Schneeschuhfahrten in den Ötztaler Alpen
von Dr. Franz Tursky
Weißseespitze, 3534 m, Hochvernaglwand, 3433 m
Kaum hatten wir unsere Schneeschuhe an den Füßen, ging's auch schon dahin, die geringe Höhe zum Kesselwandjoch abfahrend; dort sammelten wir uns wieder alle, um sodann über das oberste Firnbecken des Gepatschferners zum Gipfel der Weißseespitze anzusteigen. Langsam, einer hinter dem andern, fuhren wir auf, und wenn wir auch vielfach in diesem wallenden Nebelmeer oft kaum unseren Vordermann sehen konnten, schweifte doch gleich nachher wieder unser Blick in unbegrenzte Fernen. Wie jubelte es da in uns allen, die wir bisher stets im Nebel umhergeirrt waren, ohne auch nur die benachbarten Gipfel erschauen zu können!
Tüchtig ausgeruht, wie wir waren, nur mit geringem Gepäck auf dem Rücken, drangen wir rasch vor. Sorgfältig nützten wir jede Falte des Gletscherbodens aus, um möglichst mühelos an Höhe zu gewinnen und uns zugleich eine schöne Abfahrtslinie festzulegen. Jetzt schon, beim Aufstieg, freuten wir uns auf den ungehemmten Schuß, der uns in wenigen Minuten vom Gipfel wieder zum Kesselwandjoch bringen mußte.
Wieder hüllte uns fadenscheiniges Nebelgewölk ein, das uns brauend umgaukelte und, von eisigem Nordwind gepeitscht, den Gipfel der Weißseespitze neidvoll unseren Blicken entzog. Und als wir bald nachher auf ihrem Scheitel standen, machten wir eine kurze, recht ungemütliche Rast, in der Hoffnung, daß es uns doch gelingen möchte, einen Augenblick zu erhaschen, der uns einen Fernblick von unserem Standpunkt gönnen würde. Doch wir warteten vergeblich. Allzulange hatten wir ja auch nicht Zeit, da wir uns doch mit diesem einen Gipfel nicht zufrieden geben wollten. So entschlossen wir uns denn bald zur Abfahrt. Eine kleine Strecke mußten wir noch im Nebel dahingleiten, dann hatten wir schon wieder die sonnbestrahlten Firnflächen vor uns, über die sich unsere Aufstiegsspur heraufzog. Nur wenige Minuten dauerte die Fahrt bis auf den ebenen Gletscherboden unweit des Kesselwandjochs und doch wird sie mir immer unvergeßlich bleiben, solange noch ein Tropfen Blut in meinen Adern rollt. Das war ein körperloses Gleiten in blaue Fernen, ein lustiges Dahinschießen mit dem Wind um die Wette. Vögeln gleich wähnten wir uns, die mit ausgebreiteten Schwingen durch die Lüfte kreisen, und wie von unsichtbaren Gewalten getragen jagten wir dahin. Unsere Schneeschuhspitzen durchschnitten zischend den Schnee, bis wir immer mehr und mehr an Geschwindigkeit einbüßten und zuletzt von selbst stillestanden.
Wir hatten den ebenen Firn unweit des Kesselwandjochs erreicht, von dem aus wir jetzt auf die Hochvernaglwand anstiegen. Herrlich war der Rückblick von dieser Auffahrt auf die eben besuchte Weißseespitze! Eben jetzt, während wir ihr den Rücken gekehrt hatten, waren die neidischen Nebel von ihr gewichen, jetzt strahlte sie in sonndurchflutetem Licht zu uns herüber, wie uns fremden Eindringlingen zum Trotz. Aber wir freuten uns dennoch der Sonnenklarheit und konnten uns kaum sattsehen an all den seltenen Bildern, die sich uns damals beim Aufstieg auf die Hochvernaglwand boten. Wir wendeten darum auch viel Zeit für das Photographieren auf, um wenigstens soviel als möglich von dieser Hochweltstimmung im Bilde festhalten zu können.
Bis auf den Gipfel konnten wir auch hier wieder mit unseren Brettern vordringen, wenn auch der letzte Teil recht hart und abgeweht war. Der Rundblick, der sich uns bot, war erhebend schön und ließ uns schon damals eine ganze Reihe von Genüssen ahnen, die wir wenige Tage nachher durchleben durften. Doch wir hielten uns trotzdem nicht allzulange auf, da ein eisig kalter Wind — die Gewähr für andauernd gutes Wetter — die Gipfelrast recht unleidlich machte. Wir fegten den Gletscher, den wir langsam gekommen waren, jetzt unheimlich schnell hinab. Gelegentlich dieser Fahrt statteten wir der Zinne, die kaum mehr ist als ein aus dem ewigen Eis emporragender Felskopf, noch einen kleinen Besuch ab, und jagten dann in schwirrender Gleitfahrt zum Kesselwandjoch hinab, das wir kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichten. Dann ging's zurück ins Brandenburger Haus, wo wir abermals nächtigten.