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Abenteuer & Reisen

Anno dazumal Teil 5 | Schneeschuhfahrten in den Oetztaler Alpen

Hochtourenklassiker vor 100 Jahren

von Bettina Larl 02.02.2017
Im fünften Teil von Anno dazumal aus dem Jahr 1916 berichtet Franz Tursky in zwei Teilen über vergangene Schneeschuhfahrten in den Ötztaler Alpen. Der Artikel wurde 1916 in Frakturschrift gedruckt und bereitete im Projekt Alpenwort so einige Sorgen, da bei der Digitalisierung die Optical Characzer Recognition (OCR) so einige „Fails" bereitete. Wer also Fehler im Text findet – darf sich freuen, besser als die Software zu sein. ;) In jedem Fall wünschen wir viel Freude bei wohlformulierten Geschichten über heutige "Hochtourenklassiker"!

Schneeschuhfahrten in den Ötztaler Alpen

von Dr. Franz Tursky

Es gibt wohl kein anderes Gletschergebiet in den Alpen, das dem Schneeschuhläufer so genußreiche Fahrten und so dankbare Ziele bietet als die Ötztaler Berge. Flache Firnfelder ziehen vielfach bis zu den höchsten Gipfeln empor und die Ferner, die von ihnen zu Tal fluten, sind meist sanft geneigt und weit ausgedehnt, so daß sie dem nordischen Gleitholz allüberall eine sorglose und zugleich flotte Fahrt ermöglichen. Darum sind auch die Ötztaler Hochgipfel, die früher nie oder doch nur selten Winterbesuch aufzuweisen hatten, schon frühzeitig in der Gilde der alpinen Schneeschuhläufer bekannt geworden und sie werden heute von allen, die den Bergsport und Schneeschuhlauf in gleichem Maß lieben, gern aufgesucht.

Ostern! Das ist gerade die rechte Zeit, um das Ende des Winters auf Schneeschuhen in würdiger Weise zu feiern. And wo anders als im Hochgebirge! Die Tage sind schon lang, das Wetter ist meist gut und die Schneeverhältnisse sind gerade um diese Zeit so günstig, wie man sie im Tiefwinter kaum antrifft. Darum zieht es die Jünger des alpinen Schneeschuhlaufs zu Ostern noch einmal gar mächtig und unwiderstehlich hinaus in ihr hehres Hochgebirge, und es gibt viele unter ihnen, die den Frühlingsbeginn alljährlich auf einem stolzen Dreitausender feiern. Diesen sollen meine Schilderungen zwar vorwiegend gelten, aber ich will auch allen denen von meinen sonnigen Osterbergfahrten im Ötztal erzählen, denen diese Art des Bergsteigens aus eigener Anschauung bisher unbekannt blieb, um in ihren Reihen Anhänger und Freunde der alpinen Schneeschuh-Hochturistik zu werben.

Wie herrlich war das Osterfest 1914, das ich in der Ötztaler Hochwelt in lustiger Gesellschaft einiger gleichgesinnter Bergkameraden zubrachte! Reizend waren diese Tage, so herrlich und bezaubernd, daß das Gedenken an sie mich heute noch immer in seliges Empfinden verseht. Vorbei sind die sorglosen Fahrten über leuchtende Ferner und mit ihnen die hohe Freude dieses genießenden Lebens, aber in meinem Innersten ruhen unvergängliche Bilder, die damals sich meiner Seele einprägten und die mir immer und ewig unvergeßlich bleiben werden. Geschwunden ist alles Häßliche und Anschöne in meiner Erinnerung und als dauernder Gewinn flüchtiger Freuden ist mir ein tiefes Gedenken an jene Fahrten geblieben, das gar oft schon alle die hehren Bilder an mir vorüberziehen ließ, so prachtvoll und schön wie einst in der schnellen Flucht der Wirklichkeit. In wilder Schönheit und mit verschwenderischer Fülle baut Allmutter Natur so wie einst die flimmernde Pracht dieser Hochwelt jetzt wieder vor meinem geistigen Auge auf, und denk' ich an euch, ihr stolzen, sonnumfluteten Gipfel, dann wogt durch meine Seele der Glanz vergangener Freuden, die Sonne entschwundener Lust — so lichtvoll und hell wie in jenen Stunden, wo ich auf euren blinkenden Scheiteln weilte. Ja, ein einziger Gedanke an euch vermag jenes befestigende Hochgefühl in mir zu wecken, das ich auf euren lichtumflossenen Höhen damals empfand, ein einziges Bild meiner Erinnerung genügt, und schon lebt jene genießende Daseinsfreude neu auf in mir, die mich dereinst beglückend in eurem Zauberbann umfangen hielt. Doch was nützen Lote Worte, wenn es gilt, glühendes Leben zu schildern! Meine Gedanken und meine Gefühle kann doch nur der verstehen und nachempfinden, der selbst, so wie ich, von ungezählten Freuden zu erzählen weiß, die er im Winter in den Bergen einstmals erlebte.

