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Abenteuer & Reisen

Story | Immer wieder Kirgistan

Zwischen einsamen Gipfeln und Heiratsangeboten

von Steffen Kruse 24.10.2016
Während die einen noch rätseln, wo sich Kirgistan überhaupt befindet, kann PG Autor Steffen von dem Land nicht genug bekommen. Gemeinsam mit Freunden, einem Fahrer und Unmengen kirgisischem Schnaps machte er sich auf zu einer Skireise der besonderen Art.

Es sollte mein vierter Trip nach Kirgistan werden, die Vorfreude war wie immer riesig. Doch gleich zu Beginn wurde es stressig: Die Anreisezeit zum Flughafen war eigentlich ausreichend berechnet. Wenn einem der Zug jedoch vor der Nase wegfährt, kann es durchaus spannend werden. Zum Glück erreichte ich den Flieger nach Istanbul. Dort trafen wir uns alle am "Stammtisch", um dann gemeinsam die weitere Reise in die kirgisische Hauptstadt Bishkek anzutreten.

Dabei war auch unsere Ungewissheit über die aktuellen Bedingungen vor Ort. Wirklich verlässliche Wetter- und Schneeberichte sind Mangelware und die wenige Information aus dem Internet ist spärlich und teilweise recht kontrovers. Die einzige verlässliche Quelle war mein Kumpel Vladimir. Er ist ein guter Freund und zugleich Präsident des kirgisischen Bergführerverbandes. Mit ihm hatte ich mich im Sommer getroffen, um die genaue Route für den Winter festzulegen, nachdem ich sie zuvor teilweise mit dem Fahrrad erkundet hatte.

Einen Teil der Route kannte ich also schon - der Rest würde auch für mich neu sein. Unsere Tour sollte uns vom Norden (Bishkek) bis in den Süden (Osh) des Landes bringen und dabei nicht nur grandiose Bergerlebnisse, sondern auch Begegnungen mit den Kirgisen und ihrer Kultur bieten. Kirgistan ist für mich immer wieder spannend und neu. Fast nichts funktioniert so wie geplant, dafür funktioniert fast alles sehr viel langsamer oder anders. Aber das macht auch den Reiz solcher Länder aus. Schließlich sind wir in Westeuropa durch unsere Umwelt auf Perfektion und Schnelllebigkeit gepolt - in Kirgistan ticken die Uhren dagegen langsamer und: anders. Lässt man sich auf dieses gepflegte Chaos und die Menschen ein, bekommt man allerdings mehr zurück als man sich je kaufen könnte.

Umso mehr erstaunte mich diesmal, dass tatsächlich alle Gepäckstücke auf dem Rollband in Bishkek lagen. Unser Fahrer, Sascha, nahm uns in Empfang. Doch bevor wir uns on the road gen Töö Ashu Pass aufmachten, war ein Besuch bei Vladimir im Office fällig. Obwohl es gerade erst 8:00 Uhr morgens war, begrüßte mein Freund uns mit dem ersten Schnaps. Unser Kessel lief auf kirgisische Betriebstemperatur. Bei unserer Abfahrt befand sich in unserem Proviant im Bus, neben Wurst, Käse und Süßigkeiten, jetzt natürlich auch eine Ansammlung an Spirituosen für die kalten Tage. Davon hatten wir scheinbar zu wenige - die Reste unserer Alkoholvorrates stehen nämlich immer noch bei mir in der heimischen Bar.

Auf dem Weg zum Pass deckten wir uns auf einem der zahlreichen Märkte mit Äpfeln, Bananen und Wasser ein. Anfängliche Umrechnungsschwierigkeiten führten zu Diskussionen, wollten wir doch keine 20 Liter Wasser für 30 Euro kaufen. Genauere Betrachtungen machten daraus allerdings lediglich drei Euro und führten bei uns zum ersten Spaß an diesem Morgen im Marktgeschehen.

