In den wilden, dünn besiedelten spanischen Pyrenäen gibt es noch Wölfe, ein paar wenige Braunbären und unzählige riesige Gänsegeier. Und dorthin, ins wilde Val d’Aran, in dem noch bis Ende der 1950er Jahre eine kommunistische Guerilla gegen das faschistische Regime des damaligen Diktators Franco kämpfte, wollen wir zum Biken fahren. In meiner Phantasie sehe ich wildwestähnliche, trocken-staubige Hochlandschaften und tief eingeschnittene Canyons, steppenähnliche Vegetation und winzige, windschiefe Steinhäuser. Die Realität im Val d’Aran sieht zumeist anders aus: Das Val d’Aran ist das einzige spanische Pyrenäen-Tal das nach Frankreich hineinreicht und wird vom nahen Atlantik großzügig mit Niederschlägen bedacht. Dichter Wald und eine schwarzwaldgrüne Landschaft sind das Resultat. Dann aber werden wir wenigstens die romantischen, kleinen Ortschaften zuhauf antreffen, da bin ich mir sicher. Doch je weiter wir in das tief eingeschnittene Tal fahren, umso größer werden die Häuser. Skigebiets-Architektur aus den 1970erJahren. Das zubetonierte Ortsbild vieler Dörfer im Val d’Aran ist die Schattenseite der großen Bekanntheit des nahen Skigebiets Baqueira-Beret. Hier verbringt die Familie des in Misskredit geratenen spanischen Königs regelmäßig ihre Winterferien. Mein romantischer Traum ist ausgeträumt. Willkommen in der Realität, der günstigen Spirituosen- und Tabakläden, denn das Val d’Aran ist auch ein Einkaufparadies für französische Shopping-Touristen.
Früh starten wir am nächsten Morgen zu unserer ersten langen Rundtour. Pep, der die örtliche Bike-Agentur „Pedals del Mundo“ leitet, hat uns diese Tour empfohlen. Und Sergej, sein Kumpel hat heute frei und wollte sowieso biken gehen, – er kommt mit uns. Schnell finden wir hier Biker-Freunde. Da die heutige Tour sehr lange ist, nehmen wir, mitsamt unseren Bikes, den öffentlichen Bus zum 2070 Meter hohen Port de la Bonaigua. Wir fahren an einigen Orten vorbei, die alle mit den berüchtigten französischen Retorten-Skistationen um den Gewinner der hässlichsten Bauweise wetteifern könnten.
Vom Pass blicken wir in eine bezaubernde andere Welt: Das tiefe, enge Val d’Aran ist hier oben weit und lichtdurchflutet und man merkt, wie tief im Süden wir uns befinden. Die Vegetation ist sonnengedörrt und im Hintergrund glänzen die Gletscher des 3404 Meter hohen Anetos. Ganz im Paradies sind wir jedoch noch immer nicht: denn zuerst müssen wir rund 16 Kilometer Teerstraße hinab. Als wir nach dieser Rasenden-Passage, auf der sich Mountainbiker selten wohl fühlen den wunderschönen Ort Son erreichen, glauben wir uns nicht nur im Paradies, sondern sind es auch: denn jetzt haben wir rund 60 zumeist einfache, aber auch teils anspruchsvolle Tourenkilometer vor uns, die uns durch eine einmalig schöne Landschaft führen: Dichte, urwaldähnliche Tannenwälder wechseln mit kräuterduftenden Wiesenkehren, die uns in schiefe Bruchsteindörfer mit reichem Blumenschmuck durch bunte Herbstgärten führen.
Über schiefe, steingemauerte Brücken und am tief eingefressenen, schluchtähnlichen Fluss La Noguerra Palaresa überwinden wir einen langen Sightseeing-ähnlichen Anstieg, den wir an der Kirche des fast verfallenen Passörtchens Montgarri für eine ausgiebige Rast unterbrechen. Der Wirt empfängt uns lachend und tischt neben seinem hervorragenden Almkäse diverse Spezialitäten des Hauses auf. Schon nach dem ersten Bissen zählt Montgarri zu meinen persönlichen Top-Ten-Plätzen Europas. Nur mühsam können wir den Wirt davon abhalten, uns mit noch einer weiteren Runde Bier oder gar Rotwein zu verwöhnen, schließlich haben wir noch einiges vor … Und wir sind froh, dass wir den alkoholischen Versuchungen widerstanden haben: denn uns stehen nochmals rund 8 Kilometer zäher Anstieg bevor. Das landschaftliche tolle Hochtal weitet sich beim Skigebietsparkplatz zu einer Hochebene. Neben tausenden Parkplätzen findet man hier Natur pur, nahezu wild lebende Pferdeherden und Oldtimer-Freaks, die hier oben ihr Motoröl wechseln. Bis wir dann endlich nach fast 70 Kilometern den höchsten Punkt unserer Tour erreichen, dauert es aber nochmals einige sich zäh dahinziehende Kilometer. Unser neu gewonnener Bikerfreund Sergeij hat uns inzwischen verlassen, denn er musste zur Arbeit und wir sind zu langsam für ihn. Doch natürlich hat er uns noch einen Tipp für eine besonders gute Abfahrt nach Vielha gegeben, der kleinen Hauptstadt des Val d’Arans.
Als wir im Abendlicht die Abfahrt antreten, eröffnet sich vor uns ein Paradies für Mountainbiker. Die untergehende Sonne taucht das riesige Val d’Aran in golden-rotes Licht, doch die mehr als 15 Kilometer lange Abfahrt ist zu jeder Tageszeit ein Hochgenuss. Nach dieser Tour sind wir überzeugt, eines der Bike-Paradiese Europas gefunden zu haben. Dass unser Paradies auch Hochhäuser hat, stört uns inzwischen kaum noch.