Auffahrt zum Brandenburger Haus am Kesselwandjoch, 3277 m

Mit meinem langjährigen Bergkameraden Dr. Otto R. von Böhm sowie mit einem ganz jungen Mitglied unserer Wiener akademischen Sektion bestiegen wir am 4. März 1914 frühmorgens in Landeck einen Wagen, der uns über Pruh nach Feuchten brachte, um daselbst die Auffahrt zum Gepatschhaus zu beginnen. Wir nahmen im Gasthaus noch einen kleinen Imbiß ein und lernten bei dieser Gelegenheit sechs bayerische Schneeschuhläufer — darunter drei Münchner — kennen, die eine gleiche Durchquerung der Ötztaler Gletscherberge auf ihren Wunschzettel gesetzt hatten, wie wir. Schnell wurden wir bekannt, und als wir beim Abmarsch unsere Schneeschuhe anschnallten, da hatte uns ein reger Gedankenaustausch einander schon so nahe gebracht, daß jeder Uneingeweihte uns für alte gute Freunde halten mußte. Bei herrlichem Wetter wanderten wir unter der „drückenden Last" unserer Rucksäcke talein und erreichten kurz vor Einbruch der Dunkelheit das Gepatschhaus, wo wir die Nacht über blieben. Tags- darauf hatte das Wetter umgeschlagen, wir mußten in fadenscheinigem Nebelgewölk über den Gepatschferner ansteigen und konnten nichts von all der landschaftlichen Schönheit erschauen, die uns der Vortag so verheißungsvoll in Sonnenglanz ahnen ließ. Unweit der Rauhenkopfhütte wanden wir uns durch das Spaltengewirr eines Gletscherbruches, der recht viel Achtsamkeit und Vorsicht erforderte, und freuten uns nicht wenig, als wir wieder sicheren Boden unter unseren Füßen fühlten und bald nachher gar die Hütte selbst erreicht hatten. Kaum mehr als eine Seillänge weit konnte man damals im Nebel sehen, und wenn ab und zu das diffuse Schneelicht in den Strahlen der durchdringenden Sonne sich klärte, dann mußten rasch diese kostbaren Augenblicke zur Orientierung benützt werden. Wieder ging es fort über den weitausgedehnten Ferner empor, um nur möglichst rasch unser Tagesziel zu erreichen — nach Karte und Kompaß. Einige Spalten wurden gequert; der Schnee, der bisher von feuchtsalziger Beschaffenheit war, wurde immer ungünstiger, ein sicheres und verläßliches Anzeichen dafür, daß wir uns schon der Iochhöhe näherten. Auch die stetige Zunahme des Sturmes in seiner Heftigkeit bestätigte unsere Mutmaßung. In einer Höhe knapp unter 3000 m, die wir barometrisch bestimmten, legten wir so genau als möglich die Richtung auf das Joch fest und steuerten dann ohne Zögern darauf zu. Hartnäckig suchte der schneidende Orkan auf dem harschtigen Schnee gegen uns anzukämpfen, doch für uns gab es kein Zurück. Mit dem Einsatz unserer ganzen Kraft und Willensstärke strebten wir zum Joch empor, und wenn der eisige Sturm noch ärger tobte und seine glitzernden Cisnadeln auch noch kräftiger in unsere Gesichter schleuderte, um sein sturmerprobtes Reich gegen uns fremde Eindringlinge zu verteidigen — wir hatten Mut genug, um ihm mit fester Stirn entgegenzutreten und den ungleichen Kampf, den er uns anbot, aufzunehmen und auch zu bestehen. Langsam aber stetig gewannen wir an Höhe. Wenn der Sturm gar zu heftig gegen uns wütete, machten wir halt, um wieder zu Atem zu kommen, und arbeiteten uns so immer höher und höher empor. Der Gletscher nahm immer mehr und mehr an Neigung ab, er wurde eben und gar bald begannen unsere Bretter zu gleiten — wir hatten somit das Joch bereits überschritten und befanden uns auf dem Kesselwandferner, daher auch in unmittelbarer Nähe des Brandenburger Hauses. Wir legten wieder die Richtung fest, der wir jetzt zu folgen hatten, und erblickten nach etlichen bangen Augenblicken wirklich bereits das stattliche Haus, das uns einige Tage hindurch beherbergen sollte. Über den harten Firn und die Felsklippen, die diese Hütte gleichsam krönt, stiegen wir, unsere Schneeschuhe geschultert, empor; und selbst jetzt, wo doch der eisige Sturm schon sein Spiel gegen uns verloren hatte, selbst jetzt noch suchte er mit seiner ganzen Wucht diese Felsenburg gegen uns zu verteidigen und machte uns die wenigen Meter, die uns noch von der Hüttentür trennten, recht unleidlich. Zum Teil auf den Händen und auf den Knien kriechend, strebten wir empor und atmeten alle erleichtert auf, als wir in den Winterraum des Hauses eintraten; alles was wir am Leibe hatten, war beinhart gefroren und gänzlich vereist. Rasch richteten wir uns recht gemütlich in der Hütte ein und hatten bald ein Feuer zustandegebracht und die Kochtöpfe in Betrieb gesetzt. Solange der Sturm da draußen wütete, waren wir ja an diese Stätte gebunden und konnten nichts Besseres hier oben anfangen, als geduldig auf Schönwetter warten. Wir hatten ja mehrere Tage lang Zeit, da mußte sich doch einmal die Witterung ändern. So hofften wir und so sollte es auch tatsächlich kommen.

