möge es uns gelingen, durch ernste und würdige Betätigung echten Bergsteigertums auch bei unseren Winterfahrten, die Gegner des nutz- und freudebringenden, alpinen Schilaufes zu versöhnen und auch sie als Anhänger der neuen Art winterlicher Bergwanderungen zu gewinnen!

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