Skitouren in Arslanbob

Leider hatte das Gebiet nach einigen Tagen auf Grund der Schneesituation nicht mehr sonderlich viel zu bieten und somit ging die Reise weiter gen Süden, nach Arslanbob. Auf dem Weg durch den It Agar Canyon staunten wir über die vielen Autowracks im Straßengraben und im Canyon. Scheinbar hatte einige Fahrzeuge die Bremskraft verlassen. Sascha fuhr uns jedoch sicher vorbei an Toktogul, Narin, Tash Kömur, entlang dem Stacheldraht an der usbekischen Grenze, Massi und schlussendlich nach Arslanbob.

Dort trafen wir einen für die Gegend sehr wichtigen Kirgisen: Hayat vom CBT (Community Based Tourism) hat das ganze „Skitourenbusiness" in Arslanbob aufgebaut und versucht, durch das Geld der Touristen die lokale Bevölkerung mit einzubinden und an dem „Wohlstand" teilhaben zu lassen. Die Gegend ist ein Mekka für Naturliebhaber. Glücklicherweise waren die Verhältnisse hier im Gegensatz zum Norden deutlich stabiler, dafür war es jedoch auch wärmer.

In den nächsten Tagen chauffierten uns russische Geländewagen, die Lada Nivas, durch das Unterholz, bevor wir letztlich mit eigener Kraft zu den Gipfeln aufstiegen. Unsere Base wurde das Guesthouse Nr.1, das Nazeera mit ihrer Familie führt. Wir lebten nicht nur mit diesen Kirgisen zusammen, wir passten uns ihnen auch an: Gekocht wurde auf offenem Feuer und Duschen wurde zur Seltenheit. In unsere täglichen Lunchpakete packte die Familie jede Menge Eier und morgens und abends gab es Knoblauchsalat, der eigentlich Krautsalat sein sollte.

Skitourismus ist in Arslanbob noch im Anfangsstadium. So war es nicht verwunderlich, dass wir schon bald bekannt waren wie bunte Hunde. Die Einheimischen empfingen uns stets mit offenen Armen - und mit ersten penetrant-liebenswürdigen Heiratsangeboten. Ein Erlebnis der besonderen Art war auch das alte Saunahaus, das nur für Männer zugänglich ist (Insidertip!). Wer am Markttag in Arslanbob ist, sollte dort außerdem unbedingt Schaschlik probieren.

Nach ein paar Tagen wollten wir das gemütliche Bett des Guesthouses gegen eine Isomatte in einer Schäferhütte in den Bergen tauschen. Auf dem Weg dorthin wurde jedoch schnell klar: Der Schnee war zu weich und tief für unsere Pferde. Deshalb schleppten wir selbst das Material für die nächsten Tage den unwegsamen, steilen Weg hinauf. Wir verfluchten den Anstieg. Kein Wunder, dass die Pferde da keinen Bock darauf gehabt hatten. Doch das, was wir dann vorfanden, entschädigte die Anstrengung: eine winzige Bleibe im Nirgendwo, umringt von einem Kessel mit endlosen Lines in nächster Nähe und easy access bei bestem Wetter. Jetzt zeigte sich auch, warum so viele "Guides" mitgekommen waren. Die Spezls hatten genau wie wir richtig Bock auf den Trip und den ganzen Winter hier oben noch nicht biwakiert.

Harschdeckel statt kirgisischer Powder

Auf dem Pass Töö Ashu angekommen, stiegen wir gespannt auf die Ski. Unser Enthusiasmus traf auf einen ausgeprägten kirgisischen Harschdeckel. Zumindest konnte es nicht mehr schlimmer werden. Den Pass fuhren wir ab bis ins Suusamyr Tal, wo unsere erste Station die Suusamyr Lodge war.

Wir bezogen die "luxuriöse" Bleibe und waren gespannt auf den kommenden Tag. Auf Grund der ungünstigen Schneesituation und des ausgeprägten Harschdeckels, verzichteten wir aber auf den geplanten Nippelpeak (ja, die Locals nennen den Gipfel so) und begnügten uns nach drei Stunden Aufstieg mit dem Vorgipfel. In der Lodge war es abends schön warm, ganz im Gegenteil zu draußen, wo frostige -30 Grad herrschten. Suusamyr ist die kälteste Ecke in Kirgistan. Die eisigen Temperaturen führten auch dazu, dass Sascha, aus Angst, dem Bus könnte die Spritleitung zufrieren, ständig den Motor laufen ließ.