Zwei Tage lang saßen wir untätig und vertrieben uns die Zeit so gut, als es ging, mit Plaudern, Singen und allerlei Ulk, um uns in heiterer Stimmung zu erhalten. Dann schwelgten wir wieder in Zukunftsplänen, die zwar gar nicht zu dem Nebeltreiben paßten, das vor unseren Hüttenfenstern tobte, nichtsdestoweniger aber doch imstande waren, uns gute Laune zu bewahren. Am Gründonnerstag endlich, nachdem der Luftdruck schon 24 Stunden früher langsam aber stetig zu steigen begonnen hatte, toste zwar der Sturm noch immer so, wie an dem Tage unserer Ankunft, aber das Nebelgewölk war doch merklich lichter geworden. And siehe da, in den Vormittagsstunden hellte es sich auf; wir konnten endlich ab und zu einen Teil unserer nächsten Umgebung sehen. Rasch wurde alles vorbereitet, gekocht und das Mittagmahl eingenommen, dann traten wir vor die Hüttentür, schnallten unsere Schneeschuhe an und staunten nicht wenig über die reizvollen Bilder, die die Sonne uns in ihrem unbarmherzigen Kampf gegen die jagenden Nebelschwaden vorzauberte. Hier und dort wurde ein Grat, ein Gipfel sichtbar, war aber bald wieder vom Nebel umflossen. Einer Sturmflut gleich brandete das eilende Gewölk an Fels und Firn und zerstieb und zerschellte in ergötzlichem Spiel in seiner eigenen ohnmächtigen Wut. Immer mehr und mehr traten die eisstarren Berge um uns aus den ziehenden Wolken, immer mehr und mehr belebte die Sonne mit ihren flammenden Strahlen diese stilleinsame Hochwelt vor unseren Blicken. Ws waren weihevolle Stunden, die wir da erlebten, ein Wiedererstehen aus Nacht und Nebel — sehnlichst von uns erwartet — vollzog sich vor unseren entzückten, staunenden, bewundernden Augen.

Weißkugel, 3746 m

Als wir tagsdarauf — es war Karfreitag — Ausschau hielten nach dem Wetter, ragten all die Hochgipfel um uns in eine kalte, wolkenlos klare Sternennacht empor, gerade das rechte Wetter für unser Vorhaben. Wir kochten rasch ab und verließen bald nach Sonnenaufgang die Hütte. Wie freuten wir uns alle, als wir da in eine gleißende Lichtfülle hinaustraten und die fernsten Spitzen vor uns in rosigem Morgenschimmer erglühten!

