Es sollte mein vierter Trip nach Kirgistan werden, die Vorfreude war wie immer riesig. Doch gleich zu Beginn wurde es stressig: Die Anreisezeit zum Flughafen war eigentlich ausreichend berechnet. Wenn einem der Zug jedoch vor der Nase wegfährt, kann es durchaus spannend werden. Zum Glück erreichte ich den Flieger nach Istanbul. Dort trafen wir uns alle am "Stammtisch", um dann gemeinsam die weitere Reise in die kirgisische Hauptstadt Bishkek anzutreten.
Dabei war auch unsere Ungewissheit über die aktuellen Bedingungen vor Ort. Wirklich verlässliche Wetter- und Schneeberichte sind Mangelware und die wenige Information aus dem Internet ist spärlich und teilweise recht kontrovers. Die einzige verlässliche Quelle war mein Kumpel Vladimir. Er ist ein guter Freund und zugleich Präsident des kirgisischen Bergführerverbandes. Mit ihm hatte ich mich im Sommer getroffen, um die genaue Route für den Winter festzulegen, nachdem ich sie zuvor teilweise mit dem Fahrrad erkundet hatte.
Einen Teil der Route kannte ich also schon - der Rest würde auch für mich neu sein. Unsere Tour sollte uns vom Norden (Bishkek) bis in den Süden (Osh) des Landes bringen und dabei nicht nur grandiose Bergerlebnisse, sondern auch Begegnungen mit den Kirgisen und ihrer Kultur bieten. Kirgistan ist für mich immer wieder spannend und neu. Fast nichts funktioniert so wie geplant, dafür funktioniert fast alles sehr viel langsamer oder anders. Aber das macht auch den Reiz solcher Länder aus. Schließlich sind wir in Westeuropa durch unsere Umwelt auf Perfektion und Schnelllebigkeit gepolt - in Kirgistan ticken die Uhren dagegen langsamer und: anders. Lässt man sich auf dieses gepflegte Chaos und die Menschen ein, bekommt man allerdings mehr zurück als man sich je kaufen könnte.
Umso mehr erstaunte mich diesmal, dass tatsächlich alle Gepäckstücke auf dem Rollband in Bishkek lagen. Unser Fahrer, Sascha, nahm uns in Empfang. Doch bevor wir uns on the road gen Töö Ashu Pass aufmachten, war ein Besuch bei Vladimir im Office fällig. Obwohl es gerade erst 8:00 Uhr morgens war, begrüßte mein Freund uns mit dem ersten Schnaps. Unser Kessel lief auf kirgisische Betriebstemperatur. Bei unserer Abfahrt befand sich in unserem Proviant im Bus, neben Wurst, Käse und Süßigkeiten, jetzt natürlich auch eine Ansammlung an Spirituosen für die kalten Tage. Davon hatten wir scheinbar zu wenige - die Reste unserer Alkoholvorrates stehen nämlich immer noch bei mir in der heimischen Bar.
Auf dem Weg zum Pass deckten wir uns auf einem der zahlreichen Märkte mit Äpfeln, Bananen und Wasser ein. Anfängliche Umrechnungsschwierigkeiten führten zu Diskussionen, wollten wir doch keine 20 Liter Wasser für 30 Euro kaufen. Genauere Betrachtungen machten daraus allerdings lediglich drei Euro und führten bei uns zum ersten Spaß an diesem Morgen im Marktgeschehen.
Skitouren in Arslanbob
Leider hatte das Gebiet nach einigen Tagen auf Grund der Schneesituation nicht mehr sonderlich viel zu bieten und somit ging die Reise weiter gen Süden, nach Arslanbob. Auf dem Weg durch den It Agar Canyon staunten wir über die vielen Autowracks im Straßengraben und im Canyon. Scheinbar hatte einige Fahrzeuge die Bremskraft verlassen. Sascha fuhr uns jedoch sicher vorbei an Toktogul, Narin, Tash Kömur, entlang dem Stacheldraht an der usbekischen Grenze, Massi und schlussendlich nach Arslanbob.
Dort trafen wir einen für die Gegend sehr wichtigen Kirgisen: Hayat vom CBT (Community Based Tourism) hat das ganze „Skitourenbusiness" in Arslanbob aufgebaut und versucht, durch das Geld der Touristen die lokale Bevölkerung mit einzubinden und an dem „Wohlstand" teilhaben zu lassen. Die Gegend ist ein Mekka für Naturliebhaber. Glücklicherweise waren die Verhältnisse hier im Gegensatz zum Norden deutlich stabiler, dafür war es jedoch auch wärmer.
In den nächsten Tagen chauffierten uns russische Geländewagen, die Lada Nivas, durch das Unterholz, bevor wir letztlich mit eigener Kraft zu den Gipfeln aufstiegen. Unsere Base wurde das Guesthouse Nr.1, das Nazeera mit ihrer Familie führt. Wir lebten nicht nur mit diesen Kirgisen zusammen, wir passten uns ihnen auch an: Gekocht wurde auf offenem Feuer und Duschen wurde zur Seltenheit. In unsere täglichen Lunchpakete packte die Familie jede Menge Eier und morgens und abends gab es Knoblauchsalat, der eigentlich Krautsalat sein sollte.
Skitourismus ist in Arslanbob noch im Anfangsstadium. So war es nicht verwunderlich, dass wir schon bald bekannt waren wie bunte Hunde. Die Einheimischen empfingen uns stets mit offenen Armen - und mit ersten penetrant-liebenswürdigen Heiratsangeboten. Ein Erlebnis der besonderen Art war auch das alte Saunahaus, das nur für Männer zugänglich ist (Insidertip!). Wer am Markttag in Arslanbob ist, sollte dort außerdem unbedingt Schaschlik probieren.
Nach ein paar Tagen wollten wir das gemütliche Bett des Guesthouses gegen eine Isomatte in einer Schäferhütte in den Bergen tauschen. Auf dem Weg dorthin wurde jedoch schnell klar: Der Schnee war zu weich und tief für unsere Pferde. Deshalb schleppten wir selbst das Material für die nächsten Tage den unwegsamen, steilen Weg hinauf. Wir verfluchten den Anstieg. Kein Wunder, dass die Pferde da keinen Bock darauf gehabt hatten. Doch das, was wir dann vorfanden, entschädigte die Anstrengung: eine winzige Bleibe im Nirgendwo, umringt von einem Kessel mit endlosen Lines in nächster Nähe und easy access bei bestem Wetter. Jetzt zeigte sich auch, warum so viele "Guides" mitgekommen waren. Die Spezls hatten genau wie wir richtig Bock auf den Trip und den ganzen Winter hier oben noch nicht biwakiert.