Obwohl der erste Tag ernüchternd gewesen war, fanden wir am nächsten Morgen in relativ sicherem Gelände dann doch guten Schnee. Diese Abfahrt genossen wir am nächsten Tag gleich nochmal. Wenn wir nach den Touren in die Lodge zurückkehrten, wartete Kaffee und Kuchen auf uns - und der Koch mit seinen vielen Goldzähnen, der neben grandiosen Fähigkeiten in der Küche noch besser Tischtennis spielte. Morgens brachen wir bald nach dem Frühstück zum Touren auf. Dabei passierten wir die Wachhunde, die ihren Dienst mit Bravour meisterten und bei denen ich jedes Mal froh war, dass sie uns bereits kannten.

Einmal die Ersten sein

Am nächsten Tag sollte ein Highlight auf uns warten. Dafür begann unser Tag um 5:00 Uhr. Unser Plan war, von der Base auf etwa 2.000 Metern Höhe bis zu einem Pass auf rund 3.800 Meter aufzusteigen. Wir verließen die Base. In der Früh war noch alles gefroren. Der Aufstieg erwies sich als mühsam, zumal wir die Harscheisen in der Hütte vergessen hatten. Als der Guide dann am Mittagsplatz ankam und zwei Fluppen inhalierte, ging er davon aus, dass wir genug hatten und abfahren würden - wie er sich doch irrte.

Wir waren mehr als motiviert, als erste "Menschen" im Winter auf diesem Pass zu stehen und ihn natürlich auch zu abzufahren. Der Weg wurde immer steiler. Als wir unser Ziel schließlich erreichten, mussten wir uns beeilen. Es war schon spät und das erste Stück extrem steil. Umso erstaunter war ich, als der Guide nach seiner obligatorischen Wellnessfluppe zu mir kam und meinte, er könne nicht gut Skifahren und würde zu Fuß wieder absteigen. Ich überredete ihn, wenigstens den ersten Teil abzurutschen. Dennoch kamen wir alle bestens gelaunt unten an. Im flachen Gelände freute sich der Guide über einen kleinen Skikurs und wir besonders über das kühle Bier zurück an der Base. Der Tag fand seinen gemütlichen Ausklang bei einer gemeinsamen Kochrunde, bei der wir singend und Gitarre spielend Geschichten aus internationalen Skifahrerherzen erzählten. Nachdem wir zwei Tage später auch die letzten lokalen Spines abgegrast hatten, räumten wir schließlich das Biwak und machten uns auf den Weg zurück nach Arslanbob.

Der Trip neigte sich nun dem Ende zu. Nach einem obligatorischen Besuch auf dem Markt in Osh saßen wir auch schon wieder im Flieger Richtung Heimat - natürlich mit dem Kopf voller neuer Ideen und Projekte für die nächste Kirgistan-Reise. Einen herzlichen Dank an die ganze Crew für das gesellige Beisammensein, Vladimir und seinem Team für die perfekte Organisation, Sascha für seinen gediegenen Fahrstil, auch wenn es auf der Straße und im Bus mal ein wenig wilder wurde, der Suusamyr Lodge für die freundliche Unterbringung, die starke Sonnencreme und das leckere Essen und der ganzen Arslanbob-Crew für die super Spots und die Gastfreundschaft.

Hayat vom CBT und seine Crew kann ich mit bestem Gewissen empfehlen (mehr Infos). Sie kennen die Gegend, haben super Tipps, Karten und können wunderbare Mehrtagesbiwaks organisieren. Auch im Sommer zeigen sie Touristen ihre Bergwelt. Neben den grandiosen Berggipfeln und Seen sind bereits die ersten Mehrseillängen und Sportkletterrouten erschlossen worden. Bei unseren kirgisischen Freunden zeigte sich außerdem ein großer materieller Bedarf, sie freuten sich nach der Tour enorm über unser verschenktes Material. Wenn ihr dort oder überhaupt im Land seid, denkt bitte an die Locals, die können alles gebrauchen!

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