Über den oberen Teil des Kesselwandferners waren wir bald abgefahren, dann ließen wir einen großen Eisbruch links liegen und strebten dem Hintereisferner zu, den wir in einer Höhe von ungefähr 2500 m erreichten. Nach kurzer Rast, da das letzte Stück der Abfahrt steil und anstrengend gewesen, stiegen wir über den langen, sanftgeneigten Ferner empor, stets den Blick auf unser heutiges Ziel gerichtet, im Rücken den höchsten Berg der Ötztaler Alpen, die Wildspitze. Die Schneeschuhwanderung über den Hintereisferner zum Hintereisjoch empor ist eine der schönsten in ihrer Art, die ich aus meiner reichen Erfahrung zu nennen vermag. Sanftgeneigt zieht sich der Ferner empor, inmitten einer urgewaltigen Eiswelt, die durch ihre trotzig-berückende Schönheit jeden Besucher in Staunen und Entzücken versetzt. Schon wenig unter dem Hintereisjoch, nach einigen Kehren, die die stetig zunehmende Steigung erforderte, ließen wir unsere Bretter zurück, da wir ohne sie gefahrloser die gewaltigen Schneemassen überwinden konnten, die sich den ganzen Winter über hier abgelagert hatten — allerdings eine mühsame und nicht ungefährliche Arbeit, wenn es sich auch nur um wenige Seillängen handelte. Bei unseren Schneeschuhen hatte ich sowie alle andern, die mit Pickeln ausgerüstet waren, meine Doppelstöcke zurückgelassen; knapp unter dem Joch mußten wir auch schon einige Stufen in den harten Firn hauen, die uns dann auf den Grat unseres Berges brachten, dem wir nun folgten. Er wurde bei jedem Schritt schmäler. Links öffnete sich ein blendend weißer, im Feuer der Sonnenstrahlen lodernder Abgrund, rechts eine flimmernde, funkelnde, von Strahlen erfüllte Tiefe! Wie herrlich war dieser luftige Firnsteg, zu dem wir schon stundenlang sehnsüchtig aufgeblickt hatten! Knapp vor dem Gipfel ging's noch über einen plattigen Felsturm empor, hinauf zu sonniger Rast auf diese stilleinsame Höhe, hinauf zur höchsten Stufe einer schaurigen Himmelsleiter, die wir uns selbst in Schnee und Eis schlugen!

Nicht mit Anrecht bezeichnet man unsern Gipfel als die vornehmste Erhebung der gewaltigen Ötztaler Eisberge. Es ist hier, als sei die Unendlichkeit mit einem Male dem menschlichen Auge erschlossen — so überwältigend ist der Eindruck dieses Rundblickes. Berg an Berg reiht sich dem Beschauer zu Füßen und die ganze sichtbare Welt scheint wie ein einziges, großes Gemälde vor ihm aufgerollt. In fernster Ferne noch ragen Berge wie Silbergespinst in den blauen Himmel empor und alle die zahllosen Gletscher zu Füßen fluten gleich mächtigen Strömen zu Tal, dem jungen Frühling dort unten entgegen. Was sich dem menschlichen Auge hier an Urgewalt der Natur offenbart, das vermag meine schwache Feder nicht zu schildern. Gehe, wer kann, doch selbst unsere Wege, um selbst zu sehen und selbst zu fühlen, was wir erschauten und empfanden.

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Ein herrlicher, wolkenloser Sonnentag war es, den wir durchlebten und darum hielten wir uns auch mehr als eine Stunde lang auf dem Gipfel auf. Jeder Bergname, den wir uns zuriefen, weckte alte Erinnerungen in uns, gab es doch soviele gute Bekannte in der Runde, deren bleiche Felsmauern wir einst mit Seil und Kletterschuhen durchstiegen hatten, und soviele gute Freunde, deren blinkenden Eisgrat einst vor Jahren schon unser kühner Wagemut mit dem Pickel bezwungen hatte. Wir standen alle in tiefes Sinnen versunken, gedachten längst entschwundener Freuden und empfanden in diesem Augenblick das Gefühl tiefinniger Dankbarkeit gegen die Berge mächtiger denn je.