In den kommenden Tagen erkunden wir noch viele weitere Touren im Val d’Aran und lernen dabei immer wieder einheimische Biker kennen, die uns ihre besten Touren und schönsten Abfahrten zeigen: Wir rauschen bike-park-ähnliche Freeride-Trails hinab, kurven durch wildromatische Bergdörfer, essen Tapas in den exzellenten Bars bis wir kaum noch biken können.
Weitere Fotos von den Touren der ersten Tage
Doch die mit Abstand spannendste und abwechslungsreichste ist unsere letzte Tour
Ein herausragender Crosscountry-Trail führt, durch einige sehr exponierte Felswandpassage an einem irrwitzig steilen Abhang entlang: Fast senkrecht fallen die Steilhänge über 700 m ins Valerties-Tal hinab, in dem sich winzig klein das Flüsschen schlängelt. Zwar ist der Trail nicht allzu schwierig, aber Fahrfehler dürfen hier nicht passieren. Und so folgen wir mit höchster Konzentration der verfallenen Trasse einer aufgegebenen Mine. Mehrmals fahren wir mit eingezogenen Köpfen durch felsgehauene schmale Tunnels.
Dann beginnt ein Downhill der Superlative: durch ruppiges Gelände steil bergab. Die letzten Kilometer führen durch einen steilen, dunklen Bergwald. So muss ein Bärengebiet aussehen, denke ich mir. Die Pfade, auf denen wir fahren, sehen so aus, als wären sie seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt worden und teils sind sie so überwachsen, dass wir querfeldein bis zum nächsten Pfadstück abkürzen müssen. Erleichtert und zugleich ein wenig enttäuscht, dass das Bären-Treffen nicht geklappt hat, rollen wir in kleinen Ort Arties.
Und dann treffen wir ihn doch noch: Ursos Arctos! Ein ausgewachsener Braunbär räkelt sich gelangweilt in einem Tümpel. Das einzige was uns trennt, ist ein stabiler Drahtzaun, denn dieser Pyrenäenbär lebt als trauriger Gehege-Bär inmitten von Touristenunterkünften in einem zu kleinen Gehege. Hoffen wir, dass es seinen freien Verwandten in den abgelegenen und menschenleeren Weiten des Nationalparks besser geht. Käfigbären und Hochhäusern zum Trotz: die Pyrenäen sind ein wildes Naturparadies der Superlative. Zu hunderten ziehen während unserer Touren majestätische, riesige Gänsegeier ihre Kreise über unseren Köpfen. Mit ihren fast drei Metern Spannweite sind sie die wahren Könige der Pyrenäen.
Fotos: Stefan Neuhauser | Text: Tobias Kurzeder
Weitere Fotos zum Durcklicken in der Gallary
Nützliche Reise-Infos Val d'Aran
Im Val d’Aran, übersetzt das Tal der Täler, entspringt die Garona, die als Goronne bei Bordeaux in den Atlantik mündet. Das Klima ist feuchter und weniger heiß als in den Zentralpyrenäen: entsprechend ist die Vegetation üppig. Sobald man jedoch, wie auf unseren Touren, den Pyrenäen-Hauptkamm überquert, ändert sich die Landschaft und das saftige Grün weicht verschiedensten Braun- und Rottönen. Die beste Jahreszeit ist das späte Frühjahr, der Frühsommer im Juni sowie von Ende August bis Oktober. Doch auch im Hochsommer findet man viele, vorwiegend schattige Tourenmöglichkeiten.Vielha und die anderen Orte des Val d’AransRund 8.000 Menschen leben dauerhaft im Val d’Aran. Der Hauptort ist Vielha mit fast 4.000 Einwohnern und tausenden Ferienwohnungen. Wer romantische Bergferien sucht, hat in Vielha nichts verloren! Wer jedoch nach einer erlebnisreichen Bike-Tour das Flair, die tolle Gastronomie und das Nachtleben Spaniens erleben will, für den bietet das Städtchen ein buntes und abwechslungsreiches Angebot. Trotz seiner Architektur versprüht Vielha, dank seiner freundlichen, lebenslustigen Bewohner liebenswerten Charme.
Die Preise sind, aufgrund des überreichen Bettenangebots, sehr moderat: das Preis-Leistungsverhältnis sehr attraktiv. Essen und TrinkenEs gibt viele gute und günstige Restaurants und Tapas-Bars. Das Abend- und Nachtleben ist für einen Ort dieser Größe erstaunlich bunt und die Atmosphäre typisch spanisch, schon fast mediterran. Bike-Infos & SpezialangeboteDie seriöse Bike-Service-Agentur Pedals del Mundo bzw. „Pedals de Foc“ bietet ein 4- bis 5-tägiges Komplett-Programm an: die 220 Kilometer lange und rund 5800 Höhenmeter starke Umrundung des Nationalparks – die „Pedals de Foc“ (brennende Pedalen). Bikern, denen das landschaftliche Erlebnis wichtiger ist, als durchgehend rassige Singletrails, kann die Pedals de Foc empfohlen werden. Unsere Tour Nr. 1 stellt ein Teilstück dieser Umrundung dar. Empfehlenswert ist die sehr beliebte Tour, die ohne Guide unternommen wird, bei der die Übernachtungen jedoch vorausgebucht sind, u.a. wegen der grandiosen Landschaft und auch aufgrund der tollen Übernachtungs-Locations. Kontakt:Pedales del Mundowww.pedalsdefoc.com Über Pedals de Foc lassen sich auch Shuttle-Taxis organisieren, die Biker zu sehr moderaten Preisen zu den Tourenstartpunkten befördern. Von Juli bis Anfang September öffnet im Skigebiet ein Sessellift, der Mountainbikes befördert.