Köstliche, wonnevolle Gefühle löste diese Gipfelrast in mir aus, Augenblicke, die mir mein Leben erst so recht lebenswert machen, weil sie mein Ich mit ganz seltsamem Glück und tiefster Beseligung erfüllen. Jeder Bürde des Daseins ledig, stand ich da auf himmlischer Höhe, umweht von einem Hauch des Göttlichen in meiner Seele. Ich fühlte ein berauschendes Königsgefühl in mir und empfand gleichsam das Unirdische, das meine Daseinsfreude wie ein zündender Lichtfunken zu himmlischem Feuer entfachte, das auch jetzt noch immer lichterloh in mir brennt. All mein heißes Sehnen und Verlangen nach der Bergwelt lernte ich hier verstehen, wie selten noch zuvor — wieder wurde mir so recht klar, warum ich die Bergwelt so über alle Matzen liebe und warum ich stets mit Wort und Tat für sie eintrete, wenn es auch immer noch viele gibt, die verständnislos unserem Beginnen gegenüberstehen, oft gar unser Tun und Handeln verurteilen.

Dann ging's ans Scheiden. Wir packten zusammen und traten den Rückweg an. Den gleichen Grat, der uns heraufgeführt hatte, benützten wir auch wieder zum Abstieg. Aber die plattigen Felsen wurde hinabgeklettert und der Pickel trat hierbei wieder in seine Rechte, da wir die Stufen, die wir beim Aufstieg angelegt hatten, fast alle ausbessern mußten. Nicht schneller als es eine vorsichtige Seilverwendung gestattete, verfolgten wir den Grat, der uns wieder zum Hintereisjoch hinableitete. Nun hatten wir nur mehr eine geringe Entfernung zurückzulegen, um zu unseren Brettern zu gelangen, und wenige Augenblicke später jagten wir auch schon mit Windeseile über den steilen Firn des Gletschers hinab. Unseren Aufstiegsspuren folgend, mutzten wir vorerst einige Spitzkehren in kühnem Schwünge nehmen, dann ging's schnurgerade dahin — in rasender Eile. Welch ein Gefühl, so gleich einem Pfeil durch die Lüfte zu fliegen, auf gleitenden Schienen, Herr über Raum und Zeit, losgelöst von allem Schweren, Unschönen und Hätzlichen auf Erden! In wenigen Minuten legten wir mühelos Strecken zurück, die in der Auffahrt Stunden heitzer Arbeit erheischt hatten, und wenn ich dieser herrlichen Fahrt gedenke, die uns so schwirrend durch die winterliche Hochwelt führte, dann jubelt noch heute mein Herz vor Wonne und Entzücken. Nur zu bald war sie zu Ende — wie alles Schöne und Begehrenswerte auf Erden — und aus unüberwindlicher Scheu vor dem bevorstehenden mühsamen Aufstieg zum Kesselwandjoch machten wir eine nicht endenwollende Rast auf dem Hintereisferner, bis wir endlich doch noch die nötige Selbstüberwindung aufbrachten, um den mehr als zweistündigen Anstieg in Angriff zu nehmen. Ohne Murren, eingedenk der sonnigen Stunden, die uns für alle Mühen des Tages reichlich entschädigten, stapften wir hinauf zu unserem gastlichen Bergheim, das wir erst bei Beginn der Dämmerung erreichten. Lange kämpfte noch das scheidende Licht des Tages mit der anbrechenden Nacht, bis diese allen Glanz der flimmernden Cisesherrlichkeit in ihr schwarzes Bahrtuch hüllte. And als endlich das Licht ganz der Finsternis gewichen war, da erstarb mit ihm auch jeder Ton des Lebens, der tagsüber durch den Donner der Lawinen und das Bersten der Eisbrüche in einer urgewaltigen Melodie erklungen — das Zauberreich um uns war gewandelt in eine dunkle Welt des Schweigens. Nur der Mond breitete seinen Glanz über sie aus, so datz der Gipfel, auf dem wir etliche Stunden früher Rast gehalten, in mystischem Schimmer erstrahlte, wie versunken in süßes Träumen. And über seinem Scheitel ging eben jetzt ein Stern auf: still, groß und leuchtend.

Fluchtkogel, 3514 m

Die Frühstunden des folgenden Tages verwendeten wir zur Ordnung der wirtschaftlichen Angelegenheiten in der Hütte, reinigten gründlich den von uns belegten Winterraum, die benützten Kochgeschirre, machten unsere Eintragungen in das Hüttenbuch, kochten noch ein ausgiebiges Frühstück und brachen erst gegen 10 Uhr vormittags auf. Wir hatten ja keine Eile, es galt nur, dem nahen Fluchtkogel einen Besuch abzustatten und dann zur Vernagthütte abzufahren, die uns als Stützpunkt für die Ersteigung der Wildspitze dienen sollte. Das Guslarjoch, über das der Sommerübergang zu der genannten Hütte führt, ist im Winter immer stark überwächtet, weshalb man eine ein wenig höhere, gegen den Fluchtkogel zu gelegene Einsattlung zur Überfahrt um diese Zeit benützen muß. Dorthin steuerten wir über den sanft ansteigenden Gletscher und hinterließen daselbst unsere Schneeschuhe, sowie den größten Teil unseres Gepäckes, um uns den steilen Firnanstieg zum Gipfel zu erleichtern. Eine Reihe sorgfältig gehauener Stufen legten wir an, um den hatten Schnee sicher zu überwinden, und standen eine gute Stunde nach Verlassen des Brandenburger Hauses schon auf dem Gipfel, dessen Abbruch gegen den Vernagtferner zu mit ungeheuerlichen Wächten geziert war. Mit bewaffnetem Auge und einem „Panorama" in der Hand saßen wir hier im Mittelpunkt der gewaltigen Ötztaler Eisberge, von denen die Weißkugel und die Wildspitze als die höchsten Erhebungen ganz besonders hervortraten, die erstere nun bereits ein freudiges Erlebnis in meiner Erinnerung, die letztere damals noch ein heißempfundenes Begehren meiner unersättlichen Gipfelsehnsucht. Lange sonnten wir uns in süßem Nichtstun und blickten hinaus in kristallene Fernen, die sich endlos vor unseren Augen ausbreiteten. Dann stiegen wir wieder in den Stufen hinab, die uns herausgeführt hatten, und begannen, bei unseren Schneeschuhen angelangt, die Fahrt über den Vernagtferner zur Vernagthütte. Und das war abermals eine Fahrt, die sich würdig an alle andern reiht, die wir in den Ötztaler Bergen durchführten, schön und genußreich zugleich. Rasch kamen wir immer tiefer hinab, und bald mußten wir uns in der Höhe der Hütte befinden. Ein Blick auf die Karte genügte und wir hatten festgelegt, wohin wir uns zu wenden hatten, die Hütte konnte nur mehr unweit von unserm Standpunkt entfernt hinter einer Welle des Firnbodens versteckt liegen. Wir hielten auf dieses Ziel zu und hatten schon recht bald die freudige Genugtuung, der Hütte ansichtig zu werden. Mit dem Alpenvereins-Schlüssel wurde geöffnet, dann ließen wir uns häuslich nieder und bereiteten ein derbes Mahl, Mittag- und Abendessen zugleich, das unsern ausgehungerten Mägen recht gut tat.

Den Rest des Tages verbrachten wir vor der Hüttentür und verplauderten die Stunden aufs angenehmste. Zahllose alte Erinnerungen, an denen wir alle reich waren, wurden aufgefrischt, und die Herrlichkeit der Bergwelt im Sommer und Winter ward in begeisterten Worten gepriesen. Es waren Stunden, die nur der richtig zu werten vermag, der selbst dem Alpinismus so treu ergeben ist wie wir. Von eisigen Stürmen auf schwindlichtem Grat sowie von sorglosen Stunden bei sonnigen Rasten sprachen wir mit gleicher Begeisterung, und was wir auch immer an Erlebnissen aus den Bergen erzählten, es erfüllte uns mit stillglücklichem Genießen und seligem Frohlocken. So brach die Nacht herein, ehe wir daran dachten. Wir zogen uns in unser weltfernes Heim zurück und suchten dann auch bald unsere Schlafstellen auf. Alle vorhandenen Weckeruhren — und fast jeder von uns hatte eine solche — wurden auf 4 Uhr gestellt.

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